Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Der böse Wille zur Kunst

Immer wieder höre ich in Gesprächen über Film (oder auch andere Kunst), dass es besonders hervorgehoben wird, wenn sich ein Künstler selbst nicht zu ernst nimmt. Selbstironie, ein Augenzwinkern oder auch einfach nur eine reflexive Selbstrechtfertigung stehen hoch im Kurs. Dagegen wird anderen Filmemachern gerne vorgeworfen, dass sie sich und ihre Arbeit zu ernst nehmen. Dies reicht von Mainstreamregisseuren wie Christopher Nolan oder David Fincher, über vergangene Meister wie Ingmar Bergman, Stanley Kubrick oder Andrei Tarkovsky bis in die Gegenwart mit Filmemachern wie Nuri Bilge Ceylan, Andrey Zvyagintsev, Terrence Malick oder Abdellatif Kechiche. Man wirft diesen Regisseuren dann oft einen Kunstwillen vor. Sie würden mit einem Gestus Filme machen, der von sich aus beansprucht Kunst zu sein und dies wäre nicht gut. Ihnen wird fehlende Ironie (dazu bemerkte Bruno Dumont: „Irony is my optimism“) und eine artifizielle Schwere untersagt. Es scheint in manchen unterhaltungssüchtigen Kopf nicht zu gehen, dass es Menschen gibt, die die Welt anders wahrnehmen, die nicht darauf aus sind ihre Stoffe durch Ironie zu beherrschen. Es irritiert mich, dass Ironie und Humor ein Gütesiegel sind. Ja, es gibt Kunstschaffende, die sich selbst und das Leben allgemein ernst nehmen und das ist sehr gut so. Sie erzählen von einer unangenehmen Schwere, die vielleicht nicht jeder Mensch so wahrnimmt, die es aber gibt und daher auch im Kino geben muss. Ich finde, dass es sie sogar vorzugsweise im Kino geben muss, weil ein Gewicht im Film unseren Blick schärft während ihn Unterhaltung und Leichtigkeit verkommen lassen zwischen all der anderen visuellen Unterhaltung des Alltags (kann man so verallgemeinernd nicht sagen, ist ein Geschmacksurteil). Niemand würde einen Versicherungsangestellten hinterfragen, wenn er seinen Beruf ernst nimmt. Nun mag man einwenden, dass die Ernsthaftigkeit eines Versicherungsangestellten mit Sicherheit bodenständiger ist, während der kunstvolle Filmemacher oft einen abgehobenen Gestus hat. Das stimmt aber schlicht nicht. Keiner der oben genannten Filmemacher entzieht sich der Sachlichkeit und Nüchternheit seines Unterfangens, ganz im Gegenteil sind es Regisseure, die der Ironie, der Provokation oder der surrealistisch beeinflussten Verunsicherung gegenüber der Person des Autors nahestehen, die manchmal drohen ihre Bodenhaftigkeit zu verlieren. Und finden sich nicht gerade in ihrer Radikalität, in ihrer Künstlichkeit Aspekte, die uns aufrütteln, sei es durch Verstörung oder Wahrheit?

Tarkovsky
A.Tarkovsky

Aber was tatsächlich zählt ist doch das Werk. Inzwischen ist es einfach so, dass viele Leute den Glauben (und ich meine das im religiösen Sinne) an den Künstler/Filmemacher verloren haben, weil schlicht jeder glaubt, dass er es selbst kann/könnte. Die Verfügbarkeit sämtlicher Lebensläufe und Arbeitsweisen mit wenigen Knopfdrücken hat dazu ihr Übriges getan. Der Regisseur ist tot. Aber das stimmt ja nicht, denn Begriffe wie „Genie“ sind noch immer en vogue. Ähnlich oft wird von großen Meistern und Werken geschwärmt. Nur ein Regisseur, der in seinem Selbstverständnis ein solcher Meister zu sein scheint, dem schreibt man diese Bezeichnungen besonders gerne ab. Leider geschieht dies häufig sehr voreilig. Denn zum einen gibt es oft Gründe für bedeutungsschwangere Filme, die nicht alleine oder hauptsächlich mit einem Begehren Kunst zu machen zusammenhängen und zum anderen zeigt doch gerade der Umgang mit solchen Filmen, dass man sie am Besten nicht zu früh in irgendwelche Schubladen schiebt. Aber der Schleier der Unzufriedenheit, ob fehlender Verständlichkeit, Hilflosigkeit und Antwortlosigkeit, der fehlende Wille sich als Zuseher an einem Film aufzuarbeiten und die Zeitvernichtungsmaschine des leichteren Kinos bewirken einen imaginierten Willen zur Kunst. Damit meine ich, dass diese fast abwertend als Kunstfilme bezeichneten Arbeiten genauso aufrichtig gemeint sein können, es zumeist auch sind, aber man verzeiht ihnen nicht, weil sie ja aus Prinzip gegen die Zugänglichkeit arbeiteten und aus Prinzip Informationen verweigern würden etc. Dagegen ist es weniger schlimm, wenn ein Film aus Prinzip alle Fragen beantwortet (das ist halt Unterhaltung, so wird das halt gemacht…) und aus Prinzip nicht anstrengt. Diese Ansichten sind mir ein großes Rätsel, sie sind Schwachsinn.

Nun stört es Zuschauer, wenn das Werk selbst eben einen solchen Kunstwillen ausrückt. Ich frage mich warum. Warum wird oft Filmen, die keine Kunst sein wollen, leichter verziehen, als solchen, die es versuchen? Und warum wissen so viele Leute, wann etwas gescheitert ist? Mein Verdacht ist, dass diese Kritiker, Filmfreunde und andersgearteten Zuseher sich hier ihrer eigenen Bequemlichkeit hingeben. Es ist sicherlich so, dass ein mittelmäßiger Film, der sich von Anfang an als solcher zu erkennen gibt, leichter genossen werden kann, aber es ist sicher auch so, dass man Filme nicht ansehen muss, um sich selbst (das passiert bei den meisten dieser Zuschauer) bzw. den Film zu genießen. Aber das ist nun mal die Erwartungshaltung. Langweilen sich Zuschauer im Kino, dann behaupten sie, dass der Film schlecht sei, bauen Zuschauer keine emotionale Bindung zum Geschehen auf, dann behaupten sie, dass der Film schlecht sei. Gerade bewusst künstlerische Filme machen es den Zuschauern nicht leicht, deshalb scheinen gerade sie anfällig für solche Urteile.Man verzeiht Filmen übrigens weitaus leichter, wenn sie eine große Ernsthaftigkeit gegenüber ihren Themen haben, nicht aber gegenüber der Tatsache, dass sie ein Film sind. Warum? Wenn in Deutschland ein Schrei nach Genre laut wird und das Kunstkino der Berliner Schule zur Debatte steht, dann ist das nichts anderes als ein lauter Schrei einer subjektiven Konsumgesellschaft, die weniger über Film nachdenkt als über sich selbst. Ein Bekannter hat mir mal gesagt, dass er als er jünger war auch „das ganze schwere Zeugs“ angeschaut hat, aber irgendwann hat es ihm damit gereicht und er schaut jetzt lieber Unterhaltungskino. Aus seiner subjektiven Sicht mag das mit Sicherheit begründet sein, aber offizielle Statements und Äußerungen von Kritikern und Filmschaffenden in diese Richtung sind bedenklich, denn schließlich ist es das sogenannte Kunstkino das marginalisiert vor sich hin vegetiert, während Unterhaltungskino Menschen ernährt. Ich bin mir bewusst, dass es in der Debatte gerade um Filme ging, die zwischen Festivals und Massenwirksamkeit stehen. Das ist sicherlich ein berechtigter und diskussionswürdiger Punkt, auf den ich in diesem Rahmen nicht näher eingehen will.

Nuri Bilge Ceylan
N.B. Ceylan

Oft verstehen sich Kritiker, die beispielsweise sagen, dass sie sich bei Ingmar Bergman langweilen auch als Revolutionäre. Sie agieren gegen das Kunstkino der großen Festivals, gegen die Ansicht, dass man Kunst und Unterhaltung überhaupt trennen muss (dies tun sie mit Recht, aber aus der falschen Richtung: Warum nicht berechtigterweise argumentieren wie unterhaltsam zum Beispiel Filme von Tarkovsky sind?) und dass sich großes Kino nicht über seinen Anspruch definiert. Nein, Kino ist keine elitäre Kunst, Kino war schon immer auch eine industrielle Kunst, Kino darf laut sein, trashig, plump, einfach und unreflektiert sein. Kino kann aus der Hüfte geschossen werden. Film kann aber genauso gut Ausdruck philosophischer Ideen sein, er kann ein Spiegel sein, eine Lust, Äußerung einer Wut oder Gleichgültigkeit. Er kann eine ästhetisierte Weltsicht verkörpern, er kann über Film sprechen, er kann ein Experiment sein. Film ist alles. Aber zu oft ist diese Haltung ein populistischer Deckmantel. Denn ein an sich nobler Verweis darauf, dass alles möglich ist, darf strenggenommen keine Form von Urteil beinhalten. Wenn Kino alles ist, dann scheint es mir überflüssig positive oder negative Urteile zu fällen. Nach welchen Kriterien geschieht dies? Die Antwort ist wohl so etwas wie Anspruch und Wirklichkeit des Filmemachers, also eine reine Spekulation. Denn wenn man behauptet, dass der Film dieses oder jenes versucht hat, aber es nicht erreicht hat, dann weiß man weder, ob der Film es wirklich versucht hat (selbst wenn man Aussagen der Filmemacher zu Rate zieht), noch kann man bei einem Film jemals von einem Ziel sprechen (es sei denn man spricht über Einspielergebnisse etc). Eine Sackgasse?

Da ist eine Wut in mir, die schwer in klare Worte zu fassen ist. Das Kino blüht noch einigermaßen in einer Zeit des tausend Festivals, der vielen Kinostarts, der unglaublichen künstlerischen Breite und eigentlich gibt es nichts über das man sich beschweren muss. Es ist nur, dass dadurch die allgemeinen Ansichten zum Kino allesamt relativiert werden. Das Kino als Wahrheit ist gestorben, weil es immer eine Gegenwahrheit gibt, ein Fragezeichen, eine Unsicherheit. Und wenn sich dann ein Künstler entblößt und seine Wahrheit darlegt, mit all ihren Schwächen, dann wird diese-insofern sie nicht hier und da selbstironisch gebrochen wird-von anderen Wahrheiten gebrochen und damit wird dem Kino meiner Meinung nach viel von seiner Kraft genommen, die sich eben nicht nur mit Figuren sondern auch den Filmemachern identifizieren kann. Aber in diesen Zeiten glaubt man bereitwilliger einem schönen Tor im Fußball als zwei Stunden oder gar fünf Stunden Kino. Was einem dadurch genommen wird, ist der Rausch einer Weltsicht, die Faszination an Schönheit, die Geduld der Zeit selbst.Vielleicht ist aber nur eine Unschuld in mir gestorben. Ein Anspruch an das Kino, den zu wenige Freunde, Bekannte und Filmmenschen teilen. Ich frage mich, was man ernst meinen sollte, wenn nicht das Kino? Ich frage mich, mit was man versuchen sollte Kunst zu machen, wenn nicht mit dem Kino? Insofern führt diese Sackgasse nur wieder zurück ins Kino.

I.Bergman
I.Bergman