Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Accident von Joseph Losey

Liebesbrief an Delphine Seyrig

Lie­be Del­phi­ne Seyrig,

ich habe dich gese­hen, aber ich bin mir nicht sicher, ob du auch mich gese­hen hast. Ich sehe dich eigent­lich immer wie­der. Beglei­tet von sich wie­der­ho­len­den Melo­dien, sich wie­der­ho­len­den Bewe­gun­gen, du bist für mich wie ein ewi­ger Kreis und immer wenn ich glau­be, dass du endest, beginnst du von Neu­em. Du erzählst auch kaum etwas zu Ende. Alles ist eine Andeu­tung, die dir Wür­de verleiht.

Es ist mir etwas pein­lich, aber ges­tern bin ich lan­ge vor dem Spie­gel gestan­den und habe dei­nen Namen wie­der­holt und wie­der­holt und wie­der­holt. Das passt zu dir irgend­wie. Man ver­liert sich in Krei­sen. Dein Name klang bei jedem Mal anders. Du wirfst mich aus der Zeit. Ein­mal wache ich auf und bin mir ganz sicher, dass ich dich schon letz­tes Jahr gekannt habe. Dann wie­der erscheinst du mir wie eine neue Bekannt­schaft. Du bist ein Sprung in der Zeit. So sehr, dass du immer wie­der die glei­chen Schmer­zen erle­ben musst. Egal ob Tag für Tag, Jahr für Jahr oder auch nur in den Rui­nen dei­ner Erin­ne­rung. Ich spü­re, dass dir das wich­tig ist. Das Erin­nern und das Ver­ges­sen. Ich habe Angst, dass du die­se Wor­te ver­gisst, wäh­rend du sie liest. Ich habe Angst, dass du plötz­lich eine ande­re bist. Mit schwarz­grau­en Haa­ren und einer Ziga­ret­te, ner­vös vor­aus­ah­nend, was als nächs­tes pas­sie­ren könn­te, nie mehr die Gegen­wart sehend. Alles an dir ist eine Rückkehr.

Ich habe gehört, dass du einen Sohn hast. Ihr redet nicht viel. Du machst alles für ihn, ver­kaufst dich sogar. Es bricht mir ein wenig das Herz, aber du bist zu sto­isch, zu erha­ben für Mit­leid. Schon als ich dich zum ers­ten Mal sah, sehr nahe, immer etwas aus der Schär­fe fal­lend, hast du auf­ge­räumt. Du räumst auf und wie­der­holst auch das. Du bist stolz dabei. Du hast kei­ne Angst. Auch nicht, wenn du von gie­ri­gen Bli­cken umzin­gelt wirst. Dann packst du die Män­ner und schleppst sie hinfort.

Ich habe dich aber auch beim Tan­zen gese­hen. Du tanzt lang­sam, du tanzt schnell. Oft in den Armen rei­cher, müder Män­ner. Vor rie­si­gen Spie­geln in schwü­len Näch­ten. Du ent­win­dest dich ihrer Zunei­gung oder lässt sie abwe­send über dich erge­hen. Du scheinst mehr als dass du bist. Du kannst so unglaub­lich gut müde und gelang­weilt sein. In dei­ner Lan­ge­wei­le liegt immer auch eine Wut über dein Leben als Frau. Man spürt das so stark, weil es wie eine Krank­heit in dir arbei­tet. Du öff­nest mei­ne Augen dafür.

Und dann sehe ich wie­der dich. Wie­der mit irgend­wel­chen Bot­schaf­tern. Was willst du mit ihnen? Du dach­test, dass ihr bei einem nor­ma­len Essen seid und plötz­lich fan­det ihr euch auf einer Büh­ne wie­der. Der Vor­hang ging auf und ich sah dich. Ich war dort im Publi­kum. Du warst schön und hast nicht geschwie­gen. Es ist kei­ne Sache der Schön­heit, son­dern es sind ande­re Din­ge, ja, ande­re Din­ge, zum Bei­spiel von Ver­stand und Sinn.

Du kannst sehr kühl sein. Intel­lek­tu­ell, distan­ziert. Dann aber wie­der eine geheim­nis­vol­le Ges­te, die alles öff­net. Nie erliegst du dabei dem, was von dir erwar­tet bist. Immer bist du anders, immer wie­der­holst du. Ich bin mir sicher, dass ich dich wie­der sehe. Aber nie, ob ich dich sehe.