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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Zorros Bar Mizwa von Ruth Beckermann

Dossier Beckermann: My Super Sweet Thirteen (Zorros Bar Mizwa)

Nach­dem sich Ruth Becker­mann in ihrem fil­mi­schen Oeu­vre inten­siv mit Ver­än­de­run­gen im Wie­ner Stadt­bild und der Wie­ner Gesell­schaft aus­ein­an­der­ge­setzt hat – ein Blick zurück, der immer auch die Gegen­wart im Auge hat­te –, ist die Gewich­tung in Zor­ros Bar Miz­wa eine ande­re. Der Film fragt nicht (expli­zit) nach der Ver­gan­gen­heit, inter­es­siert sich kaum für Anek­do­ten und (Lebens-)Geschichten, wie es für frü­he­re Fil­me von Becker­mann typisch war (allen vor­an dem gro­ßen Inter­view­por­trät Wien retour, das eine oral histo­ry des Jüdi­schen und Roten Wiens der Zwi­schen­kriegs­zeit auf­zeich­net), statt­des­sen wagt Becker­mann eine Bestands­auf­nah­me der Gegen­wart, die sich weni­ger an ver­gan­ge­nen, denn an zukünf­ti­gen Ent­wick­lun­gen ori­en­tiert. Der Film beglei­tet drei Jun­gen und ein Mäd­chen auf dem Weg zu ihrer Bar Miz­wa bzw. Bat Miz­wa, dem Über­gang ins reli­giö­se Erwach­se­nen­le­ben im Juden­tum. Die­ses Ereig­nis wird durch ein Zere­mo­ni­ell im ört­li­chen Got­tes­haus und einer anschlie­ßen­den Fei­er mit Fami­lie, Freun­den und der Gemein­de zelebriert.

Zor­ros Bar Miz­wa ist ein Film über jüdi­sches Brauch­tum und ein Blick ins Inne­re der jüdi­schen Gemein­de Wiens. Es han­delt sich bei die­sem Blick jedoch kei­nes­wegs um ein nost­al­gi­sches Zurück­er­in­nern an eine Zeit als die Aus­übung jüdi­scher Reli­gi­on hier­zu­lan­de noch weni­ger exo­tisch wirk­te, son­dern um die Befra­gung einer neu­en Gene­ra­ti­on, die an ihrer Reli­gi­on fest­hält und sie für ihre Bedürf­nis­se adap­tiert. Wäh­rend die Fest­lich­kei­ten bei Mois­hy streng ortho­dox abge­wi­ckelt wer­den, inter­pre­tiert sie Sharon sehr viel frei­er und lädt zu einer gro­ßen „Zorro“-Themenparty – sei­ne Fami­lie, so die Mut­ter, sei immer­hin sephar­di­scher Her­kunft, wodurch eine spa­ni­sche Aus­rich­tung der Fei­er gerecht­fer­tigt sei. Der Film lässt in der Kon­fron­ta­ti­on die­ser unter­schied­li­chen Aus­le­gun­gen die Fra­ge offen, wie sich die stren­ge Ortho­do­xie, die als Reak­ti­on auf die Geschich­te des Juden­tums im 20. Jahr­hun­dert gewer­tet wer­den kann, zur Säku­la­ri­sie­rung reli­giö­ser Prak­ti­ken, wie sie für west­eu­ro­päi­sche Gesell­schaf­ten typisch ist, ver­hält. Zumal die unmit­tel­ba­re geo­gra­phi­sche und kul­tu­rel­le Umwelt den säku­la­ren Ten­den­zen, die den Spek­ta­kel­wert über reli­giö­se Besinn­lich­keit stel­len, kei­ne ähn­lich aus­ge­präg­te ortho­do­xe Gegen­po­si­ti­on ent­ge­gen­zu­set­zen hat. In der sozia­len Stel­lung und eth­ni­schen Her­kunft unter­schei­den sich die vier Prot­ago­nis­ten eben­falls: Tom ist Sohn einer israe­li­schen Mut­ter und eines öster­rei­chi­schen Vaters, Sharons Fami­lie stammt aus Geor­gi­en, Sophie wächst in einem bilin­gua­len Haus­halt auf. Wohl jede der vier Fami­li­en wäre in der Lage Stoff für einen Film wie Die papie­re­ne Brü­cke zu lie­fern. Auch Zor­ros Bar Miz­wa bleibt letzt­lich nicht unbe­hel­ligt von den Sedi­ment­schich­ten der Ver­gan­gen­heit, wenn­gleich Becker­mann zu sel­ten, auf das Leben außer­halb der sozio­kul­tu­rel­len Bla­se ver­weist, in der es sich der Film bequem gemacht hat.

Zorros Bar Mizwa von Ruth Beckermann

Zor­ros Bar Miz­wa ist kei­ne rei­ne Milieu­stu­die oder Repor­ta­ge über leben­di­ges jüdi­sches Brauch­tum in Öster­reich. Neben den vier Kin­dern steht noch eine wei­te­re Figur im Zen­trum des Films. André Wan­ne ist auf das Fil­men von Hoch­zei­ten, Bar Miz­was und ande­ren jüdi­schen Fei­er­lich­kei­ten spe­zia­li­siert. Er war Aus­gangs­punkt für Becker­manns Recher­chen zum Film und über sei­ne Arbeit nähert sie sich den Fami­li­en. Neben dem Fest­hal­ten der Ereig­nis­se zu Erin­ne­rungs­zwe­cken fer­tigt André auf Anfra­ge auch klei­ne spiel­film­ar­ti­ge Clips an, in denen die Fei­ern­den sich durch eine Art Rah­men­er­zäh­lung prä­sen­tie­ren. Für Tom fer­tigt André einen Film über Wien für sei­ne israe­li­schen Ver­wand­ten an, mit Sharon pro­du­ziert er einen Zor­ro-Image­film mit dem Jun­gen in der Haupt­rol­le. Becker­mann inter­es­siert sich neben der reli­giö­sen Pra­xis zu glei­chen Tei­len für ihre Media­li­sie­rung. Andrés Film­chen und deren Ent­ste­hungs­pro­zess ste­hen gleich­be­rech­tigt neben den Vor­be­rei­tun­gen für die vier Fes­te. Er dient Becker­mann zudem als wich­ti­ger Gesprächs­part­ner, den kaum ein ande­rer hat einen bes­se­ren Über­blick über die unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen des Juda­is­mus in Wien und kommt deren unter­schied­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen reli­giö­sen Lebens näher. Was er nicht imstan­de ist zu leis­ten, ist eine Refle­xi­on sei­ner eige­nen Pra­xis des Bil­der­schaf­fens. Die­se Auf­ga­be nimmt ihm Becker­mann kur­zer­hand ab: ein nicht zu unter­schät­zen­der Aspekt von Zor­ros Bar Miz­wa ist die Offen­le­gung und Kri­tik an Pro­duk­ti­on und Kon­sum zeit­ge­nös­si­scher Bildmedien.

Becker­mann beschränkt sich dabei auf eine amü­sier­te Zur­schau­stel­lung von Andrés eher unbe­hol­fe­nen Ver­su­chen als Spiel­film­re­gis­seur und der Ein­bin­dung sei­ner Clips in den Film, die wohl für eine dra­ma­tur­gi­sche Auf­lo­cke­rung sor­gen sol­len, aber nicht viel mehr als pein­lich-berühr­tes Fremd­schä­men her­vor­ru­fen. Man wünscht sich eine Dis­kus­si­on iko­no­klas­ti­scher Ten­den­zen in den abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen oder eine The­ma­ti­sie­rung der damals in den Kin­der­schu­hen ste­cken­den sozia­len Medi­en, die in den Fol­ge­jah­ren zu einer wah­ren Bil­der­flut an Selbst- und Fremd­do­ku­men­ta­tio­nen des All­tags­le­bens füh­ren soll­te. Auf all das ver­zich­tet Becker­mann zuguns­ten einer erzäh­le­ri­schen Leich­tig­keit, die sich mit aller Kraft gegen die gewal­ti­gen Schat­ten der (jüdi­schen) Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts stemmt. Zor­ros Bar Miz­wa ist letzt­end­lich der Ver­such Juden­tum im 21. Jahr­hun­dert zu den­ken, zu leben und zu doku­men­tie­ren. Dem­entspre­chend ist Zor­ros Bar Miz­wa ein schwie­ri­ger Film, der sich womög­lich doch nicht so ein­fach ein­fach ins Gesamt­werk Becker­manns ein­ord­nen lässt, wie der ers­te Absatz das ver­mu­ten lässt.