Text: Ivana Miloš
Die Fiktion des Lichts ist nirgendwo so fruchtbar und schön wie in der absoluten Dunkelheit. Das lässt sich sehr gut beobachten in den Arbeiten Luciano Emmers, da dieser Filmemacher immer an der Schwelle zwischen Licht und Dunkel steht, schaut und filmt. An der Schwelle, wo sein klarer Blick scheinbar stabile Grenzen zwischen Fiktion und Realität, Jetzt und Einst, Kindsein und Erwachsensein, Gewissheit und Ratlosigkeit verwischt. Ob es sich dabei, wie in La ragazza in vetrina, um ein Ausgeliefertsein und Fremdsein in einer feindlichen Welt handelt, um die Malereien von Giotto und Leonardo da Vinci in seinen Dokumentarfilmen, oder das Leben in der Vorstadt von Rom in Camilla, macht für Emmers Blick wenig Unterschied – seine Empathie und sein Verständnis ändern sich nicht, immer sucht er das Licht. Aber es ist zu einfach zu sagen, dass La ragazza in vetrina nur ein Thema hat – der Film fühlt sich in mehrerer Hinsicht zwiegespalten an und gestaltet sich dazu in zwei Teilen, die tief miteinander verwoben sind. Zuerst: das Bergwerk, die Untiefen der Erde. Danach: das Rotlichtviertel Amsterdams.
In der Nachkriegszeit werden italienische Arbeiter in niederländische Minen importiert. Es ist schwer, die Familie über Wasser zu halten. Der Film zeigt diese Bewegung der Arbeiter über Grenzen, die Suche nach billigeren „Arbeitskräften“, die in einer völlig unbekannten Welt landen, um Geld nach Hause schicken zu können. Vincenzo (Bernard Fresson), ein junger Italiener, kommt gemeinsam mit einer Gruppe in der Nacht an. Sie haben Fragen: Wo kann man hier schlafen? Wo müssen wir hin?
Die Erde ist porös, wenn solche Ungewissheit herrscht. Die Reise ins Bergwerk am nächsten Tag ist nur die Fortsetzung einer schon versunkenen Welt. Vincenzos erste unterirdische Fahrt beginnt mit einem Countdown: die Ebenen werden vom Vorarbeiter durchgezählt zusammen mit der Tiefe, die der wackelige Lift voller verängstigter Menschen erreicht. Das Licht wird zurückgelassen, der Schachteingang verschwindet als heller Fleck am Horizont der dunklen Tiefe. In den Minen verschwindet die Welt, sie fährt weg, man fährt weg von ihr in die Dunkelheit unter der Erde. Hier sind menschliche Körper, die sich in schmale Spalten pressen. Schwarze Gesichter, mit Kohlenstaub bemalt, schwarze Umgebung, mit Düsternis gefüllt.
Vincenzo entkommt dem Schacht nach einigen Tagen zusammen mit seinem neuen Freund Federico (Lino Ventura), der ihm eine Traumzukunft ausmalte, während sie unter schwersten Bedingungen auf die Rettung warteten: sie werden nach Amsterdam fahren, und zwei wunderschöne Frauen aus dem Rotlichtviertel auf ein Wochenende am Meer einladen. So beginnt der zweite Teil des Films, dort, wo die titelgebende La ragazza in vetrina, Else (Marina Vlady), in einem Schaufenster wartet. Die Parallelen zwischen den beiden Welten sind unvermeidlich – beide finden in der Finsternis statt, die eine unter der Erde, die andere auf der Schattenseite des Tages. Else und Vincenzo fahren tatsächlich ans Meer, sie lädt ihn ein in ihr kleines Haus bei den Dünen. Aber ihre Romanze wird von Geistern verfolgt, unerbittlich wie der starke Meereswind, der Vincenzo zu Albträumen über die Minen führt. Else hat ihre Familie im Krieg verloren, Vincenzo möchte zurück nach Italien zu seiner. Ihre Worte vermischen sich, ihre Sprachen kollidieren und hinterlassen eine Hilflosigkeit, die sie nur durch Gefühle und Körpersprache überbrücken können. Vincenzo bleibt, kehrt zurück in den Bergwerk. Hat das mit der Liebe zu tun, kann eine unterirdische Existenz als Happy End bezeichnet werden? Das Ende ist eine weitere in die Dunkelheit geritzte Spaltung. Etwas funkelt, egal wo man sich befindet – es ist die Suche nach dem Menschlichen. Das Schwierigste ist, das Licht überhaupt zu finden.