De Cierta Manera von Sara Gómez beginnt mit der leidenschaftlichen Rede eines Mannes, einer Rechtfertigung seiner Abwesenheit, seines Fortbleibens von der Arbeit. Bald darauf springt ein Kollege auf, der ihn beschimpft und wild mit den Armen gestikuliert. Er bezichtigt ihn der Lüge. Seine Beschimpfungen gehen über in eine Musik, die die Energie der wutentbrannten Worte weiterträgt. Ein Zwischentitel erklärt:
»Ein Film über Menschen: manche real, manche fiktiv«
Interview, Berichterstattung, Reportage, Melodrama, Konzertfilm, Fotofilm – man weiß hier nie, wo die Fiktion anfängt und die Realität aufhört, denn im schnellen Tempo wechseln sich die unterschiedlichen Modi ab. Sara Gómez findet Bilder und Stimmen, die die Energie und die Lust für soziale Veränderung einfangen. Der Film bleibt dabei seinem Vorhaben treu. Es ist vor allem ein Film über Menschen, über Körper in Bewegung, im Alltag, bei der Revolution. Die Facetten der revolutionären Veränderung sind hier breit gefächert. Sie finden sich in zwischenmenschlichen Beziehungen und alltäglichen Interaktionen.
Die Geschichten entfalten sich in der Stadt Las Yaguas im postrevolutionären Kuba. Die Liebesbeziehung zwischen Yolanda und Mario – sie Lehrerin und er Arbeiter in einer Fabrik – steht im Zentrum des Geschehens. Marios chauvinistische Ansichten und die daraus resultierenden Konflikte bilden den Angelpunkt der Handlung. Yolanda entstammt einer wohl situierten Familie, hat mehrere universitäre Abschlüsse und kommt durch ihre Arbeit als Lehrerin zum ersten Mal in Kontakt mit der marginalisierten Bevölkerung der Stadt. Mario ist im Prekariat aufgewachsen, auf den Straßen, wie er sagt. Er verkörpert und lebt den Machismo – ein Begriff, der in einem dokumentarischen Abschnitt erklärt wird, der mitten in das Gespräch der beiden geschoben wird. Dieser Teil, einem Lehrfilm gleich, schlägt einen Bogen zur kolonialen Geschichte Kubas und bietet Erklärungsansätze, wie es zu einem solchen patriarchalen Denken in Mario kommen konnte. Seien es die Einflüsse einer geheimen patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen ausgeschlossen werden, oder die historischen Werte der spanischen Einwanderer, die einem männlichen Gewaltkodex unterliegen: Die Beziehung der Protagonist*innen ist zugleich alltäglicher Austragungsort des historischen Erbes und der generationellen Schicksale, wie auch filmische Darstellung der revolutionären Potenziale. Yolanda und Mario verhandeln, wie sie ihre Beziehung gestalten wollen, welche Wertvorstellungen und Geschlechterrollen sie leben möchten. Vor allem Mario sieht sich mit Entscheidungen konfrontiert, die seine Rolle als Mann in Frage stellen: Soll er der in seinen Augen männlichen Pflicht nachkommen und seinen Kollegen decken, der sich vor der Arbeit drückt, oder mit dem Machismo auch die Idee der Verpflichtung zur männlicher Komplizenschaft ablegen, und sich Yolanda und den Veränderungen der Revolution zuwenden?
Yolanda bleibt ebenfalls nicht verschont von Konflikten und Konfrontationen im Zuge der Entwicklungen. Sie sieht sich zum ersten Mal umgeben von einem sozialen Milieu, dessen Werte sie als veraltet ansieht. Es reihen sich Interviewausschnitte, die Yolanda befragen, an Gespräche zwischen ihr, den Müttern der Kinder und ihren Arbeitskolleg*innen. Es sind Bilder eines Alltags in diesem Viertel. Dem Schüler Lázaro, der sich besonders den schulischen Pflichten verwehrt, stattet Yolanda einen Hausbesuch ab. Es wird klar, dass Lázaro in einem Umfeld von Gewalt und Armut aufwächst. Die Mutter ist durch ihre Umstände nicht in der Lage zu arbeiten, die Väter ihrer Kinder sind alle verschwunden. Lázaro landet bei der Polizei, Yolanda geht ihn abholen und der Beamte erklärt, dass nach vielen Untersuchungen Lázaro nur ein Junge ist, der mehr Liebe und Aufmerksamkeit braucht. Der Film vermittelt die ineinandergreifenden Probleme von Bildung und sozialen Umständen einer in patriarchalen Strukturen verankerten Gesellschaft. Besonders deutlich wird das, wenn Yolanda ihre Gedanken darüber, was aus den jungen Mädchen wird, die keine schulische Karriere nach der sechsten Klasse verfolgen, äußert. Über ihr Voice Over legen sich Bilder der Gewalt gegen Frauen.
Der Film findet seine Form aus dem Alltag der Menschen, er fließt wie das Gespräch der Arbeitskollegen beim Domino am Samstag, zu dem sich Mario gesellt: Es ist nicht nur entspannte Nachmittagsbeschäftigung, sondern auch Anlass, um über die Themen zu reden, die sie wirklich interessieren. Die Männer der Dominorunde fragen Mario über Yolanda aus, necken ihn, sorgen sich, dass er eine Frau außerhalb der eigenen Klasse trifft und geben ihm Ratschläge, wie man damit umgehen soll – leidenschaftlich oder subtil, in einem Witz oder flüchtig im Nebensatz verpackt. Das Tempo wird vorgegeben vom Spiel, von der Energie der Figuren, von der Freude des Spielens. Sie kommen zusammen zum Domino, reden gleichzeitig über Politik, über Liebe und über die Revolution. Es ist die Leidenschaft zu reden, zu streiten, eine Gemeinschaft zu sein, die sie zusammenbringt, und nebenbei läuft das Spiel weiter.
Nicht in Ernst, Wut und auf Konfliktlösung fixiert lösen sich die Gespräche auf, sondern der Film zeigt, wie die Veränderungen der Revolution nie zu trennen sind von alltäglichen und persönlichen Konflikten. So findet De Cierta Manera eine Form zwischen Spiel und Diskurs, Privatem und Politischem, Realem und Fiktivem, ein Zusammendenken, das nicht in stilisierten Ikonographien verweilt. Und wie beim Domino geht es dabei laut zu, es ist zugleich die Freude am Aushandeln und am Spielen. Der Film beginnt mit dem Streit der Männer – Mario entscheidet sich zur Enthüllung der wahren Gründe der Abwesenheit seines Freundes von der Arbeit – und endet mit dem Streit zwischen Yolanda und Mario, der durch den Verrat an seinen Freund und Kollegen seiner männlichen Rolle nicht mehr gerecht wird. Er gibt Yolanda dafür die Schuld. Und doch holt er sie von der Schule ab und auf dem Heimweg geht die hitzige Diskussion weiter. Es geht nicht allein darum, dass man sich einig wird, sondern dass man gemeinsam weiter streitet, dass man zusammen weitermacht.
De Cierta Manera ist derzeit auf Arsenal 3 und Mubi als Stream zu sehen.