Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu A proposal to project in scope von Viktoria Schmid

(Vorausgestellt sei, dass ich die Filmemacherin persönlich kenne und den Film paradoxerweise an einem Bildschirm gesehen habe. Letzteres provoziert doch manch grundlegende Frage wie zum Beispiel: Was macht man, wenn man Leinwände auf Bildschirmen sieht?)

All die Leinwände, die irgendwo stehen und verrotten, auf die Schatten fallen von Ästen und Wolken. All die Leinwände, deren klares Weiß für Viktoria Schmid leuchtet, während der Wind, die Sonnenstrahlen und das nahe Meer an einer Abschaffung des Kinos arbeiten oder an dessen Geburt. Schmid stellt bereits zum zweiten Mal eine Leinwand auf, filmt eine scheinbar leere Leinwand (wie in einem Spiegel, auf dem man sein Gesicht nicht findet). Dieses Mal an der Kurischen Nehrung in Litauen. Aber das, was zu projizieren wäre, ist das, was gefilmt wird: eine Meereslandschaft, ein Rauschen. Der Blick zwischen zwei Bäumen hindurch entspricht dem filmischen Rahmen; der Film selbst ist eine Rahmensprengung, eine Kinowerdung und doch auch ein Abgesang. A proposal to project in scope nennt sich einen Vorschlag, eine Möglichkeit, aber all die Leinwände, die lichtlos stehen, die warten auf einen Film, einen Zuseher, die vom Wind umgeblasen werden, auf denen die Insekten leben und auf die Graureiher kacken, all die Leinwände sind womöglich kein Vorschlag, sind eine Leere.

In Fragen zwischen dem Ende und dem Anfang des Kinos gibt es keine Klarheit zu finden, außer jener, die in der Existenz des Films selbst liegt: Braucht der Film eine Leinwand oder braucht die Leinwand einen Film? Ist das Kino jenseits der Leinwand oder ist es immer auf der Leinwand, selbst wenn da gar nichts ist? Ist die Sonne ein Projektor, die Schatten der Film? Und dazwischen muss es Menschen geben…sie schlagen vor, etwas zu zeigen, sie sehen oder sehen nicht, wir sehen sie nicht. Aber wir sind sie, wenn wir sehen.

Da steht eine Leinwand in den Dünen. Sie steht da am Morgen, am Mittag, am Abend und in der Nacht. Angeblich hat die Riesin Neringa diesen Landstrich geformt, man sieht sie nicht im Film, aber womöglich auf der Leinwand, ja auf der Leinwand könnte man alles sehen. Wie kommen nun die Bilder dieser Landschaft auf die Leinwand? Wahrscheinlich einfach durch das Am-Ort-Sein, durch das Sehen, durch das Warten, die Technik und das Glück. Irgendein Bild fällt immer auf die Leinwand, aber wenn es die Leinwand nicht gibt, können Bilder nicht erscheinen, dann werden sie verschluckt. Sie landen dann in unsichtbaren Röhren, Kabeln, irgendwo flackert ein Bildschirm (keine Leinwand!); auf einem Bildschirm gibt es keinen Vorschlag, kein Weiß, keine Schatten, nein, auf einem Bildschirm gibt es nur die Spiegelung des eigenen Gesichts.

Wenn es dunkel wird, sind die Leinwände einsam. Schmid zeigt wie das letzte Licht auf einer Leinwand verschwindet (oder wird es nur verschluckt und die Leinwand behält es in sich wie eine Erinnerung?). Leinwände sind wahrscheinlich an Orte gebunden. Man denkt an Temenos, jenen cinephilen Pilgerort nahe Lyssarea, an dem im Vierjahres-Takt Eniaios von Gregory Markopoulos gezeigt wird; all die Reisenden zu den Leinwänden. Man stelle sich eine Welt vor, auf der es keine Kinos gäbe, sondern nur freistehende Leinwände, Orte der Gemeinschaft, die wer auch immer Filme zeigen wollte, aufrichten würde, vor denen man sitzen könnte, denen man begegnete wie Don Quixote den verstreuten Romantikern des spanischen Hinterlands.

Einen solchen Vorschlag macht der Film, der vielleicht einer Werbung für das Kino gleichkommt oder einer politischen Einforderung eines anderen Kinos (denn so ist das Kino ja gar nicht!) oder einer Elegie auf das Kino. Wie bezeichnend, dass A proposal to project in scope aufgrund der ausgefallenen Festivals bislang kaum gezeigt wurde auf Leinwänden. Vielleicht ist das aber auch gut, denn irgendwie wäre es schön, wenn es gar nicht so sehr um den Film ginge, sondern um das Errichten von Leinwänden (jedenfalls treibt mich die oftmals anstrengende Frage in Publikumsgesprächen nach dem Verbleib der Protagonisten selten so sehr um wie hier).