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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Visages Villages von Agnès Varda und JR

Das Leben, so schön: Visages Villages von Agnès Varda und JR

Am Anfang die­ses Bei­trags steht das Gefühl eines inne­ren Zwie­spalts. Schon wäh­rend der Vor­füh­rung von Visa­ges Vil­la­ges hat sich in mei­nem Kopf ein Text struk­tu­riert. Es gibt da ein paar Beob­ach­tun­gen, die mir in den Fin­gern bren­nen. Ande­rer­seits stellt sich schon auch die Fra­ge, war­um man über die­sen Film schrei­ben will. Oder war­um man über ihn schrei­ben soll­te. (Patrick hat zuletzt dar­über geschrie­ben, wel­che Arten von Ein­drü­cke Fil­me oder auch Bücher hin­ter­las­sen kön­nen). Es gibt Fil­me, die sind wie ein rei­ßen­der Fluss. Man springt in ihn hin­ein, lie­fert sich ihm aus und kommt am Ende abge­kämpft, am Fuße eines Was­ser­falls, nach Luft jap­send, gera­de noch so mit dem Leben davon. Es gibt auch Fil­me, die einen in Sta­sis ver­set­zen, in einen Schwe­be­zu­stand, der auf ande­re Wei­se fes­selnd wirkt. Es gibt Fil­me, die hasst man. Es gibt Fil­me, da zuckt man mit den Schul­tern und ver­gisst sie gleich wie­der. Und es gibt Fil­me wie Visa­ges Vil­la­ges. Sie berüh­ren, amü­sie­ren, aber sie hin­ter­las­sen kei­ne tie­fe­re Emp­fin­dung. Den­noch nimmt man lie­ber den län­ge­ren Weg nach Hau­se, geht eine Stra­ßen­bahn­sta­ti­on zu Fuß. Dann ist man daheim, beginnt zu tip­pen, um nach kur­zer Zeit fest­zu­stel­len, dass das Gan­ze doch nicht so berau­schend war, wie es sich im ers­ten Moment ange­fühlt hat.

Visages Villages von Agnès Varda und JR

Ich habe mir einen Hau­fen Fra­gen notiert. Und lose Zusam­men­hän­ge. Bana­le Beob­ach­tun­gen. Im Kino fand ich sie span­nen­der, als jetzt, ein paar Tage spä­ter. Die Fra­gen schei­nen mir kaum die Mühe einer län­ge­ren Beant­wor­tung wür­dig. Ich habe mir eine Struk­tur für mei­nen Text aus­ge­dacht – noch wäh­rend des Abspanns –, aber ich wer­fe sie über Bord. Wenn ich die­sen Text je fer­tig­be­kom­men will, muss ich mich trei­ben las­sen. Haben sich Agnès Var­da und JR das auch gedacht, als sie ihren Film gemacht haben?

Klar, Visa­ges Vil­la­ges liegt eine kla­re Idee zugrun­de. Das unglei­che Paar bereist Frank­reich, trifft und filmt Men­schen und setzt aus die­sen Minia­tu­ren einen Lang­film zusam­men. Var­da hat Erfah­rung mit die­ser Form. Sie hat die längs­te Zeit die­ses Mil­le­ni­ums damit ver­bracht, so zu arbei­ten: Les gla­neurs et la gla­neu­se (und das Fol­low-up Les gla­neurs et la glaneuse…deux ans après), Les pla­ges d’Agnès und die Arte-Serie Agnès de ci de là Var­da. Nichts­des­to­trotz wirkt Visa­ges Vil­la­ges weni­ger ziel­ge­rich­tet als die­se Arbei­ten. Es lie­ße sich dar­über spe­ku­lie­ren, ob das an JRs Ein­fluss liegt.

Auf jeden Fall wirkt Visa­ges Vil­la­ges schon allein des­halb weni­ger ziel­stre­big, weil nicht Var­das sanf­te Stim­me als eine Art Tour-Gui­de durch den Film führt (am extrems­ten hat sie die­se Rol­le in Agnès de ci de là Var­da prak­ti­ziert), son­dern die Fil­me­ma­che­rin im Voice-over eine Art Dop­pel­con­fé­rence mit JR hält. Ein Off-Kom­men­tar in Dia­log­form. Die Bei­den spre­chen also fort­wäh­rend über den Fort­schritt ihres Pro­jekts. Sie kom­men­tie­ren aber nicht durch­gän­gig in Retro­spek­ti­ve, was sie erlebt haben, son­dern schei­nen zum Teil in der Gegen­wart des Films die nächs­ten Schrit­te aus­zu­han­deln. Manch­mal rut­schen die­se Gesprä­che auch in die Bild­ebe­ne. Dann trifft JR Var­da zum Tee, um Plä­ne zu schmie­den. Das ist pure Insze­nie­rung. Und sie ist nicht gut ver­steckt. Dar­aus ent­wi­ckelt sich ein inter­es­san­tes Katz-und-Maus-Spiel zwi­schen Doku­ment und Fiktion.

Visages Villages von Agnès Varda und JR

Wie­der kurz zurück auf die Meta-Ebe­ne. In mei­nem Kopf hat­te ich mir schon wun­der­bar zurecht­ge­legt, wie man den Film fein säu­ber­lich in Moti­ve auf­tei­len könn­te. Die ver­schie­de­nen Begeg­nun­gen könn­te man etwa in die Kate­go­rien Men­schen, Land­schaft und Kunst ein­tei­len und dann eine taxo­no­mi­sche Ord­nung der ein­zel­nen Minia­tu­ren vor­neh­men. Das wür­de auch gut zu Var­das Lei­den­schaft des Sam­melns pas­sen. Immer­hin hat sie selbst zwei Fil­me nur zu die­sem The­ma gemacht. Und ver­sucht eine audio­vi­su­el­le Taxo­no­mie Frank­reichs anzu­le­gen. Ein Samm­ler nimmt in der Regel etwas mit. Ein Souvenir.

Nun muss­te ich nach etwas Nach­den­ken fest­stel­len, dass es sich mit Visa­ges Vil­la­ges etwas anders ver­hält. Das Sam­meln von Bil­dern ist dem Film frei­lich auch inhä­rent, aber JR fügt dem Film eine wei­te­re Note hin­zu. Er lässt etwas zurück. Die absurd hohe Men­ge an groß­for­ma­ti­gen Foto­mo­ti­ven, die er auf Fas­sa­den, Schiffs­con­tai­nern oder Rui­nen hin­ter­lässt, gibt zwar Anlass zum Schmun­zeln („JR put­ting things on walls“ hat Hash­tag-Qua­li­tä­ten), nichts­des­to­min­der unter­schei­det sich Schaf­fens­mo­dus des Zurück­las­sens dras­tisch von Var­das lie­be­vol­ler Ent­nah­me. Bra­chia­les Geben stößt auf zar­tes Neh­men. Das ist schon interessant.

Nun gut, es ist ver­mut­lich nicht die bril­lan­tes­te Beob­ach­tung, dass Visa­ges Vil­la­ges sei­ne Ener­gie zu guten Tei­len aus den Wider­sät­zen sei­nes Prot­ago­nis­ten­paars bezieht, in der Rezep­ti­on des Films über­wie­gen aber die Gegen­über­stel­lung der alten Frau und des jun­gen Man­nes oder jene des hip­pen Insta­gram-erprob­ten Stars und der Fil­me­ma­che­rin, deren Hoch­zeit, wie die ihres Medi­ums, eini­ge Jahr­zehn­te zurück­liegt. Was einen Film wie Agnès Var­das Mur murs, eine Stu­die über Street Art in Los Ange­les, aber von Visa­ges Vil­la­ges unter­schei­det, ist, dass Var­da in ers­te­rem die Bil­der sam­melt, die schon da waren, wäh­rend sie in letz­te­rem extra für den Film ange­fer­tigt wer­den. Womög­lich liegt die Dyna­mik also weni­ger in der Per­sön­lich­keit der Prot­ago­nis­ten, als in ihren Arbeits­wei­sen. Viel­leicht ist auch die­ser Schluss banal. Aber es hat mehr als einen kur­zen Spa­zier­gang gedau­ert, bis ich in mei­nem Den­ken über den Film dar­auf gekom­men bin. Das ist in der Regel ein gutes Zeichen.