Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

House and Universe von Antoinette Zwirchmayr

Diagonale-Dialog 3: Steckenbleiben

Tag 3 auf der Dia­go­na­le und nicht mehr ganz so frisch und mun­ter machen sich Patrick und Rai­ner auf ein Neu­es dar­an zu ergrün­den, wor­auf es eigent­lich ankommt.

Patrick: Ich habe jetzt schon drei­mal Neil Young auf der Toi­let­te gehört. Das ist beru­hi­gend. Vor allem, wenn man aus dem Cha­os des Schu­bert­ki­nos kommt. Ich fin­de die Orga­ni­sa­ti­on mit den Tickets dort ja eigent­lich untrag­bar. Aber viel­leicht ermög­licht es die Archi­tek­tur nicht anders. Trotz­dem fehlt da auch eine Klar­heit, wer sich wo und wann anstel­len soll und wer viel­leicht bes­ser nicht da rum steht. Egal. Wo bist du ges­tern ste­cken geblieben?

Rai­ner: Für gro­ße Mas­sen ist mei­nem Gefühl nach ohne­hin nur das UCI aus­ge­legt, sobald eine Vor­stel­lung aus­ver­kauft ist, wird’s eigent­lich bei allen knapp. Aber gehe ich rich­tig in der Annah­me, dass sich dei­ne Fra­ge auch auf Fil­me bezog?

Patrick: Lass dei­ner Fan­ta­sie frei­en Lauf.

Rai­ner: Ich bin in einem Pub ste­cken­ge­blie­ben und dem­entspre­chend ist mei­ne Fan­ta­sie noch am aus­nüch­tern. Ursprüng­lich woll­te ich eigent­lich ins Fes­ti­val­zen­trum gehen, aber dort ist es aus den glei­chen Grün­den, wie du sie ange­führt hast nicht aus­zu­hal­ten – zu vie­le Men­schen, zu wenig Platz und man muss sehr lan­ge anste­hen um an Geträn­ke zu kom­men, die ohne­hin zu teu­er sind.

EMBARGO von Johann Lurf
EMBARGO von Johann Lurf

Patrick: Ja…und hast du dich in den Kinos woh­ler gefühlt?

Rai­ner: Bedingt. Die bei­den Pro­gram­me, in denen wir zusam­men war haben mich nicht wirk­lich vom Hocker gehaut. Außer Johann Lurfs EMBARGO, fand ich da alles eher mau bis banal, dafür waren die bei­den Fil­me von Mia Han­sen-Løve sehr soli­de. Ich bin mir noch nicht sicher ob ich Eden ver­zei­hen kann, dass er etwas dis­pa­rat durch die zwan­zig Jah­re sei­ner Hand­lung hetzt und dabei zu oft Text­ein­blen­dun­gen à la «Zwei Jah­re spä­ter» ver­wen­det, aber von der insze­na­to­ri­schen Inten­si­tät hat er mich sogar mehr gepackt als Le père de mes enfants – bei­des in jedem Fall sehr per­sön­li­che, authen­ti­sche (was auch immer das hei­ßen mag) und demü­ti­ge Filme.

Patrick: Ich fand im Pro­gramm mit Lurfs fas­zi­nie­ren­dem EMBARGO auch noch House and Uni­ver­se von Antoi­net­te Zwirch­mayr her­vor­ste­chend. Sie hat da sehr zärt­li­che Bil­der für die Nähe von Natur und Mensch gefun­den, die sich über For­men und Asso­zia­tio­nen in einer Art Har­mo­nie bewe­gen, die mich letzt­lich an Fotos von Saul Lei­ter erin­nert haben. Nur spürt man bei ihr den Wind. Ich sehe hier all­ge­mein sehr vie­le Son­nen­auf­gän­ge in den Fil­men. Da bin ich mir aber nicht sicher, ob die demü­tig sind oder sogar for­ciert. Ich glau­be, dass Mia Han­sen-Løve vor allem demü­tig gegen­über der Rea­li­tät ist mit ihren Fil­men. Ein Son­nen­auf­gang wäre bei ihr kei­ne gro­ße Sym­bo­lik son­dern wohl ein­fach nur ein schö­ner Moment im Trei­ben der Welt.

Rai­ner: Das hast du schön gesagt. Was hältst du all­ge­mein von ihr?

Patrick: Ich habe erst die Hälf­te ihres Werks gese­hen. Ich den­ke, dass sie eine sehr gute Fil­me­ma­che­rin ist mit ganz span­nen­den Ent­schei­dun­gen. Man kann bei ihr beob­ach­ten, wie man eine Sze­ne anfängt, wo man klei­ne Regun­gen fin­den kann, die viel­leicht viel mehr über die Figu­ren spre­chen als die gro­ßen Gefüh­le und man kann sehr gut sehen wie Bewe­gung vor und mit der Kame­ra etwas flüs­si­ges bekom­men kann, dass man als lebens­nah bezeich­net. Aber mir fehlt manch­mal ein zwei­ter Schritt. Bei ihr ist es oft: So ist das Leben! Das mag ich, aber wenn ich mir ganz ähn­lich (damit mei­ne ich mit Ellip­sen, Natür­lich­keit, Fluss) arbei­ten­de Fil­me­ma­cher wie Mau­rice Pia­lat oder Clai­re Denis anse­he, dann spü­re ich da mehr Ebe­nen. Bei Denis sind das Kör­per zum Bei­spiel, bei Pia­lat eine Welt­sicht und die schwim­men da ein­fach mit bei denen. Aber das ist viel­leicht ein unfai­rer Ver­gleich. Es ist jeden­falls bewun­derns­wert, was sie da macht. Und ich muss­te auch an dei­ne Kom­men­ta­re ges­tern zu Wie die ande­ren den­ken, da Tout est par­don­né in Wien beginnt. Die­se Fas­zi­na­ti­on Orte zu sehen, die man kennt. Eigent­lich unglaub­lich, aber da ist das Kino noch wirk­lich unschul­dig. Da reicht es jedem plötz­lich nur die Din­ge anzu­se­hen. Eigent­lich absurd, weil man sie ja kennt.

Rai­ner: Die­se Anzie­hungs­kraft bekann­ter Orte ist tat­säch­lich mys­te­ri­ös. Ich wür­de sagen, da schwingt einer­seits stolz mit, dass sich ein Fil­me­ma­cher mit dem Ort befasst, an dem man lebt, oder den man kennt und ande­rer­seits das Fes­seln­de dar­an, die­sen Ort über den Blick eines Ande­ren zu erfah­ren. Die fei­nen Unter­schie­de von Fremd- und Selbst­wahr­neh­mung machen es denk ich aus.

Eden von Mia Hansen-Løve
Eden von Mia Hansen-Løve

Patrick: Da emp­fin­de ich dich als sehr idea­lis­tisch, wobei ich hof­fe, dass ein Fun­ken Wahr­heit mit­schwingt. Ich glau­be aber doch, dass es da um ganz ein­fa­che Din­ge wie Ver­bin­dung mit dem, was man sieht und letzt­lich Iden­ti­fi­ka­ti­on geht. Die Bereit­schaft sich mit etwas Frem­den aus­ein­an­der­zu­set­zen geht bei vie­len lei­der nur so weit wie sie das Frem­de ken­nen. Dann wird es sehr span­nend, wenn jemand wie Man­fred Neu­wirth in Aus einem nahen Land die­se Nähe der­art ver­frem­det. Zeit­lu­pen, asyn­chro­ner Ton. ich habe mich beim Film gefragt, ob das eine sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung des Ortes ist. In sei­nem Film ja nicht mal durch die Augen eines Frem­den son­dern eines Man­nes, der dort herkommt.

Rai­ner: Ein Film, den ich lei­der nicht gese­hen habe, aber was du beschreibst klingt sehr span­nend. Wobei ich zuge­ben muss, dass ich schon etwas aus­ge­laugt bin von die­sen doku­men­ta­ri­schen, for­ma­lis­tisch ange­rei­cher­ten Filmen.

Patrick: Ja, ich ver­ste­he das, aber ich glau­be nicht, dass man das all­ge­mein sagen kann. Der Punkt mit Form ist doch der (und es ist kein Zufall, dass wir hier auf der Dia­go­na­le dar­über spre­chen): Da gibt es die Form, die der Inhalt ist und die Form die mit oder frucht­bar gegen den Inhalt arbei­tet. Dage­gen kann nichts ein­zu­wen­den sein, denn Film ist immer auch Form. Das Pro­blem ent­steht dann, wenn die Form der­art pene­trant arbei­tet, dass sie die Rea­li­tät nicht zulässt wie zum Bei­spiel in Eden’s Edge und alles zu blo­ßen Ideen ver­kom­men lässt statt zu Beob­ach­tun­gen und Ästhe­tik. Neu­wirth ist aber ein Beob­ach­ter und er fin­det sei­ne Form erst mit den Orten statt sie auf den Ort zu set­zen. Daher funk­tio­niert das glau­be ich.

Rai­ner: Ich woll­te das gar nicht per se schlecht­re­den, son­dern ein biss­chen mei­ne per­sön­li­che Film­aus­wahl hier am Fes­ti­val kri­ti­sie­ren. Da ich der Mei­nung bin, dass im Doku­men­tar- und Avant­gar­de­be­reich in Öster­reich inter­es­san­te­re Din­ge ent­ste­hen, lege ich so mei­ne Schwer­punk­te und ver­zich­te wei­test­ge­hend auf Spiel­fil­me. Wenn dann aber meh­re­re Fil­me die­ser Art (also for­mal expe­ri­men­tier­freu­di­ger Wer­ke) zusam­men­kom­men, kann das schon anstren­gend wer­den, zumal es natür­lich nicht immer hun­dert­pro­zen­tig aufgeht.