Die Bedeutung des Verzichts im Film

Ich glaube, dass die Radikalität eines Verzichts in der filmischen Sprache heute von einer noch zu benennenden Relevanz ist, die zu keiner Zeit als bloßer Formwille oder als Prinzipiendenken abgetan werden sollte. Die Frage, ob ein Film nun etwas sagen und kommunizieren soll, oder ob er eher beobachten soll und somit ein womöglich ethisch haltbareres Verhältnis zur Realität aufbaut, ist inzwischen zu einer Frage zwischen Kommerz und Festival, zwischen Klassik und Moderne im Film geworden. Daran geknüpft findet sich die Frage, ob Film überhaupt eine Aufgabe hat. Es ist klar, dass Filmemacher wie Bruno Dumont (ein expressionistischer Minimalismus), Carlos Reygadas (ein impressionistischer Minimalismus, in dieser Hinsicht ein Bruder von Claire Denis), Nuri Bilge Ceylan (ein Minimalismus der Literatur oder zuvor einer der schweigenden Gesichter), Cristi Puiu (ein realistischer Minimalismus), Jia Zhang-ke (ein elliptischer Minimalismus), Apichatpong Weerasethakul (ein spiritueller Minimalismus) oder Pedro Costa (ein abstrakter Minimalismus) Filme machen, in denen wir nicht alles sehen und hören, was unser Kopf zur Herstellung eines in sich schlüssigen, klassischen Narrativs benötigen würde. Wir sind zurück auf uns selbst geworfen oder aber die Filme geben eine Wahrnehmung der Welt wieder, die sich nicht in eine Nachvollziehbarkeit, sondern eher in Gefühle, Fragmente, Figuren und die Realität dreht.

Still Life Jia Zhang-ke

Still Life von Jia Zhang-ke

Erstaunlich daran ist, dass diese Filmemacher häufig von einem politischen Standpunkt aus betrachtet werden, obwohl oder gerade weil sie sich um eine klare Aussage und Haltung herum winden. Im Verzicht liegt bekanntermaßen bereits ein politisches Moment. Dieses hat sich lediglich auf die Form verlegt (und wird im Inhalt gespiegelt). Das Musterbeispiel bleibt Pedro Costa, der seine Filme als demokratisches Unterfangen etabliert und im Verzicht eine Betrachtung von Menschlichkeit entwickelt. In diesem Sinn wird auch Sharunas Bartas interpretiert. Es heißt, dass durch das Schweigen von allen den Schweigenden eine Stimme gegeben wird. Im Aussparen macht man auf etwas aufmerksam, man betont gewissermaßen, dass etwas fehlt und das ist politisch. Aber ganz so einfach ist das nicht. Oft betrachten die Filmemacher des Verzichts eben auch politische Themen wie Jia Zhang-ke oder Claire Denis. Sie betrachten diese aber anhand des Banalen oder Außergewöhnlichen, auf keinen Fall mit der Idee selbst oder in Form eines Statements. An dieser Stelle sei bemerkt, dass Wang Bing in seinem Le fossé durchaus gezeigt hat, dass Minimalismus auch politisch lauter und deutlicher formuliert sein kann. Das wirkt dann aber aufgesetzt.

Japón von Carlos Reygadas

Japón von Carlos Reygadas

Ihre Wahrnehmung scheint in den meisten Fällen politischer als ihr Inhalt. Es wird erst in der Annäherung an den Inhalt klar, dass es sich dabei um etwas Politisches handeln könnte. Im Verzicht liegt auch ein Respekt vor der Komplexität politischer Vorgänge. Nicht die politische Haltung und Meinung der Filmemacher ist von Interesse, sondern die Realität. Eine objektive Realität ist natürlich nicht herstellbar mit einer subjektiven Sprache, aber das Aufmachen von Lücken und Fragen ist ein ehrlicherer Ansatz, als das forcierte Vertreten einer Position. Das Schwimmende und Unklare, das spätestens seit Michelangelo Antonioni eine gewisse Kontur im Kunstkino bekommen hat, ist ein politisches Statement. Aber es ist viel mehr, denn im Verzicht liegt auch die größtmögliche Hinwendung zur Konstruktion und Illusion von Raum und Zeit im filmischen Bild. Wenn bei Puiu verschiedene Dinge nicht geäußert werden oder wir bei Ceylans Filmen vor Winter Sleep enigmatische Gesichter betrachten, die ihre Emotionen hinter einem Berg aus Reflektion und Persönlichkeit verstecken, wenn sich Räume bei Jia Zhang-ke durch konstruktive Montagen und vor allem den Einsatz von Tiefenschärfe deutlich mehr als seine dieser Umwelt ausgesetzten Figuren erschließen oder Bruno Dumont beziehungsweise Claire Denis an entscheidenden narrativen Stellen eine Ellipse aufmachen, dann wird klar, dass sich die Filmemacher der Verpflichtung einer Fiktion bewusst sind. Sie wissen, dass Film in vieler Hinsicht seine Spannung aus dem „Wann und Was zeige Ich NICHT“ gewinnt. Der filmische Raum wird mir dann bewusst, wenn es ein Off-Screen gibt oder ein Bewusstsein der Richtungen der Realität, in der sich die Kamera befunden hat. Außerdem wird die Illusion derart als solche angezeigt und wir beginnen ihrer Konstruktion zu glauben. Hier beginnt für mich ein filmischer Realismus, in dem Augenblick, in dem ich ein offenes Verhältnis von der Kamera zur Realität wahrnehme und diese Offenheit kann nur durch Verzicht entstehen.

Twentynine Palms Bruno Dumont

Twentynine Palms von Bruno Dumont

Dieser Verzicht kann auch geringer und weniger radikal sein wie zum Beispiel die Rahmungen eines John Fords oder die RKO-Filme von Jacques Tourneur zeigen, denn dort wird nicht ein Gefühl von Verzicht etabliert, sondern lediglich auf das verzichtet, was unnötig erscheint. In dem Moment spricht man dann von einem Handwerk und von einer Notwendigkeit. Dieser Notwendigkeit unterliegt aber ein Verzicht auf das Ausschmückende, das Bombastische, das Prinzipienhafte. Plötzlich wird Film zu dem, was wir nicht sehen. Eine erhöhte Konzentration, ja ein Wiedererlernen des vergessenen Sehens ist nur in diesen Filmen möglich. Natürlich kann man auch in klassischeren Filmen genauer hinsehen, man kann mehr sehen, man kann sie auseinandernehmen. Die Intelligenz dieser Betrachtung geht dann aber zumeist vom Zuseher aus und nicht vom Film selbst. Zugespitzt könnte man formulieren, dass uns Filme wie jene von Claire Denis erst ermöglichen, in Filmen von David Fincher etwas anderes zu sehen als Plot.

Aurora von Cristi Puiu

Aurora von Cristi Puiu

Der zweite Verzicht liegt wie bereits formuliert in der Zeit. Zunächst handelt es sich um einen Verzicht der narrativen Manipulation von Zeit, also ein Spürbarmachen der Zeit. Andy Warhol hat dieses Spiel wohl am weitesten getrieben. Cristi Puiu hat in seinen Filmen einen perfekten Ansatz gefunden, um die manchmal absurden Bewegungen von Figuren in der Zeit zu seinem eigentlichen Inhalt zu machen. Das zeigt auch, dass es im Verzicht nicht um das gehen kann, was passiert, sondern darum, wie es passiert. Und es gibt deutlich spannendere Möglichkeiten etwas über das Wie zu erzählen als über das Was. Der zweite zeitliche Verzicht liegt in der Ellipse, dem Auslassen. Nun erscheint das Fragmentieren zunächst als besonders konstruiert und realitätsfern. Das hängt allerdings damit zusammen, ob man die Realität als subjektive Wahrnehmung oder als objektive Größe versteht. Ohne mich in einen zu philosophischen Diskurs zu stürzen, möchte ich doch behaupten, dass die filmische Sprache einzig zu einer Wahrnehmung der Realität, einer kinematographischen Realität befähigt ist. Einzig im Verzicht ermöglicht sie uns diese Wahrnehmung anzuzeigen und somit deutlich näher an eine Objektivität, nennen wir es im Sinn von Godard Wahrheit heranzukommen. Daran hängt natürlich auch das impressionistische Prinzip der Erinnerung, der Inspiration, der Flüchtigkeit. Das Kino wird davon angetrieben und generiert es im Zuseher. Carlos Reygadas stürzt sich in vielen seiner Filme in solche inneren Bewegungen. Das Erstaunliche bei ihm und bei vielen anderen Minimalisten wie beispielsweise auch Semih Kaplanoğlu oder Sergei Loznitsa ist, dass die Subjektivität in der Betrachtung der Realität entsteht und nicht wie bei fantastischen Filmemachern oder Kommerzmenschen in der Herstellung einer Welt. Nein, Reygadas filmt einfach seine Tochter und drückt damit etwas über sich selbst aus, was uns angeht, weil es eben ein Verhältnis zur Realität hat. Das Ehrliche, Subjektive entsteht bei ihm durch seine Form, also auch durch seinen Verzicht.

Ne change rien

Ne change rien von Pedro Costa

Je radikaler dieser Verzicht, desto mehr macht er auf einen Missstand aufmerksam. Dieser Missstand liegt in der Pornographie der subjektiven Erinnerungen, den Bilderfluten, denen wir uns heute ausgesetzt sehen, den Filmen, Clips und Profilen, die uns alles zeigen, der Tatsache, dass fast jeder Mensch heute seine eigene, geschlossene und schöne Geschichte in Bildern erzählt. Darin gehen Erinnerungen und Wahrheiten verloren. Die Frage heute ist: Töte ich meine Erinnerung oder rette ich sie, wenn ich ein Bild mache? Da das Bild schon lange Zeit die Realität überholt hat, sehen wir oft die gespeicherte Wahrnehmung der Realität vor der eigentlichen Realität. Nun zeigt ein Filmemacher, der sich dieser Flut widersetzt und etwas nicht zeigt, etwas spürbar macht (Tsai Ming-liang wäre hier ein besonders rebellisches Beispiel) und auf etwas verzichtet, dass es sich durchaus noch lohnt hinzusehen. In diesem Hinsehen, dieser erhöhten Bedeutung des Blicks werden dann nicht nur Zeiten und Räume wahrnehmbar sondern auch Gefühle. Dabei sind nicht die theatralen Gefühle eines gelungenen Plottwists gemeint, sondern Gefühle, die in unserer Relation zu den Bildern entstehen. Dies ist gerade in der heutigen Zeit eine große Kunst, da wir natürlich leichter und schneller Gefühle empfinden, wenn wir Bilder sehen, auf denen wir selbst oder Freunde zu sehen sind. Aber die filmischen Bilder des Verzichts lehren uns, dass auch die Bilder selbst Gefühle haben. Wenn ein Film etwas nicht zeigt, dann liegt das auch daran, dass es ihm vielleicht unangenehm war, dass er sich etwas scheut. Die geschlossenen Türen von Pedro Costa, die Unschärfen bei Jia Zhang-ke oder das Nicht-Zeigen bei Claire Denis sprechen alle von einer Zärtlichkeit des emotionalen Einflusses. Wenn Denis den Autounfall in Les salauds nicht zeigt, aber das völlig zerstörte Auto, dann ist das ein Bild, das uns sofort trifft. Es ist ein Bild, das wir kennen, das die Gewalt spürbar macht statt sie einfach zu zeigen und es zwingt uns zum Hinsehen. In diesem Hinsehen verbinden sich dann Imagination, Realität und Erinnerung zu einem Gefühl, das durch Framing, Ton- und Musikgestaltung usw. eine subjektive Wahrnehmung widergibt. So betrachten wir ein Bild, statt es nur mehr zu machen und zu teilen. Es bleibt also keine Überraschung, dass diese modernen Filmemacher sich mit Erinnerungen auseinandersetzen und diese spürbar machen. Warum sollte dies nicht eine der wichtigsten Möglichkeiten von Film im 21. Jahrhundert sein?

Les salauds von Claire Denis

Les salauds von Claire Denis

Kritiker und viele Zuschauer bemängeln, dass sich diese Filme mit Absicht einem Verständnis entziehen. Diese Behauptung kann ihren Grund aus meiner Sicht nur in zwei Dingen haben. Zum einen ist es schlicht die Faulheit einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Filmen, die bei den Kritikern aufgrund einer alltäglichen visuellen Reizüberflutung zu Stande kommt und bei den Zusehern an einer fehlgeleiteten Wahrnehmung sogenannter Aufgaben von Kunst sowie schlichtem Desinteresse, Ignoranz und Zeitproblemen festzumachen ist. Zum anderen haben sie wohl tatsächlich verlernt hinzusehen, denn in allen genannten Beispielen wird mehr erzählt, mehr gesagt und mehr gefühlt als in jedem Unterhaltungsfilm. Dies ist keine Verneinung von Narration, da alle Filme narrativ sind. Es geht einzig darum, dass unsere bequemlichen Erwartungen an Narration durchkreuzt werden müssen, damit wir einen neuen Raum und eine neue Zeit für etwas Politisches, etwas Persönliches und etwas Filmisches bekommen. Wenn es so etwas wie eine filmische Wahrnehmung gibt, dann muss diese auch nach eigenen Mustern funktionieren, sie muss poetisch sein und notwendig, sie muss verzichten und fließen, sie hat das Bild, den Ton, die Montage, die Erzählung, das Schauspiel und die Kombination all der Dinge, die in all das einfließen. Sie tut gut daran, sich dieser Mittel bewusst zu sein, denn wenn sie nicht verzichtet oder einen ihrer Aspekte ignoriert, wird sie untergehen zwischen all den oberflächlichen Bildern dieser Welt. Denn wo ist sonst der Unterschied?

Das filmische Rauschen digitaler Bilder

Bei allen dogmatischen Statements und Liebeserklärungen für Film als Medium oder Digital als Möglichkeit gibt es einige ganz praktische Fragen, die sich in diesem Jahrtausend für Filmschaffende auf der ganzen Welt stellen. Dabei geht es mit Sicherheit nicht nur um jene vieldiskutierte Frage, ob Digital oder Film, sondern auch wie man das Digitale so benutzen kann, dass man daraus eine eigene Ästhetik gewinnen kann. Nun ist der erste Impuls vieler Filmemacher und Grader, möglichst filmisch zu wirken, wenn sie mit digitalen Aufnahmegeräten gearbeitet haben. Der Grund dafür scheint neben einer Gewohnheit und ästhetischen Idealen relativ klar. Dem digitalen Bild fehlt Leben. Je klarer und höher die Auflösung desto weniger Leben und auch Vergänglichkeit liegt in den Bildern. Das Zufällige, das Materialistische, das Handwerkliche des filmischen Mediums wird zu einem ungreifbaren und auf eine tote Perfektion ausgerichteten Zahlenwirrwarr im Digitalen. Was das Leben in einem Bild ist, wurde von unterschiedlichen Theoretikern und Künstlern beschrieben. Besonders einleuchtend waren mir immer die Gedanken von Francis Bacon: I would like my pictures to look as if a human being had passed between them, like a snail, leaving a trail of the human presence and memory trace of past events, as the snail leaves its slime.

Trotzdem werden immer wieder digitale Bilder erzeugt, die zittern und ein Leben in sich tragen. Beispiele hierfür finden sich im Kino eines Albert Serra, einer Claire Denis, eines Steven Soderberghs oder eines Pedro Costas. Es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen und die Lösung hängt immer auch an der gewählten Kamera und dem Umgang mit dieser Kamera, da in der Welt der Consumer-Geräte sich immer weiter entwickelnde, aber dennoch beschränkte Chips verschiedene Looks mehr oder weniger vorgeben. Nun gibt es in der Postproduktion viele Möglichkeiten sich dem filmischen oder besser pseudo-filmischen Look anzunähern. Add Grain ist hierfür eines der beliebtesten Stichwörter, aber auch das Betonen bestimmter Farben und das Einsetzen diverser Filter helfen schon extrem. Aber kann man das Digitale aus den Bildern entfernen? Wenn man sich Steven Soderberghs Che-Filme ansieht, dann glaubt man fast ja. Allerdings gab es hier einen Transfer des mit der Sony Red geschossenen Materials auf Film. Dabei stellt sich auch die Frage nach dem gewählten Verfahren und ob die Bilder anamorphotisch oder sphärisch gedreht worden sind. Den Unterschied kann man sich beispielsweise in den beiden Che-Filmen von Soderbergh sehr deutlich vor Augen führen, da hier mit derselben Kamera aber unterschiedlichen Objektiven gearbeitet wurde. Die Ergebnisse waren und sind beeindruckend in ihrer Unterschiedlichkeit.

Einige Firmen wie Neat Video haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem Digitalen das digitale Rauschen zu rauben und für meinen Film Patrick ist tot (Von dessen Dreh ich berichtete) haben wir davon Gebrauch gemacht. Natürlich sind die Merkmale des Digitalen nicht alleine durch dieses künstliche Rauschen definiert, denn schließlich spielen Eigenschaften wie Dynamik, Kontrast und Farbe auch in unsere Wahrnehmung des Looks. Ein Grund für unsere nachträgliche Arbeit am digitalen Rauschen ist, dass wir auf einer Canon 5D gedreht haben, die mit ihrem weichen Vollformat-Chip eine Filmähnlichkeit erzeugt, die sich dann allerdings in ihrer Dynamik und auch im digitalen Rauschen verliert und zusammen mit der Weichheit des Chips diesen schrecklichen 5D-Look erzeugt, den man aus gefühlt tausenden Nachwuchsfilmen kennt. Dennoch haben wir uns bewusst für diese Kamera entschieden, da wir für unsere Art zu drehen eine möglichst kleine, einfache Kamera benötigten und zudem eine, an die wir zweimal rankommen konnten. Dennoch haben auch wir uns für Add Grain entschieden, um die Bilder nach der Rauschentfernung nicht zu clean wirken zu lassen.

Hier mal unser Vorgang (in Adobe Premiere After Effects) beschrieben von unserem Cutter Joshua Burkert:

Short Neat Video post process description in Adobe After Effects:

1. DENOISE

Import footage to After Effects.
Original 8bit 5D mkII footage (200% zoom):

Neat Video Process 1

Change color depth to 16 bit:

Neat Video Process

Apply Neat Video Effects

Analyze Noise Profile:

Neat Video Process3

Auto profile noise, then activate very low frequency in advanced noise settings

denoised footage (200%):

Neat Video Process5

2. DITHER DENOISED FOOTAGE

By adding a minimal amount of noise (0,4) it will remove banding (blocky gradients) from images and make them smooth.

Effect -> Noise & Grain -> Noise

Neat Video Process6

3. ADD GRAIN

By adding small Grain to the denoised image, it reduces softness of the image.

Effect -> Noise & Grain -> Add Grain

Neat Video Patrick ist tot

with Grain (200%):

Neat Video Process8

4. RENDER TO A 10Bit CODEC

Export settings:

– Apple ProRes 422 (HQ)
– Trillions of Colors

Neat Video Patrick ist tot

Final graded image:

Patrick ist tot

Macht es aber Sinn, das Digitale aus dem Digitalen zu entfernen?

Fast mustergültig hat Albert Serra in seinem Locarno Gewinner Història de la meva mort das Digitale mit einem System aus Zufall und Zerstörung belebt. So ist eines seiner wie immer offen kommunizierten Geheimnisse der Transfer des ursprünglichen Materials auf 35 Millimeter. Aber auch sein wilder Umgang mit Format, Licht und nachträglichen Bearbeitungen lassen seine Bilder filmisch wirken. Überdies ist seine Wahl der digitalen Technologie dennoch essentiell für sein Schaffen, denn ein fester Bestandteil seiner Arbeit ist das Drehen von Massen an Material, die man sich auf Film schlicht nicht leisten könnte. Die Spontanität und Flexibilität, die auch schon das Kino der 1960er Jahre mit den kleineren 16mm-Kameras maßgeblich beeinflusste, wirkt sich demzufolge auch auf das zeitgenössische Filmschaffen aus. Die Zeit der Amateure hat damit nach 60 Jahren eine weitere Renaissance erlebt. Der Unterschied zwischen dem Amateur und dem Professionellen ist aber unter anderem der reflektierte Umgang mit der Technologie. Hier stoße ich in Gesprächen mit Kameramännern oder befreundeten Filmemachern oft an Grenzen, denn es gibt meist zwei dominante Faktoren:

1. Der Stand der Technik
2. Das Budget

Erster Punkt bedeutet, dass es ein im industriellen Filmemachen benutztes System gibt, dass zu einem gewissen Zeitpunkt den Anforderungen an einen als gewöhnlich eingeschätzten Filmdreh gerecht wird. Das wären zum Beispiel solche Aspekte wie das derzeit sehr beliebte Drehen mit einer Arri Alexa für dunkle Szenen, ein bestimmtes dominantes Farbmodell, der Stand der Technik eben. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, solange es sich um einen Branchentalk handelt. (Menschen, die mit Champagner auf Messen stehen und sich erzählen bei welchen Werbedrehs sie was benutzt haben eben) Da aber häufig so Entscheidungen für Filme getroffen werden, muss man sich schon fragen, ob es im Film wirklich darum geht immer auf dem neuesten und besten Stand zu sein. Vor kurzem habe ich beispielsweise ein Konzert von Jack White besucht und seine ganze Band war mit eigentlich veralteten Instrumenten ausgerüstet. Dennoch handelt es sich dabei um einen zeitgenössischen, erfolgreichen Künstler. Und auch von Filmen hört man immer wieder ähnliches. Kameramänner, die sich für ältere Objektive entscheiden, die sich gewissen Methoden der Neuzeit entziehen. Es ist selbstverständlich, dass auch schon vor 60 Jahren Filme gemacht worden sind, die keinen Deut weniger avanciert sind technisch und die mindestens eine genauso große (im Durchschnitt sogar größere) Wirkung auf den Zuseher hatten sei es als Kunst oder Unterhaltung. Warum also dieses Rennen mit der Zeit? Warum lassen sich medienaffine Menschen so manipulieren von einem Markt, der letztlich nur verkaufen will und vielleicht noch viel entscheidender: Warum lassen sich unsere Augen von diesem Irrsinn täuschen? Ist es nur Gewöhnung, dass wir eine gewisse Auflösung, einen gewissen Look irgendwann als Standard wahrnehmen oder gibt es tatsächlich das Bedürfnis in uns mehr zu sehen? Und wann hört dieser Standard auf? Das ist es wohl, was man eine Übergangsphase nennt, denn jeder hat dazu eine Meinung, aber man hört sehr selten zweimal die gleiche Antwort. Claire Denis bietet eine sehr kluge Alternative, wenn sie sagt, dass man das Digitale so benutzen soll, dass es etwas Genuines hervorbringt. Eine digitale Ästhetik eben, Bilder, die man nur digital so machen kann und die mit dem Inhalt und der Form zusammenhängen. In ihrem Les salauds ist das durchaus gegeben und auch David Fincher setzt die Glattheit dieser Ästhetik wundervoll für seine Geschichten ein.

Bastards Claire Denis

Viel häufiger wird man jedoch gerade auf Studentenniveau die Kamera nehmen, die man eben haben kann. Im häufigsten Fall sind das die den Markt überflutenden Canon-Modelle. Nun hatten wir uns zum einen bewusst für die 5D entschieden und zum anderen ist das nun mal auch die Kamera, die wir uns leisten können und für die wir das nötige Know-How mitbringen. Wir haben versucht ihre Eigenschaften auf unsere Bedürfnisse anzugleichen beziehungsweise einen Film zu machen, den man so nur mit der 5D machen kann. Und da wir von Vergänglichkeit und vom Sterben erzählen, scheint uns ein zumindest nicht ganz cleaner, möglichst filmischer Look (immer im Respekt und in der Reflektion des Digitalen) durchaus berechtigt. Natürlich sieht das Ergebnis nicht aus wie Film (nicht mal im Ansatz), aber mit der Entfernung des digitalen Rauschens durch Neat Video, dem Add Grain und unserer Umarmung von Chaos und Zwischenmomenten und unserem Setting haben wir uns in unserem Rahmen darum bemüht, dass ein Leben in die Bilder kommt wie eine Schlange zwischen den Schnitten. Ein solcher Prozess zeigt zum einen wie weit man sich immer von den Idealen und Prinzipien seiner Vorbilder entfernt (und demnach auch wie weit ein theoretischer Ansatz und ein praktischer Ansatz auseinanderdriften können), aber gleichzeitig wie viel man von ihnen lernen kann, wie bedeutend die Frage nach dem Look in diesem Jahrtausend ist. Die Style over Content und Style is the Content Debatten kommen womöglich genau aus diesen technischen Revolutionen und so absurd es klingt, dass man ein Leben in die bereits gedrehten Bilder hauchen kann, so effektiv die Illusion und diese Illusion ist eine genuin Digitale.

Patrick ist tot – Trailer (2014) from Joshua Burkert on Vimeo.

Stop being in motion (pictures): 1999, baby

Es ist nicht wirklich möglich, über ein Kinojahr zu schreiben. Zu viele Faktoren spielen vor allem bei rückwirkender Betrachtung eine maßgebliche Rolle: Produktionsumstände, gesellschaftliche Strömungen, Kinobewegungen, Laufbahnen individueller Künstler, die eigene Wahrnehmung des Kinos zu jener Zeit und/oder zur Zeit des Betrachtens, Festivalpolitiken, Hollywoodpraktiken, Förderpolitiken, politische Ereignisse und Zufälle. Ein Jahr, das aber immer wieder in den Fokus rückt, ist 1999. Zum einen ist 1999 ein Jahr, indem es eine Art Realismus-Revolution im Kino gab. Hervorgehoben wird vielerorts das Filmfestival in Cannes, das im letzten Jahr des vergangenen Jahrtausends mit „Rosetta“ von Luc&Jean-Pierre Dardenne und „L’humantité“ von Bruno Dumont zwei Filme mit Preisen bedachte, die eine neue Alltäglichkeit, einen ehrlichen Schmutz des Lebens ins Kino warfen und somit in vielerlei Hinsicht einen filmpolitischen Ausruf tätigten. Zum anderen war 1999 ein Jahr der innovativen und frechen Filme aus den Vereinigten Staaten. Man sprach und spricht viel von einer eigenwilligen Suche nach neuen Möglichkeiten des narrativen Kinos, die aus verschiedensten Gründen 1999 ausgelotet wurde. Neben „Fight Club“ von David Fincher sind auch „Magnolia“ von Paul Thomas Anderson, „The Matrix“ von den Wachowski-Brüdern, „The Blair Witch Project“ von Eduardo Sánchez und Daniel Myrick oder „American Beauty“ von Sam Mendes zu nennen. Vielleicht prägt dieses Jahr auch den heutigen Film noch mehr als man glauben würde.

Magnolia3

Was allerdings kaum beachtet wird, ist das 1999 ein Jahr markierte, in dem viele Filme mitsamt ihrer Protagonisten die Sehnsucht entwickelten aus sich selbst, aus diesen immer gleichen Bewegungen auszusteigen. Die Figuren wollen der Gesellschaft, ihrem Leben und vor allem ihrer Aufgabe im Film entkommen. Es ist wie ein Anhalten und sich bewusst werden, dass man nichts ist außer einer Figur in einem Film. Und auch die Filme selbst haben einen Spiegel gefunden: Wir sind nur Filme und wir sind vor allem Filme. Wenn man ganz ehrlich ist, findet man für fast jeden Jahrgang genug Filme, um diesen Text zu schreiben. Bemerkenswert am Jahr 1999 ist jedoch, dass die filmische Form und die Prinzipien des Erzählkinos sich mit ihre Charakteren und diegetischen Welten beginnen aufzulösen.Zudem wird 1999 bezüglich dieser Bewusstwerdung eines filmischen Gefängnisses nicht unterschieden zwischen Industrie- und Kunstfilm. Die Filme wollen immer wieder aus ihrer Form ausbrechen, sie bezweifeln ihre eigene Realität und Logik, sie wiederholen ihre Bewegungen bis sie erschöpft zusammenbrechen und einfrieren, statt immerzu ihren narrativen Destinationen zu folgen. Lyrische, körperliche, zweifelnde Momente dringen so in Filme, die am Ende meist ihre eigene Machtlosigkeit erkennen müssen.

So beginnen die Charaktere in „Magnolia“, plötzlich zu singen. „Wise Up“ von Aimee Man:

It’s not what you thought
When you first began it.
You got, what you want
You can hardly stand it though
By now you know

It’s not going to stop
It’s not going to stop
It’s not going to stop
Till you wise up

Ein Lächeln in die Kamera am Ende des Films, lässt uns erkennen, dass wir erkannt wurden. Die Figuren wollen aussteigen, sie wollen ihren Fight Club gründen, in andere Welten reisen oder entwickeln ein sexuelles Parallelleben, der anhaltenden Versuchungen wie in Stanley Kubricks letztem Film „Eyes Wide Shut“. Sie verlassen ihre eigentliche Berufung, um ihre wahre Bedeutung zu finden wie in Michael Manns „The Insider“. Dabei ist ihr Eskapismus weder real noch realistisch. Ihre einzige Rettung sind die Filme selbst, die sie vielleicht, vielleicht auch nicht am Ende befreien während sie uns zuzwinkern und sagen, dass alles nur ein Film ist.. Werner Herzog könnte ein solcher zwinkender Mann sein. In Harmony Korines „Julien Donkey-Boy“ beschwert er sich bei seinem Sohn über diesen ganzen „artsy-fartsy bullshit“, ihn würden handfestere Dinge wie beispielsweise Dirty Harry interessieren. Ja, Werner Herzog, der im selben Jahr die Exzentrik seines Klaus Kinski in „Mein liebster Feind“ ausstellte. Doch „Julien Donkey-Boy“ ist wie meist bei Korine schon in sich selbst ein Eskapismus. Eine Flucht aus der gängigen Ästhetik (die er hier in den Dogmaregeln findet) und eine offene Thematisierung der Schizophrenie, die sich in der Form des Films, einem undeutlichen Farbenmeer wiederfindet. Ein plötzlicher Froschregen muss möglich sein, Rosenblätter aus dem schwarzen Nichts und kopflose Reiter. Wohin man blickt, sieht man Dinge, die man nie gesehen hat.

Fight Club4

Pola X6

1999 ist auch ein Jahr der Repräsentationskrise. Wie filmt man Hitler? Das hat sich auch Alexander Sokurov in seinem „Moloch“ gefragt. Ein Film, der diese repräsentativ schwerbeladene Figur natürlich in einen Fluchtpunkt setzt, weit weg von dem, was wir glauben zu kennen, immer anders als wir erwarten und vor allem absurd. Die Figur selbst ist auf der Flucht vor dem Alltag. Urlaub, um sich von den Kriegsstrapazen zu erholen. Es wird klar, dass 1999 nicht unbedingt dabei hilft die Grenzen zwischen Darstellung und Realität zu definieren, viel eher verschwimmen sie in den milchigen Bildern von Sokurov oder den körnigen Landschaften in Nuri Bilge Ceylans „Clouds of May“ und den Meta-Körperauflösungen von David Cronenberg in „eXistenZ“. Was ist Film und was nicht? Wann ist es ernst und wann nicht? Was ist wahr und was nicht? It’s not what you thought when you first began it…ähnlich ergeht es einem auch im Schlussdrittell von Takashi Miikes Folter-Pleaser “Audition”. Hier werden auch Rollenmuster umgedreht, denn wenn Hitler ein Mensch sein kann, dann können, die Dinge die du besitzt auch beginnen, dich zu besitzen, ja dann werden Frauen Männer foltern und Krieg wird zur Poesie wie sowohl in Terrence Malicks „The Thin Red Line“, der zwar von 1998 ist, aber 1999 in Berlin den Goldenen Bären gewann und in „Beau travail“ von Claire Denis. Auch diese beiden Filme sind voller Eskapismus. Figuren, die ihre Aufgabe in einer kaputten Welt nicht mehr verstehen, Figuren, die sich weigern eine Maschine zu sein. Wohin kann man flüchten?

L'Humanité2

Beau travail6

Die Lösung findet sich in den Filmen. So endet „Beau travail“ mit einem Tanz, der alles wegwirft, das Leben und den Tod, den Film und die Liebe und genau damit alles rettet. In „Fight Club“ bewegt sich der Tod gar rückwärts und alles explodiert, „Where is my mind?“ und wohin schauen wir? „Fuck“, ist das letzte Wort in einem Film von Stanley Kubrick und er meint es nicht als Fluch, sondern als Bedürfnis. Bei Woody Allen werden 1999 Ratten geschossen in „Sweet&Lowdown“ und im betrachten von Zügen liegt eine Flucht aus dem zweitbesten Leben des zweitbesten Gitarristen der Welt. In „Bleeder“ von Nicolas Winding Refn wird die Filmgeschichte wortwörtlich in Namen durchdekliniert, als wolle man durch das Nennen von Namen einen inneren Rausch befriedigen, der immer nur der absolute Rausch einer Flucht ist, einer Flucht in viele unterschiedliche Dinge, die immer nur wieder zurück auf die Ursprungsfrage gehen: Wie komme ich aus diesem Film raus? Gewissermaßen ist dieser Text eine derartige Szene aus diesem Film. Was diese Filme eint, ist eine kurzzeitige Flucht, ein Schimmer der Hoffnung, sei es durch den Tod, die Liebe oder Gewalt. Wir können einfach aufhören, wenn der Film aufhört. Aber so einfach ist das nicht. Denn gleichzeitig sind sich diese Filme ihres eigenen Gefängnisses bewusst. Wenig Glück hat da die titelgebende „Rosetta“ bei den Dardennes. Ihre Fluchtversuche sind ein stetes Anrennen gegen eine Wand, ein Sprint über einen erdrückenden Acker wie bei Bruno Dumont, die Kamera, die sich auf sich selbst dreht wie in „Clouds of May“ und das Stück, dass sich mit der melodramatischen Realität verzweigt wie in „Todo sobre mi madre“ von Pedro Almodóvar. 1999 ist ein Jahr, in dem sich die Filme selbst umbringen wollen und mit ihm die Figuren.

Clouds of May

Niemand kann je die Tränen von Julianne Morre in „Magnolia“ vergessen, das Geräusch von Gas in „Rosetta“, den Sprung ins Wasser in „Ratcatcher“ von Lynne Ramsay… „The Virgin Suicides“, Slow-Motion Beauty-Deaths in 1999, baby. Die Kameras gehen aus, irgendjemand bringt einen letzten Kasten Drehschlussbier. Alle sitzen schweigend, denn keiner glaubt mehr an das, was er gemacht hat. Ein paar zynische Witze werden gemacht, es gibt keine Dispos für irgendeinen nächsten Tag, nur die Heimreise wird noch organisiert. Aber keiner weiß, wohin zu fahren. Irgendwann ist Winter und die Kamera steht im Eis, die Menschen haben sich vielleicht gerettet. In Abbas Kiarostamis „The Wind Will Carry Us“ ist es ein Warten auf den Tod. Die immer gleichen Wege, das Nachdenken über das Gute und Böse und die Absurdität der kleinen Momente, die einen am Leben oder in Bewegung halten. Bei jedem Anruf muss der Protagonist mit seinem Auto auf einen Hügel fahren, um Empfang zu haben. Einmal dreht er dort eine Schildkröte auf den Rücken als wolle er wenigsten in ihr den Tod finden, den er so sehr in einer anderen Person sucht. Aber als er schon lange gefahren ist, dreht sich die Schildkröte wieder um. Sie bleibt noch etwas im Gefängnis. Dies ist einer der schockierenden Momente des Kinojahres 1999. So viele Selbstmordversuche misslingen. Der Tod wäre eine Befreiung wie dieses Bild von Edward Norton im kollidierenden Flugzeug…der Heroinrausch von Xaver Beauvois in „Le vent de la nuit“ von Philippe Garrel, der auch mit Selbstmord (wie so oft) in Berührung kommen wird. Dabei geht es aber nicht um fatale Romantik oder eine Ausweglosigkeit, sondern um den tatsächlichen Eskapismus aus dem Film, die einzige Chance, der Bewegung zu entgehen. Düstere Wolken voller schöner Farben, die über die Leinwände spritzen wie Funken einer tatsächlich von der Zeit geprägten Kinosprache. Ich werde nicht die Frage stellen, warum man diese Farben heute nicht mehr so sieht wie vor 15 Jahren, weil ich glaube, dass man sie tatsächlich noch immer sieht. Das Spezielle an 1999 ist, dass sich das industrielle Kino und das Kunstkino vereinen, um zu flüchten. In „Pola X“ von Leos Carax führt diese Flucht in die größtmögliche Dunkelheit, die schön und unmöglich bleibt, ein Fluss aus Blut, der magisch und tödlich ist, nicht erlaubte Versuchung, eine neue Wand. In „The Talented Mr Ripley“ führt sie in das Licht Italiens und schließlich auch in die Dunkelheit. Sie erzählen von Menschen, die nicht mehr in ihrer Haut sein wollen, die nicht mehr sie selbst sein können. Selbst Filme wie „Toy Story 2“, „The Cider House Rules“ oder „The Green Mile“ schicken ihre Protagonisten auf Selbstfindungstrips ins Nichts. Vielleicht hat ausgerechnet M. Night Shyamalan mit „The Sixth Sense“ den Nerv dieser Zeit getroffen, weil er klarmachte, dass das Nichts womöglich sogar etwas ist, was wir von uns selbst nicht denken. Unsere Wahrnehmung gerät ins Wanken und wir sehen Gestalten in der Dunkelheit, die scheinbar atmen, scheinbar blicken, scheinbar lieben, aber vielleicht auch nur eine Fortsetzung der schwarzen Umgebung sind oder ein imaginierter Fleck auf einer Leinwand am Ende des Jahrtausends.

eyes wide shut

Diese Dunkelheit findet sich in den schlaflosen Nächten 1999. Als wäre man in der Nacht weiter weg, als könne man nachts wirklich flüchten. Die Nacht erzählt dieselbe Lüge wie das Kino…nur kälter. In „Bringing out the dead“ von Martin Scorsese wird sie zum Rauschzustand, ähnlich in „Eyes Wide Shut“ (eine Verkleidung, Masken, ein Tanz der anonymen Erregung) oder „Fight Club“. Der Wind in der Nacht ist ein Wind des Kinos. Die Tränen bemitleiden sich selbst, wenn sie niemand sehen kann, das Lächeln kann nur noch für eine Sekunde von der Kamera erhascht werden, ein leises Flüstern statt Gesang, ein letzter Blick zurück und dann schließt irgendwer die Augen und tut sich weh. Wenn es Nacht wird, dann kann man nichts mehr sehen außer der Leinwand. Die Bilder lassen die Figuren nicht fliehen, aber retten sie dadurch vor dem Sterben. Denn selbst wenn sie es noch so sehr versuchen, unsere Blicke halten sie und wenn sie merken, dass diese Blicke voller Liebe sind, dann werden sie vom Wind getragen.Irgendwo liegen die Figuren im Dreck. Sie können sich nicht mehr bewegen und verhaaren in ihrer Machtlosigkeit. Ihre Blicke vermögen uns zu fesseln, aber nur weil sie leer sind. Erschöpft fallen sie auf Betten, brechen unter der Hitze ihrer Müdigkeit und Verwirrung zusammen.

Rosetta

American Beauty

Einzig der Traktor von David Lynch fährt durch die Dämmerung. Als wolle Lynch sagen: Ich habe es euch schon immer gesagt. Aber letztendlich ist auch dieser Film eine Flucht vor dem Film und dem Leben. Für den Protagonisten und für den Regisseur ganz sicher auch.

The Strange Beauty of Underwater

Bilder: Ioana Florescu
Text: Patrick Holzapfel


Das Wasser fliegt auf dich zu

Das Wasser fliegt auf dich zu
Es fliegt an dir vorbei
Und dann bist du draußen
Days of Heaven von Terrence Malick
The Night of the Hunter von Charles Laughton
Das Wasser fliegt auf dich zu
Das Wasser fliegt auf dich zu
Es fliegt an dir vorbei
Und dann bist du draußen
Sympathy for Mr Vengeance von Park Chan-wook
Augen blinzeln im sauerstoffarmen Wasser, sie erzeugen kleinen Wellen, die ich nicht sehe. Alles schwebt und schwimmt, der Druck um meine Ohren erzeugt eine Leere, die mich füllt. Öffne deine Augen Wasser. Ein Schwall flutet den Projektionsraum.Ich werde in den Kinosaal geschwemmt. Dort klingt alles anders, alles sieht anders aus. Dennoch kann ich es erkennen.
Beau travail von Claire Denis
Bird of Paradise von King Vidor
In the Tropical Seas von Carl Louis Gregory
Der Schall Gottes wird verschluckt. Die Zeit scheint langsamer zu laufen, halluzinierende Schwerkraft, eine zähe Masse, sie hat keine Farben, nur Druck.
Was ist mit meinem Blick? Ist er verstört? Geschwind muss ich die Augen schließen. Es gibt keinen Ausweg aus dieser Dunkelheit. Wie lebendig gewordene Statuen bewegen sich die mystischen Objekte unter Wasser, sie sind vergessen, verloren und doch leben sie in der Zeit. Das Wasser verändert sie, es verändert meinen Blick auf sie.   
Crocodile von Kim Ki-duk
Trainspotting von Danny Boyle
Also muss man schwimmen.
Swimmer von Lynne Ramsay
Swimmer von Lynne Ramsay
 
Undine schläft mit mir.
Wie kann es sein (mit mir),
dass alles sich auflöst
und nichts zu berühren ist,
wenn Undine mit mir schläft
in einer unscharfen Seele
unter Wasser
ist nichts, außer dem Blut
von Undine und mir
es brennt (im Kino an der Straßenecke)
Patrick von Richard Franklin
Ich baue ein Kino unter Wasser. Man ertrinkt während man die Bilder sieht. Alle schreien, aber nichts ist zu hören. Die Leinwand verschwimmt. Die Farben darauf sind Wasserfarben. Und dann habe ich mein Kino unter Wasser gebaut. Die Sessel fliegen durch den Raum, die Menschen auch. Der Projektor ist an einen Stein gebunden. Der Lichtstrahl des Kinos ist wie ein Stern für alle die ertrinken und in meinem Kino landen.
Le scaphandre et le papillon von Julian Schnabel
Mélodie en sous-sol von Herni Verneuil

L’Atalante von Jean Vigo

Hören wir ihren Gesang über dem Wasser? Die Sirenen des Kinos? Ein Gesang, der über das Kino hinausgeht, den wir nach Hause nehmen, den wir im Wasser selbst empfinden. Wenn das Kino wie Wassertropfen an uns trocknet, wenn wir es verlassen haben. Wenn wir uns nass fühlen, obwohl wir im Trockenen sind. Wann können wir wieder ins Wasser springen ohne Angst zu haben? Wann können wir ins Kino tauchen?

 
The Graduate von Miche Nichols
Sunset Boulevard von Billy Wilder
Under the Skin von Jonathan Glazer
Eine vertrocknete Nymphe hechelt am Strand. Jemand träumt als er stirbt. Man träumt, wenn man im Wasser stirbt. Vielleicht muss man im Kino sterben. In der ersten Reihe nah an den Bildern. Man sollte im Kino sterben.
The Piano von Jane Campion
The Piano von Jane Campion
Und plötzlich ist alles wieder echt. Wenn man akzeptiert nie wieder aufzutauchen, wenn sie eine Realität unter Wasser findet, die alles verschluckt. Das Kino dringt dann durch Ohren, Mund und Nase in unsere Lungen, wir platzen mit dem Kino. Am Grund des Meeres gibt es noch etwas zu entdecken. Wer will dort suchen? Wer will noch suchen? Wer sucht in der Dunkelheit, um Licht zu finden?
 
The Thin Red Line von Terrence Malick
Lung Bunmi raluek chat von Apichatpong Weerasethakul