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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

„Mario will be talking a lot in the movie.” The Super Mario Bros. Movie als Bankrotterklärung des Kinos

Genau 30 Jahre ist es her, seit Super Mario Bros. zum letzten Mal fürs Kino adaptiert wurde. Eine Zeitspanne, in der sich das Verhältnis zwischen den Medien Film und Videospiel fast vollständig verkehrt hat. Der kommerzielle Fehlschlag der ersten Version von 1993 (unter anderem besetzt mit Bob Hoskins und Dennis Hopper) war lange Zeit nur ein besonders frühes Beispiel in einer nahezu lückenlosen Reihe missglückter Videospieladaptionen. Egal ob Street Fighter mit Jean-Claude Van Damme (1994), Tomb Raider mit Angelina Jolie (2001), Max Payne mit Mark Wahlberg (2008) oder Need for Speed mit Aaron Paul (2014) – jede halbwegs bekannte Marke wurde mit dem mehr oder weniger bekannten Gesicht eines Stars gepaart und auf den Markt geworfen. Das Ergebnis war immer gleich, weder gut noch erfolgreich. Im filmkritischen Diskurs hat man diesen Werken jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit geschenkt oder sie höchstens als geschmacklose Kuriositäten belächelt. Für Videospielfans hingegen war trotz der vorhersehbaren Regelmäßigkeit jeder neue Versuch eine Enttäuschung. Das Desinteresse der Filmindustrie an den adaptierten Spielen war zu offensichtlich, um keine Empörung nach sich zu ziehen. Zumal für jede erfolgte Adaptation mindestens zwei weitere angekündigt aber nie realisiert wurden. Microsofts Halo-Reihe etwa sollte schon von Neill Blomkamp, Alex Garland und Peter Jackson verfilmt werden. Als würde Hollywood immer gerade genug Besserung geloben, um den nächsten Reinfall finanziert zu bekommen.

Glaubt man der Schwarmintelligenz des Kritikerspiegels auf Rotten Tomatoes, dann reiht sich der neue Super Mario Bros. Movie nun ans Ende dieser endlosen Kette von Enttäuschungen. Schon bei der ersten Ankündigung schien es sich um ein hoffnungsloses Missverständnis zu handeln, obwohl sie explizit an die Videospiel-Community adressiert war. Das Casting wurde im September 2021 vom Erfinder der Spielereihe Shigeru Miyamoto auf einer Pressekonferenz des Entwicklungsstudios Nintendo veröffentlicht und fand dementsprechend wenig Resonanz in der Filmwelt. Unter Videospielfans hingegen entwickelte sich das Video schnell zu einer Art Running Gag, das in unzähligen Reaktionsvideos zugrundegelacht wurde. Vor allem die Präsentation selbst zog die Häme des Internets auf sich. Die Besetzung von Chris Pratt für Mario etwa wurde vom damals fast siebzigjährigen Miyamoto mit den folgenden Worten verkündet: „First, of course, is Mario, who will be played by Chris Pratt. He’s so cool. Mario will be talking a lot in the movie.“ Inwieweit dies eine aufregende Ankündigung für eine Figur sein soll, die seit Jahrzehnten kaum mehr als „Jippie!, „Here we go!“ oder „O no!“ von sich gibt, wusste vermutlich weder Miyamoto noch irgendjemand anderes in der Marketing-Abteilung. 

Jetzt spricht Mario also und kann zum Beispiel zu seinem Bruder Luigi sagen: „nothing can happen to us, as long as we’re together.” Oder sich darüber beklagen, dass ihm Pilze eigentlich gar nicht schmecken, bevor er die berühmten Power Ups aus den Spielen zu sich nimmt. Der Tonfall des Films schwankt permanent zwischen diesen Polen von konventionellem Erzählkitsch und stumpfsinniger Ironie. Natürlich bekommt Mario eine Hintergrundgeschichte verliehen als erfolgloser Klempner aus Brooklyn mit großen Träumen und einem Herz aus Gold, der sich eigentlich nichts sehnlicher wünscht als die Anerkennung seines Vaters. Luigi wiederum, dafür zeigt der Film eigens ein Flashback, wurde schon als kleines Kind von Mario vor den bösen Jungs auf dem Spielplatz beschützt. Gleichzeitig unterläuft der Film permanent die eigenen Spannungsbögen durch Witze, die ihre Konstruiertheit augenzwinkernd offenlegen sollen. Eine Trainingsmontage – unterlegt mit Holding Out for a Hero von Bonnie Tyler – wird erst schulbuchmäßig durchexerziert, nur um kurz vorm Höhepunkt doch plötzlich zu scheitern. Wieder und wieder führt der Film diesen einen Trick vor. Eine Form der Ironisierung, die die Konventionalität der eigenen Form nicht etwa unterläuft oder gar sprengt, sondern sie im Gegenteil noch bestätigt. Denn nachdem die Lacher verhallt sind, findet die Dramaturgie unbeirrt immer wieder zurück zur selben Einfallslosigkeit, über die sie sich gerade noch lustig gemacht hat. Wenn überhaupt werden die Klischees verabsolutiert, wenn man selbst im vollen Bewusstsein der eigenen Banalität unfähig ist, sich etwas anderes vorstellen zu können. So finden Mario und Luigi nach ihrer Heldenreise durch das Videospieluniversum zielsicher zurück nach Brooklyn, wo Mario mit einem Schlag den Kampf gegen das Böse und die Anerkennung des Vaters gewinnen kann, während Luigi seinen Bruder im Prozess auch einmal retten darf und dabei pflichtbewusst denselben eingangs zitierten Satz wiederholt. Dazwischen liegen Bilder und Töne so generisch, dass sie sich einer näheren Beschreibung regelrecht versperren.

Auffällig ist jedoch, dass die negativen Kritiken nicht nur deutlich milder ausfallen als bei früheren Videospieladaptionen, sondern auch überhaupt nicht mit den ersten Reaktionen des Publikums aus dem Internet übereinstimmen. Der Audience Score auf Rotten Tomatoes liegt nach dem Eröffnungswochenende fast doppelt so hoch die Durchschnittswertungen der Kritik. Auch finanziell ist der Film auf dem besten Weg, am Eröffnungswochende einige Rekorde einzustellen. Noch am Tag des Kinostarts werden die ersten YouTube-Videos hochgeladen, in denen dutzende Easter Eggs aus allen möglichen Spielen des Nintendo-Katalogs aufgezeigt werden. Alle möglichen Internetseiten nutzen die Gelegenheit, ihre alten Listen über die „Besten Videospielverfilmungen aller Zeiten“ erneut aufzuwärmen. Der Film generiert Content und darin erfüllt sich sein eigentlicher Zweck. Mit dem Animationsstudio Illumination hat Nintendo dafür ohne Frage den bestmöglichen Partner gefunden. Kein anderes Studio hat in den letzten Jahren aus so wenig Kreativität so viel Profit generiert, wie es dem Animationsstudio mit den Minions gelungen ist. Das Mario-Franchise wiederum bietet bereits eine solche Fülle von Produkten, dass es ein leichtes ist, die Handlung bis zum Erbrechen mit Querverweisen vollzustopfen. Nintendo ist schon seit Jahrzehnten ein Meister darin, den Wiedererkennungswert der eigenen Marken zu pflegen. Neben der Hauptspielereihe gibt es Mario Kart, Mario Party, Mario Tennis, Mario Golf, Paper Mario, Dr. Mario und viele mehr, allesamt mit mehreren Ablegern. Wer nur einen Bruchteil der Spiele kennt, wird beim Sehen haufenweise Anspielungen entdecken. Doch in keinem Moment geht es darum, sich mit dem zitierten Material wirklich auseinanderzusetzen. Jede Referenz wird nur so lange ins Bild gesetzt, bis der nostalgische Wiedererkennungsmoment für Eingeweihte garantiert ist, bevor sie dem nächsten Verweis weicht.

Mit diesem Ansatz steht der Super Mario Bros. Movie symptomatisch für eine veränderte Haltung Hollywoods gegenüber der Videospielindustrie und ihrem Publikum. Nach Jahren der Missachtung biedern sich jüngere Produktionen der Fanbase auf jede erdenkliche Weise an. Die Entwicklung ist nicht unähnlich derjenigen von Comicbuchverfilmungen, die sich in wenigen Jahren vom Nischendasein in den Mainstream bewegt haben und wo das Fandom inzwischen die diskursive Deutungshoheit über einen der teuersten Zweige der Filmindustrie gewonnen hat. Doch im Gegensatz zu Comicbüchern haben Videospiele den Film schon lange als Massenmedium abgehängt. Das Kino ist heute deutlich abhängiger von der Popularität der adaptierten Spiele als umgekehrt. Daher werden auch Videospielverfilmungen nicht nur immer teurer und ihre Werbekampagnen größer, vor allem das Verhältnis zum Ausgangsmaterial ist ein grundlegend anderes. Hatten frühere Produktionen außer dem Titel so gut wie nichts mit ihren angeblichen Vorlagen gemein, wurden beispielsweise für Uncharted (2022) ganze Sequenzen aus der Spielereihe detailgetreu nachinszeniert. Anfang dieses Jahres folgte die HBO-Prestige-Serie The Last of Us, basierend auf dem gleichnamigen Spiel desselben Entwicklerstudios Naughty Dog. Auch wenn das Konzept hier deutlich besser aufzugehen scheint als früher, haftet den Produktionen eine seltsame Sinnlosigkeit an. Denn Naughty Dog hat sich wie kaum ein anderer Entwickler durch die besonders „filmreife“ Inszenierung ihrer Spiele einen Namen gemacht. Die Uncharted-Reihe präsentiert sich seit dem ersten Teil von 2007 als spielbares Actionkino im Stil von Indiana Jones auf dem technisch stets neuesten Stand, während sich The Last of Us auf der Welle des Zombietrends durch eine tiefgründige Geschichte profilieren wollte. Die Anlehnung an die großen Erzählungen des Kinos ist dabei so unverhohlen, dass die Fortsetzung nach Vorbild der Godfather-Filme als The Last of Us Part II betitelt wurde und der erste Teil sogar rückwirkend den Zusatz „Part I“ verliehen bekam.

Gerade die strenge Orientierung der Spiele an populären filmischen Formen entzieht indessen den Rückübersetzungen ins Filmische die Existenzgrundlage. Hier entsteht ein Problem, das es für Videospieladaptionen filmischer Stoffe nie gegeben hat. Es leuchtet unmittelbar ein, warum sich unzählige Spiele als interaktive Versionen von Western, Martial-Arts-Filmen oder Star Wars vermarkten, ganz unabhängig davon, wie gelungen die Übertragungen sind. Ganze Spielgenres haben sich aus der Simulation einzelner Filme heraus entwickelt, oft sogar in enger Kooperation mit Hollywood. Der Militärshooter geht beispielsweise maßgeblich auf Steven Spielberg höchstpersönlich zurück, der noch während der Produktion von Saving Private Ryan mit Medal of Honor auch eine spielbare Version des Zweiten Weltkriegs kreieren wollte. Umgekehrt jedoch ist kaum einsichtig, was daran reizvoll sein soll, nun auch die nicht-interaktive Version eines spielbaren Actionfilms sehen zu können. Diese Möglichkeit gibt es für Videospielfans schon zuhauf in Form von Let’s Plays oder Livestreams. Selbst für das klassische Verkaufsargument der Verfilmungen, eine wirklichkeitsnahe oder besser überlebensgroße Verlebendigung des adaptieren Stoffes zu bieten, hat man bei Videospieladaptionen den richtigen Zeitpunkt verpasst. Die Spielindustrie hat sich den Wirklichkeitseffekten des Kinos in den letzten Jahren erstaunlich weit angenähert, wobei der Realitätseindruck vor allem über die Simulation von eigentlich genuinen Kameratechniken wie Lens flare oder Unschärfe funktioniert. Auf der anderen Seite werden auch die großen Blockbuster immer digitaler. Von James Camerons Avatar ist es tatsächlich nicht mehr weit zu seinem Namensvetter, der steuerbaren Videospielfigur. Bei Animationsfilmen wie dem Super Mario Bros. Movie liegt der Unterschied höchstens noch im Detailgrad der Haare auf Marios Schnurrbart. Für ein Massenpublikum kann das als Argument für das Kino nicht mehr lange Bestand haben

Videospiele präsentieren sich der breiten Masse immer erfolgreicher als die nächste, interaktive Evolutionsstufe des Kinos. Irgendwann werden sie diese Referenz nicht mehr brauchen, weil sie ihren Vorläufer längst vom Markt verdrängt haben. Von so plumpen Slogans wie „Press Triangle for Blockbuster“, mit dem vor zehn Jahren für Beyond: Two Souls geworben wurde (besetzt mit Elliot Page und Willem Dafoe), hat man sich jedenfalls weit entfernt. Das äußerst lukrative Reboot der God of War-Reihe wurde 2018 damit beworben, dass die ganze Geschichte in einer einzigen, kontinuierlichen Einstellung präsentiert wird. Es ist das gleiche Qualitätsmerkmal, nach dem ein Großteil der Oscars für die „beste Kamera“ in den letzten zehn Jahren vergeben wurden (ein ehrlicherer Titel wäre: auffälligste Kameraarbeit). Wenn sich Hollywood dauerhaft auf einen technischen Überbietungswettbewerb mit der Spieleindustrie einlässt, werden die großen Filmstudios in ein paar Jahren merken, dass sie aus der Auseinandersetzung mit dem neuen Medium nichts gelernt haben. Manche würden sagen: Es gibt nichts zu lernen für das Kino in dieser Beziehung, aber diese Frage können nur die Filme selbst beantworten. Die Mario-Reihe hätten in diesem Fall sogar ein gutes Vorbild für eine gelernte Lektion sein können. Denn obwohl die Spiele nie dem Ideal von Fotorealismus nachgeeifert haben, sind sie auf vielfältige Weise durch Filmisches inspiriert. Der erste 3D-Ableger Super Mario 64 etwa führt im Intro noch vor der Hauptfigur Mario die Kameraperson als eigentlichen neuen Protagonisten einer nun frei begehbaren Welt ein. Wenn dem Super Mario Bros. Movie in die andere Richtung nichts Besseres einfällt, als ab und zu eine Szene aus einer Seitenansicht zu präsentieren, die an die Sidescrolling-Perspektive der 2D-Spiele erinnert, ohne sich dieser Ästhetik einmal auszuliefern, dann darf sich diese Form des Kinos meinetwegen im Konkurrenzkampf mit der Videospielindustrie selbst abschaffen. Es gibt unzählige andere filmische Strömungen, die es mehr verdienen, gesehen zu werden.