Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Juku von Kiro Russo

Text: Hans Bonhage

Am Anfang herrscht Dunkelheit. Einige Sekunden dauert es, bevor in Kiro Russos Juku die erste Stirnlampe wenigstens einen kleinen Teil des Bildes erhellt. Die Dunkelheit begleitet die sogenannten Piraten, Jukus, die dem Film seinen Namen geben und die täglich in die Zinnmine Posokoni im bolivianischen Huanuni hinabsteigen. Es sind nur wenige Lichtquellen, die die Minen und die in ihnen arbeitenden Menschen mit Bildern greifbar werden lassen: Stirnlampen auf den Köpfen der Arbeiter, Laternen in ihren Händen, die Flamme eines Feuerzeugs und die glühende Zigarette, die damit angezündet wird; erst später ist ein Tageslichtschimmer zu erahnen. Der Berg droht die Arbeiter in seiner Dunkelheit zu ersticken. Ein Defekt der Lampen, die im Berg so etwas wie eine Lebensversicherung darstellen, ist lebensbedrohlich. Wie die Bergarbeiter ist das Kino auf das Licht als Grundbedingung angewiesen, in der Dunkelheit gibt es wenig zu sehen. Und so wäre es auch übertrieben zu behaupten, dass Russo die Umstände in Posokoni ausleuchtet, trotzdem werden Umrisse sichtbar: Umrisse eines solchen Zinndiebes – man könnte ihn als Protagonist dieses Films bezeichnen, wenn man einen sucht –, der mühevoll Gestein von den Wänden der Mine abmeißelt, die wertlosen von den begehrten Brocken trennt und letztere in seinem Rucksack verstaut. Stets darauf bedacht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Dann eine Gruppe von Männern im Gespräch, am Minenboden sitzend. Sie rauchen, essen und sprechen über jene, die sie für den eigenen Profit in die Mine schicken, nicht ausreichend geschützt und vorbereitet. Im Auftrag ihrer Firmen höhlen sie ebenso den Berg mit seinen Mineralien aus, dabei verschwimmen hier in der Dunkelheit die Grenzen zwischen ihnen und dem einsamen Zinndieb. Die Männer in der Mine sind alle den gleichen Mechanismen ausgesetzt – ein Moment der Solidarität entfaltet sich in der gemeinsamen Ausbeutungserfahrung. 

Die Dunkelheit versteht sich auch als Aufforderung, den Geräuschen größere Aufmerksamkeit zu widmen, die sonst oft von Bildern überlagert werden. Der dunkle Film schärft die Sinne wie die eines nachtaktiven Tieres, Kleinigkeiten werden bedeutsam. Schläge auf das Gestein in den Höhlen werden begleitet von den angestrengten Atemgeräuschen der Jukus, dann hastige Bewegungen, um die wertvollen Mineralien aus den Stollen zu transportieren. Das erste gesprochene Wort, natürlich: „oscuro“ – auch in den Gesprächen der Minenarbeiter ist die Dunkelheit allgegenwärtig. Akzentuiert wird sie von Carlos Gutiérrez’ bedrohlichem Score, der an die Echos der Hammerschläge und das Quietschen der Loren auf ihren Schienen erinnert und so direkt aus der Zinnmine zu stammen scheint.

Schließlich rächt sich der Berggeist, vor dem die Arbeiter sich fürchten: ein Unglück geschieht, die Arbeiter tragen den leblosen Körper des Jukus durch die Gänge der Mine; ein Schild am Rand verbietet das Baden (als könnte sich das hier jemand erlauben). Am Ende ein Schimmer des Tageslichts und ein weiterer solidarischer Moment zwischen Arbeitern und Jukus, aber auch das beklemmende Gefühl, dass es aus dieser Mine vielleicht keinen anderen Ausweg gibt. Denn die Arbeit mit schweren Gerätschaften auf engstem Raum muss weitergehen.