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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Tsai Ming-liang Retro: I don’t want to sleep alone

“I don’t want to sleep alone” ist ein Film voller magischer Momente. Einmal sitzt ein Schmetterling auf der Schulter von Lee Kang-sheng, der angelnd in einem Ruinengebäude voller Wasser sitzt. Der Schmetterling und der Schauspieler tauschen einen langen Blick aus, dann hebt das Wesen ab und fliegt durch das totale Bild, in das Tsai Ming-liang schneidet. Er fällt auf das Wasser, erhebt sich nochmal, fällt wieder. Ein junger Migrantenarbeiter aus Bangladesch kommt voller Sehnsucht ins Bild und betrachtet Lee Kang-shen wie der Schmetterling vor ihm. Langsam geht er nach vorne und setzt sich neben den Angler. In der Making-Of-Dokumentation „Sleeping on Dark Waters“, die ebenfalls im Programm der Wiener Festwochen im Stadtkino zu sehen ist, kann man sehen wie die Illusion des Schmetterlingsmoments erzeugt wird. Aber selbst in der Offenlegung seiner Illusionen findet Tsai Ming-liang noch Poesie.

Lee Kang-shen spielt zwei Rollen in „I don’t want to sleep alone“, denn neben dem wortkargen Streuner, stellt er auch einen Patienten im Koma dar, der von zwei Frauen gepflegt wird. Es gibt also zum einen jenen Mann, der ohne wirklichen Grund zusammengeschlagen wird, um dann von dem sinnlichen Arbeiter auf wechselnden Matratzen gepflegt zu werden und jene des dahinsiechenden Mannes, der sich nicht mehr bewegen kann und der dennoch begehrt wird, neben dessen Bett Opernmusik erklingt aus einem Ghettoblaster (der Film ist einer von sieben Projekten des New Crowned Hope, das in Wien zum 250. Geburtstag von Mozart gestartet wurde, kein Wunder also, dass das Klänge aus der Zauberflöte zu hören sind). Die beiden Geschichten beginnen sich zu überlagern, genau wie die Vergangenheit, die Gegenwart und die Begierde. Eine flirrende Traumwelt inmitten einer sozialen Realität: Was Tsai Ming-liang hier inszeniert ist eine Dreiecksgeschichte, die keine zeitlichen, sexuellen oder narrativen Grenzen kennt. Wortkarg und hypnotisch vollziehen sich die Bilder, lange Blicke, die sich selten treffen, kurze Momente des sexuellen Ausbruchs und anschließende Stille und Einsamkeit. Häufig ein Schnitt, der den Zuseher scheinbar weg vom Geschehen führt. Doch dann sieht man, dass die Handlung weitergeht, sie hat sich nur an den Rand des Bildes gedrängt, in den Hintergrund. So erfährt man nicht nur eine neue Perspektive, sondern auch ein neuerliches Verlangen scheinbarer Randfiguren, die ansonsten in der urbanen Wüste mit ihren vom Verfall bedrohten Brachgebieten völlig verloren wären. Die Kamera schenkt ihnen einen Moment Zärtlichkeit.

I don't want to sleep alone

Tsai Ming-liang macht ein Kino des Unsichtbaren zwischen den Figuren. Er malt ein Gefühl in seine Bilder. Wie die Verbindungen zwischen den Figuren erklärbar sind, spielt hier eine äußerst geringe Rolle. Es schlagen zwei Herzen (nicht mehr schnell, aber sie schlagen) in diesem Film und es ist sicher nicht irrelevant, dass „I don’t want to sleep alone“ eine Rückkehr des Regisseurs in seine Heimat Malaysia bedeutet. Sein Blick auf die Grausamkeiten der Zustände dort mag ein wütender und politischer sein, einer der die sozialen Ungerechtigkeiten einer Gesellschaft zeigt, nicht kommentiert. Die Fremdheit, die er in seiner eigenen Existenz als Migrant erlebt, vollzieht er auch in seinen Filmen. Daher ist die Stille seiner Figuren auch immerzu ein Kommentar, eine Haltung zum Leben. Allerdings vollziehen sich im Nebel und im Smog der verpesteten Luft auch Momente der Zufriedenheit, sie geben ein mystisches Versteck, eine Entfremdung, die nicht das Gefühl stoppt. Anders also wie in Michelangelo Antonionis „Il deserto rosso“ wird die Entfremdung von der Umwelt nicht automatisch zu einer Entfremdung gegenüber den Mitmenschen. Zwar sind alle Figuren in ihrem eigenen Gefängnis, aber sie finden sich in Momenten, in denen sie sich durch die Zeit treiben lassen wie in der letzten Szene, ein Traumbild oder eine Weltwahrnehmung, Wunsch oder Realität, es spielt keine Rolle, denn alles fließt.

Einmal treffen sich die Blicke der beiden Figuren von Lee Kang-shen. Es könne der Traum des Komas oder der Albtraum des bei Bewusstsein seienden Mannes sein, eine dunkle Vorahnung, die Bewegung ersticken wird, eine Verlangsamung, die immer entscheidender wird im Kino von Tsai Ming-liang. Die Schönheit nicht des Augenblicks, sondern des verweilenden Blicks lässt etwas im Bild selbst entstehen, das man nicht greifen, aber sehr wohl erfühlen kann. Wenn man im Kino noch träumen will, dann ist dieser Film eine Matratze, auf der man nie alleine schläft.