Land of the Dead: House von Nobuhiko Obayashi

Als ich Nobuhiko Obayashis House aus dem Jahr 1977 (oder Hausu für Freunde japanischer Anglizismen) vor einiger Zeit das erste Mal sah, habe ich mich nicht lange damit aufgehalten; zwar war ich überrumpelt und begeistert von seiner exaltierten Machart und unbeschwerten Genre-Hybridisierung – so begeistert, dass ich mir ein T-Shirt mit der ikonischen Katzenfratze aus den Schlusssequenzen anfertigen ließ – doch im Hinterkopf wurde er fraglos gespeichert unter „Kultkino“ und „japanischer Irrsinn“, zusammen mit der Sorte Film, die man sich wie Kugeln durchs Hirn schießt: Kurz und grell und intensiv, aber mit Löchern als einziger Hinterlassenschaft. Seine jüngste Projektion im Österreichischen Filmmuseum hat mich diese Position nochmal überdenken lassen: Es scheint, der Wahnsinn hat System.

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Obayashi kam vom 16mm-Avantgardefilm zur Werbung und von der Werbung zum Spielfilm, und House ist dementsprechend elektrisiert von einer unbändigen, an allen Ecken und Enden überschäumenden formalen Experimentierwut, die dem Zuschauer wie der Diegese mit ihren spastischen Zuckungen kaum eine Verschnaufpause lässt, bis man irgendwann an der Haltbarkeit des Leinwandrahmens selbst zu zweifeln beginnt. Ständig wird etwas zerbrochen, zerrissen, abgetrennt, zerstückelt, verbrannt oder sonst wie demoliert, seien es Körper, Kader, räumliche und zeitliche Kontinuitäten oder narrative Erwartungshaltungen. Die bunte, toll(wütig)e Welt, die House in unsere Augen fetzt – unablässig angepeitscht von einem peppig-eklektischen Soundtrack aus Faux-Jazz, Fauz-Prog, Faux-Blues und anderen lustvollen Musik-Fauxpas – ist bei all ihrer oberflächlichen Sorglosigkeit zutiefst instabil und droht uns jeden Moment um die Ohren zu Fliegen.

Zu Beginn der „Geschichte“ um einen Haufen gal pals, die der Brief einer Verwandten in ein hungriges Monsterhaus lockt, scheint diese Hyperaktivität noch dem jugendlichen Übermut der quietschfidelen Protagonistinnen geschuldet zu sein (die Freuden der Jugend sind laut Christoph Hubers Einführung beim Screening ein Steckenpferd Obayashis und Leitmotiv in seinem Werk). Da scheinen die einzelnen Einstellungen ihren unmittelbaren Vorgängern buchstäblich davonzulaufen, so dass erstere als Nachbilder hängenbleiben. Aber je länger der Film andauert, je düsterere Töne er auf seinem Kinderkeyboard anschlägt, umso mehr hat man das Gefühl, dass die ganzen bunten Luftschlangen einen verwesenden Kadaver ummanteln und die ostentative Extrovertiertheit auf eine tiefe Depression hindeutet.

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Man kann hierbei nicht wirklich von latenten Strömungen sprechen; spätestens als die Spukvilla gegen Ende in einem veritablen Cartoon-Holocaust mit Blutfontänen aus dem Maul des grotesken Porträts einer flauschig-weißen Katze zugespien und überschwemmt wird – derselben weißen Katze, die von den Mädchen zuvor als „Schneeflocke“ und Inbegriff von Kawaiiness angehimmelt wurde – ist klar, worauf dieses Haus gebaut ist. Das menschenfressende Gespenst ex domus ist im Wortsinne ein Geist der Vergangenheit, eine verbitterte Witwe, die der Krieg um ihren Ehemann betrogen hat und die sich nun posthum an der jüngeren Generation rächt. Obayashi ist sich auch nicht zu schade, eines der finalen Schnittgewitter mit einem Atompilz anzureichern. Tatsächlich hat er in einem Interview verlauten lassen, House wäre sein „Ausdruck der Atombombe für Kinder“, und dieses doch etwas gewagte Statement ist bei weitem nicht so aberwitzig, wie es zunächst anmutet.

Das Kindliche (und Kindische) äußert sich in der ungezügelten und durchgängigen Heiterkeit, die sich selbst dann noch mühelos zu halten vermag, wenn das Horrorhaus beginnt, die jugendlichen Heldinnen auf grausame Weise zu dezimieren. Potentielle Splattersequenzen werden zu verspielten Kapriolen zeitgenössischer und altgedienter Tricktechnik, die abgetrennten Köpfe der Opfer schwirren durch die Luft und kommentieren augenzwinkernd ihr eigenes Ableben, die schelmische Wiedergängerin grinst nach vollbrachtem Streich verschmitzt in die Kamera. Alles schwingt im Singsang einer Kaugummi-Poperette: teils an der Grenze zu Ballermann-Gaudimax à la Siggi Götz, von Sarkasmus aber keine Spur (bis auf einen erstaunlich zeitgemäßen Cutaway-Gag mit einem umschwärmten Lehrer als vermeintlichem Traumprinz-Retter in der Not, der sich später als Karikatur des machistischen lastminuterescue-Szenarios herausstellt und sich letztlich in einem der blödsinnigsten Schmähs des Films in einen Bananenberg verwandelt). Bezeichnend ist auch die stenografische Figurenzeichnung wie aus dem Samstagmorgen-Zeichentrick, mit markigen Stereotypen, die ihre Spitznamen restlos verkörpern, als slumber party sleuths auf Grusel-Mission: „Mac“ die Schlemmerin, die sportliche „Kung Fu“, die verträumte „Fanta“, die musikalische „Melody“ – Scooby-Doo lässt grüßen.

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Und die Atombombe? Nun, die äußert sich einerseits in der schon angesprochenen Instabilität des Bildes (wenn einer Figur etwa das Gesicht abbröckelt, um dahinter lodernde Flammen zu offenbaren) und des zunehmend frenetischen Montagestrudels. Manchmal droht dem Film die Kontrolle über seine eigenen Effekte zu entgleiten und er rutscht temporär in hemmungslose Avantgarde, nur um sich kurz darauf gerade noch zu fangen. Zudem unterhält Obayashi, sichtlich versiert und auch etwas vernarrt in Werbe-Ästhetik mit all ihren Überhöhungen, ein offenkundig ambivalentes Verhältnis zu den Gesten und Oberflächenreizen der Spaß(terror)gesellschaft, die er zugleich feiert und auf ihre Angemessenheit und Widerstandsfähigkeit im Angesicht eines absoluten Schreckens hin austestet. Der Film affirmiert sein Spektakel herzhaft, macht durchwegs gute Miene zum bösen Spiel und ist bis zum bitteren Ende nichts weniger als frohgemut und gutgelaunt, aber er macht auch keinen Hehl daraus, dass dem Trauma mit Zuckerwatte und Pop-Referenzen nicht beizukommen ist. Es mag alles ein Jux sein, aber einen Ausweg gibt es aus diesem Haus ebenso wenig wie aus dem Overlook Hotel – am Ende gehen doch alle hops, und die nächsten Gäste warten schon. So erinnert auch der einzige genuin verstörende Moment des Films – als aus dem Telefon die verzweifelten Hilferufe der alten Opfer des Hauses erschallen und ungehört verhallen – daran, dass jede Lustbarkeit, jede Konjunktur, jede Party auf irgendwessen Gräbern tanzt.

Das Subversive an Obayashis Film ist also, wenn man so will, nicht die unterschwellige Einführung finsterer und traumatologischer Motive in ein locker-flockiges Kommerzprodukt (wie es etwa jemand wie Joe Dante oft getan hat), sondern das gewaltsame Gegeneinanderschleudern beider Welten ohne Rücksicht auf Verluste, in Anbetracht ihrer realen Koexistenz bei totaler Inkompatibilität. Der machtvolle Similiglanz der Reklame- und Konsumwelt wird hier nicht ausgehebelt und in sein Gegenteil verkehrt, sondern in einen wilden Kampf mit den Kräften verwickelt, die er unter den Ladentisch kehren will. House ist die spektakuläre Visualisierung dieses Kampfes, bei der es keinen richtigen Sieger gibt, außer vielleicht – wie die eigentümlich verträumten Home-Video-Abspannbilder der nunmehr diegetisch verstorbenen Hauptdarstellerinnen nahelegen – die Melancholie.

Land of the Dead: Inside/Outside of a Ritual

Drei Filme kreisten am Freitag im Rahmen der Land of the Dead-Reihe im Österreichischen Filmmuseum um Schwarze Magie und unheimliche Rituale: The Wicker Man von Robin Hardy, Invocation of my Demon Brother von Kenneth Anger und The Devild Rides Out von Terence Fisher. Die hohe Bedeutung von heidnischen Kulten, Satanismus und Ritualen generell für Horrorfilme bringt mich in meinem fast als Selbstversuch angelegten Tauchgang in das Reich des Horrors auch wieder zu allgemeinen Überlegungen zum Genre. Ich hatte einzig den Kenneth Anger Film bereits gesehen und wurde vor allem von Terence Fisher und seinem in jeder Sekunde fesselnden The Devil Rides Out begeistert. Was für ein Film!

The Devil Rides Out

Nach einer gefühlt eine Minute dauernden Exposition, in der Rex seinen alten Freund de Richleau (gespielt in einer abartigen Präsenz von Christopher Lee irgendwo zwischen unbestechlicher Autorität und Komik) wiedertrifft, wirft einen Fisher mitten in sein Geschehen rund um die beiden Freunde und einen dritten Freund, Simon, der sich der schwarzen Magie hingegeben hat. Richleau durchschaut das Spiel sofort, denn er ist ein Experte in der Bekämpfung von schwarzer Magie: „I have never told you but I am…“ Fisher hält sich niemals unnötig mit Erklärungen und Psychologisierungen auf, er wirft einen mitten in seine Szenen, mit atemberaubenden Perspektivwechseln und Erschütterungen des Glaubens an die Realität und die Wahrheit des filmischen Bildes. Die Freunde geraten in einen Strudel der Abhängigkeiten und der hypnotischen Kräfte von Satan selbst und seinen Anhängern. Dabei spielen Augen und was sie sehen eine entscheidende Rolle. Fisher schneidet immer wieder in Close-Ups weit geöffneter Augen, er deformiert die Augen mancher Protagonisten und viel allgemeiner entscheidet der unwissende und wissende Blick hier alles. Denn Rex, wird praktisch wie der skeptische Zuschauer in das Geschehen geworfen. Er muss lernen zu glauben. Er steht eigentlich auf der Außenseite, aber wird durch eine nur durch Augen erzählte Liebesgeschichte und seine Freundschaft zu Richleau involviert. Dieser Richleau dagegen ist ein Wissender, er weiß mehr, er sagt ständig: „I know“. Je nachdem aus welcher Perspektive der Film erzählt, finden wir uns so in vielen Momenten voller Suspense, entweder weil wir zusammen mit den Protagonisten das Unbekannte erschließen müssen oder weil wir in Erwartung des Schlimmsten sind und in Vertrauen zu Richleau beginnen zu wissen, was sonst niemand im Film weiß. Man ist entweder innen oder außen.

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In The Wicker Man ist man außen. An dieser zunächst banal erscheinenden Frage, also ob man sich außerhalb oder innerhalb von Ritualen befindet, hängen ganze dramaturgische Strukturen, Auflösungsentscheidungen und auch weitere Fragen wie jene nach der Ernsthaftigkeit und des Zynismus des Genres, der Relevanz von logischem Verständnis und den Spannungsfeldern von Allegorien und Spiritualismus. Beide Filme beginnen mit der Ankunft eines einsamen Flugzeugs in eine fremde Welt. In The Wicker Man landet der katholische und sehr ernste Polizist Sergeant Howie auf einer verlassenen schottischen Insel, auf der ein Mädchen als vermisst gemeldet wurde. Bereits bei seiner ersten Interaktion mit den Fremden auf der Insel ist er isoliert. Sie schicken ihm erst nach mehrfachem Drängen ein kleines Boot, um ihm vom Flugzeug ans Ufer zu transportieren. In der ersten Hälfte des Films erschließt Regisseur Robin Hardy zusammen mit dem Polizisten die Merkwürdigkeiten der Insel. Dabei geht es zum einen um die latente Bedrohung eines bizarren Krimis im Schatten eines heidnischen Glaubens und zum anderen um eine humoristische Erschließung der Inselbewohner samt ihrer zum Teil ekligen, zum Teil bedrohlichen, zum Teil sexistischen Rituale. Die Besonderheit am Film ist, dass die Figur, die unseren Blickwinkel teilt, also Sergeant Howie keineswegs sympathisch ist. Er ist ein Fremder unter Fremden und so wird unsere Perspektive nochmal nach außen verlegt. Dennoch ist seine Isolation äußerst typisch für ein Genre, das immer wieder alles versucht, um seine Figuren voneinander zu trennen und so die maximale Spannung erzielen möchte. The Devil Rides Out hängt immer wieder an den Fragen von Zusammenbleiben oder sich Isolieren. Durchgehend wird es bedrohlich, wenn Figuren sich auf eigene Faust durchschlagen wollen, wenn sie nicht an die Gefahr glauben. Sinnbildlich dafür steht der Kreis den Richleau mit Kerzen und auf den Boden gemalten Schriftzeichen bildet, um das Eindringen des Teufels zu verhindern. Der Teufel versucht mit Hilfe der Imagination auf die Figuren einzuwirken und sie aus der Gruppe zu lösen. Wer glaubt, verschwindet im Horror und genau das schafft der Film hier selbst, denn er arbeitet so intensiv und lange auf die Imagination des Zusehers ein bis dieser selbst nicht mehr weiß, was er glauben darf und soll. Die Selbstverständlichkeit des Horrors und des Zweifels daran sind eine wahnsinnige Stärke des Films. Trotz humoristischer Momente und auch einer irrsinnigen Szene mit einer riesigen Spinne, nimmt der Film seine Ängste ernst. Hier liegt vielleicht einer meiner Probleme, die ich sonst häufig mit dem Genre habe: Fisher nimmt sein Genre völlig ernst und vor allem nimmt er die Ängste seiner Figuren ernst. Da gibt es keinen augenzwinkernden Zynismus sondern nur Emotion. Bei Filmemachern wie Dario Argento oder Brian De Palma hatte ich immer das Gefühl, dass sie über ihren Filmen schweben, dass sie uns eine identifikatorische Lust am Horror vermitteln wollen. Bei Fisher gibt es diese Lust auch, sie ist aber Teil einer Notwendigkeit seiner diegetischen Welt, sie wird nicht von außen auf die Filme geworfen sondern existiert auch jenseits des Films. Fisher ermöglicht auch Skeptikern den Zugang zum Genre, weil er den Zweifel mit verarbeitet, den Zweifel an Horror, den Zweifel am Übersinnlichen, aber auch den Zweifel an Film.

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Mich erinnerte The Devil Rides Out in seiner grün-schummrigen Farbgestaltung, in seiner hypnotischen Sogkraft und in seinen virtuosen Perspektivwechseln, die fast immer eine neue Form der Spannung erzeugen an Alfred Hitchcocks Vertigo. Nicht zuletzt wird in beiden Filmen die Zeit selbst angezweifelt. Beide umarmen in einer kinematographischen Eleganz und Souveränität die Schönheit von Angst. So verschwindet die junge, vom Teufel besessene Frau im zarten Spurt in einen dichten Wald, ganz so als würde sie gleich unter der Golden Gate Bridge abtauchen. Bei Fisher steht kaum etwas über den Rändern, er zeigt immer das Entscheidende und nicht das Offensichtliche, seine Szenen beginnen da wo es interessant wird. So ist die Reaktion oft wichtiger als die Handlung selbst. Ein Beispiel ist ein Schnitt als Richleau seinen Verwandten von den Geschehnissen erzählt und wir in die Szene kommen als diese darauf reagieren. Das Mystische vermag Fisher in Rauchschwaden, unleserlichen Zeichen oder beschlagenen Fenstern beschwören, bei ihm ist der Wind eine Veränderung des Gesichts, der mit aller Kraft versucht zu Isolieren und in uns Einzudringen. Ein tatsächlich sinnlicher Horrorfilm, der sich im Gegensatz zu The Wicker Man und zahlreichen anderen Vertretern der Schau nicht um körperliche Nacktheit bemühen muss, um ein Gefühl von Erotik zu erreichen. Das Erotische liegt hier im Spirituellen und in den abhängigen Augen. Der Spiritualismus steht im krassen Gegensatz zur Strangeness und Komik des Rituals in The Wicker Man, den ich eher als ethnographisches Portrait eines bedrohlich-grotesken Kults bezeichnen würde, denn als Horrorfilm. Schon der Produzentenhinweis vor dem Film deutet auf eine solche Verunsicherung gegenüber der tatsächlichen Existenz der Bewohner von Summerisle und ihres Kults hin. Man würde sich bei den Bewohnern der Insel für den Einblick in ihre Rituale begleiten. Auch die Aufnahmen beim Prozess am Ende des Films haben einen dokumentarischen Wert, die Kamera wirkt direkt involviert, so als würde sie dem Geschehen nur folgen. Die Stilisierung des Fremden und Fantastischen weicht hier-und das ist neben der inhaltlichen Wendung das eigentlich erschreckende am Film-einer dokumentarischen Ästhetik.

The Wicker Man

Hardy übt sich in der völligen Isolation seiner Hauptfigur: Eine Insel, sprachliche Differenzen, Unverständnis und unterschiedliche Vorstellungen von Glauben und Gerechtigkeit. Gewissermaßen hätte der Film auch ein spannendes Double Screening mit Rosemary’s Baby von Roman Polanski abgegeben. Zwei Filme, die sich scheinbar über ihren Horror stellen, aber dann doch einen Zweifel mit all seinen brutalen Konsequenzen schüren. Der Unterschied liegt in der Psychologie der Protagonisten und auch der Zuseher. Denn an einer tief aus dem Inneren empfunden Angst hat der Kultfilm (in jeder Hinsicht) The Wicker Man gar kein Interesse. Vielmehr geht es ihm um eine schwarzhumorige Fremdheit, die sich im seltsamen Mix außerordentlicher Momente wie einer unkommentierten Orgie am Strand, einem nackten Balztanz mit Gesang der Tochter des Wirts aus dem Nachbarzimmer, eigenwilliger Musicaleinlagen oder einer abgetrennten Hand als Schlafmittel offenbaren. Das Abartige zeigt sich in allen drei Filmen des Abends. Es ist in The Wicker Man und Invocation of my Demon Brother, dass es in den Horror führt und in The Devil Rides Out in Form der Spinne und des reitenden Teufels, dass es ihn bezweifelt und spirituell erhöht. Ein Reiz von The Wicker Man, dessen hohe Bedeutung für das Genre ich kaum nachempfinden kann, liegt in der Spannung zwischen dem Lachen über und die Angst vor der Abartigkeit. Einzig scheint sich Hardy dieser Spannung nicht immer bewusst zu sein und so wirft er bis vor kurz vor Schluss mit pseudo-anarchistischen Verfremdungseffekten in seine Abartigkeit und macht sie damit nicht noch abartiger sondern bricht sie als filmisches Konstrukt. Er wird dafür gefeiert natürlich, aber er verspielt auch das Herz des Films. Christoph Huber erwähnte in seiner Einführung den Status des Films als Citizen Kane des Horrors. Diese Formulierung klingt besser als sie ist. Die Kontrolle über die Sprache von Welles, mit der charmanten Unbeholfenheit von Hardy zu vergleichen, ist eine Beleidigung.

The Invocation of my Demon Brother

Bleibt noch Invocation of my Demon Brother, oder? Da ist noch etwas. Denn dort wo Anger den Film selbst zum Ritual oder besser zum Teil des Rituals macht, indem seine Bilder sich fast wie ein Geschwür zu den Sounds von Mick Jagger durch den Projektor schlängeln, da fühle ich mich in meinem eigenen Ritual, meiner eigenen Isolation erwischt. Schließlich ist jeder Kinogang ein solches Ritual. Auch dort gibt es Menschen, die innen und außen sind. Im Rahmen einer Horrorschau fühle ich mich wie ein Außenstehender. Da kommen Menschen ins Filmmuseum, bei denen ich mir nicht ganz sicher sind, ob sie sich dem Anlass entsprechen verkleidet haben oder ob sie immer so herumlaufen, andere scheinen über jede Kleinigkeit in einem Horrorfilm zu lachen, wieder andere erzählen nach den Filmen begeistert von B-Movie Schauspielern, von denen ich mein Leben lang nicht gehört habe. Es gibt Applaus nach manchem Film, die Haltung zu den Filmen ist eine viel wärmere, sie ist enthusiastischer und das irritiert mich, da die Filme so oft von etwas Fremden und Kalten erzählen. Kurator Christoph Huber erwähnt in seiner Einleitung die besondere Verbindung von Fans und Film im Horrorgenre. Er tut dies im Bezug zu den Diskussionen unterschiedlicher Schnittfassungen und deren Bedeutung für die Wirkung eines Films. Solche Diskussionen sind für mich absolut nachvollziehbar, jedoch verschließt sich mir, weshalb diese-jenseits der natürlich häufiger vorkommenden Zensur bei Horrorfilmen-nicht auch jenseits des Genres zu einer besonderen Beziehung zwischen Fans und Film führen sollte. Fehlt mir ein Glaube, eben jenes augenzwinkernde Einverständnis, dass das was ich sehen werde anderen Gesetzen gehört? Wohl kaum, denn das Übersinnliche und Magische, das Fantastische äußert sich für mich eben durch eine Aufrichtigkeit und nicht durch ein zynisches „Wir wissen doch alle, dass das nicht echt ist“-Gehabe. Zap, you’re pregnant. That’s witchcraft… In diesem Sinn ist Kenneth Anger vielleicht ein wirklicher Film des Horrors gelungen, ein Film, der achte seiner Magick Lantern Cycles, der den Horror durch Bilder und Töne evoziert, der ein Ritual im Kinosaal und mit dem Zuseher vornimmt. Es ist als würde man dieses Ritual wirklich erleben und es spielt auch gar keine Rolle mehr, ob man außen oder innen ist. Wenn es im Kino darum geht, sich zu verändern, dann sind Rituale der Ausdruck des Kinos, wie eine Taufe. Nur eine Taufe bedeutet noch lange nicht, dass man glaubt.

Land of the Dead: Long Weekend von Colin Egglestone

Nach einer spannenden Einführung zum Film und zum australischen Kino der 1970er Jahre von Christoph Huber beginnt Long Weekend von Colin Egglestone mit einem langsam über einen von der Sonne erröteten Felsen kriechenden Krebs. Die Kamera wird mit einer Kranfahrt abheben und das blaue Meer offenbaren. Bereits hier vollziehen sich eine Schönheit und ein Frieden in der Natur, die essentiell für das Verständnis des Films sind. Denn wenn man den Frieden nicht stört, wird er auch selbst nicht stören. Long Weekend flirtet mit dem Genre des Tierhorrors und des Abenteuerfilms, ist aber in seinem Kern ein destruktives Beziehungsdrama. Peter und Marcia wollen ein verlängertes Wochenende in der abgelegenen Wildnis verbringen. Sie fahren an einen traumhaften Strand, der sich hinter einem labyrinthischen Wald versteckt. Marcia hat gerade eine Abtreibung hinter sich. Wie wir später erfahren sollen, wäre das Kind aus einem Seitensprung entstanden. Ihre Sexualität ist verstört und eigentlich sehen wir das Paar fast durchgehend beim Streiten. Es ist ein Film der sexuellen Frustrationen, die den äußeren Horror, der nach und nach von der angegriffenen Natur ausgeht zu einem inneren Bild werden lässt. Da werden Adlereier an Bäume geworfen, sodass sie zerschellen und ein Baum immer wieder ein bisschen mit einer Axt bearbeitet. Peter schießt planlos auf das Meer und die beiden Camper hinterlassen eine bedrohliche Müllhalde. Ein eingefrorenes Huhn beginnt zu vergammeln; die Richtung ist klar: Das psychologische Trauma der Abtreibung wird in einem Wechselspiel aus giftigen Dialogen und einer feindlich erscheinenden Natur bearbeitet. Je länger Peter und Marcia am unheimlichen Waldrand und Strand bleiben und je aggressiver sie sich gegen die Natur (die natürliche Geburt?) stellen, desto härter schlägt die Natur zurück.

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Dabei ist das Setting ein Star. Damit meine ich zum einen, dass der Film es vor allem in der zweiten Hälfte versteht, das Ungewöhnliche und Mystische in einer Art zu erhöhen, die eine Seele der Natur betont, ohne dass dies in platten Symbolen aufgelöst werden müsste. Die engstehenden Bäume und der Dunst über dem Meer bewirken eine deformierte Strangeness, die an Jonathan Glazer erinnert und darauf hindeuten, dass eine friedliche Koexistenz nicht möglich ist. Die Natur ist dabei stets unschuldig. Sie reagiert nur, sie greift nicht an. So greift eine Adlermama Peter nur an, weil das Paar im Besitz des Adlereis ist. Ansonsten ist die Feindlichkeit fast durchgehend eine Bedrohung, aber keine Handlung. Es ist ein latentes oder konkretes Gefühl, dass nicht von der Natur sondern von einer menschlichen Entfremdung ausgeht. Folgerichtig geht die wirkliche Gewalt letztendlich immer von den Menschen aus. Besonders beeindruckend ist dies als Peter in einer Nacht betrunken mit einem Licht am Autofenster in der Tiefenschärfe hinter der sich schlafend stellenden Marcia auftaucht und versucht sie zu wecken. Das ist auch zugleich der zweite Aspekt, den Huber bereits in seiner Einleitung andeutete, denn die Natur ist hier nicht ein böser Antagonist, sondern schlicht der Held des Films. Das wirft natürlich auch die Frage der Bedeutung von Identifikation für das Horrorgenre auf. Es ist klar, dass wir von einer anderen Art des Horrors sprechen, wenn es nicht darum geht, um das Leben einzelner Figuren zu zittern, wenn uns die bedrohten Existenzen nicht sympathisch erscheinen. In Long Weekend geht der Horror von den Menschen aus und sie bekommen dafür Horror zurück. Der Film folgt dem Ursache und Wirkung Prinzip von Horror und er umrahmt das mit seiner innerpsychologischen Bedeutungsebene. Damit könnte Long Weekend fast zu einer gekonnten Mischung aus Bruno Dumonts Twentynine Palms und Lisandro Alonsos La libertad werden…aber dazu fehlt dann doch einiges.

Der hohe metaphorische Gehalt drückt nämlich im Gegensatz etwa zu Nicolas Roegs Outback-Poesie Walkabout auch auf den Film. Denn insbesondere zu Beginn wirken die beiden Figuren wie größere Ideen, nicht wie Menschen. Man beginnt den Film zu durchschauen, man beginnt das Drehbuch zu lesen. Hier ist der Mann. Seine Aufgabe ist es rau zu sein, er verhält sich sorglos gegenüber der Natur und unsensibel gegenüber seiner Frau. Hier ist die Frau. Sie ist eine Frau, sie will nicht campen, sie ist schlecht gelaunt. Durch diese äußerst klare Figurenzeichnung, die sich gegen Ende weitaus ambivalenter gestaltet, wird der Horror nicht mehr körperlich spürbar sondern nur mehr intellektuell. Hinzu kommt eine fehlende Subtilität in den Bildern und Dialogen. Egglestone erkennt die subtilen Spannungen in der Beziehung ein wenig zu deutlich. Er lässt die Figuren darüber sprechen, er bringt sie in seine metaphorischen Bilder, in sein aufgesetztes Tondesign und seine Musik. So wird beispielsweise in einem völlig unnötigen Dialog am Strand die komplette Beziehungsgeschichte aufgelöst.

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Und dann gibt es da noch die alte Bazin-Regel. Wie Serge Daney einmal treffend bemerkt hat, war André Bazin besessen von Tieren. Er hätte sich Long Weekend mit seinen Hunden, Krebsen, Ameisen, Adlern, Seeottern, Koalas, Beuteltieren, Schlangen, Kängurus und Spinnen sicherlich sehr genau angesehen. Und vermutlich wäre ihm wieder der „Montage-Verboten“ Gedanke gekommen. Bazin sagte, dass es für die Glaubwürdigkeit einer Szene unbedingt wichtig sei, dass man Tier und Mensch im selben Bild zeigen würde. (das gilt nicht nur für Tiere). Manche Einstellungen jedoch (zum Beispiel jene der Ameisen) wirken wie völlig aus dem Kontext gehobene Intermezzos, Egglestone schneidet Zwischenbilder in seinen Film, die seinen Star, das Setting auseinanderbrechen. Hier schneidet er sich selbst, denn in diesen Bildern wird die Natur doch zum aufgesetzten Feind des Menschen, sie existiert nur in der Montage, um Angst zu machen, um eklig oder unheimlich zu wirken. Natürlich ist es nicht unbedingt leicht Szenen mit Adlern und Menschen in einer einzigen Einstellung zu drehen, aber wie der Film selbst beweist, ist das durchaus möglich und insbesondere bei Ameisen kann man das schon verlangen. Egglestone scheint hier eher am technischen Anspruch zu scheitern, weil er die Ameisen unbedingt mit einem Makro Objektiv filmen will. Dadurch wirken aber verschiedene Szenen im Film wie aus einem Naturfilm, der nicht in der diegetischen Welt des Pärchens und erstaunlicherweise auch nicht im Setting verortet ist. Eine lokale Verortung ist dem Film auch gar nicht wirklich wichtig. Das unterscheidet ihn auch von einem weiteren Outback-Drama, Wake in Fright von Ted Kotcheff, der aus jeder Pore nach Australien riecht. (Outback-Drama kann diesen völlig von der Leine gelassenen Roadtrip-Western-Horror-Existentialismus mit Massen an Alkohol, unterschwelliger Erotik und einer unfassbar brutalen Känguru-Jagd nicht mal annähernd beschreiben) Vielmehr geht es in Long Weekend um einen ewigen Kampf zwischen den Geschlechtern, zwischen Mensch und Natur und zwischen Leben und Sterben. Das sind zugleich die Stärke und die Schwäche des Films.