Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Good Luck von Ben Russell

Glückauf: Good Luck von Ben Russell

Im Rah­men einer Koope­ra­ti­on mit dem This Human World 2018 prä­sen­tie­ren wir eine Aus­wahl von Fil­men aus dem dies­jäh­ri­gen Festivalprogramm.

Ben Rus­sell ist ein inter­es­san­ter Zeit­ge­nos­se. Ein Ame­ri­ka­ner, gebo­ren in Spring­field, Mas­sa­chu­setts. Auf Umwe­gen hat es in nach dem Stu­di­um (Kunst und Semio­tik) nach Suri­nam ver­schla­gen. Eine ehe­ma­li­ge nie­der­län­di­sche Kolo­nie am süd­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, flä­chen­mä­ßig rund dop­pelt so groß wie Öster­reich aber ledig­lich von einer hal­ben Mil­li­on Men­schen bewohnt. Dort hat er einen Groß­teil sei­ner Fil­me gedreht. Sie ent­ste­hen in einem Span­nungs­feld zwi­schen anthro­po­lo­gi­schem und doku­men­ta­ri­schem Inter­es­se, zwi­schen aka­de­mi­scher Objek­ti­vi­tät und sur­rea­lis­ti­schem Cha­os. Sei­ne Arbei­ten sto­ßen in einem immer unüber­schau­ba­rer wer­den­den fil­mi­schen Dis­kurs auf brei­te Zustim­mung. Sie wer­den auf der Docu­men­ta gezeigt und von der Kunst­welt wohl­wol­lend auf­ge­nom­men; sie eig­nen sich als Anschau­ungs­ma­te­ri­al, wenn Mate­ri­al gefragt ist, an dem sich poli­ti­sche Fra­gen durch­ex­er­zie­ren las­sen; sie durch­lau­fen den fes­ti­val cir­cuit und enden – wie im Fall von Good Luck – sogar im Nacht­pro­gramm auf ARTE. An Rus­sell scheint sich kaum jemand zu sto­ßen, soweit man sich damit arran­gie­ren kann, dass Rus­sells Omni­prä­senz (wie jene sei­nes bri­ti­schen Namens­vet­ters Ben Rivers) oft­mals dazu führt, dass man vor lau­ter Dis­kurs gar nicht mehr über sei­ne Fil­me nach­denkt. Er ist der kleins­te gemein­sa­me Nen­ner des fil­mi­schen Dis­kur­ses und des Dis­kur­ses über Fil­me. Das klingt despek­tier­li­cher als es gemeint ist.

Die Kame­ra blickt aus einem halb­ver­fal­le­nen Haus auf ein Berg­werk. Im Hin­ter­grund setzt Musik ein. Man gewöhnt sich fast an die­sen sta­ti­schen Bild­aus­schnitt, als sich die Hand­ka­me­ra von ihrer Aus­guck­po­si­ti­on zu lösen beginnt. Die Musik, zunächst nur aus dem Off zu hören, wird nun im Bild ver­or­tet. Sie stammt von einer Marsch­ka­pel­le, die in der Rui­ne Stel­lung bezo­gen hat. Wan­kend ent­fernt sich die Kame­ra aus dem Haus, behält die Kapel­le im Blick, die schließ­lich, auf der Stra­ße ange­kom­men, For­ma­ti­on bezieht. Schließ­lich kommt die Kame­ra – und mit ihr die alle­samt männ­li­chen Musi­ker – nach eini­gen Minu­ten Bewe­gung zum Still­stand. Ein Mann, der Tromm­ler, tritt aus der Rei­he der adrett geklei­de­ten Her­ren. Er beginnt zu spre­chen, über Erin­ne­run­gen, über die­sen Ort. Das sind für lan­ge Zeit (bis auf unver­ständ­li­ches Mur­meln) die letz­ten Wor­te, die im Film gespro­chen werden.

Good Luck von Ben Russell

Als Pro­log steht die­se Sze­ne am Beginn von Good Luck. Musik und Bild ver­dich­ten sich dar­in zu einem hyp­no­ti­schen Marsch durch eine Gegend in Ser­bi­en, die wohl schon bes­se­re Zei­ten gese­hen hat. Der dezent melan­cho­li­sche Ton der Musik und der Charme des Ver­fal­le­nen ver­ei­nen sich zu einem audio­vi­su­el­len Abge­sang. Ein Täusch­ma­nö­ver, denn das Kup­fer­berg­werk, das zum Auf­takt zu sehen war, ist (noch) nicht auf­ge­ge­ben. Die Kame­ra mischt sich unter die Kum­pel, fährt 400 Meter hin­ab in den Unter­grund. Inmit­ten der Berg­män­ner, ein­ge­zwängt in einem quiet­schen­den Licht, wird die Sze­ne­rie nur von eini­gen Stirn­lam­pen beleuch­tet. Ein klaus­tro­pho­bi­scher Moment. Nicht nur auf­grund der beeng­ten räum­li­chen Ver­hält­nis­se, son­dern auch wegen der unru­hi­gen Atmo­sphä­re die Rus­sell auf der Ton­ebe­ne erzeugt. Mat­tes Wum­mern, das sich zu einem unheil­vol­len Dröh­nen ent­wi­ckelt wird die nächs­te Stun­de des Films domi­nie­ren. Unter Tage gibt es kein Ent­kom­men. Kein Ent­kom­men von der Dun­kel­heit. Kein Ent­kom­men vom been­gen­den Sound. Nicht ein­mal, wenn man den Film auf einem klei­nen Bild­schirm sieht.

Das Berg­werk ist die Höl­le. Eine Höl­le vol­ler Stein, Schweiß und Dreck. Und Lärm. Mit mäch­ti­gen Boh­rern rücken die Män­ner dem Gestein zu Lei­be. Mit aller Kraft stem­men sie sich gegen ihre (Höllen-)Maschinen, um den Berg zu bezwin­gen und für irgend­ei­ne anony­me Berg­bau­ge­sell­schaft das wert­vol­le Kup­fer aus dem ser­bi­schen Boden zu beför­dern. Düs­ter ist die Arbeit. Die Män­ner machen sie, weil ihr Leben sonst noch düs­te­rer wäre. Sie leben in einer Regi­on, wo sie auf ande­rem Weg kaum ver­gleich­ba­re Löh­ne ver­die­nen könn­ten. Das erzäh­len sie zumin­dest in den Pau­sen­ge­sprä­chen. Es geht ernst zu wäh­rend der Mahl­zeit. Das scheint ange­bracht. Nach über einer hal­ben Stun­de tau­schen sie jetzt die ers­ten Wör­ter unter­ein­an­der aus. Zuvor waren ihre Stim­men unbrauch­bar. Die Kako­pho­nie der Maschi­nen, im Film noch ver­stärkt durch Rus­sells uner­bitt­li­ches Sound­de­sign, war über­mäch­tig. Zwi­schen­durch immer wie­der Sze­nen in der Dun­kel­heit, nur spär­lich erleuch­tet von weni­gen elek­tri­schen Lam­pen. Licht und Dun­kel­heit, Höl­len­lärm und Toten­stil­le, prä­gen die ers­te Hälf­te von Good Luck.

Good Luck von Ben Russell

Nach den Sze­nen unter Tage wirkt die zwei­te Hälf­te des Films wie eine Befrei­ung. Statt einer Fahrt in die Höl­le, geht es nun ins Para­dies. Tief in den Dschun­gel von Suri­nam. Doch der Ein­druck täuscht. Auch dort war­ten Höl­len­ma­schi­nen: Bag­ger, Gene­ra­to­ren, lär­men­de und stin­ken­de Mon­s­trü­mer. Sie wer­den von den Män­nern umsorgt. Ganz zu Beginn des Seg­ments bringt einer von ihnen Treib­stoff in einem Kanis­ter. Danach die Füt­te­rung. Dann wird die Maschi­ne­rie in Gang gesetzt. Ein Bag­ger hebt Erd­reich aus. Es wird sorg­fäl­tig gewa­schen, in der Hoff­nung auf Gold zu sto­ßen. Anders als die pro­fes­sio­nell orga­ni­sier­te Arbeit der ser­bi­schen Berg­män­ner, han­delt es sich hier um eine ille­ga­le Unter­neh­mung. Die Män­ner hier haben außer­dem eher mit den tro­pi­schen Bedin­gun­gen zu kämp­fen, als mit Dun­kel­heit. Es gibt jedoch Ähn­lich­kei­ten zwi­schen die­sen zwei Grup­pen von Män­nern. Schweiß und Dreck ist ihr Métier, ein Métier das zusammenschweißt.

Es las­sen sich mit Good Luck wohl eini­ge The­sen über den Zustand der Welt und der Mensch­heit for­mu­lie­ren. Die meis­ten davon wären wohl eher auf der fata­lis­ti­schen Sei­te (Ande­re Fil­me ver­wand­ter The­ma­tik gehen in die­se Rich­tung. Etwa Micha­el Gla­wog­gers Workingman’s Death oder Zhao Lings Behe­mo­th, der von ARTE in der glei­chen Sen­de­rei­he wie Good Luck gezeigt wur­de). Doch das ist nicht alles. Ein selt­sa­mes Gefühl von Gemein­schaft ent­steht, wenn man die­se bei­den Wel­ten – so nah und doch so fern – gegen­über­stellt. Eine glo­ba­le Gemein­schaft von Män­nern, die ver­su­chen dem Boden sei­ne Schät­ze abzu­rin­gen und dabei in ers­ter Linie sich selbst aus­beu­ten. Die einen arbei­ten unter der Son­ne Suri­nams, die ande­ren fern­ab der Son­ne. Die einen arbei­ten im Staub, die ande­ren im Was­ser. Wenn sie aber Pau­se machen, im Kreis sit­zen, über ihre Ängs­te und Sor­gen spre­chen, ihre mit­ge­brach­ten Mahl­zei­ten ver­spei­sen, dann wird deut­lich, dass sie mehr ver­bin­det, als sie trennt. Auch wenn sie nichts von­ein­an­der wis­sen. Auch wenn ihr ein­zi­ges ver­bin­den­des Glied ein ame­ri­ka­ni­scher Fil­me­ma­cher aus Mas­sa­chu­setts ist, der in Paris lebt. Film kann ein mäch­ti­ges Instru­men­ta­ri­um im Spiel der Mensch­heit sein.