Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Alles nur Geschwätz: I Basilischi von Lina Wertmüller

Schleichend bewegen sich die Bilder in Lina Wertmüllers Erstlingswerk I Basilischi. Immer und immer wieder verfolgt die Kamera den trägen Gang der drei männlichen Protagonisten Antonio (Antonio Petruzzi), Francesco (Stefano Satta Flores) und Sergio (Sergio Ferranino) durch die engen, labyrinthartigen Gassen des Dorfes, in dem diese aufgewachsen sind. An jeder Ecke lungern Männer, die es ihnen gleichtun. Weder haben sie Arbeit noch Aussicht auf eine. So vergehen die Tage, die sich offenbar durch nichts unterscheiden. Sie fließen ineinander über. Was in einem Moment noch hoffnungsvoll erscheint, entschwindet sogleich. Nichts lässt sich festhalten, alles zieht vorbei. Als stünden sie am Ufer eines Flusses, in dem eine Flaschenpost treibt, sehen die Menschen in diesem Film der Welt, von der sie abgeschieden leben, hinterher. Nur eine einzige Straße schlängelt sich ihren Weg auf den Berg, wo die verschlafene Ortschaft liegt. Sie führt direkt ins Zentrum, vor eine Bar. Einen Platz, wie es ihn wohl überall gibt, an dem sich die Unsäglichkeit des alltäglichen Trotts für kurze Zeit zerstreut. Vor allem dort ist das Unausgesprochene zu hören, wofür der Film am Ende trotzdem Worte findet: Alles sei nur Geschwätz.

Nicht gerade zufällig taucht an diesem Platz in der Mitte des Films auf einmal eine Kamera in den Händen einer fremden Frau – Luciana (Flora Carabella) – auf. In Begleitung von Antonios Tante aus Rom gelangt sie an diesen Ort. Sie spricht von der vergangenen Geschichte eines Aufstandes revolutionärer Arbeiter in diesem Dorf, von denen sie in einem Buch las. Mit ihrer Kamera hält sie Eindrücke fest, aber wenige Augenblicke später ist sie wieder verschwunden. Können ihre Bilder vom Geschwätz dieses Ortes viel erzählen? Vor ihrem Objektiv spielt sich auf dem Platz und in den Gassen eine Versammlung ab: Die Kommunistische Partei versucht eine Genossenschaft zu gründen, mit dem Ziel, durch vergesellschaftetes Land Arbeitsplätze in der Landwirtschaft zu schaffen. Während sich einige Männer am Rand der Demonstration stattdessen die starke Hand des faschistischen Staates zurückwünschen, weichen andere den Fragen hinsichtlich der Probleme aus, obwohl sie direkt von jenen betroffen sind. Über Politik soll nicht gesprochen werden. Für die ahnungslose Verstocktheit der Menschen hat Luciana nur ein müdes, verächtliches Lächeln übrig. Antonio wird seiner Tante und der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Rom folgen, um dann doch zurückzukehren.

Auch wenn dieses merkwürdige Zwischenspiel nur von kurzer Dauer in diesem Film ist, stellt es doch vieles infrage. Was innerhalb des Dorfes so lang als real erschien, wird durch den Blick von Lucianas Kamera auf eine seltsame lakonische Weise fiktional. Man denkt, es könnte ebenso der Blick von Lina Wertmüller selbst sein. Als bloßes Bild zwischen den alten Mauern mag das Geschwätz seine anschauliche Selbstverständlichkeit behalten. Aber hört man einen Moment länger zu oder lässt eine Einstellung länger stehen, tritt das große Vielleicht hinter den Worten hervor: Vielleicht könnte auch alles anders sein. Der Film unterscheidet sich dabei manchmal kaum von dem, was tagtäglich um uns herum gesprochen wird. Hinter der Belanglosigkeit der gesprochenen Wörter wird begreifbar, warum diese Leute reden, was sie reden.

Zurzeit stelle ich mir immer wieder die Frage, was es bedeutet über seine gesehenen Filme pedantisch und öffentlich Buch zu führen, wie etwa auf Letterboxd. Einerseits dient es der eigenen Erinnerung, andererseits bietet es auch einen Anlass für Diskussionen mit anderen. Oft scheint hinter der Selbstverständlichkeit dieses Umgangs ebenso ein großes Vielleicht zu liegen, das von einem instrumentellen Verhältnis überschattet wird. Vielleicht sind die Filme doch nicht so unmittelbar Teil des eigenen Lebens, wie man es sich gern wünscht. Und vielleicht bleibt deshalb auch die Suche nach dem Außergewöhnlichen in ihnen, das man wahrscheinlich nur selbst erkennen kann, viel zu oft unerreicht. In Diskussionen fehlen mir meist die Worte und höre lieber zu. Dabei fällt mir auf, dass dieses Gerede über den Film gewissermaßen zu dessen zweiter Haut wird. Jeder Satz ist zwar von sich aus verschieden, aber zusammen ergeben sie trotzdem ein gemeinsames Bild. Es gehört einfach dazu über Filme zu sprechen, aber mehr auch nicht?

Als Antonio sein Dorf verließ, sehnte er sich nicht nur nach einer sicheren Anstellung, sondern ebenso nach einem aufregenderem Leben. Allerdings suchte er nach etwas, das ihn nicht zufriedenstellen konnte. Stattdessen zog es ihn wieder zurück an den Ort, von dem er floh. Einen Grund dafür kann er nicht liefern, weil er ihn vielleicht auch selbst nicht kennt. Er kann nur Geschichten von einem Leben erzählen, das er sich erträumt zu leben. Obwohl die Bewohner des Dorfes reden, als würden sie ihren eigenen Worten keinen Glauben schenken, verstehen sie dennoch sehr gut, was die Menschen um sie herum meinen. Denn schließlich reden alle vom selben, nur in unterschiedlichen Sprachen, Antonio in der des Träumens. So klar die Bildsprache des Films scheint, rationalisiert sie nie ihre Sicht auf die Probleme der Menschen. Es gelingt dem Film, sich nicht von der allgemeinen Resignation vereinnahmen zu lassen, er sucht immer wieder nach Auswegen.