Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Nuit Grund Widok (Bayer/Kielawski)

Filme sichten von Freunden: Grund und Nuit von WIDOK (Bayer/​Kielawski)

Einer Ein­la­dung fol­gend war ich bei einem pri­va­ten Sich­tungs­ter­min zwei­er Freun­de, die ihre gemein­sam pro­du­zier­ten Fil­me einem kri­ti­schen Publi­kum aus­set­zen woll­ten. Im Lau­fe der letz­ten zwei Jah­re habe ich mich regel­mä­ßig über den jewei­li­gen Stand des Fil­mens infor­miert und wuss­te, an was gera­de gear­bei­tet wur­de. Ges­tern war also der Abend, an dem das Œuvre vor­ge­stellt wur­de. Wir sahen vier Fil­me, deren Län­ge zwi­schen 45 Sekun­den und 54 Minu­ten ran­gier­te. Es sind gute, durch­dach­te Fil­me, bestän­dig auf der Suche nach unge­wöhn­li­chen Bild-(im Bild)-Text-Verknüpfungen. Gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men sind zen­tral, reso­nie­ren jedoch eher mit den Fil­men, als dass sie deut­lich zu Tage tre­ten. Manch­mal sind sie erst durch Nach­fra­gen erkenn­bar gewor­den. Wie bei­spiels­wei­se beim längs­ten Film des Abends: Grund. Die­ser nähert sich aus Insek­ten­per­spek­ti­ve einer stadt­pla­ne­ri­schen Uto­pie, der Wie­ner See­stadt. Es wird auf eta­blie­ren­de Fas­sa­den­bil­der gänz­lich ver­zich­tet. Anstatt dass die Kame­ra Häu­ser und Plät­ze abschwenkt, wid­met sie sich Struk­tu­ren und Gewe­ben, die der Boden und das Was­ser der See­stadt für sie bereit­hält. Dabei ver­we­ben sich die Bil­der in ein plas­ti­sches Netz, wel­ches durch den Off-Kom­men­tar zusam­men­ge­hal­ten wird. Der Kom­men­tar ist aus Inter­views mit den Bewohner_​innen und Archi­tek­tur­spra­che col­la­giert und hat eine poe­ti­sche wie absur­de Note. Die­se Viel­zahl an Stim­men wird von einer ein­zi­gen Stim­me vor­ge­tra­gen, wel­che die Ursprungs­stim­men ihrer Stim­mung beraubt und die Sät­ze unstim­mig wer­den lässt. Durch den hol­län­di­schen Akzent und den sanf­ten Klang wird wie­der­um der Text, der kri­ti­sche, loben­de, iro­ni­sche und absur­de Töne beinhal­tet zu einer selb­stän­di­gen Kunst­spra­che trans­for­miert. Wie ein sei­de­ner Schlei­er, nein, wie trans­pa­ren­tes Bau­f­lies legt sich die Stim­me über die tex­tu­rier­ten Bilder.

Film­still: Grund

Bei einer frü­he­ren Pri­vat­vor­füh­rung für die Bewohner_​innen der See­stadt war Erzäh­lun­gen zufol­ge die Publi­kums­re­ak­ti­on fol­gen­der­ma­ßen: 1. Die Suche nach den selbst gesag­ten Sät­zen. 2. „Ja, so ist es hier.“ Ers­te­res bezieht sich auf den Kom­men­tar, der zum Such­spiel wur­de. Zwei­te­res auf die Bil­der, die sich dem Boden wid­men und somit die Idee einer Bau­stel­le, die eine des Mate­ri­als und der Ver­ar­bei­tung ist, atmo­sphä­risch ablichten.

Grund war der letz­te Film des Abends. Es war spät und ich war schon müde, als ich von einem Kom­men­tar eines der ande­ren Gäs­te auf­ge­rüt­telt wur­de, wel­cher mein­te, dass die Stim­me sehr char­mant sei, da man den Ein­druck habe, die Frau, wel­cher die Erzähl­stim­me gehö­re, ver­stün­de nicht, was sie sage. Zar­ten Frau­en­stim­men mit Akzent zu unter­stel­len, sie wüss­ten nicht, was sie sagen und dies als char­mant zu emp­fin­den, emp­fin­de ich als pro­ble­ma­tisch. Die Film­ge­schich­te bie­tet eini­ge sol­cher Stim­men und ich könn­te dar­über viel schrei­ben (ein andermal?).

Die zwei­te Frau­en­stim­me des Abends kam aus Drey­ers ers­ten Ton­film Vam­pyr und weiß genau, was sie sagt, näm­lich: „Ich füh­le mich frei. Mei­ne See­le ist frei.“ Patrick hat Schö­nes über Vam­pyr geschrie­ben, unter ande­rem das: „Bil­der hän­gen über unse­ren Köp­fen wäh­rend wir schla­fen, Hän­de öff­nen sich für Geheim­nis­se. Es ist ein Traum mit dem wir zu Boden gehen, zu Boden gehen wol­len. Immer wie­der ver­su­chen sich die Figu­ren zu berüh­ren, sie kom­men in ein Bild, um sich zu berüh­ren, aber was kön­nen sie berüh­ren in die­ser Welt der Schatten?“

Es ist erstaun­lich, wie man anhand die­ser Beschrei­bung Nuit, den ande­ren Film mei­ner Freun­de, erken­nen kann – wenn man möch­te. Denn eine Syn­op­sis von Nuit klingt trotz des fran­zö­si­schen Titels pro­fan. Es ist ein Film, der Tou­ris­ten beim Fil­men und Foto­gra­fie­ren des Ste­phans­doms filmt. Im Dom ist es dun­kel, sie stel­len ihre Smart­phones auf Nacht­mo­dus um und suchen mit den Fin­gern nach den bes­ten Bil­dern, dem bes­ten Licht. Dabei erschafft Nuit gera­de im bestän­di­gen Kon­trast zwi­schen hal­ten­den, suchen­den und wischen­den Fin­gern allen Alters und dem digi­ta­len Han­dy­bild eine fan­tas­ti­sche Plas­ti­zi­tät. Die Ton­spur aus Vam­pyr und die­ser spe­zi­el­le Blick auf das mas­sen­haf­te Abfo­to­gra­fie­ren tou­ris­ti­scher Orte ver­mit­telt weder den Ein­druck, dass der Dom ent­weiht wer­den wür­de, noch den, dass er kei­ne spe­zi­fi­sche Aura hät­te. Im Zen­trum ste­hen die Men­schen, die mit ihren Inter­faces das betas­ten, von dem sie den­ken, es sei von Bedeutung.

Nuit Grund Widok (Bayer/Kielawski)
Film­still: Nuit

Das waren zwei Fil­me mei­ner Freun­de von WIDOK (Bayer/​Kielawski), die wir ges­tern gemein­sam sahen. Über zwei Fil­me schrei­be ich nicht. Das liegt dar­an, dass mir der ers­te Film zu kurz war (es war eher ein Fes­ti­val-Trai­ler) und dar­an, dass mich der drit­te Film irri­tiert hat. Ich habe mei­ne Beden­ken glei­cher­ma­ßen geäu­ßert wie mein Lob und hat­te den Ein­druck, dass sie von den Fil­me­ma­chern ange­nom­men wur­den. Dage­gen wirk­te es aber stel­len­wei­se so, als wür­den sich die ande­ren Anwe­sen­den (mit einer Aus­nah­me) unwohl füh­len Kri­tik und Unbe­ha­gen zu äußern, auf­grund der per­sön­li­chen Bezie­hung. Des­halb gab es in Situa­tio­nen der Rat­lo­sig­keit – die ange­sichts von Kunst­fil­men häu­fig auf­tre­ten, wenn man sich lie­ber im Erzähl­ki­no suhlt – ver­mehrt Fra­gen zu Pro­duk­ti­on und Tech­nik. Da man die­se Fra­gen ohne­hin sel­ten in einem sol­chen Rah­men stel­len kann, eben­so sel­ten wie die: Was habt ihr euch dabei gedacht? – war der Abend eben­so ver­traut wie lehr­reich. Lehr­rei­ches Ver­trau­en /​ver­trau­te Leh­re: die­se wider­stän­di­gen Wort­kom­bi­na­tio­nen beschrei­ben ganz pas­send, was pas­siert, wenn man Fil­me von Freun­den sich­tet und sich Pro­fes­sio­nel­les Schaf­fen und Rezi­pie­ren und Per­sön­li­ches (Freund­schaft in all ihrer Kom­ple­xi­tät) ver­mi­schen. Etwas schaf­fen, zei­gen, rezi­pie­ren und im Anschluss dar­über spre­chen ist mit sehr unter­schied­li­chen Stim­mun­gen behaf­tet. Fil­me von Freun­den zu sich­ten, ergänzt die­se Stim­mun­gen mit freund­schaft­li­chen Gefüh­len und lässt alles im 15 qm Alt­bau­zim­mer auf­ein­an­der tref­fen. Das ist ein muti­ger Schritt von­sei­ten der Fil­me­ma­cher und erfor­dert eine her­aus­for­dern­de Balan­ce zwi­schen Ehr­lich­keit, Inter­es­se und Sen­si­bi­li­tät vom ein­ge­weih­ten Kreis der Zuschau­en­den. Wenn sol­che Her­aus­for­de­run­gen glück­lich ver­lau­fen, ist es um so schö­ner – für die Fil­me und die Freundschaft.