Es gibt Filme, die sieht man und weiß nicht weshalb. Man trifft keine Entscheidung für diese Filme, folgt eher einer flüchtigen Laune oder einer zermürbenden Schlaflosigkeit, die einen jenseits der Bewusstseinsschwelle vors angenehme Flimmern der Bildschirme setzt.
(So müssen die Drifter früher ins Kino getorkelt sein zu später Stunde)
Oft enthalten gerade diese Filme Bilder oder Gedanken, die man nie vergisst, sie bleiben einem, als wären sie immer schon da gewesen. Kürzlich erging es mir so mit Experiment in Terror von Blake Edwards, einem in den schwarz-weißen Farben einer endlosen Nacht gefangenen Thriller, eine der wenigen sehenswerten Arbeiten im Oeuvre dieses Regisseurs. Es ist einer jener Filme, deren eigentlich abstruse Handlung von einem Ton geerdet wird, der jede Szene aus den langweiligen Fragen der Logik und des Realismus in eine abstrakte Poetik erhöht. Man kann das durchaus mit der Popmusik vergleichen, in der Melodien und Arrangements dafür sorgen, dass zuweilen die blödesten Texte die tiefsten Gefühle hervorrufen.
Jedenfalls geht ein asthmatischer Mörder um in San Francisco. Er will eine Frau dazu bringen, die Bank auszurauben, in der sie arbeitet. Glenn Ford ermittelt gelangweilt, ein Glückskeks verrät ihm, dass er sich einen neuen Job suchen sollte. Wie in einem Albtraum versichert er dem Opfer gespielt von Lee Remick wieder und wieder: Ich passe auf Sie auf. Edwards zeigt eine Welt, die bereits ihr eigenes Bild geworden ist, jede Figur bewegt sich im Bewusstsein, in einer Kriminalgeschichte zu leben. Alle sprechen so, wie es von ihnen erwartet wird, auch wenn sie anders fühlen. Die Rollen werden durchgehend gespielt, wer nicht eingeweiht ist und sich echt gibt, wie ein unwissender junger Mann in einer Nachtbar, wird überrumpelt von der Heftigkeit und Lächerlichkeit des filmischen Daseins.
Was mir aber darüber hinaus bleibt von diesem Film sind merkwürdige Geistererscheinungen, so will ich sie einmal nennen. Ich habe Experiment in Terror kurz nach der Nachricht vom Tod David Lynchs gesehen. Lynch ist ein Filmemacher, der mich länger nicht tangiert hat, auch wenn seine Filme in meiner Jugend einmal sehr wichtig für mich waren. Ich beschäftigte mich nicht sonderlich mit den zahlreichen Nachrufen und anderweitigen Ehrerweisungen, aber als gleich zu Beginn des Films ein Straßenschild den Weg nach Twin Peaks wies, befiel mich ein schwer zu beschreibendes Kribbeln, das all jene kennen dürften, die daran glauben, dass das Kino eigentlich nichts anderes ist als eine Parallelwelt, in der es sich intensiver, wahrer leben lässt.
(Ein naiver Gedanke aus vergessenen Tagen)
Dann war es auch noch so, dass der Bösewicht an einer Stelle sagt: I killed twice before, eine Aussage, die man so auch im Werk Lynchs vernehmen kann. Lynch, ja, so lautet auch der Name jenes psychopathisch erscheinenden Asthmatikers in Experiment in Terror. Damit hatte es sich aber nicht. Die zahlreichen Telefongespräche im Film sind in Nahaufnahmen gefilmt, in denen nur die Lippen und das Kinn der Sprechenden zu erkennen ist, eine Aufnahmegröße, die auch Lynch immer wieder wählte. Ich sah in diesem Film die alten Cabriolets durch Kalifornien fahren, die Sonne blitzte auf den Karosserien wie die Sterne eines Traumes, der zugleich süß und grausam ist, ich kann nicht leugnen, dass ich mich mit einem Mal wie in einem Film von Lynch fühlte. Die etwas unbedarften Ermittler, die beiläufige Obskurität von jeder Geste, die zugleich unheimliche wie komische Absurdität. Der Einfluss von Edwards Ausflug ins Neo-Noir-Fach auf sein Werk ist unverkennbar.
Fast könnte man meinen, Lynch habe viele seiner Filme in der Welt von Experiment in Terror angelegt. Das ist schon seltsam, wie ein solcher Einfluss zu einem Nachhall werden kann, einem Überleben im Anderen. Man könnte es mit den Augen eines früh verstorbenen Menschen vergleichen, Augen, die in der Mutter oder dem Vater des Frühverstorbenen überleben, obwohl diese Augen ja bereits länger da waren. Filmische DNA, sie überträgt sich unabhängig von ihrer Herstellungszeit, ihr Fortbestand ist eine Frage der Restaurierung und jener, die Filme zeigen und sehen.
Zwischen den Filmen besteht eine Beziehung, die keiner Chronologie und beileibe keinem Fortschritt folgt. Viel eher sind es konzentrische Wellen, die sich bald ausbreiten, bald auflösen. Ich habe also ein wenig besser verstanden, wer David Lynch war in einem Film von Blake Edwards. Als der Film endete, blieb diese Verbindung bestehen. Man setzt sich dann schnell vor andere Bildschirme und findet heraus, dass sie auch anderen bereits aufgefallen ist. Man schreibt etwas dazu auf und weiß, dass man damit diesem Gefühl kaum näher kommt, diesem Gefühl, dass die Dinge auseinander hervorgehen, diesem Geschmack einer endlosen Nacht.