Text: Rahel Jung
Ein Gedankenaustausch zu Was hast du gestern geträumt, Parajanov? von Faraz Fesharaki
Kommt, wir gehen los. Auf geht’s. On y va,
sagen wir und machen uns auf den Weg. Spät am Abend in Duisburg, den Kopf voller Bilder und Gedanken, im Versuch uns im Sinne der Peripatetiker Was hast du gestern geträumt, Parajanov? zu erspazieren. Wir sind drei, hier zwei Dus und ein Ich, du Jonathan und du Leonard. Gemeinsam, mal nebeneinander, mal hintereinander gehend, sprechen wir über einen Film, dessen Poetik in verpixelten Webcam-Realitäten des Alltags liegt. Über zehn Jahre hinweg zeichnete der in Berlin lebende iranische Kameramann und Regisseur Faraz Fesharaki Skypegespräche mit seinen Eltern in Isfahan und seinem Cousin in Linz auf und montierte die knapp einhundert Stunden Material zu einem Porträt der Sehnsucht. Über 4.000 Kilometer hinweg wird diskutiert, gesungen, philosophiert, gestrickt, gedichtet, gelüftet – kurz: gelebt. Der Versuch einer visuellen Überbrückung von Distanz in stockenden Bildern – nirgendwo ist mehr Essenz. Er handelt vom Einfangen der Präzision unterbewusster Details: kleine Gesten, leises Summen oder lautes Denken. Das für gewöhnlich Ungesehene und Ungezeigte, wenn die Person am anderen Ende kurz den Bildschirm verlassen hat, die Aufnahme vergessen wurde und man sich allein wähnt.
Ich verbinde mit solchen Aufnahmen den Begriff der Zeugenschaft,
sagst du, Leonard, und während der grün erleuchtete Stadtwerketurm schräg über uns fast im Nebel verschwindet, sprechen wir über die Ästhetik und besondere Materialität von solch reichhaltigen Poor Images. Ihre politisch konnotierte Dimension – deren Beweischarakter hier für Familienerinnerungen gilt – wird aus dem Öffentlichen ins Private übertragen und zeugt vom dringenden Wunsch, etwas festzuhalten. Schönheit entsteht in diesen Tagebuchbildern, entwickelt sich zwischen den kleinen Vierecken der Pixel und weiß genau um die Besonderheit eines jeden gegenwärtigen Moments.
…und dann geht dieser Zoom aufs Fenster, ohne dass wir erkennen könnten, ob es tatsächlich schneit,
aber das findest du, Jonathan, erst recht gut. Der Regisseur bleibt in der Ferne, kann und lässt durch seinen Bildschirm in den Raum auf der anderen Seite schauen, aber nicht aus diesem hinaus. Und doch wird in der Zweidimensionalität eine Tiefe geschaffen, wird der Blick durch einen gewählten Ausschnitt bewusst gelenkt; bestimmtes erzählt, anderes vorenthalten. Aber da ist sie wieder, die Frage nach dem Echten, nach den (manipulativen) Eingriffen, deren Ablehnung ich in diesem Fall nicht verstehe. Vor allem entsteht durch die Choreografie des Alltäglichen der teils fragmentarischen Ausschnitte beliebig wirkender Körper- oder Zimmerteile, die mit der Gleichzeitigkeit des gesprochenen Wortes spielen, ein ironischer Kommentar. Den Film durchziehen Leichtfüßigkeit und Humor, der zu weiten Teilen auf die Familienmitglieder selbst zurückzuführen ist, aber durchaus auch durch bewusste Setzungen in der Montage entsteht. Beispielsweise konterkariert der Regisseur in direktem Anschluss an eine hitzige Diskussion über Geschlechterrollen – in der die Mutter eine feministische Position vertritt, während der Vater ausgerechnet mit Marx versucht, einen patriarchalen Konservatismus zu verteidigen – mit einem Schnitt auf seinen Cousin Rahi, der von einem neuentdeckten Spezialrezept für Mozzarella-Eier-Toast schwärmt. Zwischen Straßenmännlichkeit und zerfallender Leuchtreklame vorbei am Rotlichtviertel, fragst du, Leonard, nach dem politischen Aspekt des Films und wir sprechen über
Umschwünge, wenn man dann plötzlich nicht mehr lacht,
die Parallelität von Freude und Leid im postrevolutionären Iran. Und die Ambivalenz der Rahmung durch alte Camcorder-Aufnahmen, die inbrünstig von Heimat singende Kinder zeigen, mit geballten Fäusten Amerika den Tod wünschend. Fesharaki selbst ist eines dieser Kinder, der ideologische Kontext unterstreicht den Kontrast zur familiären Geisteshaltung, die in den eigenen vier Wänden zwar frei ausgedrückt werden kann, allerdings die Mutter in der Vergangenheit für mehrere Jahre ins Gefängnis brachte. Eine Familie, deren Eigenheiten so spezifisch sind, dass sie in ihrer greifbaren Dynamik universell werden. Als wir in die menschenleere Fußgängerzone einbiegen, endet in unserem Gespräch der erste Teil des Films mit der, wie du, Jonathan, findest,
herzzerreißenden
Ankunft der Familie in der Berliner Wohnung des Regisseurs. Höhere Auflösung bringt andere Wahrheiten hervor, Vorhänge ein Zeichen zu bleiben. Einmal hatte die Mutter von den Blättern erzählt, sie seien gefallen wie Regen. „So ein wunderschöner Anblick“, sagt sie und ich sehe im Duisburger Hafen die Novemberplatanen. Die gesprochenen Worte weichen im letzten Teil geschriebenen: in einem Brief über das Unerzählbare berichtet der Regisseur seiner Mutter vom Sich-Verlieben, nennt mir bekannte
Orte, an denen sie mit ihren Erfahrungen an seine anknüpfen könnte.
Während im ersten Teil stets von bestimmten Plätzen die Rede war, wird es im zweiten plötzlich visuell ganz konkret und die verpixelten Innenaufnahmen weichen statischen Einstellungen von Berliner Orten wie der Dicken Marie am Tegeler See oder der Rosa-Luxemburg-Brücke – öffentliche Räume, die dazu einladen, sie mit eigenen Erinnerungen zu füllen. Seine Mutter antwortet mit einem ihrer Orte, der Fluss Zayandeh Rud, der Lebensspendende, führe seit zehn Jahren zum ersten Mal auf wundersame Weise wieder Wasser. Du, Leonard, beschreibst das als ein
Bild der Hoffnung.
Wir bleiben stehen, immer stiller blicken wir auf den schwarzen Rhein und die Gedanken verlaufen sich langsam in parajanovschen Träumen.