Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Harlan County, USA von Barbara Kopple

Text: David Perrin

Der Schrei eines Bergmanns – „Fire in the hole!“ –, der den Film eröffnet, die darauffolgende Explosion in der Dunkelheit und der atemlose Raum des Brookside-Bergwerks im östlichen Teil Kentuckys, hallen bis zum Ende in den Ohren der Zuschauer nach. Dass diese Redewendung gleich am Anfang des Films zu hören ist, kommt passend: Sie weist daraufhin, dass die Detonation eines Sprengstoffs in einem begrenzten Raum unmittelbar bevorsteht und stammt von amerikanischen Bergarbeitern, die ihre Kameraden vor der Zündung warnen mussten. So ist der Film zugleich ein Schrei und eine Explosion der Solidarität, in hautnahen Bildern, mit den streikenden Arbeitern gegen die Duke Power Company, nachdem ihnen der Eintritt in die Gewerkschaft der United Mine Workers verweigert wurde.

Die vermeintliche Objektivität und Distanziertheit des Dokumentarfilmemachens gegenüber dem Sujet werden hier auf den Kopf gestellt. Barbara Kopple versteckt sich nicht hinter der Kamera. Man hört ihre Stimme, sie stellt Fragen, sie greift ein, ist zusammen mit ihrem Filmteam mittendrin in den Geschehnissen. In der Szene, in der die „scabs“ – wie die Streikbrecher genannt werden – auf die Streikenden schießen, werden Kopple und ihr Team ebenfalls attackiert; die Bilder verzerren sich; die Kamerabewegungen werden hektisch und fieberhaft; der Ton wird zu einem einzigen Geschrei vor Angst und Gewalt. 

Es ist ein Film über das Hören und Zuhören. Stimmen von Menschen, die normalerweise nicht gehört werden, die es sich nicht mehr gefallen lassen wollen, unter solchen menschenfeindlichen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ihren Lebensunterhalt bestreiten zu müssen, und die es endlich mal satthaben, an den Rand gedrängt zu werden, kommen zu Wort in einem ganzen Lexikon verschiedener Sprechweisen, Akzenten und Kadenzen, die im Film ihren eigenen Rhythmus finden und ausbreiten.

Man spürt dies vor allem bei den gesungenen Protestliedern, mit denen sich die Wirklichkeit des Kampfes begreifen lässt. Die berührendsten Stellen im Film sind die, in denen man beobachten kann, wie die Sprache der Lieder durch die Körper der Menschen fließt, wie sie zu einer eigenen Erzählform wird, und wie die Sänger diesen Moment nutzen, um ihre Klagen und Hoffnungen in Poesie umzuwandeln.

Which Side Are You On?, ist der Titel eines der Lieder, das 1931 während des ersten Bergarbeiterstreiks in Harlan County von Florence Reece, der Frau eines Gewerkschafters der United Mine Workers, geschrieben wurde und im Film zu einer Hymne der Streikenden wird. In einer der Szenen ist Florence Reece selbst zu sehen, nun dreiundsiebzig Jahre alt. Sie steht vor einer Versammlung und schmettert das Lied in ihrer brüchigen, kratzigen, aber immer noch mit Wut und Leidenschaft erfüllten Stimme über die Köpfe der Menschen, bis schließlich die anderen einstimmen. Der Film singt mit und fragt auch uns: Auf welcher Seite bist du?