Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu An Injury to One von Travis Wilkerson

Text: Ronny Günl

Wie Travis Wilkerson seinem Film emphatisch vorausschickt, wäre es notwendig, mit der Welt in Harmonie zusammenzuleben. Auch wenn man sich unter dieser Aussage wenig Konkretes vorstellen mag, lässt sich wohl unmöglich über die verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus und seiner Krisen hinwegblicken. So sind für Wilkerson die verseuchten, toten Gänse, die 1996 in der Nähe des Berkeley Pit, eine geflutete Kupfermine in Montana, gefunden wurden, nicht nur ein Hinweis für die Geschichte einer Umweltzerstörung, sondern auch die eines Verbrechens ohne Beweise. Es handelt sich um die Ermordung des Gewerkschaftsanführers Frank Little im Jahr 1917. Dieser agitierte die Arbeiter der Anaconda Copper Mine und verband dies zugleich mit seinem Kampf für Bürgerrechte. Liberalismus und Klassenkampf kamen sich vor dem Hintergrund einer menschenverzehrenden Kriegsindustrie, die in der Grube mehr Tote als in den Schützengräben hervorbrachte, in seiner Person gefährlich nah. Unbekannte Täter erhängten ihn und versahen seine Leiche mit einer Warnung an alle anderen Aufrührer in den Reihen der Gewerkschaften.

Diese brutale Form der Gewalt befremdet unter anderem aus jenem Grund, da man sie wohl eher in feudalen Gesellschaften, jedoch nicht in der Moderne vermuten würde. Mit der Chiffre des McCarthyismus war derlei Selbstjustiz in den folgenden Jahren nicht mehr notwendig, vielmehr wurde die Repression mit dem Generalverdacht sowjetischer Spionage, wodurch auch zahlreiche Filmemacher und Intellektuelle zur Zielscheibe wurden, in den Staatsapparat integriert. Während im neu prosperierendem Wirtschaftswachstum dank der Krisenlösung des New Deals die kapitalistischen Konkurrenzverhältnisse politisch reguliert wurden, verdunkelte sich im relativen Wohlstand die gewaltvolle Vergangenheit allmählich. So muss trotz Aufschwung aber ein zweifelhaftes Glück geherrscht haben, das für kurze Dauer währte und dessen jähes Verblühen lokale, dafür umso heftigere Konsequenzen begleiteten. Da die Minen über begrenzt-profitable Bodenschätze verfügten, war man gezwungen, sie wenige Jahre nach Inbetriebnahme schon wieder aufzugeben und hinterließ dabei nicht nur anliegende Geisterstädte, sondern auch schwelende Naturkatastrophen, für deren Lösung sich die Trusts nicht mehr in Verantwortung sahen.

All das berichtet An Injury to One in einer stichpunktartigen Chronologie, dessen Kapitel von den wehmütigen, wie enttäuschten Songs der Miners getrennt werden. Wilkerson erzählt dabei, wenn auch mit einigem Pathos, historisch-materialistisch von der im Giftwasser verborgenen Geschichte der Mine, die sich am Fund der toten Tiere entzündet. Statt frei und direkt zu sprechen, wie der Gewerkschaftler und Bürgerrechtler Frank Little forderte, macht sich in diesem historischen Bogen eher die Rhetorik einer freien indirekten Rede bemerkbar, die sich die Vergangenheit aneignet. Wilkerson hat dafür nicht nur die Berkeley-Pit-Katastrophe vor Augen, sondern unausgesprochen auch die sozialen Verwerfungen wiederkehrender Krisen, nicht zuletzt mit der New Economy seit Anfang der 2000er Jahre (jetzt Silizium für Halbleiterchips statt Kupfer für Telefondrähte), deren Spuren sich mitunter in der Ästhetik der parzellierten und übereinandergestapelten Bildern des Films wiederfinden lassen. Es mag überraschen, dass Wilkerson nie aufs Kino stößt, dessen Geschichte sich gleichzeitig mit den Minen entfaltete. Stattdessen erfährt man, was in der Vergangenheit geschah und sich in den folgenden Generationen wiederholte und diese überdauerte. Etwas, das dem Kino dann doch gar nicht so fremd ist.