Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Liebesbrief an Alain Delon


Lieber Alain Delon,
ich habe dich gesehen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob du mich auch gesehen hast.  Du warst in deiner verlassenen Wohnung gestanden, vor einem Spiegel und hast deinen Hut perfekt zurechtgerückt. Bis auf den letzten Millimeter musste alles sitzen: Hut und Trenchcoat. Du stehst oft vor einem Spiegel und du siehst dich immer so an, als würdest du dich gleich küssen wollen. Einmal habe ich dich sogar dabei beobachtet, wie du dein eigenes Spiegelbild tatsächlich geküsst hast. Aber nicht, wenn du gemeinsam mit deinen Brüdern aufwächst in eurer engen, ärmlichen Wohnung. Dann scheinst du dich selbst zu vergessen und dennoch strahlst du etwas aus, dass geradezu schreit: Ich kann es schaffen ich will es schaffen, ich muss es schaffen. Ich frage mich jeden Tag, warum nur du Rocco sein kannst. Dieses Selbstbewusstsein, diese Aura durchdringt alles. Ich habe dich in der Nacht im Auto sitzen sehen. Irgendwie passiv, so gar nicht der Geschwindigkeit von Paris angemessen. Du warst fertig mit deinem Leben, du warst sarkastisch, wahrscheinlich hast du begonnen zu trinken. Aber dein Selbstbewusstsein hast du nicht verloren. 

Le Samourai von Jean-Pierre Melville

Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti

Plein soleil von René Clément

Du lächelst selten. Einmal haben deine Augen gefunkelt, als dir eine unbekannte Frau eine Blume gegeben hat. Doch du warst zu keiner Emotion mehr fähig. Deine Emotionen sieht man so selten, dass es einen immer trifft, wenn sie sich doch mal zeigen. Ich habe dich oft mit den schönsten Frauen tanzen und reden sehen. Immer wenn du mit ihnen zusammenbist, scheinst du deine komplette Umwelt zu vergessen. Deine blauen Augen kennen dann nur die Augen deiner Frauen. Egal, ob sie blau sind oder in schwarz/weiß Tönen. Aber sobald die Frauen nicht mehr da sind, verlierst du dich in Einsamkeit, Isolation und deinen zweifelhaften Berufen. Wenn du trinkst, werden deine Lippen nicht nass.

Un flic von Jean-Pierre Melville

Le cercle rouge von Jean-Pierre Melville

Ich habe gesehen wie du an der Türschwelle einer Party in deinem Urlaubshaus standest und deine Frau beobachtet hast und dann die junge Tochter deines Freundes beobachtet hast. Du bist immer zugleich stark und schwach, meist bist du in deiner Schwäche am stärksten, weil du deine Laster zu deiner Profession gemacht hast, weil deine Leidenschaft sich nur in Sekunden auf die Frauen überträgt. Mit deinem Trenchcoat und deinem perfekten Hut sehe ich dich manchmal einfach gehen. Dabei fällt mir auf, dass jeder Schritt bei dir so aussieht als würdest du ihn am liebsten nicht machen und gleichzeitig ist er so gesetzt, als wäre er vorbestimmt. Du funktionierst wie ein lebendiges Modell für einen Maler, der mit bewegten Bildern arbeitet, weil du dich mit seinen Gedanken und zu seinen Gedanken drehst. 
La Piscine von Jacques Deray
L’eclisse von Michelangelo Antonioni
Ich habe dich nicht an unserem Treffpunkt gesehen. Du warst einfach nicht mehr da. Selbst wenn ich mir kurz eingebildet habe dich zu sehen, du bist nicht gekommen. Du scheinst mehr Freude beim Schreien an der Börse zu haben, beim erschießen und ermorden von Menschen, als bei der Liebe. Aber dir haftet der Touch eines jungen Rebellen an, wenn du dich mit deiner Lederjacke und alten Haudegen an der Cote d’Azur misst und in einem Cabriolet Musik hörst. Hast du den Mann schon gefunden, der denselben Namen trägt wie du und verfolgt wird? Ich hoffe es sehr für dich, denn es kann dich nur einmal geben.
Mèlodie en sous-sol von Henri Verneuil

Mr. Klein von Joseph Losey
Als du mit Claudia durch den riesigen Saal getanzt bist, völlig im Einklang mit einer öffentlichen Welt der Präsentation, die gegen dein Inneres zu arbeiten scheint, dann brannte nicht nur Paris. So wie du deine Blicke kontrollierst, so pulsiert auch deine Stimme, die immer laut, aber nie aufdringlich zu sein scheint; die immer flüstert, aber nie säuselt. Aber du machst zu viele Fehler. Ich habe dich zu oft sterben sehen. Du lässt dir gerne in den Rücken schießen. Und wenn der Schuss aus dem Hinterhalt kommt, dann verstehe ich, warum du so langsam gehst und warum du dein Spiegelbild so gerne magst weit abgeschottet von der Realität. Du machst diese Dinge leider schon länger nicht mehr. Aber immer muss ich an dich denken.
Il Gattopardo von Luchino Visconti