Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Les Attendants von Minh Quý Trương

Text: Patrick Holzapfel

Es ist auf einem Hügel und ich fühle mich einsam. Du hast mich gerufen und wie immer bin ich dir gefolgt. Die Erde ist trocken wie mein Hals. Trotzdem wachsen Birken in dieser Wüste. Du hast mir zugeflüstert, dass ich warten solle. Nur ein paar Augenblicke. Dabei hast du mich angesehen, wie du mich manchmal ansiehst. Wie aus der Tiefe. Ich konnte deinen Blick nicht erwidern, ich kann ihn nie erwidern, weil das bedeuten würde, dass ich nie wieder etwas erwidern könnte von niemandem. Ich warte hier. Ich warte auf dich und lasse die trockene, aschgraue Erde durch meine Finger rinnen. Es sind winzige, stumme Steine. Unzählige Steine. Eine endlose Sanduhr aus aufgeschütteten Ablagerungen. Du hast gesagt, hier sei es schön. Dann hast du die schwere Luft eingeatmet. Dein Vater habe hier gearbeitet. Unter der Erde, das hast du gesagt. Er sei erstickt. Du hast mich geküsst. Ich habe dein Echo zwischen den Birken vernommen. Ich habe mich umgeschaut und bemerkt, dass das keine gewöhnliche Landschaft ist. Es ist das, was von einer Landschaft bleibt, nach einer Katastrophe. Es gibt nur vereinzelte Vögel. Es sind die Mutigen. Man hört jeden Ton, sie singen allein. Das bist ganz du. Es entspricht dir, mich an einen solchen Ort zu bringen. Um mir zu zeigen, dass ich diese Landschaft zerstört habe. Dass es meine Schuld wäre. Um mir zu sagen, dass du trotzdem hier leben würdest, dass hier ein Zuhause wäre für dich und mich. Mir geht nicht aus dem Kopf, wie sich deine Hand in die Erde gegraben hat. Als wolltest du darin verschwinden. Langsam hat deine Haut die gleiche graue Farbe bekommen wie der Schutt. Du hast gesagt, du würdest nach einem Schacht suchen, in dem wir es wärmer hätten. Du würdest gleich wieder hier sein. Die zerstörte Welt sieht anders aus, wenn man mit einem falschen Herzen geboren wird. Dann sieht man ein grünes Laub und denkt daran, wie es verfaulen wird. Hier aber ist es ganz andersherum. In dieser Wüste, wächst eine Nähe heran wie aus einem Samen, den niemand gepflanzt hat. Ich erinnere, wie du einmal meintest, man solle nach dem Tod zurückkehren an die Orte, an denen man gelitten hätte und sie aus anderen Winkeln betrachten. Dann würde man merken, dass die sinnlosen Schreie, das vergossene Blut, der Schweiß und Speichel von den Steinen verschluckt werden. Was bleibt, sind die Nachfahren des Gesteins. Weil wir Menschen das nicht verstanden haben, sprechen wir von Veränderung. Wir glauben, es gäbe so etwas wie eine Veränderung. Dabei sind es nur die stummen Steine, die sich durch die Zeit bewegen. Manche bringen Nähe und manche Ferne. Diese hier bringen Nähe. Aber dazu braucht es uns beide. Es braucht deine Hand auf mir und auf den Steinen.