Ich äußere mich eher selten über das derzeit so beliebte, selbstreflexive Problem der Filmkritik. Ich fühle mich einfach nicht dazugehörig und halte es außerdem für deutlich wertvoller mich mit den Filmen zu befassen. Zwar schreibe ich inzwischen für ein paar Seiten und Printmedien, aber meine Position zu dem, was man durchaus eine Szene nennen könnte, ist ganz klar und auch ganz bewusst zumeist außerhalb der journalistischen Notwendigkeiten der Branche. Ich schreibe weder aus einem journalistischen Drang, noch bezahle ich meinen Unterhalt mit dem Schreiben, noch wird mir besonders oft aufgetragen, über was und für wen ich schreiben soll. In dieser Hinsicht bin ich mir nicht sicher wie lange es möglich für mich ist, mir diesen Status zwischen meiner eigenen Nichtigkeit, dem Drang mich mit Film zu beschäftigen und meinen anderen Sehnsüchten mit Film zu erhalten. Ich hege einen großen Respekt für alle, die in der Lage sind das Schreiben über Film in einem professionellen Umfeld zu einer dennoch persönlich-freien Angelegenheit zu machen.
Nun bin ich auf einem Festival wie der Berlinale in einer merkwürdigen Position. Zum einen schreibe ich sehr viel und halte mich an Deadlines und Zeichenbeschränkungen, zum anderen diskutiere und lebe ich praktisch ausschließlich im Umfeld der Gattung der Kritiker. Trotzdem habe ich keinen festen Auftrag, keine wirklichen Verpflichtungen und keine Filme, über die ich zwingend berichten muss. Wenn ich nun also ein Unbehagen ausdrücke über das Verhalten und die Praxis der Filmkritik im Rahmen eines Festivals, dann geschieht dies zum einen als Form einer Selbstkritik und zum anderen fehlt mir der letzte, eindeutige Einblick. Ich glaube aber, dass gerade aus meiner distanzierten Nähe ein ehrlicher Eindruck entstehen kann, der weder auf einzelne Personen zielt (auch wenn mir manchmal danach ist) noch einen objektiven Gültigkeitsanspruch fordert. Es sind vielmehr persönliche Beobachtungen, die mir in den vergangenen Tagen in Berlin aufgestoßen sind, die mich besorgen und die mir ein ums andere Mal zeigen, dass Filmkritik nicht das ist, was sie sein könnte. Ich bin mir auch bewusst, dass es mit Der Woche der Kritik eine explizite Gegenveranstaltung gab, die sicherlich deutlich fortgeschrittener und in vielschichtiger Art und Weise auf Probleme der zeitgenössischen Filmkritik blickte, als ich das hier tun kann. Dennoch halte ich es für sinnvoll meine enttäuschten Erwartungen an diesen Beruf widerzugeben, gerade weil sie naiver und hoffnungsvoller sind. Statt um politische, gesellschaftliche und kulturelle Funktionen geht es mir mehr um das Verhältnis von Film und Kritiker und dort bemerke ich Löcher, die mir in ziemlich eindrücklicher Art und Weise die Missstände der Filmkritik aufzeigen oder zumindest jene Gründe, warum ich diese Tätigkeit nicht für erstrebenswert halte, wenn man Film liebt.
Nach spätestens zwei Tagen bemerkt man ein arrogantes Desinteresse in den Pressevorführungen. Mit Desinteresse ist nicht gemeint, dass man als Kritiker gleichgültig wäre gegenüber den Filmen, sondern dass man innerhalb von wenigen Minuten des Films und in manchen Fällen sogar bereits vor dem Film eine Haltung zu diesem einnimmt statt ihn als Ganzes zu sehen und zu reflektieren. An unpassendem Gelächter und ironischem Applaus bei Beginn des Abspanns äußert man einen respektlosen Zynismus gegenüber den einzelnen Werken. Zudem reden selbst große Namen der Branche halbe Filme durch mit ihren Sitznachbarn, sehen gar nicht hin, weil sie es sowieso schon zu kennen glauben, weil sie besser sind als der Film. Ganz zu schweigen vom ewigen Thema des Einschlafens, denn natürlich schläft jeder Mensch, der so viele Filme an einem Tag sieht und nachts nicht wirklich genug Schlaf bekommt bei der ein oder anderen Vorführung ein. Nur, wenn damit entweder geprahlt wird („Ich bin da eingeschlafen, war also nicht so interessant…“) oder es vollkommen geleugnet wird, wenn Kritiken entstehen zu Filmen, die man nicht einmal ganz gesehen hat, dann Gute Nacht Filmkritik. Ein weiteres Problem sind diese ewigen (zum Teil von Handylicht oder gar Taschenlampen begleiteten) Notizen während der Vorführungen. Ich bin mir bewusst, dass man verschiedene Gedanken, Zitate und Namen leicht vergisst und insbesondere bei einem Premierenfestival wie der Berlinale wenige Möglichkeiten bestehen, dass man diese woanders finden kann nach dem Screening. Allerdings verpasst man Schnitte und Bilder durch das Schreiben, man zerstückelt freiwillig seine eigene Wahrnehmung und ich glaube, dass man einen Film nicht wirklich sieht, wenn man die Schnitte nicht sieht. Außerdem lebt Film in unserer Erinnerung und nicht in der Aufzeichnung unserer Gedanken und Gefühle. Man muss die Zeit und die Flüchtigkeit eines Films respektieren, wenn man darüber schreiben will. Von den leuchtenden Handy- oder iPad(!)-Displays will ich gar nicht anfangen.
Aber nur wenige wollen wirklich darüber schreiben oder gar zweifeln, denn was scheinbar und erschreckenderweise die einzige Funktion eines Kritikers auf der Berlinale ist, ist seine Meinung. Es sind oberflächliche Texte, die dabei entstehen (es gibt natürlich Ausnahmen), die im Endeffekt den Daumen heben oder senken und darüber hinaus wenig von sich geben außer modifizierte Inhaltsangaben aus den Presseheften und ein paar Szenenbeschreibungen. Schlimmer ist es gar, wenn man Gespräche unter Kritikern führt oder ihnen lauscht. Die Frage ist immer: Wie fandest du diesen Film? Nie: Was ist dieser Film? Die Zeit lässt vielleicht nicht mehr zu, aber die Kritiker stilisieren ihre Meinung zu ihrer Persönlichkeit. Sie interessieren sich scheinbar tatsächlich weniger für den Film und was dieser Film macht, als für das, was sie daran gut oder schlecht finden und ob man den Film sehen sollte. In einer Selbstverständlichkeit entstehen so oberflächliche Texte und Gespräche, die meist mehr mit den Personen der Kritiker selbst zu tun haben als mit den Filmen. Es wird vergessen, dass Worte den Filmen nie ganz gerecht werden können. Stattdessen bauen Kritiker gar eine Persona auf, die eben bestimmte Filme aus Prinzip nicht mögen darf und sich Meinungen schon vorher bildet und sich vor allem Meinungen zu Filmen bildet, die sie gar nicht gesehen hat. Dieses unehrliche Verhalten ist natürlich Folge eines extremen Zeitdrucks, einer Hektik und einer kommerziellen Notwendigkeit, denn den Leser, Hörer, Facebook- und Twitterfollower oder Zuseher interessiert nun mal primär, ob ein Film gut oder schlecht ist. Sogenannte Kritikerspiegel, in denen Kritiker sogar ältere Filme bewerten, die sie auf dem Festival gar nicht gesehen haben, sondern irgendwann zuvor, sind der populäre Ausdruck dieser Praxis. Die Irrelevanz des Ganzen zeigt sich dann aber spätestens bei einem Filmemacher wie Terrence Malick, denn eine Meinung bildet man sich nach wie vor am besten selbst, da es sowieso jede mögliche Meinung dazu gibt. Einen Konsens gibt es schon lange nicht mehr, denn kaum zwei Kritiker werden dieselben Filme auf der Berlinale sehen und durch die immense Anzahl an verfügbaren Filmen schreibt sich sowieso jeder seine eigene Filmgeschichte, die eben auch den Geschmack und das Qualitätsurteil prägt. Daraus sollte man schließen, dass die Meinung eines Kritikers marginal ist. Was eigentlich entscheidend wäre, ist die Wiedergabe der Gedanken, Gefühle und Formen des Films, eine Art fundierter Fleckenteppich, der dem Leser ein Bild vermittelt, das entweder sein Interesse weckt oder ihn eben kühl lässt. Das darin automatisch Urteile sind, ist unvermeidbar, aber sie sind dann nicht mehr der scheinbar einzige Antrieb einer Auseinandersetzung mit einem Film. Eine ethische Funktion für den Filmkritiker ist völlig verschwunden. Die Filme sind Freiwild.
In den Gesprächen, die man mit Kritikern führt, merkt man eine gewisse Panik in der Branche. Autoren schreiben fast alle für mehrere Medien, sie eilen hektisch von Screening zu Screening. Online- und Printformate konkurrieren miteinander, alle beschweren sich irgendwie, sind unzufrieden. Wie soll in einem solchen Umfeld der einzelne Film noch wichtig sein? Die Filmkritik ist auch notgedrungen mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Kino. Es ist eine existenzielle Frage und so werden Kontakte geknüpft, man tauscht Karten aus, man zwingt sich trotz Übermüdung noch auf das ein oder andere Bier, weil eben dort ein zusätzlicher Job wartet und nicht im Kino und auch nicht in der Einsamkeit des Schreibens. Dabei gibt es überall ein Wechselspiel aus vorgetäuschter Vitalität und existentialistischem Leiden. In deren Zentrum steht eine Selbstdarstellung, die sich eben verkaufen muss, die sich präsentieren will und die (da zweifel ich keine Sekunde) vielen Kritikern einfach im Blut liegt. Kaum jemand hat ein wirkliches Interesse für die Gedanken des Gegenübers, kaum Jemand liest während eines Festivals (wieder aus Zeitdruck), was die Kollegen schreiben. Stattdessen nimmt man Aussagen des Gegenübers als Sprungbrett für die eigene Meinung. Wie langweilig ist diese Auseinandersetzung mit Film? Wie vorhersehbar?
Durch diese Abhängigkeiten und auch den Eventcharakter eines solchen Festivals setzen sich nur sehr wenige Kritiker für das Übersehene und die kleinen Schätze des Festivals ein. Stattdessen müssen sie sich und ihre Medien natürlich durch und mit den großen Highlights, dem kommerziellen Schrott profilieren und selbst, wenn sie diesen dann kritisieren, machen sie sich doch zu Sklaven der Maschine statt die Möglichkeit wahrzunehmen, sich für Filme einzusetzen, die es nötig und verdient hätten, die davon profitieren würden. Nein, man hört mehr vom Screening von Fifty Shades of Grey als von irgendeinem anderen Film, es gibt eine schmerzhafte Fokussierung auf den Wettbewerb in der medialen Berichterstattung, die Aufmerksamkeit gilt mehr dem Leser als den Filmen. Es ist eben ein Business, so wie sich in Berlin alles ein wenig nach Business anfühlt und eine ähnliche Enttäuschung hält natürlich auch das Filmemachen selbst bereit. Von daher ist es vielleicht nur gerecht, dass die meisten Filme so angesehen werden, wie die meisten Filme gemacht werden. An etwas anderes glauben und etwas anderes fordern, darf man aber trotzdem.