Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

ORE von Claudia Larcher

Diagonale 2019: Avantgarde-Rundschau

Wie immer habe ich mei­nen per­sön­li­chen Dia­go­na­le-Spiel­plan rund um die Pro­gram­me des „Inno­va­ti­ven Kinos“ (wie hier jene fil­mi­schen For­men hei­ßen, die sich weder sau­ber als Spiel­film, noch als Doku­men­tar­film ein­ord­nen las­sen – inno­va­tiv sind sie nicht immer) auf­ge­baut. Und trotz­dem eines die­ser Pro­gram­me ver­passt. Da die­se „Rund­schau“ kei­nen Anspruch auf enzy­klo­pä­di­sche Voll­stän­dig­keit erhebt, son­dern (ohne­hin sub­jek­ti­ve) Wahr­neh­mun­gen prä­sen­tie­ren will, stö­re ich mich aber nicht wei­ter daran.

Ich habe schon im Rah­men frü­he­rer Dia­go­na­le-Aus­ga­ben dar­über geschrie­ben – und ich bin bei wei­tem nicht der ein­zi­ge, der die­se Mei­nung teilt –, dass Öster­reich als Film­land vor allem im Avant­gar­de-Bereich über­durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen erbringt. Das hat sich auch 2019 nicht groß geän­dert. Pro­blem­los lie­ße sich das unten­ste­hen­de „Best of“ um zusätz­li­che Titel erwei­tern, ohne dass die Qua­li­tät mas­siv abfal­len würde.

animistica von Nikki Schuster

ani­mi­sti­ca von Nik­ki Schuster

Unstet und sprung­haft schleicht die Kame­ra über den Boden. Die Pflan­zen- und Tier­welt der mexi­ka­ni­schen Wüs­te zeigt sich in vol­ler Pracht. Orna­men­ta­le Struk­tu­ren schmü­cken die Lein­wand, sie sind nicht von mensch­li­cher Hand geschaf­fen. Aus nächs­ter Nähe wer­den hier die Ober­flä­chen orga­ni­schen Lebens (und Todes) unter­sucht. Was aus der Fer­ne als kom­pak­tes, glat­tes Gan­zes erschei­nen mag, ent­puppt sich durch die Lupe als porös und zer­furcht. Dün­ne Sta­cheln wer­den zu mons­trö­sen, furcht­erre­gen­den Gebil­den, das Fell von Säu­gern wird zu einem rup­pi­gen Tep­pich. Beglei­tet wer­den die­se Bil­der von einem Sound­de­sign, dass ihnen eine wei­te­re Dimen­si­on hin­zu­fügt. Die Bewe­gun­gen der Kame­ra ent­lang der wun­der­sa­men Ober­flä­chen­struk­tu­ren wer­den durch den Ton zum Hor­ror­trip. Als wür­de sich ein mit­tel­al­ter­li­cher Krie­ger am Ende einer blu­ti­gen Schlacht über Lei­chen­ber­ge kämp­fen, wird der suchen­de Blick der Kame­ra von Knack- und Matsch­ge­räu­schen zu einer Stu­die des Ekels umge­deu­tet. Die Natur erscheint alles ande­re als unschul­dig. Sie ent­blößt ihre häss­li­chen Sei­ten, zeigt ihre furcht­erre­gends­ten For­men. ani­mi­sti­ca ist kein wis­sen­schaft­lich-objek­ti­ver Blick durch das Mikro­skop, kein Natur­film, der sei­nem Zuse­her neue Per­spek­ti­ven auf die Welt näher­brin­gen will, er ist ein Test der Wahr­neh­mung, der zur Dis­kus­si­on stellt, ob Schön­heit und Grau­sam­keit nicht zwei Sei­ten einer Medail­le sind.

Antarctic Traces von Michaela Grill

Ant­ar­c­tic Traces von Michae­la Grill

Die Durch­läs­sig­keit der ver­schie­de­nen fil­mi­schen Kate­go­rien hat zuge­nom­men, seit Sebas­ti­an Hög­lin­ger und Peter Schern­hu­ber die Dia­go­na­le lei­ten. Der zuneh­men­den Men­ge an doku­men­ta­risch-fik­tio­na­len Hybri­den und essay­is­tisch-expe­ri­men­tel­len For­men kommt eine sol­che Auf­lö­sung der star­ren Gren­zen ent­ge­gen. So wird Ant­ar­c­tic Traces von Michae­la Grill im Kata­log etwa als Doku­men­tar­film geführt, aber in einem Pro­gramm des „Inno­va­ti­ven Kinos“ zusam­men mit Avant­gar­de-Fil­men gezeigt. Hier ist Grills Film sehr gut auf­ge­ho­ben. Ein fil­mi­scher Essay über die South Geor­gia Islands und vor allem über den Wal­fang, der dort in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts betrie­ben wur­de und bei­na­he zur Aus­rot­tung der gan­zen Spe­zi­es geführt hat. Eine Frau­en­stim­me liest Exzerp­te aus Log­bü­chern, wis­sen­schaft­li­chen Abhand­lun­gen und Erfah­rungs­be­rich­ten zum The­ma. Dazu sieht man die Rui­nen der ver­las­se­nen Wal­fang­sta­tio­nen an der Küs­te, die von der Natur (nament­lich von Rob­ben, See­ele­fan­ten und Pin­gui­nen) wie­der­erobert wur­den und Foto­gra­fien des Mee­res. Ein­dring­lich und bild­lich wird die Jagd auf die Rie­sen der Mee­re geschil­dert, ohne dass je Fotos oder Bewegt­bil­der von Wal­fän­gern zu sehen sind. Erst zu den Cre­dits bie­ten his­to­ri­sche Foto­gra­fien die Gele­gen­heit des Abgleichs der Schil­de­run­gen mit kon­kre­ten Bil­dern. Man ertappt sich dann beim Gedan­ken, dass es die­se Bil­der gar nicht gebraucht hät­te. Die Wort­ge­walt der Erzäh­lung ver­mag es, einen Film zu tra­gen (Duras wird in die­sem Text auch noch The­ma sein).

Armageddon von Kurdwin Ayub

Arma­ged­don von Kurd­win Ayub

Gäbe es bei der Dia­go­na­le eine eige­ne Pro­gramm­rei­he für Ani­ma­ti­ons­fil­me, wäre Arma­ged­don dort wohl am bes­ten unter­ge­bracht. Da Kurd­win Ayub seit Jah­ren zu den Kon­stan­ten des „Inno­va­ti­ven Kinos“ gehört, hat man ihren doch recht kon­ven­tio­nel­len Ani­ma­ti­ons­film Arma­ged­don eben­falls dort geparkt. Obwohl ich die­se kura­to­ri­sche Ent­schei­dung nicht ganz nach­voll­zie­hen kann (wäre er nicht bes­ser in einem Kurz­spiel­film-Pro­gramm auf­ge­ho­ben), gibt es mir immer­hin Gele­gen­heit an die­ser Stel­le dar­über zu berich­ten. Denn das Ergeb­nis – unab­hän­gig von sei­ner leid­li­chen Kate­go­ri­sie­rung – über­zeugt durch Humor mit Stirn­run­zel­fak­tor. Die Aus­gangs­si­tua­ti­on ist ein­fach erklärt: Wir schrei­ben das Jahr 2138, die bei­den Wie­ner Vam­pi­re Anton und Franz sit­zen auf einer Couch und wer­den inter­viewt. Sie berich­ten von der Isla­mi­sie­rung des Lan­des und von der unter­schied­li­chen Blut­qua­li­tät ver­schie­de­ner Eth­ni­en (Asia­tin­nen sind am begehr­tes­ten, tre­ten sie unse­ren Brei­ten doch nur in Grup­pen auf). Gefähr­lich nah am Abgrund der poli­ti­cal uncor­rect­ness bewegt sich die­ses Gespräch. Jede Poin­te lässt einen unwill­kür­lich zusam­men­zucken: Es geht um Geschlecht, Eth­ni­en, Reli­gi­on – ist Lachen dar­über über­haupt erlaubt? Das Fazit: Anton und Franz sind zwar kei­ne Pup­pen, son­dern aus Knet­mas­se geformt, doch was vor 40 Jah­ren bei Wal­dorf und Stat­ler funk­tio­niert hat, ist heu­te unge­bro­chen effektiv.

Cavalcade von Johann Lurf

Caval­ca­de von Johann Lurf

Eine Art Was­ser­rad in einem Bach. Es ist Nacht. Das Rad erwacht zum Leben. Immer schnel­ler und schnel­ler dreht es sich, bis es schließ­lich wie­der zum Still­stand kommt. Dazwi­schen ein Test mensch­li­cher Wahr­neh­mung und der Leis­tungs­fä­hig­keit des Kino­ap­pa­rats. Denn die­ses Was­ser­rad ist kein nor­ma­les Was­ser­rad, son­dern mit ver­schie­de­nen visu­el­len Ele­men­ten besetzt und mit mathe­ma­ti­scher Prä­zi­si­on aus­ge­tüf­telt. So schei­nen die Schau­fel­rä­der ab einem gewis­sen Tem­po still­zu­ste­hen (wenn sich ihre Umdre­hungs­an­zahl mit der Auf­nah­me­ge­schwin­dig­keit der Kame­ra deckt), der Ring aus Farb­fel­der im Inne­ren ver­än­dern je nach Dreh­ge­schwin­dig­keit schein­bar ihre Anord­nung und die Spi­ra­len ver­än­dern schein­bar ihre Dreh­rich­tung. Man hät­te dar­aus einen anschau­li­chen Lehr­film über opti­sche Wahr­neh­mung machen kön­nen, Lurf hat einen Aben­teu­er­spiel­platz für die Augen angelegt.

It has to be lived once and dreamed twice von Rainer Kohlberger

It has to be lived once and drea­med twice von Rai­ner Kohlberger

Rai­ner Kohl­ber­gers Fil­me zäh­len zum außer­ge­wöhn­lichs­ten, was das öster­rei­chi­sche Kino zu bie­ten hat. Es ist eine Mischung aus tech­no­lo­gi­scher Kon­zept­kunst und irren Her­aus­for­de­run­gen an die mensch­li­che Wahr­neh­mung. Mit­hil­fe von Algo­rith­men ver­formt Kohl­ber­ger das Bild bis zur tota­len Unkennt­lich­keit. Mal sieht das aus wie ein TV-Test­bild, mal wie eine feh­ler­haf­te VHS und mal ent­steht ori­gi­när digi­ta­le Pixel­kunst. Dazu dröh­nen­de elek­tro­ni­sche Musik, die sich naht­los an den Rhyth­mus der Bil­der schmiegt. Im spe­zi­fi­schen Fall von It has to be lived once and drea­med twice wird die Bild-Ton-Wucht durch ein Voice-over ergänzt. Letzt­lich wirkt die Stim­me aber eher stö­rend, ver­hin­dert das Ver­sin­ken in Bild und Ton, lässt nicht zu, dass man sich voll und ganz auf das Wahr­neh­mungs­expe­ri­ment kon­zen­triert. Und zugleich las­sen es die mäch­ti­gen Bild­kom­po­si­tio­nen nicht zu, dass man sich auf den Text kon­zen­triert. Über­fül­le kann höchst befruch­tend sein, hier ent­kräf­tet sie sich selbst.

Muybridge's Disobedient Horses von Anna Vasof

Muybridge’s Dis­o­be­dient Hor­ses von Anna Vasof

Anna Vasofs Muybridge’s Dis­o­be­dient Hor­ses ist die Doku­men­ta­ti­on ver­schie­de­ner para-kine­ma­to­gra­fi­scher For­men. Ver­steht man Kino und Film als etwas, das über die Gren­zen des Kino­saals und die Ver­suchs­an­ord­nung Pro­jek­tor-Lein­wand-Publi­kum hin­aus­geht, dann han­delt es sich hier qua­si um einen Film im Film. Vom Dau­men­ki­no über das tech­ni­sier­te Dau­men­ki­no (bemal­te Geld­schei­ne in einem elek­tri­schen Zähl­ge­rät) zum auf­wen­di­ge­ren Ver­suchs­auf­bau mit Papp­be­chern, Taschen­lam­pen und Pen­deln, set­zen sich hier unbe­leb­te Bil­der in Bewe­gung (oder wer­den in Bewe­gung gesetzt). Die Kame­ra imi­tiert dabei nur die Rol­le des mensch­li­chen Auges und fängt die­se Bewe­gung ein. Und ver­dop­pelt somit das Spiel mit Licht, Zeit und Bewe­gung. Auf den ers­ten Blick wirkt das alles ein­fach und sim­pel – nicht mehr als ein show reel der eige­nen Bas­te­lei­en. Und doch mehr als das. Denn die Vor­füh­rung der Appa­ra­tu­ren vor dem Kame­ra­au­ge wer­den ver­dop­pelt durch die Vor­füh­rung des Films vor dem Men­schen­au­ge. Ein fil­mi­sches Impuls­re­fe­rat über Wahr­neh­mung und Dispositivtheorie.

ORE von Claudia Larcher

ORE von Clau­dia Larcher

ORE beginnt in höchs­ter Höhe. Aus der Vogel­an­sicht wirft die Kame­ra einen Blick auf das wei­ter unter ihr lie­gen­de Erz­ab­bau­ge­biet. Lang­sam wan­delt sich der Droh­nen­blick in einen (unmög­li­chen) Kame­ra­schwenk. Naht­los geht die Vogel­per­spek­ti­ve in einen irdi­sche­ren Blick auf die Maschi­ne der Berg­bau­land­schaft über. Eben­so naht­los bahnt sich der Blick schließ­lich sei­nen Weg von der Ober­flä­che tief ins Inne­re des Bergs. In den Stol­len. In nur sechs Minu­ten von höchs­ten Höhen in tiefs­te Tiefen.

Rising von Stefan-Manuel Eggenweber

Rising von Ste­fan-Manu­el Eggenweber

Ein gut­tu­ra­ler Vor­trag eines schein­bar dada­is­ti­schen Gedichts: „From the sto­mach in your chest through your throat to the world.” Immer und immer wie­der wird die­ser Satz vom etwas abge­ris­se­nen Mann in Rising wie­der­holt. Dabei filmt er sich mit einer Video­ka­me­ra selbst. Was die­ser Satz bedeu­ten soll, wird erst nach eini­ger Zeit deut­lich. Er ist durch­aus buch­stäb­lich zu ver­ste­hen. Dann näm­lich steckt sich der Prot­ago­nist den Fin­ger in den Hals und erbricht. Und erbricht wie­der. Bis man vor lau­ter Dreck auf der Lin­se kaum mehr etwas erkennt. Dazwi­schen mani­fest­ar­tig die Erklä­rung dazu. Das Kot­zen soll das Spre­chen als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel erset­zen. Nach weni­gen Minu­ten ist der Spuk vor­bei. Man weiß nicht so recht, was man mit die­ser Per­for­mance anfan­gen soll. Im Publi­kum hat sie glei­cher­ma­ßen für Geläch­ter als auch zu geekel­ter Ableh­nung geführt. Eine Reak­ti­on ist dem Film in jedem Fall gewiss.

Victoria von Lukas Marxt

Vic­to­ria von Lukas Marxt

Ein Ford Crown Vic­to­ria ist der titel­ge­ben­de Prot­ago­nist die­ses ein­stün­di­gen Films von Lukas Marxt. Er durch­quert das kali­for­ni­sche Hin­ter­land. Wei­te, ein­tö­ni­ge Step­pen, durch­bro­chen nur von Eisen­bahn­schie­nen. Schier end­lo­se Kolon­nen von Güter­zü­gen durch­tren­nen die gleich­sam end­lo­se Land­schaft und bil­den einen visu­el­len Refe­renz­rah­men, den sonst nur der ver­lo­re­ne, fah­rer­lo­se PKW lie­fert, der immer wie­der auf oder neben der Stra­ße die Land­schaft durch­zieht. Beglei­tet wird die Fahrt die­ses unge­wöhn­li­chen Prot­ago­nis­ten von Unter­ti­teln, die Film­klas­si­kern ent­nom­men sind und eine humo­ris­ti­sche Anno­ta­ti­on des Gesche­hens lie­fern. Irgend­wo an der Schnitt­stel­le von Land­scape Art, Struc­tu­ra­list Film und Film-Essay bewegt sich Marxt durch Kali­for­ni­en. Und obwohl man anhand der obi­gen Beschrei­bung mei­nen könn­te, dass sich der Ver­suchs­auf­bau schnell erschöpft, erzeugt er einen immens star­ken Sog. Die ver­schie­de­nen tex­tu­el­len Ebe­nen erle­ben gera­de genug Abwechs­lung, dass es immer etwas Neu­es zu sehen oder hören gibt, wenn das Bild­feld erschöpft scheint. Ein biss­chen (und nicht nur wegen der Züge) erin­nert Vic­to­ria an die frü­he­ren, ana­lo­gen Arbei­ten James Ben­nings (als die­ser noch nicht so sehr von sei­ner eige­nen künst­le­ri­schen Bril­lanz ein­ge­nom­men war).

W O W (Kodak) von Viktoria Schmid

W O W (Kod­ak) von Vik­to­ria Schmid

Man denkt sofort an Lumiè­re: Die Explo­si­on eines Fabriks­ge­bäu­des wird zeit­lich umge­kehrt. Aus der Implo­si­on rich­tet sich das Gebäu­de wie­der auf. Die Gebäu­de, um die es sich han­delt, sind Anla­gen von Kod­ak in Roches­ter, New York. Bei den Auf­nah­men han­delt es sich um You­tube-Clips von der Spren­gung von Tei­len des Werks im Rah­men der Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men des Unter­neh­mens. Nur mit Ach und Krach hat Kod­ak den unauf­halt­sa­men digi­tal turn in der Film­in­dus­trie über­lebt. Zum Zeit­punkt der Auf­nah­men die­ser Vide­os war das Über­le­ben kei­nes­wegs gewiss. Die Unge­wiss­heit über die Zukunft des Kinos und des Ana­log­films und die Erin­ne­rung an sei­ne frü­hes­ten Geh­ver­su­che gehen hier Hand in Hand. In kur­zer und recht simp­ler Form errich­tet Vik­to­ria Schmid hier ein turm­ho­hes Gedan­ken- und Referenzgebilde.

WHERE DO WE GO von Siegfried A. Fruhauf

WHERE DO WE GO von Sieg­fried A. Fruhauf

Auf­nah­men aus dem Zug­fens­ter gehö­ren zu den Kon­stan­ten der Film­ge­schich­te. Sieg­fried A. Fru­hauf lie­fert eine doch recht unge­wöhn­li­che Varia­ti­on die­ses Motivs. Er zer­schnei­det die Auf­nah­men der Zug­fahrt und ord­net sie neu an, lässt sie tan­zen im Takt der gleich­na­mi­gen Schlag­zeug­kom­po­si­ti­on von Jörg Miku­la. Der Wir­bel der Zug­fahrt-Bil­der stei­gert sich bis hin zum Fast-Fli­cker. Umso schnel­ler, des­to mehr scheint Fru­h­aufs Ästh­ethik in ihrem Ele­ment. Und bald geht es nicht mehr um Züge, son­dern um das Blit­zen und Blin­ken der Bil­der auf der Leinwand.

Neregių žemė von Audrius Stonys

Hono­ura­ble Men­ti­on: Mavericks

Es ist fast unfair, die­sen Ver­gleich anzu­stel­len, aber das bes­te Pro­gramm „Inno­va­ti­ven Kinos“ wur­de gar nicht in die­ser Pro­gramm­schie­ne gezeigt. Im Rah­men der Per­so­na­le zu Lud­wig Wüst, bekam der Fil­me­ma­cher auch Gele­gen­heit eine Car­te Blan­che zu pro­gram­mie­ren. Das Resul­tat war eine Rei­he von vier ful­mi­nan­ten mit­tel­lan­gen Fil­men, die jeder für sich das meis­te, was sonst so am Fes­ti­val gezeigt wur­de, mit Leich­tig­keit in den Schat­ten stell­te: ob das betont unsau­be­re Por­trät des Zei­tungs­bo­ten Bob­by in Robert Franks Paper Rou­te, die dys­to­pisch anmu­ten­den Indus­trie­bra­chen in Audri­us Stonys‘ depres­siv-melan­cho­li­schem Nere­gių žemė, die phi­lo­so­phi­sche Bild-Text-Jux­ta­po­si­ti­on in Mar­gue­ri­te Duras‘ L’homme atlan­tique oder Arta­vazd Pele­shi­ans gro­ße Arme­ni­en-Sym­pho­nie Menq. Sel­ten war auf der Dia­go­na­le 2019 ein kla­re­res Bild fil­mi­scher Hal­tung zu erken­nen, sel­ten wur­de das Publi­kum so auf den Prüf­stand gestellt – denn die Anein­an­der­rei­hung der drei Fil­me am Ende in ihrer ulti­ma­tiv Schwe­re und Schwer­mü­tig­keit in Kom­bi­na­ti­on mit der aku­ten Sau­er­stoff­not und der Sau­na-Atmo­sphä­re im Rech­bau­er-Kino (könn­te man hier viel­leicht eine Lüf­tung ein­bau­en?) erfor­der­te eini­ges an Durch­hal­te­ver­mö­gen. Wer blieb, wur­de belohnt.