Petrichor

von Patrick Holzapfel

Matsch, Patsch, Gatsch, ich sehe Fußspuren im Schlamm. Die Erde bewegt sich noch, kaum sichtbar, aber da gibt es kleine Bläschen im Dreck, einen Regenwurm in seinem Element; alles tropft wie Honigwachs von langen Kerzen in der Nacht. Im Gras liegen Äste und hoffnungslose Borkenteile. Ein schwarzer Käfer klettert dort. Er hat Schmerzen, hat zu viel Wasser geschluckt. Die Wunden heilen langsam. Entfernt hört man noch ein Donnern, sieht gebrochene Wolken, erkennt ein Donnerlittchen, jemand beruhigt: Es zieht weg, es ist vorbei. Der Hund zittert bis jetzt, kommt nicht aus seinem Versteck. Es rinnt und tröpfelt aus der Regenrinne, die Vater neulich repariert hat. Wie geht es wohl dem Spatz, der dort sein Nest errichtete? Plattgedrückte Ringelblumen strecken sich nach der durch die Wolken drängenden Sonne, der Garten eine Trümmerlandschaft, man sieht es. Die Fliegen schütteln und trösten sich unter den Blättern, aber Vorsicht ist geboten, denn aus den Baumkronen plätschert es beim kleinsten Wind.

Es wird wieder wärmer. Die Nachbarin kann kaum warten bis sie das gefallene Laub vom Trottoir entfernt, erst ganz sachte tritt sie auf die Straße mit ihrer Regenjacke und den Gummistiefeln, als könnte sie ertrinken, dann immer bestimmter weht sie wie das Laub, das sie entfernt, über den Asphalt. Ihr Ziel: Den Regen vergessen. Ich blicke aus dem Fenster. Die Rispen, eine Kraterlandschaft, die Böschungen wie der Flieder, niedergedrückt. Warten auf Erholung. Am Schönsten ist es, wenn man trocknet.

Es ist stiller nach dem Regen. Von den Zweigen melden sich die Vögel, sie verkünden, dass sie überlebt haben. Hier bin ich noch, sagen sie, alles gut, unter den Federn ist es trocken, aber das Fliegen fällt jetzt schwer. Welch Unglück, die Regenwürmer im Pfuhl wären so bekömmlich! Irgendwo tropft es, es ist beinahe als würde die Regendecke schmelzen. Unter ihr hat niemand geschlafen. Das Moos ist ein riesiger grüner Schwamm. In ihm eine Seenlandschaft, ein Morast aus Morcheln und Insekten; wabenartig scheint das Moos die Wiese zu besetzen. Ich sollte nach dem Schimmel sehen.

Bei uns im Keller hat er die ganze Wand bedeckt. Kahmschichten schillern in Grau und Lila, es ist zu feucht. Mir wird etwas mulmig im Keller, alles scheint angefault, als würde der Regen hier im Verborgenen weiterprasseln. Ich frage meinen Vater, er hat den Keller aufgegeben. Was soll man machen, sagt er, bei solchem Regen? Wir setzen uns auf die Terrasse und sehen der Welt zu. Ein Mädchen springt barfuss durch die Pfützen. Sie lacht dabei. Sobald jemand durch Pfützen springt, denke ich immer an meine Großmutter, die zu Pfützen Batschlach sagt. Der Regen malt Laute in kräftigeren Farben als die Sonne oder der stille Schnee.

Meine Füße sinken etwas ein in die Erde, es gibt dieses Geräusch, das klingt als ob man mit Speichel zwischen Vorderzähnen und Oberlippe spielt, erste Schritte, mach nicht wieder deine Hose schmutzig, aber ich muss schauen, ob die Tomaten den Regen gut überstanden haben. Sie mögen ihn nicht. Die Gänse lugen aus dem Stall, ihre Füße sind besser geeignet für dieses Wetter. „Du hast keine Gänsefüße“, hat mein Schwimmlehrer immer gesagt, ich weiß nicht mehr weshalb.

Es riecht anders jetzt. Petrichor, das Blut der Götter. Schwebestoffe sind als Erinnerung an den Regen bei uns geblieben. Modrig wohltuend, ungefiltert aus der Erde steigende Bakterien, die milliardenfach durch die Luft wirbeln. Sie sind das Echo des Regens. Es riecht nach dem, was man vergessen hat. Unter den Fingernägeln hat es auch so gerochen, wenn man als Kind im Regen spielte. Ich atme tief ein. Die Katze am Fenster gegenüber tut es mir gleich.

Wir sollten die Wäsche wieder aufhängen, sagt mein Vater. Ich hänge das Gewand auf, denke mir, dass es doch eigentlich einen Regenbogen geben müsste, aber sehe nichts. Stattdessen höre ich einen leisen Ruf von der Wiese. Es gibt einen dampfenden Nebel in der Luft, ich kann nicht viel erkennen, aber dort ist ein Regenpfeifer. Seine Flügel wie Paddel, er ist aufgeregt: „kiju-wit“, schreit er, „kiju-wit“, „komm mit!“. Als ich mich frage, ob er damit mich meint, sehe ich eine riesige schwarze Wolke, die sich vor die Sonne schiebt. Ich lasse die Kleidung hängen, was soll man schon machen, bei solchem Regen?