Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Spuren von Bewegung vor dem Eis von René Frölke

Wäh­rend man sich sonst erhofft, dass ein Film Licht ins Dunk­le bringt, schwebt die­ser mit gleich­blei­ben­der Auf­merk­sam­keit immer leicht unter dem, was als ver­ständ­lich gilt. Der Titel von René Fröl­kes Spu­ren von Bewe­gung vor dem Eis könn­te von einem jener Bücher ent­lehnt sein, die der Film in den Res­ten, von Archiv lässt sich nicht spre­chen, des ehe­ma­li­gen Zür­cher Pen­do-Ver­lags im Kel­ler ent­deckt. Glei­cher­ma­ßen eig­net sich der Titel ein beun­ru­hi­gen­des wie ver­trau­tes Bild für das Motiv des Films an – eine Suche, die weder weiß, an wel­cher Stel­le sie begin­nen soll noch, was sie glaubt zu fin­den. Statt­des­sen begeg­net die Kame­ra unzäh­li­gen Kis­ten und Regal­wän­den, in denen Bücher nicht ste­hen, son­dern der Auf­la­ge nach gesta­pelt lie­gen, leicht ange­staubt. Kaum lässt sich über den Boden gehen und gleich­zei­tig durch den Sucher der Bolex sehen, ohne Gefahr zu lau­fen, zwi­schen Unsor­tier­tem umzu­fal­len und ein­zu­bre­chen wie auf einen ver­eis­ten See. Es kann nicht die Rede davon sein, dass sich die Bil­der an der Ober­flä­che des Films befin­den, eher ist es ein Tauch­gang oder eine Aus­gra­bung, etwas liegt über ihnen. Es sind Ton­band­auf­nah­men mit der Stim­me von The­re­sia Weig­ner, einer Nach­fah­rin und Nach­lass­ver­wal­te­rin der Ver­lags­grün­der Gla­dys Weig­ner und Bern­hard Moos­brug­ger. Um wen es sich bei den Per­so­nen genau han­delt, will der Film nicht wirk­lich offen­le­gen. Er inter­es­siert sich viel­mehr für die Mate­ria­li­tät oder Lite­r­a­ri­zi­tät, die sich mit und auf dem Film ent­blät­tert. So ent­stand neben der Arbeit am Film zugleich ein Buch, indem Fröl­ke über lan­ge Zeit das Gesprächs­ma­te­ri­al tran­skri­bier­te, in Zei­len setz­te, arran­gier­te, druck­te und bin­den ließ. Das Buch ver­staubt nun in sei­nen Rega­len neben Film­do­sen. Die Ein­stel­lun­gen auf die­ses Buch ver­mit­teln im Film auf eine beson­de­re Wei­se zwi­schen der Ton- und Bild­ebe­ne. Mit den eigen­wil­li­gen Kadrie­run­gen, die nie den gan­zen Satz­spie­gel abbil­det, tre­ten Text­kon­den­sa­te – meist weni­ge Wor­te, mehr zwi­schen als in den Zei­len – her­vor. Erfahr­bar wird so nicht das Buch als Lese­ma­schi­ne, son­dern als Spei­cher des Eph­eme­ren. Das Anhäu­fen, Stö­bern und Blät­tern lässt nicht bebil­dern, statt­des­sen wird es ertas­tet. In einer Ein­stel­lung wer­den diver­se Buch­ti­tel nach­ein­an­der auf einem schwar­zen Grund der Kame­ra prä­sen­tiert wer­den, gera­de so lang, um den Titel und die Gestal­tung des Buch­de­ckels zu erfas­sen. Abge­se­hen von den Kapi­tel­über­schrif­ten in Fröl­kes eige­nem Buch, die mit Jah­res­an­ga­ben über den Ent­ste­hungs­pro­zess infor­mie­ren, bleibt es die ein­zi­ge kon­se­quen­te Struk­tur, die gleich­zei­tig von der Hilf­lo­sig­keit erzählt, sich in einem aus­ufern­den Archiv Über­blick zu ver­schaf­fen. Wer Bücher, Zeit­schrif­ten, Dru­cke und ande­res Schrift­gut sam­melt, weiß dar­um. Es ist der Aus­druck ver­zwei­fel­ter Befürch­tun­gen mit jeder neu­en Mate­ri­al­schicht, ein­mal Gefun­de­nes nie wie­der zu Gesicht zu bekom­men. Der Film folgt dabei Spu­ren, ohne am sel­ben Ort sei­ne eige­ne zu hin­ter­las­sen, ein­zig auf dem Film­ma­te­ri­al. Da er auf einen Kom­men­tar ver­zich­tet, könn­te man glau­ben, es blie­be offen, wie sich die­se Erfah­rung auf den Pro­zess des Fil­mens aus­wirkt. So scheint die Begeg­nung mit dem Arte­fak­ten eines Ver­lags nur sub­jek­tiv erfahr­bar, mög­li­cher­wei­se unver­mit­tel­bar zu sein, letzt­lich tritt sie hin­ter die Doku­men­te zurück. Am Ende ver­harrt die Kame­ra vor einem Kla­vier, an dem The­re­sia sitzt und spielt, getaucht in schumm­ri­gem Büh­nen­licht. Auf ein­mal fällt die Unnah­bar­keit aller vor­he­ri­gen Bil­der ab, es wirkt, als wäre die­se Sze­ne einem ande­ren Film ent­nom­men, auf­ge­taucht oder end­gül­tig ver­schwun­den. Man­che Fil­me ähneln sich Büchern an, wäh­rend man­che Bücher sich in Fil­me ver­wan­deln. Auch wenn man gut dar­an tut, bei­des an unter­schied­li­chen Orten auf­zu­be­wah­ren, ste­hen sie sich in ihrer Flüch­tig­keit oft näher, als man glaubt.