Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Beim Vermessen muss es auch Verluste geben

Das Film­ma­te­ri­al ver­glüht hier und dort, schwar­ze Lauf­schram­men durch­zie­hen die Land­schaft und eben­so die Lein­wand. Furcht und Hass, die gibt es doch vor jeder Revo­lu­ti­on. Wer hat die­se Kame­ra getra­gen? Und wen hat die­se Kame­ra getra­gen? Der Alko­hol. Die Kame­ra. Die Musik ist nach einer Stun­de auch nicht fern, wäh­rend die Kell­ne­rin einen miss­traui­schen Blick an den Bild­rand wirft. «I sim­ply want you to for­gi­ve me.» Um Lie­be ist es hier aber immer noch nicht gegan­gen. Dann wer­den die Gitar­ren auch schon unge­dul­dig bei­sei­te gelegt.

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Das Faden­kreuz schließt uner­bitt­lich aus. Die Möwe klingt fehl am Platz wäh­rend der Land­ver­mes­ser bei der Arbeit ist. Und die Schüs­se peit­schen das Gras. Dann end­lich ein vol­les Bild, ein Fla­ckern und Son­nen­durch­flu­ten. Der Rei­ter ist hin­ter ihnen her. Das Kla­vier tönt ble­chern, wäh­rend die ande­ren sich noch abspre­chen und Staub auf­wir­beln in und mit ihrem Ver­schwin­den. «Whe­re to go, Major?» Beim Ver­mes­sen von Allem muss es auch Ver­lus­te geben. «I think they will hang some­bo­dy.» But you are not a good busi­ness man if you are was­ting so much rope for a han­ging, are you?

Ame­ri­kai anzix /​Ame­ri­can Tor­so von Gábor Bódy zeigt uns das Schick­sal einer Grup­pe von im Exil leben­den unga­ri­schen Revo­lu­tio­nä­ren im Jahr 1848 und folgt ihnen in den ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg. Haupt­fi­gur ist ein Land­ver­mes­ser, ein Frei­heits­kämp­fer, ein wah­rer Kriegs­tech­ni­ker. Die Beob­ach­tung der Land­schaft ver­bin­det sich hier mit der Beob­ach­tung sei­tens der Film­ka­me­ra. Der Film sieht und regis­triert also den ablau­fen­den Krieg vom Stand­punkt des Land­ver­mes­sers. Wird der Stand­punkt der Kame­ra zu dem des Publi­kums? Denn ein Publi­kum wird es auch in mehr­fa­cher Aus­ga­be geben. Jenes im Hier und jetzt vor der Lein­wand sit­zend, und jenes wäh­rend der Film­auf­nah­men. Bei­de sind eine Ansicht des Tech­ni­kers, metho­disch und aus gerin­gem Abstand auf­ge­nom­men. Das Mate­ri­al im Hier und Jetzt ist schon etwas lädiert, die ein­zel­nen Frames gefrie­ren, zar­te Ris­se bil­den ein­ge­drück­te Rah­men, gestri­chelt und ner­vös. So mutiert die noch feh­len­de Kar­te des Land­ver­mes­sers zur zukünf­ti­gen Lein­wand. Ein Kame­raflu­sen hier oder ein ein­zel­nes Haar dort wird sich da nicht ver­mei­den las­sen. Und in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den bekom­men wir also Über­be­lich­tun­gen und wil­des Fla­ckern vor­ge­stellt; ova­le Mas­ken mit wei­chen Kan­ten waren recht popu­lär im 19. Jahr­hun­dert und wur­den eben­so begeis­tert in der Foto­gra­fie ver­wen­det. Ist dies nun ein His­to­ri­en­film? Zu sehen gibt es hier nicht viel, denn wir sind ein­ge­sperrt und auch gefan­gen im Blick des Ver­mes­sers: Ein Blick auf das Schlacht­feld wan­delt sich zu einer gedul­di­gen Kame­ra­fahrt über ein Laza­rett. Und zu der gro­ßen Fra­ge der Zeit, der Freund­schaft und des Krieges.

«Wenn die­se Ver­mit­te­lung, die man wohl kaum im Ernst unter­nom­men hat, fehl­schlägt, dann wer­den die Schlach­ten zwi­schen napo­leo­ni­scher Tyran­nei und Habs­bur­ger Des­po­tis­mus am Min­cio, aber die Schlach­ten der Frei­heit an der Oder und Weich­sel geschla­gen wer­den. Schon sind unge­heu­re Trup­pen­mas­sen in Kalisch, zwei Mei­len von der preu­ßi­schen Gren­ze, kon­zen­triert. Ein preu­ßi­sches Armee­korps ist für den Durch­marsch zum Rhein in Han­no­ver ange­kün­digt, ein ande­res bewegt sich nach Süden, und die Kom­man­deurs der ver­schie­de­nen Bun­des­korps sind zu einer Mili­tär­kon­fe­renz nach Ber­lin beschie­den wor­den. Alle die­se Maß­re­geln bezie­hen sich nur auf die Mobi­li­sie­rung der Avant­gar­de. Die Armee, wel­che den Kampf gegen Frank­reich und Russ­land aus­fech­ten muß, exis­tiert noch nicht und kann nur aus dem Vol­ke rekru­tiert wer­den, nicht aus dem Vol­ke, das die teut­schen Gedich­te des teut­schen Lud­wig dekla­miert, son­dern aus dem Vol­ke, das sich mit der gan­zen, ver­nich­ten­den Ener­gie revo­lu­tio­nä­rer Begeis­te­rung erhebt. Gelingt es nicht, die­se Begeis­te­rung zu wecken, dann beru­hen die hohen­zol­lern­sche Mobi­li­sie­rung, bewaff­ne­te Ver­mit­te­lung, Kriegs­er­klä­rung, Kriegs­füh­rung usw. auf der kind­li­chen Berech­nung des Negers der Gold­küs­te, der sei­nem Geg­ner einen töd­li­chen Schlag zu ver­set­zen glaubt, wenn er dahin gelangt, sich selbst an den Tor­pfos­ten sei­nes Fein­des auf­zu­hän­gen.» Karl Marx in «Das Volk» Nr. 8 vom 25. Juni 1859 /​Spree und Mincio

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Bis wann tra­ge ich Schmerz in mei­ner See­le, Kum­mer in mei­nem Her­zen Tag um Tag? Bis wann erhebt sich mein Feind über mich? David­psal­me, Psalm 13, «Kla­ge­lie­der eines Einzelnen»

Des nachts qua­ken ein paar Frö­sche und die Gril­len schei­nen für die­se Land­schaft zu laut. Und der Ver­wun­de­te schaut in den Nacht­him­mel wäh­rend er den Mond betrach­tet und die Ver­letz­lich­keit ande­rer Men­schen beschreibt. Auf den Mond zu deu­ten, nein, das wagt er hier nicht. Die Ver­ge­wal­ti­gung der Frau kurz davor erscheint beiläufig,doch der Mond ist dann immer noch da. Und der Spa­zier­gang durch den Wald wird nichts erläu­tern oder auch nur ansatz­wei­se erklä­ren. So ist das nun mal, im Krieg und wäh­rend des Ver­mes­sens. Wir machen uns auf den Weg in neu­es Land. Gut, dass jemand die Kame­ra dabei hat­te. Eine über­di­men­sio­nier­te Schau­kel, mon­tiert im Wald. Har­per und Kowal­ski haben sie dort mon­tiert, das Publi­kum ist erfreut am Hin und Her. Der Him­mel schwankt, und die Erde schrammt an ihm vor­bei, an sei­nen Stie­feln. Das Gebrüll der Pfer­de durch­dringt sei­ne Ohren. Ein Auf und Ab. Das schwe­re Holz unter sei­nen Füs­sen, übel kann einem da wer­den. Die berü­cken­de Geschwin­dig­keit kann einen auch umbrin­gen. Ver­rät denn die­se Schau­kel, wer du bist? Im Krieg? Das Film­ma­te­ri­al ist hier für kur­ze Zeit zer­fres­sen. Doch der Weg wur­de noch nicht beendet.