Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Warum man eine Kritik schreibt

„Aber in der Kritik muß man, wenn man nicht zu Kindern spricht, den Heine beim wahren Namen nennen dürfen.“

(Karl Kraus)

Wie jede Zeit ist auch diese eine Zeit der Moden. Dinge gehören sich oder gehören sich nicht, je nachdem, wie der Wind gerade steht. Was die Kritik und ihren Status im deutschsprachigen (und im für diesen Text besonders relevanten österreichischen) Filmkulturkontext anbelangt, lässt sich eine gewisse Doppelmoral erkennen, zu der es einiges zu sagen gibt.

Zum einen muss man festhalten, dass es nicht gerade in Mode ist, über Kritik zu schreiben, schon gar nicht auf diese Weise (man würde sich mehr Gehör verschaffen mit einem saftigen Tweet, der persönliche Befindlichkeiten in eine Narration der eigenen Unterdrückung quetscht). Zum anderen gilt es, besagte Doppelmoral zu definieren. Was, wie sich zeigen wird, einige Begegnungen mit der eigenen Doppelmoral auslöst (wenn man selbst ist, was man kritisiert) und Fragen zur Ethik der Kritiker und Kritisierten aufwirft. Also wagen wir den Versuch – und schicken voraus, dass diese allgemeinen Überlegungen, wie die meisten allgemeinen Überlegungen, aus persönlichen Befindlichkeiten geboren wurden.

Unsere Website gibt es seit inzwischen zehn Jahren (wir verzichten auf jegliche Feierlichkeit, auch im Ton). In den verschiedenen Phasen unserer Existenz war uns immer mehr am Kino gelegen als an der Kritik. Wir haben uns je nach Lust und Laune als cinephile, nerdige, freie, radikale, liebhabende, experimentierende, entdeckende Autorinnen und Autoren verstanden. Wichtig war uns, dass wir etwas im Kino gesucht haben – wahrscheinlich etwas mehr, als wir dort finden konnten.

Ein Großteil von uns kommt aus einer Generation, für die das Kino keine große Rolle mehr spielt. Was für uns entscheidend und prägend in der Sozialisierung war, gab es für viele unserer Freunde schlichtweg nicht. Das Kino, das ist für uns ein mythischer Ort, den es einmal gegeben haben muss. So zumindest lesen wir, so erzählt man uns, so glauben wir auch selbst, wenn wir Filme aus anderen Tagen sehen. Die Arbeit mit dem Kino selbst (das Sehen, Hören, Lesen, Drehen, Träumen etc.) ist längst einer pseudo-professionellen Verwaltungsarbeit gewichen. Das heißt, wer in Schubladen passt, Schubladen findet oder andere Schubladen leer räumt, ist Profi. In einer riesigen Masse an Bildern ertrinken wir jeden Tag ein bisschen mehr, auch weil ein Qualitätsbegriff aus dem allgemeinen Diskurs verschwunden ist. Es ist ein Mischmasch, ein Wirrwarr, ein Zuviel. Wahrscheinlich ist diese subjektive Wahrnehmung nicht verifizierbar, aber aus diesem Gefühl erwuchsen Frustrationen und Begehrlichkeiten. Erstere bedürfen wohl keiner weiteren Erklärung (die nicht-geteilte Begeisterung für eine Geste von Gary Cooper vermag es, Herzen brechen zu lassen).

Mit den Begehrlichkeiten dagegen verhält es sich etwas komplexer. Denn was man sucht in einer solchen Situation – und da geht es uns nicht anders als vielen Generationen vor uns – ist ein Ort, an dem man mit der Leidenschaft sein kann, eine Zugehörigkeit, ein Verständnis. Für manche von uns war früher oder später auch klar, dass es ein berufliches Leben mit dem Kino geben soll. In Österreich gab es verschiedene Anlaufstellen dafür und letztlich immer die Filme selbst, die in ihrer einnehmenden Art eine Gemeinsamkeit (im Kinosaal) suggerierten. Allerdings entpuppte sich die hiesige Filmszene, was inzwischen allenfalls noch zu abwinkendem Zynismus oder zu einem Running Gag taugt, als sehr, sehr klein.

Je näher man ihr kommt, desto deutlicher sieht man, dass diese Begehrlichkeiten sich, sobald man angekommen ist, in Abhängigkeiten verwandeln. Das heißt, es gibt da eine zähe, in sich völlig verkoppelte Masse, die davon lebt, dass sie eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Aber die relative Größe dieser Masse zur Umgebung (der Gesellschaft, der Kultur) wird kleiner. Das liegt zum einen daran, dass das Kino nur noch marginale gesellschaftliche Relevanz verzeichnet, und zum anderen daran, dass in dieser Masse alle so furchtbar abhängig, ja paranoid sind.

Die durchaus unschuldigen, wenn auch ehrgeizigen Versuche, anzudocken, irgendwo mitzumachen, werden daher oft von einer Doppelerkenntnis begleitet: 1. Ja, wie schön. Hier sind alle nett und auch nur Menschen. 2. Ja, wie problematisch, hier denken alle nur an sich selbst und hinter der scheinbaren Offenheit steckt ein zutiefst von (finanziellen und geschlechtsbezogenen) Ungleichheiten getragenes System. Dieses System steht auf den Schultern von Individuen, die selbst keine Kontrolle haben, die sich an etwas klammern, nennen wir es Macht, und schon lange vergessen haben weshalb. Irgendwann haben sie auch angefangen, sie haben viel und gut gearbeitet und irgendwann ist ihre Zeit gekommen, nicht deine, nicht unsere, nein, ihre Zeit. Diese Erkenntnis ließe sich wohl leicht auf andere Branchen übertragen. Allerdings ist die Fallhöhe ob des auf der Leinwand vermittelten Idealismus deutlich höher.

Kuratoren, die in ihren Programmen bessere Welten beschreiben, Kritiker, die den Kapitalismus angreifen, Filmemacher, die in ihren Arbeiten ein Leben außerhalb der Normen vermitteln: Sie alle enttäuschen umso mehr, wenn sie in ihrem Alltag andere Maßstäbe anwenden und wenn ihre Ideen sich allzu leicht den Regeln des Marktes beugen. Jenes Marktes, der sich ständig selbst rechtfertigt, obwohl er im Kino zu nichts anderem geführt hat als zu dessen sukzessiver Selbstauflösung.

Dass das Kino lügt, wäre nun aber wirklich keine besondere Beobachtung, nein; hier geht es um die Falschheit hinter der Leinwand. Der oberflächlich nette Gestus, in dem alle potenzielle Arbeitgeber der anderen sind, in dem man sich kennt, neidet und schätzt, zum Essen verabredet, um sich zu bestätigen in der allgemeinen Haltung zur Welt, in dem Pressearbeit Lobbyarbeit oder Reklame ist, in dem, mit einem Wort, die betonte Familiarität zugunsten einer nach „Außen“ getragenen Bedeutsamkeit hochgehalten wird – all das ist fatal. Denn hier fragt sich niemand mehr nach dem „Außen“, nach dem, was eine Kultur eigentlich am Laufen hält. Vor diesem Hintergrund eine Kritik zu schreiben, ist automatisch ein Akt der Störung. Noch fataler ist, dass dieser Text keine Entwicklung beschreibt, sondern einen historischen Zustand. Es gibt keinen Glauben daran, dass irgendetwas anders laufen könnte, es ist also nur die Bestandsaufnahme eines Scheiterns, ein Schrei in den leeren Wald.

Nun haben wir, wie bereits erwähnt, in der Regel aus einer Liebe zum Kino geschrieben. Von zehn Texten, die man auf dieser Website finden kann, sind fünf mal mehr oder weniger gelungen dem Genre der Schwelgereien zuzuschreiben, weitere vier bemühen sich öfter weniger als mehr gelungen um theoretische Konstrukte, und ein einziger trägt eine Kritik (sei es in einem Nebensatz oder als ganzer Aufhänger für den Text) in sich.

Manchmal, so viel Eitelkeit sei erlaubt, finden sich auch all diese Aspekte in einem Text. Das mit dem persönlichen Befinden ergibt sich, weil wir für beinahe alle kritischeren Texte von Institutionen oder Filmemachern attackiert wurden. Sei es via Email, Telefon, durch plötzliche Abwendung aus eigentlich guten persönlichen Verhältnissen oder gar unter Androhung beruflicher Konsequenzen (sei es ein „Runternehmen“ von einer Presseliste oder tatsächliche Jobverluste). Aus diesem Grund also gibt es diesen Text. Er handelt aber nicht davon.

Stattdessen handelt er von einer Doppelmoral, die auch darin begründet ist, dass Kritik eigentlich erwünscht scheint. Es gibt ein großes öffentliches Aufbegehren, das durchgehend in den Sozialen Medien Kritik übt. Dabei wird ein bisweilen befremdlicher moralischer Code angewandt, und die zumindest in Anstößen gegebene Kritik verkommt meist zu einer reinen Verurteilung.

Auf Filmfestivals gibt es öffentliche Kritikerdiskussionen, der Zustand der Filmkritik ist prinzipiell ein Thema. Kritiker bekommen im Rahmen von Festivals Arbeit, sie dürfen schreiben, diskutieren, moderieren. Sie werden zu Premieren eingeladen, besuchen Pressevorführungen und irgendwer schickt ihnen jeden Tag unaufgefordert Materialien zu. Die finanziellen Rahmenbedingungen sind brutal. Man zahlt dafür, schreiben zu dürfen.

Aber wann kritisiert ein Kritiker? Oder anders gefragt: Soll ein Kritiker eigentlich kritisieren? Eine nur auf den ersten Blick leicht zu beantwortende Frage. In mehreren Gesprächen, die wir in den vergangenen Jahren mit potenziell Kritisierten (Filmemachern, Institutionen, Kuratoren, Moderatoren) führten, wurde entweder auf die Irrelevanz der Kritik oder aber auf deren Ungerechtigkeit (sie sei angeblich nur Ausdruck von Frustrationen) verwiesen.

Zur Irrelevanz ist zu sagen, dass sie nicht ganz abzustreiten ist. Schließlich bemühen sich insbesondere die Tageszeitungen, aber auch die wenigen „freien“ Autoren, die sich im Internet merkwürdigerweise in Imitationen des Tagesjournalismus versuchen, um die Abschaffung der Kritik. Erwünscht ist eigentlich nur ein schön geschriebener, eventuell nuancierter, aber im Großen auf den Kinobesuch Lust machender Text. Schließlich geht es dem Kino schlecht, man muss helfen.

Das trifft nochmal stärker zu, wenn es um österreichische Arbeiten oder gar ganze Retrospektiven geht, zu denen es kaum wirkliche kritische Stellungnahmen gibt, sondern nur Verweise und das gute, alte feuilletonistische Gesudel, das kaum von besseren Pressetexten unterscheidbar ist und in dem man jederzeit spürt, dass die Autoren sich in den gelungeneren Fällen im Vorfeld einige Filme ansahen, recherchierten, um dann über die jeweiligen Themen zu schreiben, als gäbe es den Rahmen nicht, in dem diese präsentiert werden. Das allerdings ist keine Kritik, es ist Werbung.

Auch ist es kaum so, dass es heute noch viele Kritiker gibt. Die meisten „Kritiker“ sind auch und ihrem Selbstverständnis nach ganz unbedingt etwas anderes, sei es Kuratoren, Festivalarbeiter, Autoren, Filmnerds, Filmemacher, Musiker, Bartender oder arbeitslos. Das gilt auch für uns. Es stellen sich also durchaus existenzialistische Fragen, wenn man Texte über Bilder, Wörter, Ideen von Anderen schreibt. Dieses Vorgehen trägt schon an sich eine Tendenz zum Parasitismus in sich. Die Frage, was ein Schreiben über Film zusammenhält, kann meist nur mit „Geschmack“ beantwortet werden. Ein derart allgemeiner Begriff ist nicht für jeden Autoren genug, vor allem, wenn man bemerkt, wie Geschmack sich ändert. Im Idealfall muss das nicht so sein, dann kann ein Schreiben über Film auch eine Sprache und Weltsicht etablieren. In jenem eng gesteckten Rahmen, in dem dieses Schreiben derzeit in Österreich praktiziert wird, scheint das allerdings nur sehr bedingt möglich zu sein.

Zur Ungerechtigkeit ist zu sagen, dass sie zwar ein integraler Teil der Kritik ist, aber gleichzeitig nicht wirklich existiert. Obwohl es viele Möglichkeiten gibt, die Gerechtigkeit einer Kritik zu erhöhen, zum Beispiel durch Genauigkeit, Recherche, Sprache oder Wissen, bleibt da immer ein Rest, der jeder Begegnung mit etwas Fremdem gemein ist. Zumal dieses Fremde über andere Medien (Bilder, Töne) auf uns einwirkt, nicht über die Sprache, in der man ihm begegnet. Ja, man könnte sich zu sehr über den zu betrachtenden Gegenstand stellen. Oder ihm mit Vorurteilen begegnen. All das passiert zweifellos unentwegt, doch es ist unvermeidbar.

Die größte und wichtigste Herausforderung für den Kritiker (wie auch für den/die/das Kritisierbare) ist, dass es in einer Kritik immer um Wahrnehmung geht. Diese Wahrnehmung ist subjektiv, sie ist hilflos und bestenfalls ein Abenteuer. Denn es geht hierbei um einen Sprung ins Wasser, nicht um das Säubern des Pools vom Rand aus. Es ist bezeichnend, dass sich die Angriffe auf unsere kritischen Texte beinahe ausnahmslos auf ethische Grundsätze bezogen: Man kann so etwas nicht schreiben, weil dieses oder jenes nicht geklärt wurde, weil man ja eigentlich im selben Boot sitzt, weil es nicht stimmt.

Die alte Frage nach der Henne und dem Ei lässt sich im Verhältnis von Film und Kritiker zwar leicht beantworten, aber das gilt nicht für die Wahrnehmung (und demzufolge auch Relevanz) einer Arbeit. In der Geschichte des Films gab es unfassbar viele Missverständnisse: Filme, die übersehen, zu Unrecht an den Pranger gestellt oder für die falschen Dinge kritisiert wurden. Es gibt unzählige Schmarotzer unter den Kritikern, noch mehr solche, die weder Bezug zu ihrem Gegenstand noch zur Sprache haben (die Selfies an der Croisette sprechen da jedes Jahr für sich). Sie und die allgemein um sich greifende Wurstigkeit dessen, was als demokratischer, kritischer Geist durch die Gesellschaft weht (von rechts und links), haben den Begriff der „Kritik“ nicht nur vielerorts negativ besetzt, sondern das, für was er einst stand, mehr oder weniger abgeschafft.

In der österreichischen Filmszene gibt es durchaus eine Geschichte der unangenehmen, fordernden, unangepassten Filmmenschen, von denen sich viele auch als Kritiker versuchten. Nun muss es heute nicht unbedingt darum gehen, zu ihren oft egomanischen (und stets männlichen) Hahnenkämpfen zurückzukehren. Zumal es diese Generation mit ihren Dogmen und Provokationen verabsäumt hat, aus den Begehrlichkeiten einer immer schon verstreuten Cinephilie eine Harmonie zu formen. Weil sie sich oft lediglich darauf konzentrierte, Follower (zeitgenössisch gesprochen) zu generieren, statt an einer gemeinsamen Idee des Kinos zu arbeiten.

Aus dem Wichtigkeitsgehabe dieser wenigen ist letztlich genau diese ängstliche Haltung gegenüber öffentlicher Meinungsäußerung und Diskussion entstanden. Dabei geht es ja, zumindest für uns, genau nicht um diesen Wettkampf darüber, wer am lautesten schreit, sondern um einen Dialog rund um den Gegenstand, der prinzipiell immer noch das Potenzial hat, ein anderes Leben, eine andere Weltsicht, eine andere Begegnung mit dem Fremden anzubieten. Aber was sich derzeit entwickelt, ist eine erschreckende Glätte, in der es kaum mehr Platz für diese Dialoge gibt. In der eine um sich greifende Marketingmaschinerie nach Auswegen aus einer Krise sucht, die sie genauso wenig versteht wie den Gegenstand ihrer eigenen Bewerbungsstrategien.

Es fehlt oft sowohl an der Vermittlung selbst (angefangen bei einer guten Begründung dafür, diesen oder jenen Film zu zeigen) als auch an überzeugenden Ideen, wie man das „Außen“ (oder gar die Jugend) erreichen könnte. Und nicht zuletzt an den sogenannten Passeuren; also jenen Stimmen, die uns auf eine Reise durch das Kino mitnehmen – oder uns wenigstens, nach einem Griff in ihre Tasche voller obskurer Landkarten, einen Weg weisen können.

Es ist ein bizarrer Anblick, zumal in einer derart überschaubaren Filmszene, wenn man mit ansehen muss, wie die wenigen, aber so wichtigen Widersprüchlichkeiten innerhalb dieser zähen Masse mehr und mehr verschwinden, um es sich in rosafarbener Wohnlichkeit einzurichten. Natürlich gilt das nicht für Privatgespräche und Hinterzimmer: Da lässt es sich das aristokratisch gefärbte Wien nicht nehmen, die altbewährte Unterscheidung zwischen öffentlichem Auftreten und privater Meinung aufrechtzuerhalten. Niemand würde es so formulieren, aber öffentliche Kritik wird nicht gern gesehen.

Es sollte selbstverständlich sein, dass es hier um eine Tendenz geht, von der es einzelne Personen und Institutionen auszunehmen gilt. Aber wir wollen weder auf der einen noch auf der anderen Seite Namen nennen. Dabei geht es nicht darum, dass wir die direkte Kritik scheuen. Wir halten es sehr wohl mit Karl Kraus und seinem zu Beginn dieses Textes zitierten Selbstbeweises. Aber die besagte Tendenz setzt sich aus derart vielen (und aufgrund ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Umstände kaum vergleichbaren) Situationen zusammen, dass es schlicht unmöglich ist, alle über einen Kamm zu scheren.

Es betrifft allerdings Institutionen wie Einzelpersonen. Man merkt, dass sich aus dem Selbstverständnis dieser in sich verschränkten Szene sonderbare Gepflogenheiten im Umgang mit den Medien (und in unserem Fall mit einem Medium ohne Relevanz) ergeben. Kooperationsangebote, die ausnahmslos ohne die Möglichkeit einer Filmsichtung gemacht werden (auf Nachfrage gibt es dann Schweigen oder einen Link). Filmemacher, die sich entweder wünschen, man würde ihr Schaffen bewerben – oder sich entrüstet zeigen, wenn man kritische Worte über selbiges verliert. Institutionen, die aus Angst, ihr Image zu beschädigen (oder ihre innere Zerrissenheit nach Außen zu tragen), glauben, dass sie Inhalte auf einer Website wie der unsrigen mit immerfort wechselnden, widersprüchlichen Argumenten beeinflussen können.

Die Selbstverständlichkeit dieses moralisch fragwürdigen und unprofessionellen Verhaltens (bei kaum einer Beschwerde, die an uns herangetragen wurde, hatten wir das Gefühl, dass es ein Verständnis oder auch nur ein Interesse dafür gab, was „Jugend ohne Film“ eigentlich macht) ist noch erschreckender als das Verhalten selbst. Klärenden Gesprächen, einer Veröffentlichung von Gegendarstellungen oder ähnlichem wären wir in keinem der Fälle ausgewichen. Die Betroffenen zogen es aber vor, sich beharrlich gegen die bloße Existenz von Kritik zu wehren.

Warum schreibt man also eine Kritik? Es gibt sehr viele falsche Gründe, eine Kritik zu schreiben, aber deutlich mehr falsche Gründe, sie nicht zu schreiben. In der Regel schreibt man eine Kritik, weil man das Geld braucht. Aber dieses Argument zählt nicht für eine Plattform wie „Jugend ohne Film“ (ausgenommen der Beiträge mancher wissenschaftlicher Gastautoren, bei denen der karrieristische Wille zur Publikation größer ist als Geldsorgen oder Idealismus).

Es mag vermessen klingen, aber das Kino hat in seiner Geschichte mindestens genauso viele bedeutende kritische Texte über das Kino hervorgebracht wie große Filme. Das liegt schlicht daran, dass diese Texte die Filme oft verorten und verdeutlichen, in welcher Form sie auf die Welt blicken. Eine Kritik an einem Programm oder an einer filmischen Entscheidung beschreibt bestenfalls weit mehr als subjektives Empfinden oder irgendwelche filmhistorischen Besserwissereien. Sie ermöglicht uns, in einer von Bildern überfluteten Welt Orientierung zu finden, uns über Unsicherheiten auszutauschen, die Absurdität von dogmatischem oder ideologischem Denken freizulegen. Sie hilft uns dabei, eine konstruktive (oder destruktive) Form zu finden, Begehrlichkeiten und Frustrationen zu kanalisieren, sodass ein Dialog entstehen kann. Dieser Dialog hat einmal in einer Welt in der Welt stattgefunden, die sich das Kino nannte und deren großes Anliegen das Befinden der eigentlichen Welt war. Und damit sind dezidiert nicht Reaktionen auf Tagesaktualitäten gemeint.

Filme stehen natürlich auch ohne Kritik, sie stehen für sich selbst. Und oftmals würde man sich wünschen, eine Reaktion auf einen Film wäre inniger, schweigend, statt leer. Die Notwendigkeit von Kritik hat nichts mit der Begegnung mit einem Film zu tun, sie hat mit dem Leben zwischen Film und Gesellschaft zu tun. Deshalb scheint es gerade in der heutigen Zeit so fatal, dass es kaum Kritik an jenen gibt, die entscheiden, welche Filme wir sehen dürfen (mit Ausnahme der großen Streamingdienste). Es fällt offenbar leichter, den nächstbesten Algorithmus zu hinterfragen, als den Kurator, mit dem man letzte Woche noch ein Bier trinken war.

Aber, um ein Sci-Fi-Bild zu evozieren: im Kampf Algorithmus gegen Mensch würden wir gut daran tun, gemeinsam zu überlegen, was gut an einem Filmprogramm, an einer Filmauswahl, an einer archivarischen Entscheidung, an der Sichtbarmachung von Geschichte ist – und was letztlich nur die Mechanismen der bösen Algorithmen imitiert. Es ist ja nichts Neues, dass die Menschheit an ihrer eigenen Roboterwerdung arbeitet.

Egal, ob dieser Dialog verkrampft, provozierend, verständnisvoll, mitreißend oder kompliziert geführt wird, er bringt uns näher an etwas Echtes. Etwas, was man schwer beschreiben kann, was dieser Gesellschaft aber mehr und mehr abhanden kommt. Die österreichische Filmszene hätte das Potenzial, diese Reibungsflächen zuzulassen – gerade, weil sie so überschaubar ist. Es mag auch das nicht gerade in Mode sein, aber es wäre gut, wenn sich die Menschen auch einmal anschreien im Kino, anstatt alles immer irgendwie in Ordnung oder egal sein zu lassen. Es sollte jedenfalls gesprochen werden, und vor allem: zugehört. Und es wäre schön, wenn es um die jeweilige Sache ginge – nicht um jene, die sprechen und schreien. Aber diese Floskeln sind abgenutzt, sie sind müde. Was hilft (immer seltener), ist einen Film zu sehen. Vielleicht ist das auch das Kino: jede Generation muss entdecken, dass es das Kino und damit auch diesen Dialog schon lange nicht mehr gibt, nur noch ein paar Filme, verstreut. Am schwierigsten ist dabei, dass dieser Text von einer Person geschrieben wurde, die vehement ein „Wir“ behauptet, das wahrscheinlich auch nur in Ansätzen existiert.

„Kritiker, die Nicht-Beteiligten des Betriebs, gibt es als solche Nicht- oder Nochnicht-Beteiligten nicht mehr. Vor Jahren schon, nach dem 100. Film, den sie miserabel vorfanden, haben sie aufgehört den 101. Film für miserabel zu halten. Sie haben die Nutzlosigkeit und und Ohnmacht ihrer Arbeit eingesehen und eingestanden. Aus der Sinnlosigkeit ihrer Funktion haben sie es verstanden eine Existenzberechtigung zu machen, eine Funktion des Betriebs ist aus ihnen geworden, real, nicht mehr bloß objektiv nachzuweisen. Sie sind Angestellte geworden. Angestellte der Verlage, der Musikfirmen, der Filmproduktionen, des Fernsehens. Schräge Vögel, zweifelhafte Existenzen, unsichere Zeitgenossen, die sie mal gewesen sind, hat man sie jetzt fest im Griff. Ihre Ohnmacht, die einmal nichts anderes gewesen ist als das, was Ohnmacht ist, ist jetzt zu einer Nützlichkeit nicht mehr für sondern des Systems geworden. Sie stehen auf der Gehaltsliste der Bewusstseinsindustrie wie die Warentester auf der Gehaltsliste der Hersteller und die Forscher auf der Gehaltsliste der Geldgeber.“

(Hartmut Bitomsky/Felix Hofmann, 1978)