von Patrick Holzapfel
Träumt man von Regen und Nebel legt sich ein Schleier über die Wahrnehmung, der verdeckt, dass es diese Nässe wirklich gibt. Zu betörend ist das Plätschern, zu verführend die Undurchdringbarkeit der Luft. Man wird zwar ziemlich sicher an die Wirklichkeit dieser unwirklichen Phänomene erinnert, wenn man beim nächsten Mal auf dem Fahrrad sitzend von einem Gewitter überrascht oder in der Stadt von vorbeifahrenden Autos nassgespritzt wird, aber selbst dann erfährt man eigentlich erst vom Regen, wenn er auf den Boden fällt. Wie der Regen aber Regen wird und wie man mit dem Regen arbeitet, erzählt der Meteorologe Alexander Orlik vom staatlichen meteorologischen und geophysikalischen Dienst Österreichs bei einer Tasse Tee am Telefon. Während wir sprechen hängen dichte Wolken am Himmel, in ihnen arbeitet eine kleine Welt, die wir nicht sehen können.
Patrick Holzapfel: Vielleicht können Sie am Anfang kurz schildern, wie ihre konkrete Arbeit aussieht?
Alexander Orlik: Ich bin Meteorologe an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Meine Aufgabe ist das Monitoring des Klimas, also das aktuelle vergangene Wetter zu dokumentieren und in einen Kontext zu bringen mit dem Klima, das in Österreich vorherrscht. Ich schreibe Monatsberichte für die Öffentlichkeit und gebe zum Beispiel Auskünfte über ungewöhnliche Wettersituationen wie den warmen Februar oder wenn es einen Sturm gibt. Außerdem erstelle ich Wetterdaten für Behörden, zum Beispiel, wenn es darum geht, ob es Glatteis gegeben hat und ein Sturz deshalb passierte und so weiter.
Seit wann machen Sie das?
In dieser Abteilung arbeite ich seit 2009. Davor war ich in der Klimaforschung und habe mich unter anderem mit der Digitalisierung und Ordnung von Daten aus dem 18. oder 19. Jahrhundert beschäftigt, sodass man die noch vergleichbar machen kann.
Ich würde mich gern ein wenig über Regen mit Ihnen unterhalten. Ich weiß, dass ich darüber in der Schule gelernt habe, aber das Meiste habe ich wieder vergessen. Daher will ich zunächst einmal wissen: Wie entsteht Regen?
Die einfache Antwort, die man in den allgemeinen Lehrbüchern findet, sieht so aus: Die Atmosphäre enthält prinzipiell gasförmigen, nicht sichtbaren Wasserdampf. Der kommt von der Feuchtigkeit der Landoberfläche oder aus dem Meer. Der Wasserdampf vermischt sich mit der normalen Atmosphäre und wenn eine bestimmte Temperatur unterschritten wird, kondensiert dieser Wasserdampf wieder zu kleinen Tröpfchen. Dann wird es meistens eine Wolke oder Nebel geben. Wenn die Wassertröpfchen groß genug werden in einer Wolke, dann fallen sie zu Boden und dann hat man den Regen.
Und was ist entscheidend, wenn es darum geht, ob es Regen oder Nebel gibt?
Wir sprechen da von der relativen Luftfeuchtigkeit, die von 0 bis 100 Prozent gehen kann. Es kann kein Wasserdampf in der Atmosphäre sein, was so eigentlich nicht vorkommt auf der Troposphäre (der untersten Atmosphärenschicht) und mehr als 100 Prozent kann es eigentlich nicht werden. Das hängt aber nun an der Temperatur. Bei 0 Grad wären 100 Prozent viel weniger Wasserdampf in der Atmosphäre als bei 30 Grad zum Beispiel. Es gibt da aber keinen linearen Zusammenhang. Sagen wir mal es sind circa 10 Gramm Wasser in der Atmosphäre pro Kilogramm Luft. Bei 20 Grad wären das dann nicht 20 Gramm, sondern etwas mehr. Das steigt exponentiell. Je höher die Temperatur ist, desto mehr Wasserdampf kann aufgenommen werden.
Jetzt nehmen wir mal einen Herbsttag, wenn die Luftfeuchtigkeit in den Bodenschichten zu steigen beginnt. Dann wird bei einer Temperatur von circa 5 Grad eine Sättigung eintreten, in der kein Wasserdampf mehr aufgenommen werden kann und durch den überschüssigen Wasserdampf entstehen kleinste Wassertröpfchen, die haben einen sehr kleinen Durchmesser, da reden wir von einem Hundertstel oder Tausendstel Millimeter Durchmesser. Diese vielen kleinen Tröpfchen machen dann eben den Nebel aus. Und wenn die Tröpfchen eine gewisse Größe bekommen, indem sie zusammenwachsen durch Stöße in den Nebelwolken, dann hat man diesen klassischen Sprühregen oder zumindest nässenden Nebel.
Und wie entsteht ein heftiger Schauer zum Beispiel?
Der richtige Niederschlag entsteht über Umwege. Diese Art von Niederschlagsbildung ist sehr ineffizient. Man kann das bei vielen entstehenden Wolken beobachten. Durch die Abkühlung in der Atmosphäre kondensiert der Wasserdampf und es entstehen die Wolken, die aber eine sehr kleine Tröpfchengröße haben und deshalb nicht zu Boden fallen können. Die schweben in der Atmosphäre herum und wenn dann trockene Luftmassen kommen, dann lösen sie sich wieder auf.
Für einen richtigen Niederschlag gibt es mehrere Möglichkeiten. Gehen wir mal vom schauerartigen, gewitterartigen Regen aus. Es ist so, dass es in der Atmosphäre auch eine Vertikalbewegung gibt. Durch die starke Sonneneinstrahlung werden die Bodenschichten sehr stark aufgeheizt, was nicht überall gleichmäßig passiert. Manche Regionen werden stärker erwärmt, zum Beispiel über einem recht dunklem Boden. Da löst sich eine relativ große Luftblase vom Boden ab und steigt mit der Thermik, weil sie wärmer ist als ihre Umgebung, nach oben. Diese Luftblase enthält wiederum Feuchtigkeit als Wasserdampf. Im Aufsteigen kühlt sich die Luftblase ab, ist aber immer noch wärmer als die Umgebungsluft. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Sättigung eintritt. Dadurch entstehen dann Wassertröpfchen in der Atmosphäre. Das alles kann nur passieren, weil die Luft nicht absolut rein ist. Staubpartikel, Pollen, Salz, Aerosole auch in flüssiger Form etwa beim Meer und daran können sich diese Nebel- und Wassertröpfchen erst anhaften. Dort beginnt erst die Kondensation, also wenn wir eine ganz reine Luft hätten, die nur aus Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid und anderen Spurengasen bestehen würde, bräuchte es eine viel höher Luftfeuchtigkeit, circa 400 Prozent, damit überhaupt eine Kondensation entsteht.
Beim Kondensieren wird noch eine potenzielle Energie frei. Die Energie, die gebraucht wurde zum Verdunsten des Wassers aus der Oberfläche, ist sehr hoch. Wenn es nun zur Kondensation kommt, kriege ich diese Wärme wieder zurück. Man nennt diese Wärme „latente Wärme“. Das wärmt dieses Luftpaket noch mehr auf und es bleibt wärmer als die Umgebung. Da entstehen dann die klassischen großen Quellwolken, die man vor einem Gewitter sehen kann. In solchen Wolken passiert sehr viel. Sie steigen in große Höhen auf, es wird immer kälter, auch unter 0 Grad, je nachdem wie rein die Luft ist, aber das heißt nicht, dass die Wassertröpfchen gefrieren. Es entstehen einzelne Eispartikelchen in der Wolke und relativ schnell gefrieren dann alle Wassertröpfchen und werden zu Eiskristallen. Je mehr Eiskristalle da sind desto eher finden die unterschiedlichen Wassertröpfchen einen Eiskeim, an den sie sich anhaften können. Da gibt es ein sehr schnelles Wachstum der Niederschlagspartikelchen. Daraus entsteht dann ein richtiger Motor, der das ganze am Leben hält. Von unten gibt es Nachschub von kalter Luft und die Eiskristalle werden immer größer bis sie zu schwer sind und nach unten fallen.
Dieser Prozess kann mehrmals durchlaufen werden. Das ganze fällt relativ lange als Schnee nach unten und unter einer gewissen Seehöhe ist es wieder so warm, dass es dann als Regen herunterkommt.
Gibt es da in den letzten Jahren Veränderungen was Niederschlagsmengen und so weiter betrifft?
Ich kann das nur für Österreich sagen. Bei den Gesamtjahresniederschlägen gibt es in allen Regionen Österreichs kaum einen Unterschied in den letzten Jahrzehnten. Was sich aber im selben Zeitraum verändert hat, ist die Lufttemperatur. In Österreich ist das Jahresmitteln in den letzten 40-50 Jahren um circa 2 Grad wärmer geworden. Das beobachten wir vor allem im Sommer und im Frühling. Das erwähne ich besonders, weil es im Sommer die höchste Verdunstung gibt. Wenn es also bei hohen Temperaturen relativ lange Zeit nicht regnet, verdunstet viel Feuchtigkeit aus den Böden heraus und macht es auf diese Art sehr trocken. Es gibt nicht weniger Niederschlag, aber eine höhere Verdunstung.
Wenn man die Einzelniederschlagsereignisse betrachtet, also zum Beispiel Starkniederschlagsereignisse, wie man das in Kärnten und Osttirol im November beobachten konnte, als es Rekordniederschlagsmengen gegeben hat, ist es recht schwer zu sagen, wie sich das verändert hat. Das gilt allgemein für Gewitter, weil das Messnetz nicht so dicht ist, dass man alle dieser relativ kleinräumigen Ereignisse erfassen kann. Die Stationen stehen nicht so dicht, dass jedes Gewitter in seinem vollen Umfang erfasst wird. Hinzu kommt, dass diese Niederschlagsereignisse oft nicht sehr lange dauern. Es ist erst seit der Automatisierung möglich die Niederschlagsmenge minütlich zu messen. Vorher war das nur zweimal am Tag. Daher kann man das nicht vergleichen.
Können Sie ein bisschen mehr darüber erzählen wie der Niederschlag gemessen wird, vielleicht auch im Hinblick darauf wie sich das mit digitalen Methoden verändert hat?
Das Prinzip ist immer gleichgeblieben. Man hat einen Regenkübel, der einen bestimmten Durchmesser hat. Dieser Kübel ist aus Metall, die Wände gehen senkrecht nach unten und wenn es regnet, fällt durch die Öffnung Niederschlag. Eigentlich ist es egal wie groß dieser Kübel ist, weil nur auf dieser Fläche wird die Niederschlagsmenge herausgenommen. Wenn die Wände senkrecht sind, ist die Höhe, die vom Boden aus gemessen wird, exakt zur Bestimmung geeignet. Wenn dort das Wasser 1mm hoch steht, hat es eben 1mm geregnet und 1mm bedeutet, dass genau 1 Liter am Quadratmeter gefallen ist. Man könnte das auch mit einem Bierglas messen.
Früher wurde dieses Wasser aufgesammelt und zweimal am Tag abgelesen. Heutzutage folgt man dem gleichen Prinzip. Es gibt immer noch diesen Regenkübel, aber es gibt zwei digitale Möglichkeiten jetzt. Die eine ist etwas älter. Dabei ist unten am Kübel ein Trichter und an dessen Auslauf ist eine Wippe. Diese Wippe hat links und rechts einen kleinen Auffangbehälter und wenn da eine bestimmte Menge reinfällt, dann schlägt diese Wippe um. Und diese Ausschläge ermöglichen eine digitale Messung, die zählt wie oft die Wippe hin und her wippt und daraus kann man schließen wie groß die Regenmenge war in einer bestimmten Zeiteinheit. Dabei kann man auch in kurzen Intervallen messen. Diese Methode hat den Nachteil, dass sie bei ganz starken Niederschlägen oft nicht nachkommt und dass man sie beheizen muss, weil Schnee nicht durch den Trichter gelangen würde.
Bei der modernsten Methode steht der Kübel auf einer hochpräzisen Waage. Diese misst die Massendifferenz. Die Verdunstung ist auch kein Problem, weil einfach alles was hinzukommt, gemessen wird und das ist eben der Niederschlag. Dann gibt es auch noch ein zweites Messgerät für den Niederschlag. Und zwar geht es da um ganz schwachen Regen. Es kommt vor, dass man da weder bei der Wippe noch bei der Waage merkt, dass es überhaupt regnet. Man weiß dann auch nicht, wann es zum Beispiel angefangen hat zu regnen. Dafür gibt es ein anderes Gerät, das erkennt, wenn Niederschlagsteilchen herunterfallen. Dadurch können wir bestimmen, ob es Niederschlag gibt oder keinen Niederschlag, wann es angefangen hat, wann es aufgehört hat und so weiter.
Wenn ich Ihnen zuhöre, höre ich viele verschiedene Begriffe von Niederschlag. Gibt es eigentlich ein richtiges Fachvokabular, an das Sie sich zum Beispiel halten, wenn Sie Berichte schreiben? Wie beschreiben Sie Regen?
Der Meteorologe spricht erstmal von Niederschlag. Das ist alles, was von oben herunterfällt. Egal ob das in gefrorener oder flüssiger Form ist. Dann gibt es den Regen. Den kann man aufteilen in normalen Regen, starken Regen, leichten Regen, je nach Tröpfchengröße. Über die Definitionen und Übergänge kann man streiten. Wichtig ist, dass es in flüssiger Form ist. Dann gibt es den Nebel, die Nebelnässe. Da gibt es Nebel und der Boden wird auch nass dabei. Da fällt etwas aus dem Nebel heraus, aber man wird selbst nicht wirklich nass. Weiter kann man auch vom Tau sprechen, der nicht unbedingt aus dem Nebel kommen muss. Das kommt auch vor, wenn wir eine klare Nacht haben im Sommer und die Luft dann abkühlt. Tau ist abgesetzter Niederschlag, der sich direkt aus dem Wasserdampf der Luft auf den Oberflächen absetzt. Dasselbe ist im Winter, wenn es kalt genug ist, der Reif. Dann gibt es noch die Niederschläge in der festen oder gemischten Form. Da gibt es den Schneeregen oder den Schnee, der in ganz vielen verschiedenen Formen vorkommen kann, die alle leicht verschiedene Eigenschaften haben. Da gibt es ganze Wissenschaftszweige, die sich mit Schneephysik befassen. Außerdem gibt es noch den Graupel und den Hagel. Graupel entsteht meist im Winter oder Vorfrühling. Hagel entsteht hauptsächlich im Sommer bei den großen Gewittern. Es gibt bei den Wolken Auf- und Abwindzonen und wenn diese nicht genau nebeneinander liegen, sondern so vertikal schräg nach oben treiben, dann werden die Niederschlagspartikelchen wieder in die Höhe gerissen und da wächst wieder Eis oder flüssiges Wasser an. Das kann einige Male passieren, dass die Niederschlagspartikelchen vom Aufwind nach oben gerissen werden und dadurch können Hagelkörner entstehen und wenn das sehr oft passiert, können auch sehr große Hagelkörner entstehen. Irgendwann werden die dann zu schwer für den Aufwind und fallen zu Boden.
Es gibt wohl aus der Bibel kommend sehr viele literarische und auch filmische Erzählungen von Tieren und Objekten im Regen, zum Beispiel Froschregen. Ist so etwas denn überhaupt möglich, also zumindest, dass ein einzelner Frosch oder Fisch aus den Wolken fällt?
Also Staub kann auf jeden Fall drin sein, gerade bei starkem Wind über landwirtschaftlichen Flächen zum Beispiel. Was Tiere betrifft, ist das nicht ganz unwahrscheinlich. Es gibt ja auch den Tornado, der zum Beispiel über eine Wasseroberfläche ziehen kann und da können größere oder kleinere Tiere mitgerissen werden, die aufgrund der starken Aufwinde nicht sofort wieder zu Boden fallen, sondern in diesem Tornado weiterziehen und irgendwo anders zu Boden fallen. Aber ich bin da kein Experte und kann nicht sagen wie groß das Tier sein und wie weit entfernt es herunterkommen kann.
Regen wird in Filmen ja oft künstlich hergestellt, ganz allein schon deshalb, weil er sonst nicht sichtbar ist für die Kamera. Wenn Sie an einem Filmset wären, um zu beraten, auf was man achten sollte bei der realistischen Darstellung von Regen, was würde Sie dann empfehlen?
Man kennt den klassischen Regen, der jetzt nicht so ist, dass man gleich patschnass wird. Es dauert eine Weile, man muss eine Zeit lang draußen stehen. Aber in den Filmen gibt es eher Wolkenbrüche, alles wird sehr schnell nass. Das Schwierige ist eben, dass man ihn sonst nicht sieht. Und wenn man ihn nicht bemerkt, dann bräuchte man ihn ja gar nicht herstellen.