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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Skyfall-Beispiel eines kommerziellen Ideenklaus


Als ich im Kino saß, um mir „Skyfall“ anzusehen, konnte ich meinen Augen kaum glauben. Selten habe ich ein derart dreistes Klauen von Ideen gesehen. Dass so etwas mit James Bond gemacht wird und von einem großen Teil der Zuseher und Kritiker (gerade die sollten es doch eigentlich wissen) toleriert wird, ist grausam. Während des Abspanns konnte ich meine Enttäuschung nicht verbergen. Es geht hier nicht darum, dass der neue Bond-Film schlecht gemacht ist: Inszenierung, Schauspieler, Kamera. Hier wurde absolut großartige Arbeit geliefert. Das Thema um Old School VS New School aufzubauen und dabei gleichzeitig den Film selbst zu thematisieren, ist ein gelungener Kniff innerhalb der Dramaturgie. Zudem besticht der Film durch typischen Humor und eine Fülle traumhafter visueller Einfälle. 
Aber wie man sich so frei und ungeniert bei Christopher Nolan und seiner Batman Trilogie bedienen kann, ist mir ein absolutes Rätsel. Es fehlt eigentlich nur noch, dass Bond mit einem schwarzen Kostüm am Ende über den Dächern von London steht. Im Folgenden habe ich spontan einige Punkte zusammengetragen, die mir nach dem ersten Schauen aufgefallen sind. Diese Liste ist sicher nicht vollständig. Auch gebe ich zu, dass erstens Nolan selbst ja nicht der Erfinder all dieser Mittel ist bzw. auch er oft erfolgversprechende Methoden aus anderen Filmen kopiert und zweitens manche dieser Punkte einfach zum Standardrepertoire eines jeden Actionfilmes gehören. Außerdem hat Nolan selbst mit seiner Batman-Trilogie den sehr britischen „Bond-Humor“ eingebaut, als er zum Beispiel mit der Rolle des Fox eine Art Q des Batman-Universums aufbaute oder Bruce Wayne heftig mit der Empfangsdame flirten ließ. Doch die schiere Menge, der aus dem Erfolgsmodell Nolan/Batman übernommenen narrativen und stilistischen Mittel ist nicht zu übergehen. Dafür ist die Legacy, die der Name James Bond mit sich bringt, das Universum, das um ihn herum besteht an sich schon zu stark gefestigt. Warum traut man sich nicht zu, an den eigenen Stärken festzuhalten? Bei „Casino Royale“ lieferte man eine bessere Kopie der Bourne-Trilogie ab, mit „Skyfall“ ist es eben Batman. Das Ganze wirkt zum Teil wie einer jener Internet-Recuts, in denen zwei unterschiedliche Filme zusammengeschnitten wurden. (Bestenfalls die Liste nur lesen, wenn man sowohl „Skyfall“, als auch die Batman Filme von Christopher Nolan gesehen hat.)
– Waisenjunge (Batman Begins)
– Waisenjunge muss seine tiefsten Neurosen überwinden (Batman Begins)
– Der historische und erhabene Heimatort des Protagonisten steht in Flammen (Batman Begins)
– Die Tätigkeit des Protagonisten wird in Frage gestellt von der Gesellschaft und von den Charakteren   selbst. Dabei geht es um Begriffe wie Verantwortung und Schuld. Insbesondere da der Böse in den Augen der Gesellschaft nur zu morden scheint, weil es den „Guten“ gibt (The Dark Knight und The Dark Knight Rises)
– Terrorismus bedroht die Stadt (alle Nolan-Batman Filme)
– Humor durch Beobachtung einer Actionszene durch Dritte (alle Nolan-Batman Filme)
– 95 Prozent des Filmes sind mit treibender, basslastiger Musik unterlegt (alles Nolan-Batman Filme)
– Der psychopathische Bösewicht lässt sich freiwillig schnappen und fädelt scheinbar magisch aus dem Gefängnis  noch Mastermind-Pläne ein (The Dark Knight)
– Der psychopathische Bösewicht verkleidet sich als Polizist (The Dark Knight)
– Die wahre Identität einer oder mehrerer Nebenrollen wird am Ende aufgelöst (The Dark Knight Rises)
– Selbstreferentielles popkulturelles Spiel mit der eigenen Geschichte als Filmserie, z.B. Q in Bond/ das Batmobil in Batman Begins
– Der Held wird zu Beginn der Story für tot erklärt (Batman Begins; gewissermaßen auch The Dark Knight und The Dark Knight Rises )
– Körperliche Entstellung als Symbol für „das Böse“ (The Dark Knight und The Dark Knight Rises)
– Der Bösewicht wird in angstvollen Blicken anderer gespiegelt, die über ihn zitternd sprechen bevor „ER“ zum ersten Mal die Leinwand betritt (alle Nolan-Batman Filme)
– Der Auto-Witz, indem der Protagonist ein Auto scheinbar beiläufig ankündigt, um dann ein Traumauto zu offenbaren (alle Nolan-Batman Filme)
– Der Bösewicht als lustiger Charakter (The Dark Knight )
– Der Konflikt zwischen Bösewicht und Protagonist besteht in der Infragestellung der Wertvorstellung des Protagonisten (alle Nolan-Batman Filme)
– Aufgrund von Fernsehübertragungen trifft der Protagonist Entscheidungen (alle Nolan-Batman Filme)
– Der Protagonist ist ein menschliches und körperliches Wrack (Batman Begins und The Dark Knight Rises)
– Sowohl Bösewicht als auch Protagonist neigen zur Theatralik (alle Nolan-Batman Filme)
– Züge/U-Bahnen entgleisen; öffentliche Institutionen explodieren (alle Nolan-Batman Filme)
– Stilmittel: Protagonist sieht Situation, erkennt etwas und stürmt dann mit voller Überzeugung, scheinbar wild in die Situation. Dem Publikum offenbart sich die Genialität der scheinbaren Harakiri-Aktion erst nach und nach (alle Nolan-Batman Filme)
– Verhältnisse zu älteren Nebenfiguren sind geprägt von der Frage: Loyalität oder nicht. (alle Nolan-Batman Filme)
– Witzreicher Epilog, der als eine Art Teaser für weitere Filme fungiert und einen Hype kreiert im Moment des Fade Outs (alle Nolan-Batman Filme)
– Essentielle Nebencharaktere sterben (The Dark Knight )
– Das Ende ist immer auch geprägt von Verlust (alle Nolan-Batman Filme)
– Illegalität eines Überwachungssystems wird thematisiert und dennoch umgangen (The Dark Knight und The Dark Knight Rises)
– Vor „aggressiven Verhandlungen“ kommt es immer erst zu augenscheinlich normalen Konversationen zwischen Held und Bösewicht, in denen sich auch Parallelen zwischen ihren Charakteren aufzeigen (alle Nolan-Batman Filme)
– Häufiges Verwenden einer Parallelmontage, die verschiedene Elemente einer gleich motivierten Actionsequenz beleuchten (alle Nolan-Batman Filme)
Man muss sich die Frage stellen, ob etwas besser oder schlechter ist, nur weil es kopiert ist. Es sind im Endeffekt dieselben Ideen, warum soll das jetzt schlechter sein, als bei Batman? I Nolan benutzt auch immer nur dieselben Muster. Aber diese Muster hat er sich selbst im Laufe seiner Karriere herausgearbeitet, weiterentwickelt und reflexiv thematisiert, während ein eigentlich großartiger Regisseur wie Sam Mendes hier wirkt wie ein junger Filmstudent, der versucht zu drehen, wie es Christopher Nolan tun würde.  Man kann auch festhalten, dass es im heutigen Kino kaum noch wirklich neue Mittel und Methoden, Geschichten und Charaktere gibt. Es ist klar, dass es immer wieder zu Überschneidungen kommt. Allerdings ist die bloße Quantität des geistigen Diebstahls an einer bestimmten, rein zufällig sehr erfolgreichen Filmserie übelkeitserregend. Es ist kein Geheimnis, dass „Skyfall“ unter einem enormen Erfolgsdruck stand und ebenso ist es kein Geheimnis, dass Christopher Nolan momentan ein Rezept für kommerziell erfolgreiche und gleichzeitig künstlerisch wertvolle Filme in der Hand hält. Dieses Rezept wurde mit dem neuen James Bond nun zum Hollywood-Paradigma erhoben.
Christopher Nolan am Set von memento

Christopher Nolan am Set von The Dark Knight Rises
Dabei zeigt der Film an einer anderen Stelle auf eine schön-verspielte Art und Weise, wie man respektvoll und intelligent mit einem Filmzitat umgehen kann. Als der Bösewicht mit einem Hubschrauber auf die Festung zufliegt, in der sich Bond und seine Gefährten verstecken, lässt er laute Musik erklingen und die Kamera zeigt einige Sekunden lang den POV des Hubschraubers Diese klare Anspielung an „Apocalypse Now“  von Francis Ford Coppola ist nicht störend, sondern bereichernd, ironisch und völlig aus dem Kontext gerissen.