Glasworks: Die Lügen der Sieger von Christoph Hochhäusler

Es ist schon eine gute Sache, dass es Christoph Hochhäusler immer mal wieder schafft, in Deutschland einen Film zu machen. Der Mitherausgeber und die Online-Stimme der Filmzeitschrift Revolver hat mit Die Lügen der Sieger, der seit einer Woche auch in den österreichischen Kinos unter dem Radar fliegt, seinen Weg hin zum Genre weitergeführt und einen intelligenten und formal jederzeit spannenden Politthriller gedreht. Darin folgt er mit einer paranoiden Präzision in Schwenks und Schnitten dem Journalisten Fabian Groys (Florian David Fitz) bei Enthüllungsarbeiten rund um die Invalidenpolitik der Deutschen Bundeswehr und einen Giftmüllskandal.

Hochhäusler trifft das paranoide Zeitgefühl einer Fassadenwelt, in der durch Fenster beobachtet und gelenkt wird und man sich nie sicher sein kann. Amerikanische Vorbilder von Alan J. Pakula bis zu Francis Ford Coppola, Orson Welles oder Richard Brooks lassen sich zur Genüge finden und auch im fast schon vergessenen europäischen Politkino ist Die Lügen der Sieger fest verwurzelt..Damit könnte man den Film als eine etwas genrespezifischere Variante von Hochhäuslers Unter dir die Stadt sehen, aber das wäre wohl zu kurz gegriffen. Vielmehr ist Die Lügen der Sieger ein Film, der auf einem Drahtseil zwischen einer fiktionalen Genrewelt samt Champagner-Rausch-Glückspiel, Porsche und roegesquen Sexszenen und der ernüchternden Realität eines Presse- und Politikalltags balanciert. Fast zufällig stolpert der verschuldete Fabian mit Hilfe der Volontärin Nadja (Lilith Stangenberg) in einen faustdicken Skandal, den der Zuseher praktisch von Beginn an als solchen erkennt, weil wir auch die illegale Verschleierungsarbeit sehen dürfen. All ihre Arbeit läuft auf eine Lüge hinaus, die von mächtigen Anzügen im Hintergrund so gewollt wird. Es ist ein wenig schade, dass Hochhäusler am Ende noch einen drauf setzen muss, denn die Ernüchterung, Zeuge einer Wahrheitsfindung als große Lüge geworden zu sein, hat auch eingesetzt, ohne dass die Hauptfigur alles verlieren musste. Der große Moment des Films geschieht, als man bemerkt, dass es sich bei all diesen Intrigen, all diesem Aufwand am Ende „nur“ um einen Zeitungsartikel handelt, der an der Wahrheit vorbeischrammt. In einer beeindruckenden Szene streichen die Fadenzieher in den kalten Glasgebäuden über ihre Bildschirme und stellen beruhigt fast, dass der Artikel in ihrem Interesse erscheint. Es sind diese wiederholten Einstellungen von Fadenziehern über der Stadt, an denen wir Teil haben müssen, um zu verstehen, dass in dieser Welt nichts wirklich wahr ist. Aber Hochhäusler folgt den Genreregeln und zerstört seinen zuckerkranken, spielsüchtigen Antihelden völlig und nimmt der schmerzvollen Ironie einer allgegenwärtigen Zufriedenheit im Angesicht der Lügen damit ihren bitter-absurden Drive.

Das Prunkstück des Films ist sicherlich die Montage, jenes Mittel zur Lüge des Kinos. Virtuos wie Stefan Stabenow hier zwischen harten und fließenden Übergängen wechselt und so eine Beunruhigung ermöglicht, die einen immer wieder blicken lässt, die das Sehen ermöglicht. Diese Schnitte taumeln über dem gleichen Abgrund wie die Hauptfigur, immerzu auf einer desorientierten Suche, die einen Zweifel an der Realität ermöglicht, aber keinen Ausweg lässt, die einen täuscht, wenn man blinzelt. Dabei spielt auch immer die Idee der Beobachtung eine entscheidende Rolle. Diese wurde feinfühlig in ein visuelles Konzept eingearbeitet, das sich mal in der machtlosen Entfremdung eines Michelangelo Antonioni mit dem gewohnten Auge für Architektur bei Hochhäusler, der Hektik einer städtischen Distanz des Treibens im Alltags von Berlin und dem ständigen Verlust von Klarheit, der in beständigen Seitwärtsfahrten und Schwenks droht, vor unserem Auge zu verschwinden, äußert. Hinzu kommen diverse Spiele mit Unschärfen und kantigen Einstellungen, die auch an Orson Welles paranoide Welten erinnern. Ja, wir haben hier einen Filmemacher, der eine Filmsprache aus der Geschichte des Kinos filtert, die viel mit der gegenwärtigen Realität zu tun hat. So erzählt die Form des Films beständig etwas über den Inhalt und über den Inhalt hinaus.

Wie schon in Unter dir die Stadt bleibt Hochhäusler fasziniert vom gebrochenen Licht im Glas: Spiegel, Fenster, verdeckte und verzehrte Gesichter oder blitzende Reflektionen zwischen den Glasfassaden einer öffentlichen Toilette. Immer wieder finden Kameramann Reinhold Vorschneider und Hochhäusler außergewöhnliche Perspektiven auf eigentlich bekannte Orte. Dadurch ermöglichen sie einen Blick hinter die geschniegelten und kalten Fassaden, die alles in ihren Systemen und Mechanismen ertränken und alles zerstören, was ihnen nicht folgt. Der vormalige Titel des Films, Lichtjahre, bricht in diese Reflektionen, in denen irgendwo in den Schatten ein gebrochenes Licht auftaucht, ein Lächeln der Lügner und Belogenen, der Wegsehenden und Erfolgreichen.

Lichtjahre

Aus der ständigen Wachsamkeit und Konzentration erwacht eine dynamische Thrillerhandlung, die immer dann am besten zündet, wenn sie mit der Beiläufigkeit des Alltags oder einer satirischen Absurdität operiert. So sind die Szenen, in denen Fabian und Nadja auf Spurensuche gehen vor allem deshalb spannend, weil sie gleichzeitig etwas über den Journalistenalltag erzählen. Zynische Bemerkungen, Bandscheibenvorfälle und kleine Worte, die schon zu viel sein können, prägen das Vorgehen des Films in diesen Augenblicken. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, weshalb es dem Film manchmal gelingt, das Genre so locker mit dem Alltäglichen zu verknüpfen, während es an anderen Stellen in eine überzogene Theatralität kippt, wie bei den Wutausbrüchen und Geschmacklosigkeiten der Mächtigen. Es ist als könne sich Hochhäusler diesen Kontrollinstanzen nur über eine relativ inspirationsfreie Abstraktion nähern, die man natürlich im Genre verorten könnte, aber denen leider jederzeit Ambivalenz abgeht. Seltene Schwächen offenbaren sich auch hier und da in der Inszenierung. So wirkt die Einführung von Fabian auf einer Pressekonferenz mit einer seitlichen Kamerafahrt trotz der Konsequenz dieses Stilmittels wie aus einer Telenovela. Immer wieder mal spürt man regelrecht wie die Szene gedreht wurde. Der Sog der amerikanischen Vorbilder bleibt somit leider aus. Allgemein wirken manche Gebäude (dazu zählt auch das Redaktionsgebäude der fiktiven Zeitung „Die Woche“) nicht ganz dem düsteren und verwinkelten Genre entsprechend, weder kann hier der Realismus eines Zodiac erreicht werden, noch die labyrinthische Abstraktion eines The Trial. Vielleicht ein unfairer Vergleich, aber die zwei genannten Filme zeigen doch recht deutlich, welchen Spagat zwischen Genre und Gesellschaft Hochhäusler hier wagt.

Die Lügen der Sieger konfrontiert mit einer politischen und zugleich visuellen Weltsicht, die ansteckt, die einem im Gefühl dieser Angst und dieses Genres baden lässt, die von einer Beunruhigung erzählt, aber diese letztlich als beruhigend hinnimmt. Denn statt einem Schock der Unsicherheit wie am Ende von Unter dir die Stadt, wartet Hochhäusler hier mit dem, was man kommen sah. Die Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit am Ende dieser Angst. Das Glas droht nicht zu brechen, es thront stabil und unsichtbar. Es zersplittert die Wahrheit und das Licht gleichermaßen und in diesem Sinn ist Hochhäusler hier ein Appell an eine Einschränkung der Freiheit gelungen, eine Einschränkung, die wir oft vergessen, weil wir durch sie hindurchsehen können. Nur – und das liegt durchaus in den zahlreichen seitlichen Fahrten, die einem nicht aus den Augen gehen können – wir drohen überholt zu werden vom dem, was wir nicht sehen können. Es ist gut, dass Hochhäusler es (und hier bin ich mindestens so abstrakt wie er ) sichtbar macht.

Never gonna fall for (modern love): Gone Girl von David Fincher

Gone Girl Fincher

Es gibt Filme, auf die findet man relativ schnell eine passende Antwort, eine Einschätzung, eine Meinung. David Finchers Gone Girl gehört für mich sicherlich nicht in diese Kategorie. Das liegt zum einen daran, dass man eigentlich nicht nur einen Film sieht und zum anderen daran, dass bei Fincher wie immer die Form und der Inhalt nicht unbedingt zusammengehen auf den ersten Blick. So läuft hinter den inhaltlichen Stories (Ehedrama, Mördersuche, Paranoia-Auf der Flucht-Film, Mediensatire, Psychothriller, Rachedrama) auch noch eine formelle Bewegung ab. Diese perfektioniert eine Idee, der auch schon Alfred Hitchcock erlegen ist: Schuld und Unschuld, Liebe und Gewissen, Leben und Wahrnehmung sind ein Opfer der Zeit. Immer wenn man glaubt, dass man über diese Dinge nachdenken kann, dann sind sie schon vorbei. Und darunter leidet man. Was sich entfaltet ist ein existentialistisches Speedboot, das immer auf die nächste Wand zusteuert, um in dem Moment, indem man sich vorstellt, dass man gleich in die Wand rasen wird, schon auf die nächste Wand zusteuert. Man wird das Boot nicht verlassen können. Das perfide und sarkastische an Gone Girl ist, dass die Figuren dieses Boot selbst steuern.

Es geht um den gescheiterten Schriftsteller Nick, der in einem Casting-Coup von Ben Affleck gespielt wird. Das ist deshalb eine derart gelungene Besetzung, weil der häufig für seine hölzerne Art und Steifheit kritisierte Affleck einen Mann spielt, bei dem man nicht weiß, ob er gut spielt oder ob er zu hölzern ist. Dadurch entsteht fast wie von selbst die beste Rolle, die Affleck je geben durfte. Jedenfalls kommt dieser in seinem Haus in Missouri eines Tages (es ist sein Hochzeitstag) nach Hause und stellt fest, dass in sein Haus eingebrochen wurde und seine Frau Amy (Rosamunde Pike-immer noch im Eishotel, Frau Frost) verschwunden ist. Mit dieser Ausgangsposition konstruiert Fincher eine Perspektivwechsel-Orgie, die einen immer dort hinbringt, wo man nicht erwartet hatte zu landen. Schelmisch setzt Fincher seine geliebten Twists, voyeuristischen Blicke und Montagesequenzen ein, um die Wahrheit einer Fassade selbst zu durchlöchern.

Gone Girl Affleck

Es geht dabei um die Fassade einer Ehe, die Fassade einer Liebe und die Fassaden von Männlichkeit und Weiblichkeit. Was Fincher-wie oft-verpasst, ist dass diese Fassade schon Drama und Thriller genug wäre. Seine heftigen Überraschungen sind Crowd-Pleaser, die selbst wieder eine Fassade aufbauen und damit nur vom Eheterror, von den Figuren, der Mediensatire und allem anderen ablenken. Zudem ist die Geschichte, die auf dem Bestseller von Gillian Flynn basiert und von ihr selbst adaptiert wurde, sehr, sehr groß angelegt und macht sich damit sehr angreifbar bezüglich Logik und Kohärenz. Nicht, dass das unbedingt ein Problem wäre, aber der gesellschaftskritische Touch leidet durchaus unter Unstimmigkeiten. So funktionieren zu viele Medienkanäle, die den Fall ausschlachten als Surrogate für eine größere Idee statt einer unkontrollierbaren Masse. Durch die unterschiedlichen Interessen des Drehbuchs werden zudem viele Aspekte nur äußerst oberflächlich angerissen und man fragt sich, warum sich Fincher nicht von Anfang an auf einen der Aspekte konzentriert hat, um diesen intensiver zu beleuchten. Er erreicht auch keine detailbesessene Faktentreue wie in Zodiac oder The Social Network, weil er deutlich mehr damit beschäftigt ist, mit Erwartungen und Wahrnehmungen zu spielen. Ähnliches gilt für die Figur von Amy, die derart überzeichnet daherkommt, dass man die Allgemeingültigkeit dieser dying Modern Love absolut hinterfragen muss. Denn wo man eigentlich einige grausame Wahrheiten über Beziehungen, Gefühle und Ehe spürt, da liegt hier auch ein trashiges Ein-Psychopath-schläft-in-meinem-Bett an der Oberfläche.

Die Fassaden von Ehe und Medien gehen hier Hand in Hand. Die Wahrheit/Liebe selbst spielt keine Rolle mehr. Vielmehr geht es um das Bild, dass man vor der Welt, dem Partner und sich selbst hat. Ein Lügenmärchen, in dem die Generation Facebook ins Leben torkelt. Dabei setzt Fincher auf einen sarkastischen Humor, der in seinen besten Momenten eine Rotzigkeit aufweist, aus der man gleichzeitig Freude und Verbitterung spürt. Ein großartiger Moment ergibt sich zum Beispiel aus einer Szene, in der Nick von seinem One-Liner Anwalt (ein Überrest aus The Social Network) mit Gummibärchen beworfen wird, wenn er etwas Unglaubwürdiges sagt. Die Verbitterung kommt dann vor allem im letzten Abschnitt des Films zum Ausdruck. Dann steckt hinter jeder Tat eine Falschheit, die wehtut.

Der Look von Gone Girl ist auf der einen Seite jener, den man von Fincher kennt, einer von grün-kalter, digitaler Sauberkeit strahlender Blick in technischer Perfektion, der aber hier mit den überglatten Fassaden und dem makellosen Szenenbild und Erscheinungsformen in Form und Inhalt perfekt korrespondiert. Die schnellen Abblenden, die den ganzen Film durchziehen, machen klar, dass etwas nicht stimmt und dass es eben zu schnell geht und dass es der Zeit an den Kragen geht. Immer wieder blicken wir auf die undurchschaubaren Figuren so lange aus so vielen verschiedenen Perspektiven bis wir ihrem Spiel klein bei geben müssen oder wir einen Funken ihrer wahren Personen zu erkennen glauben. Die ständigen leichten Fahrten geben eine ähnliche Wahrheitssuche wieder. Sie entblößen keine wahren Gesichter, sie deuten nur den Weg an, den man gehen müsste. Dazu parallel werden Plotinformationen in einer Geschwindigkeit wiedergegeben, die für die Figuren zu viel sind und für den Zuseher tatsächlich angenehm. Sie sind deshalb angenehm, weil Fincher-insbesondere, wenn er auf Twists verzichtet- seinen Figuren folgt und nicht seinem Plot. So entdecken wir neue Informationen durch die Augen (POV) und Ohren (Dialog) der Figuren. Statt auf Suspense setzt Fincher auf Anteilnahme. Der Zuseher weiß nicht mehr als die Figuren sondern er weiß genauso viel oder weniger.

Gone Girl David Fincher

Diese Anteilnahme liegt nun aber nicht in einer Identifikation sondern in einem Zweifel. Und dieser Zweifel an den Figuren ist der springende Punkt. Er wird durch die Abblenden und vielen Perspektivwechsel der Kamera in jeder Szene verstärkt, er wird vom treibenden Rhythmus von Montage und der wieder herausragenden Musik von Trent Reznor und Atticus Ross unaufhaltsam weitergetrieben bis uns klar wird, dass wir immer nur eine Wahrheit in der Zeit sehen, ein Puzzle Stück, das im reißenden Fluss an uns vorbeischwimmt. Man bekommt genug Zeit, um es zu sehen, aber nicht genug um damit zu leben. Und diese Wahrheit ist die einzige, die diese Liebe zulässt. Damit lenkt Fincher die Aufmerksamkeit auf jene Dinge, die es sicher nicht gibt in Gone Girl: Liebe, Vertrauen, Familie und Ruhe. Hier liegen in Blicken keine Wahrheiten sondern Abgründe, in Gesten finden sich Lebenslügen und in Tagebüchern ein Image, also ein Zeitprodukt, aber keine Persönlichkeit. Dasselbe gilt für den Film und das ist gleichzeitig gut und schlecht.

His script is you and me boys
Time – He flexes like a whore
Falls wanking to the floor
His trick is you and me, boy
Time – In Quaaludes and red wine
Demanding Billy Dolls
And other friends of mine
Take your time