Notiz zu den Trinkern im Kino

Die Geschichte des Kinos ist auch eine Geschichte der Trinker (vor und hinter der Kamera). Alkoholisierte, durch die Welt torkelnde Trunkenbolde sehen in Filmen oft zu gut aus. Sie lallen, aber man versteht sie trotzdem. Sie stinken nicht. Sie schlagen Frauen, aber die Kamera interessiert sich für ihre Zerbrechlichkeit, kaum für jene der Frau (zitternde Hände, die unerträgliche Schuld und dergleichen). Es sieht gut aus, wenn sie auf der Straße stehen und Flaschen leeren. Die Pulle in der Jackentasche ist geheimnisvoll. Meist haben sie einen Grund, um zu trinken. Sie saufen wegen der Narben, der Ungerechtigkeit, der Verlorenheit. Haben sie keinen einfachen Grund, ist der Film besser.

Die meisten wollen keinen Schmerz mehr spüren. Die Schauspieler spielen so, dass man den Schmerz sieht. Manchmal muss man lachen, wenn man einen Trinker im Kino sieht. Das Beschwipste ist humoristisch, das Loch dahinter ist riesig, ein Abgrund. Das Kino hat oft bewiesen, dass es die Menschen hinter dem Dauerrausch erkennen kann. Es erzählt eine Geschichte der Armut und Überwindung; es zeigt Mitgefühl dort, wo sich ganze Gesellschaften abwenden. Eine Nahaufnahme der ängstlichen Augen überkommt das Vorurteil und jegliche Irrationalität der Handlungen, eine Nahaufnahme der Augenringe ist der Triumph der Maskenbildner in Fragen der Psychologie.

Ein Film über einen Trinker ist oft auch ein Film über das Verzeihen. Seltener hat das Kino nüchtern auf die Trinker geschaut. Vielleicht weil das Kino eine gewisse Nähe zum Saufen spürt. Erst ist es nur ein Schluck und dann betäubt man sich in Bildern. Heute trägt man auch Filme in der Jackentasche. Man trinkt allerdings eher eine ganze Flasche, als dass man einen ganzen Film sieht. Es gibt auch eine Musik, die den Trinker begleitet. Meist ist es versumpfender Jazz, der so klingt als würde der Morgen bereits anbrechen. Man macht trotzdem weiter, irgendwer zupft im Hintergrund auf dem Bass herum und die Kamera starrt bitter in ein Glas.

Die Getränke der Trinker im Kino sind eine letzte Bastion des Kinobildes gegen das Diktat der Werbung. Denn nur selten sieht man die prickelnde, goldene, spritzende Gesöffspoesie der Werbung, nein, der Trinker im Kino verkauft nichts (außer sein Leid). Man sieht, dass er trinkt, es ist aber egal, was er trinkt. Sieht man einen Trinker im Kino, weiß man sofort, dass der Schauspieler nicht wirklich trinkt. Es geht nur um eine Masse an Flüssigkeit, die er in sich schütten muss und diese Geste, in der sich das Gesicht in der Hand vergräbt, sobald ein helles Licht auf die Schauspieler fällt.

Manchmal trinken auch Frauen. Komischerweise liegen sie dann oft im Bett und trinken. Männer sitzen eher in einer Bar oder stolpern über die Straße. Frauen trinken liegend, sagt das Kino. Trinker kümmern sich nicht um ihre Kleidung, aber sie haben selten einen Bierbauch im Kino. Wenn Trinker einen Film über Trinker sehen, schlafen sie meist ein. Das liegt vermutlich nicht am Film.