Die wahren Kinomomente des Jahres 2014

Nun habe ich in meinem letzten Post etwas gezwungen die eindrücklichsten Momente des Kinojahres 2014, anhand von Filmen aus dem Jahr 2014 festgemacht und damit einen völlig falschen, aber vielleicht notwendigen Rahmen um ein Kinojahr gelegt. Ein Jahr mit, im und durch Film zeichnet sich natürlich durch mehr und vor allem durch Anderes aus als die Filme, die im jeweiligen Jahr geboren wurden. Ich habe das Gefühl, dass ich erst dieses Jahr begonnen habe, Film wirklich zu sehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich auch gelernt habe wegzusehen. Damit meine ich, dass sich die Wirkung der Leinwand für mich über das Kino hinaus vergrößert hat. Mir wurde klar, dass dort meine Heimat ist. Der Ort, an dem mir plötzlich Vertrauen entgegenkommt, der Ort, an dem ich mich immer wohl fühle, der mich auffängt an zu schlechten und zu guten Tagen, der mich lehrt, belehrt, entschuldigt, entblößt, angreift, verteidigt, liebt, hasst, zerstört, aufbaut, antreibt, belebt. Dort werde ich immer verstanden. Es gibt tatsächlich noch einen Unterschied für mich im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Es ist einfach so, dass ich nicht mehr nur aus dem Drang nach dem Sehen ins Kino renne, sondern dass ich auch außerhalb des Kinos mit dem Kino sehe. Das meine ich auf einer persönlichen, ästhetischen und politischen Ebene. Es ist nicht mehr wie eine Sucht, auch wenn ich noch mehr gegangen bin. Es ist wie die Freiheit, die es verspricht. Das Kino lebt immer in diesem Paradox. man lässt sich einsperren, um Freiheit zu erfahren. Diese Freiheit existiert in der Zeit. Diese Zeit ist – um Truffaut zu paraphrasieren – mit der Ausnahme weniger Dinge reicher als das Leben. Oder sie macht das Leben reicher.

Hou Hsiao-Hsien

Flowers of Shanghai von Hou Hsiao-Hsien

Denn 2014 ist das Jahr, in dem ich Jacques Tourneur habe flüstern hören. Seine Kamera ist die Zärtlichkeit gegenüber einer Angst. Ich bin aus The River von Tsai Ming-liang nicht mehr herausgekommen. Ich habe gelernt wie man Schmerzen filmt. Körperliche Schmerzen und imaginierte Schmerzen. Ich weiß noch wie wir in einer Gruppe fassungslos und hypnotisiert nach Flowers of Shanghai von Hou Hsiao-Hsien standen. Es war als hätten wir gerade zusammen Opium geraucht, der Asphalt und mit ihm die Mauern flossen statt zu stehen. Alles wurde in eine elegante Schönheit getunkt. Ich stand auf dem Crossing Europe in Linz und wartete bis ein Freund aus Under the Skin von Jonathan Glazer kam. Ich hatte den Film wenige Stunden zuvor gesehen, aber als er aus dem Kino kam, sah ich nicht nur sofort, dass er denselben Film gesehen hat sondern war auch selbst wieder mitten im Rausch der Töne und Bilder dieses großartigen Werks. Ich meldete mich, um Agnès Godard zu sagen, dass sie mit der Kamera nicht nur tanzt, sondern im Tanzen malt. Ich melde mich normal nie bei Publikumsgesprächen, aber nach der geballten Ladung ihrer Werke auf der Diagonale in Graz musste ich es tun. Ich weiß nicht, ob es was gebracht hat, aber ich empfand es als gerecht. Meine Mütze ist bei Jean-Luc Godard verschwunden. In Nouvelle Vague hat jemand meine Mütze geklaut, in Adieu au Langage 3D hat mir ein Zuseher gedroht, dass er mir den Schädel einschlägt, weil ich zu groß bin, ich nahm meinen Kopf nach unten und lehnte mich nahe an meine Freundin, um nicht im Kino zu sterben, obwohl ich im Kino sterben will…

The Music Room Ray

Jalsaghar von Satyajit Ray

Nach Winter Sleep von Nuri Bilge Ceylan fuhr ich mit dem Rad durch eine Herbstnacht. Ich konnte nicht fassen wie viel in diesem Film war und wie wenig man selbst ist und immer sein wird. Ich hatte Fieber nach Jalsaghar von Satyajit Ray. Ich bin mir ganz sicher, dass dieses Fieber aus dem Film kam. Ich hatte es bis zum nächsten Film. Es war wundervoll und unerträglich. Wir haben Tsai Ming-liang und Pedro Costa über ihr Kino sprechen hören. Das Kino war ganz leise als Henry Fonda auf der Veranda sitzt in My Darling Clementine. Es war einfach still. Wir waren Stunden mit Jakob Lass am Tisch gesessen und haben mit ihm über Love Steaks gestritten. Es wurde klar, dass es Blickwinkel gibt, denen man nicht mit Unzufriedenheit begegnen darf und es vielleicht gerade deshalb muss. Danach waren wir alle zusammen in Dracula 3D von Dario Argento und das Publikum war euphorisch (vor dem Film). Eine Euphorie, in der ich mich mehrmals fand im Angesicht der schrillenden Filme des Altmeisters und in der ich mich immer fremd fühlte. Dennoch und gerade deshalb bleiben sie in meinem Gedächtnis.

Immer wenn jemand Antonioni sagt, dann springe ich.

Zangiku monogatari

Zangiku monogatari von Kenji Mizoguchi

Ich habe Tokyo Story zum ersten Mal auf einer Leinwand gesehen und ich habe geweint. Zu den wenigen Filmen, die ich mir 2014 zweimal im Kino ansah, gehörte Maurice Pialats L’enfance nue. Ich musste verstehen, was er mit dem Schnitt macht, seine schneidenden Ellipsen erreichen einen poetischen Kern, der mit Wahrheit, Realität und Weltsicht zusammenarbeitet. Ich war ein nacktes Kind im Angesicht seiner Bilder. Ganz anders und doch ähnlich beeinflussend war die Größe von Wim Wenders in seiner Pracht Der Stand der Dinge. Wir haben Kubelka reden hören mit einer kräftigen Wut, die durch ein Glänzen in den Augenwinkeln befördert wird. Bei den Fahrradständern hat er über Straub&Huillet geschimpft. Wir haben ihn belauscht, ich habe Kubelka belauscht. In den ersten 103 Minuten von Cavalo Dinheiro habe ich nicht geatmet. Ich habe über Carax gelesen, von Carax gelesen. Er hat Recht. Wir wurden nicht müde in P’tit Quinquin. Es war zu unglaublich. Ich habe langsame Boote in nächtliche Bilder fahren sehen bei Kenji Mizoguchi. Es waren Augenblicke, in denen ich ganz einfach nicht mehr existierte. Sie lösten mich auf und ich berührte nichts mehr. Elegischer Rausch, es war ein asiatisches Jahr. Die endlosen unscharfen Schwenks in Millenium Mambo, die Nostalgie in Goodbye Dragon Inn, der Nebel in Zangiku monogatari.

Chelsea Girls Warhol

Die mich auffressende Nacktheit in Andy Warhols Chelsea Girls, die Performance einer Projektion, wir waren nicht viele im Kino und wir saßen ausnahmsweise ganz weit hinten, ungestört und ohne Pause. Es war genauso unglaublich wie alles von Warhol, was ich dieses Jahr sehen durfte. Danach wollten meine Beine weiter schauen. In Wavelenght von Michael Snow bröckelten die letzten Fassaden meiner Wahrnehmung. Sie fielen in tausend glitzernden Blüten auf ein Erdbeerfeld. Sehr viel habe ich mich mit Ingmar Bergman beschäftigt. Wenn man ihn sieht, wenn man über ihn liest, dann erkennt man, dass sich das Kino bewegt. Und etwas im Kino bewegt sich in uns weiter. Deshalb kann das Kino auch etwas zur äußeren Bewegung bringen, was in uns passiert. Pasolini hat mir in zwei Atemzügen gezeigt, dass ich Katholik und Atheist bin. In seinem Il vangelo secondo Matteo erfuhr ich die Kraft einer Spiritualität, die unseren Gefühlen und unserem Denken vielleicht etwas abhanden gekommen ist. Es ist eine politische Spiritualität. Ich habe seine Gedichte gelesen. Er hat Recht.

Dovzhenko ist auch so ein Name, wenn seine Frauen stehen, wenn sein Wind durch die Gesichter weht, wenn seine Geschichte einfriert in einem Moment voller Würde. Die Dokumentationen von Jean Eustache haben mir zusammen mit jenen von Sergei Loznitsa einen neuen Blick auf die Frage nach Perspektive, Erzählung und Film gegeben. Ich habe viele Menschen sterben sehen. Manchmal ganz beiläufig wie bei Hou Hsiao-Hsien, manchmal sind sie wieder gekommen, sie sind gar nicht gestorben, vielleicht waren sie schon tot, vielleicht war alles ein Traum, ein Wort, ein Film. Ein Mann saß neben mir in Four Sons von John Ford und er lachte sehr laut und eigentlich durchgehend. Er war ein wenig zu breit für seinen Sessel, aber ich fühlte mich wohl, denn es war Ford im Kino. Auch Resnais habe ich gesehen. Alain Resnais, er ist verstorben. Aber er konnte gar nicht wirklich sterben. Wir haben im Freiluftkino Chris Marker gesehen. Ihre Erinnerungen, diese Erinnerungen, jetzt meine Erinnerungen, keine Erinnerungen sondern Fiktionen, ich habe sie gesehen, sie haben mich gesehen, wir haben uns nicht gesehen.

Tagebuch eines Landpfarrers Bresson

Journal d’une curé de campagne von Robert Bresson

Dann gab es diesen magischen Moment am Ende von Non si sevizia un paperino von Lucio Fulci als die Musik nach dem Abspann nicht aufhören wollte und uns in einer epischen Dunkelheit erglühen ließ, die das Kino niemals enden lassen wollte, obwohl Ignoranten es verließen, weil sie im falschen Glauben leben, dass ein Film mit seinem Bild aufhört und beginnt. Ich will immer tanzen nach Claire Denis. Verblüfft hat mich der grandiose Voy-age von Roberto Capanna und Giorgio Turi. Er lief vor Antonioni. Ich springe.

Robert Bresson hat mich mit seinen Händen getötet. Er war ganz alleine und ich war ganz alleine.

Es gab noch viel mehr im Kino 2014. Es gibt auch meine Träume vom Kino. Diese könnte ich aber nicht aufschreiben.

Die rote Wüste Antonioni

Il deserto rosso von Michelangelo Antonioni

Viennale 2014: Dialog: The Taste of Ford

The Lost Patrol Viennale 2014

Zwischen zwei Filmen haben Rainer und Patrick kurz Zeit gefunden, über ihre Eindrücke vom Festival zu disktutieren. Dabei geht es um Enttäuschungen, John Ford und ja John Ford.

Rainer: Nachdem wir uns zwischenzeitlich wenig gesehen haben, gibt es nun doch wieder einiges zu besprechen. Wie wäre es wenn wir mit den größten Reinfällen der letzten Tage beginnen? Da gehören für mich auf jeden Fall Deux Jours, une Nuit von den Dardennes und 20,000 Days on Earth dazu.

Patrick: Also auf die Dardennes habe ich ja hier verzichtet, weil ich ein wenig Angst habe. Zu 20,000 Days on Earth kann ich ich nur sagen, dass ich den nicht ganz so enttäuschend fand. Also aus filmischer Sicht scheint mir das sehr uninteressant, da hast du Recht, aber als Aufzeigen einer Fiktionalisierung des eigenen Images, also jenes von Nick Cave und damit irgendwie gleichzeitig als Mythologisierung und De-Mythologisierung fand ich das schon interessant.

Rainer: Das verstehe ich nicht ganz. Wo findet denn da eine Mythologisierung und De-Mythologisierung statt? Die Mischform aus Spiel- und Dokumentarfilm wäre zwar durchaus geeignet gewesen genau das zu erreichen, aber ich fühlte mich Cave weder nahe, noch verstärkte der Film den Mythos um die Person. So hat der Film den Menschen höchstens ein wenig entzaubert ohne ihn mir näher zu bringen – und das muss man ihm fast vorwerfen.

Patrick: Ich fand, dass er ziemlich deutlich machte, dass man sich nie sicher sein konnte, ob die Informationen zum Beispiel über sein Familienleben nun stimmten oder ob sie erfunden waren. An einer Stelle sagt er ja mal dem Sinn nach: Print the Legend. Damit passt er ja auch zu John Ford.

Nick Cave am Steuer in 20,000 Days on Earth

20,000 Days on Earth

Rainer: Eine Überleitung, die mich gleich viel positiver stimmt. Umso mehr ich von diesem Mann sehe, desto mehr bin ich erstens, davon überzeugt, dass er ein Genie ist, und zurecht einen Platz an der Sonne des Filmpantheons hat, und zweitens, dass er viel mehr als nur ein großer Westernregisseur ist. Vor allem die komische Brillanz in Filmen wie My Darling Clementine, The Sun Shines Bright oder Two Rode Together haben mir gezeigt, dass Ford nicht nur ein ausgezeichnetes Händchen für Lichtsetzung und Kameraarbeit insgesamt hat, sondern weiß wie man einen Gag inszeniert.

Patrick: Und seine Western sind ja auch voller Humor. Wobei der Humor immer etwas bitteres hat, etwas verbittertes.

Rainer: Ich habe gestern nach dem Screening von Two Rode Together noch gesagt, dass ich nun überzeugt bin, dass alle Filme von Ford außer vielleicht Grapes of Wrath eigentlich Komödien sind. Das war natürlich ein Scherz, nichtsdestotrotz steckt da ein Fünkchen Wahrheit drin.

Patrick: Er hat ja selbst gesagt, dass er ein Regisseur von Komödien ist, der ernste Filme macht. Zum Beispiel bei The Lost Patrol war dann allerdings kaum mehr Humor spürbar. Ich glaube sogar, dass es bei Ford einfach um dieses Gespür für Sentimentalität geht und Humor kann da eine wichtige Rolle spielen. Sozusagen um den Kitsch zu umgehen.

Rainer: Hat John „Duke“ Wayne das nicht sogar in Directed by John Ford von Peter Bogdanovich genauso gesagt? In Bezug auf diese eine Szene gegen Ende von She Wore a Yellow Ribbon, als der alte Captain vor versammelter Truppe seine Brille zur Hand nehmen muss um die Inschrift auf der Uhr zu lesen.

Patrick: Ja so ähnlich hat er das gesagt. Diese Szene ist auch ein gutes Beispiel. Aber viel besser gefällt mir wie Herr Ford inszeniert, wenn es einen Heldenmoment gibt. Ich denke daran wie der Typ in Kentucky Pride stolpert nachdem er scheinbar das Pferd umgebracht hat oder wie John Wayne in den Saloon tritt in The Man Who Shot Liberty Valance.

Rainer: Fällt dir auf, dass wir uns schon wieder ziemlich lange über John Ford unterhalten? Das passt irgendwie ganz gut in mein Gesamterlebnis des Festivals – dass ich immer mal wieder in einen Ford-Film gehe und dann dort den Frust über so manchen Film der Gegenwart hinter mir lassen kann.

Jimmy Stewart in Two Rode Together

Two Rode Together

Patrick: Ist aber auch ein wenig unfair, weil Ford so gut ist…empfindest du die Filmauswahl denn als schwach?

Rainer: Nein, ganz und gar nicht, aber wie soll die Filmproduktion eines mickrigen Jahres mit John Fords Gesamtwerk mithalten?

Patrick: Du hast ja auch andere Retros.

Rainer: Von denen sehe ich aber nicht annähernd so viel (außer von den 16mm-Sachen).

Patrick: Glaube ich gar nicht. Du warst doch bei Farocki, du warst bei Mortensen, du warst bei Tariq Teguia, du warst bei Godard…

Rainer: Ja, mein Kommentar zu Ford war eher in Hinsicht auf die aktuellen Filme bezogen. Die anderen Retros sind im Vergleich ja doch eher klein und fragmentarisch und eine Deborah Stratman oder ein Tariq Teguia gehen, so gut mir ihre Filme auch gefallen haben, neben Ford auch unter.

Patrick: Bei mir passiert auch etwas ganz anderes. Und zwar verbinden sich die Filme von Ford mit den aktuellen Produktionen. Am offensichtlichsten ist dies bei Jauja, den ich bereits in Hamburg gesehen habe. Aber auch zum Beispiel der rote Himmel bei Pedro Costa in Cavalo Dinheiro erinnerte mich an She Wore a Yellow Ribbon oder der Alkohol in Leviathan oder einige Einstellungen in Maidan und so weiter…eigentlich fast immer. Man sucht ja gerne nach so Linien auf Festivals und ich glaube, dass meine Linie durch die Filme John Ford ist.

Viennale 2014: Kentucky Pride und My Darling Clementine von John Ford

My Darling Clementine von John Ford

Die Programmierung von Kentucky Pride vor der pre-release Version von My Darling Clementine im Rahmen der John Ford Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum könnte-wenn man rein vom kreativ-vermittlungsbezogenen Potenzial kuratorischer Vorgänge ausgeht-zwei Gründe haben. Der erste Grund wäre, dass man einem oft übersehenen Film-in diesem Fall Fords Stummfilm Kentucky Pride-eine besondere Aufmerksamkeit schenkt, wenn man ihm am ersten offiziellen Tag der Viennale neben einen dieser absoluten Filme von Ford, nämlich My Darling Clementine stellt. Ein anderer Weg würde in eine Verbindung zwischen den beiden Filmen führen, Abdrücke, die zwischen zwei Werken aus zwei grundverschiedenen Phasen des Schaffens von Ford flimmern.

Vielleicht findet der Dialog zwischen den Filmen aber in etwas statt, dass an diesem Abend im Unsichtbaren Kino gar nicht sichtbar war. Denn zum ersten Mal war es mir vergönnt diesen atemberaubenden Print der pre-release Fassung von My Darling Clementine zu sehen. Bekanntermaßen hatten sich die Produktions- und Regielegenden Darryl F. Zanuck und John Ford nicht auf einen finalen Schnitt einigen können. Zanuck zerschnitt Fords Visionen an einigen Stellen. So hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit diese alltäglichen Augenblicke zu sehen, in denen der faszinierende Wyatt Earp (gespielt von Young Mr. Henry Fonda, der nicht nur bei Ford immerzu spielt was er selbst und wir alle gerne wären, eine unbestechliche Gelassenheit, sicher und doch zurückhaltend, ehrenhaft und doch zielstrebig, abwesend und immer da) auf der Veranda sitzt, balanciert und atmet bevor Clementine in dieser Stadt mit dem vielsagenden Namen Tombstone ankommt. Ambivalenzen in den Figuren wie eine kurze Verständigung zwischen dem im pre-release sowieso weitaus aufregenderen Doc Holliday und Clementine während der Operation von Chihuahu. Die lyrische Seite des Western, die Zanuck natürlich nicht ganz aus den staubigen Kontrasten einer einsamen Seelenwelt entfernen konnte, ist und bleibt die große Stärke eines Films, der seine Figuren wie Geister im amerikanischen Sand inszeniert, dunkle Gestalten, die gegen die majestätische Luft laufen und dabei nie vom trockenen Humor des Regisseurs gewahr sind. Ein Schluck Whiskey ist hier immer zugleich ein Klischee, die Bewertung des Klischees, seine kulturelle Verortung, männliche Schwäche und Stärke, ein Ritual und eine Flucht. Der Duft nach Wüstenblumen ist nur jener eines Parfums, das Land ist immer eine Illusion, immer gibt es den nächsten Traum, die nächste Sehnsucht.

Henry Fonda in My Darling Clementine

In diesem Sinne ist es auch nur konsequent, dass am Ende der fordschen Fassung kein schüchterner Wangenkuss sondern ein einfacher Händedruck zwischen Wyatt und Clementine steht. Der Weg den Wyatt reiten wird, führt in das Bild Amerikas und zugleich eine endlose Wüste der Trauer. Zanuck hatte diesen flüchtigen Kuss nachdrehen lassen, ein Fremdkörper damit Hollywood funktioniert, eine zumindest etwas größere Sicherheit am Ende des Kinoabends. Ford wurde in seiner Karriere immer wieder Opfer solcher Zerstückelungen. Ob vom Regisseur beabsichtigt oder von seinem Studio Fox erzwungen steht am Ende von Kentucky Pride ein solcher Kuss (zum Teil vor Kameras!!!) und genau hier sprechen die Filme miteinander. Es geht dabei um die Frage der Vereinigung verlorener Seelen in der Weite eines Landes, das von gesellschaftlichen und politischen Prinzipien beherrscht wird, die in den männlichen Herzen von Ford keine andauernde Nähe sondern nur ein Streben nach sich Selbst und nach Mehr zulassen. In Kentucky Pride gehören diese Herzen und damit auch der Kuss Pferden. Der Regisseur versuchte sich in diesem Stummfilm an einer manchmal sehr niedlichen Jack London Erzählweise, indem er aus Sicht eines Rennpferdes in das Milieu von Pferderennen einsteigt. Dabei verfolgen wir die Geschichte des Rennpferdes Virginia’s Future, das sich verletzt, gerettet wird, von ihrer Tochter getrennt wird und schließlich voller Stolz diese bei einem Rennen beobachtet, wieder vereint, sich berührend. Ein Kontrast zweier Filme, bei denen der frühere Film ein Ende besitzt und der spätere geradewegs durch unsere Herzen reitet, als wäre da ein Horizont am Ende der Welt. Dies ist natürlich auch genrebedingt, aber im Dialog beider Filme zeigt sich wie Ford als Künstler und sein Sentiment dafür kämpfen mussten, Dinge wegzulassen, um mehr Gefühl zu ermöglichen. Der eigentliche John Ford Moment in der Beziehung zwischen den Figuren in Kentucky Pride vollzieht sich in einer Szene etwas früher im Film zwischen Mensch und Pferd. Es ist jene zerreißend poetische Anekdote als Virginia’s Futures Ziehvater Beaumont beiläufig auf einer Straße das Pferd tätschelt, ohne zu bemerken, dass es sich dabei um sein Pferd handelt. Es ist dies ein Augenblick dieser beiläufigen Nähe, dieser wahren Zärtlichkeit, die es immer nur in einer Flüchtigkeit geben kann bei Ford. Ein Sehnsuchtsbild aus Sicht des Pferdes, so wie das dringliche und emotionale Feuer in Wyatt, das ihn in den berühmten Tanz mit Clementine unter den unfertigen Symboliken einer Nation zieht.

In beiden Filmen sehen wir schwarze Pferde im Regen. In ihnen spiegelt sich vielleicht eine Einsamkeit und Schutzlosigkeit wieder, die nicht zuletzt auch für die Menschen in den Filmen gilt. In die Ecke gedrängt, wehrlos und doch voller Würde und Überlebenstrieb. Es ist entweder so, dass Wyatt Earp selbst wie ein Pferd getrieben wird oder dass die Pferde auch ohne ihre Reiter weiterziehen würden. Zumindest bis ein großer Produzent ihnen sagt, dass sie anhalten müssen.

My Darling Clementine von John Ford

(Aber niemand kann verhindern, dass Ford sich dafür interessiert wie es aussieht, wenn ein sterbender Mann einen letzten Schuss in einen Trinktrog feuert, vorbeigaloppierende Pferde einen staubigen Wüstenschleier entfachen, der das Unsichtbare als poetisches und doch reales Konstrukt offenbart oder ein Mann kurz nachdem er vermeintlich Schlimmes getan hat über einen Balken stolpert.)