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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Taxi von Jafar Panahi

Any Other Way: Taxi von Jafar Panahi

In sei­nem neu­es­ten Film Taxi lässt Jafar Panahi, der sich selbst als taxi­fah­ren­der Fil­me­ma­cher spielt, über wei­te Stre­cken des Films sei­ne Nich­te jene Wahr­hei­ten aus­spre­chen, die das Régime in ira­ni­schen Fil­men eher nicht hören will. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ist nicht neu, Panahi selbst setz­te in sei­nen ers­ten bei­den Fil­men The White Bal­loon und The Mir­ror Kin­der als Prot­ago­nis­ten ein und auch ande­re ira­ni­sche Fil­me­ma­cher nut­zen Kin­der­wel­ten ger­ne als Alle­go­rien für die gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Pro­ble­me, die nicht offen ange­spro­chen wer­den dürfen.

Taxi von Jafar Panahi

Die Nich­te hat in der Schu­le den Auf­trag bekom­men einen Kurz­film zu dre­hen (welch glück­li­che Fügung), der alle Kri­te­ri­en der poli­ti­schen Füh­rung erfüllt. Er soll kei­ne fik­ti­ve Welt abbil­den, son­dern die Rea­li­tät, ist die Rea­li­tät aller­dings düs­ter, soll sie mit­tels insze­na­to­ri­scher Maß­nah­men beschö­nigt wer­den. Es geht also um das Pro­blem der Dar­stel­lung von Rea­li­tät und dem Ver­hält­nis von Rea­li­tät und Fik­ti­on, einer The­ma­tik, die im ira­ni­schen Kino vor allem von Panahis Lehr­meis­ter Abbas Kiaros­t­ami ver­han­delt wur­de. Kiaros­t­amis Tas­te of Cher­ry und Through the Oli­ve Trees ste­hen augen­schein­lich Pate für Panahis Film, auch wenn es Kiaros­t­ami ver­mag weit­aus ele­gan­ter am schma­len Grat zwi­schen Wirk­lich­keit und Erfun­de­nem zu balan­cie­ren. Auch Panahi konn­te das schon bes­ser: This Is Not a Film war ein ers­ter Hil­fe­ruf des unter Haus­ar­rest ste­hen­den und mit Berufs­ver­bot beleg­ten Regis­seurs. Die Insze­nie­rung tritt hin­ter tod­erns­ten Veris­mus zurück, und die Fra­ge nach dem Wirk­lich­keits­ge­halt des Gezeig­ten stellt sich nur in eini­gen weni­gen Sze­nen, wie zum Bei­spiel der Schluss­se­quenz im Lift. Mit This Is Not a Film tes­te­te Panahi die Was­ser und als Kon­se­quen­zen aus­blie­ben, ver­ließ er sei­ne Woh­nung um in einem Feri­en­haus am Meer einen Schritt wei­ter zu gehen. Clo­sed Curtain ist pure Meta­fik­ti­on, ähn­lich wie in Kiaros­t­amis Through the Oli­ve Trees ist eine kla­re Tren­nung zwi­schen dem Fil­me­ma­cher und sei­nem Team, die sich selbst spie­len und dem „Film-im-Film“ aus­zu­ma­chen. Mit Taxi wag­te sich Panahi schließ­lich einen wei­te­ren Schritt vor­wärts und macht kei­nen Hehl mehr dar­aus, dass das, was auf der Lein­wand zu sehen ist, ein ver­bo­te­ner­wei­se gedreh­ter Film ist. In die­sen drei Fil­men hat er sich also über den Umweg der Selbst­dar­stel­lung wie­der all­mäh­lich dem her­kömm­li­chen Film­schaf­fen genä­hert und sich somit Schritt für Schritt über sein Berufs­ver­bot hin­weg­ge­setzt. Wo This Is Not a Film noch in der lega­len Schwe­be hing, und wohl im Zwei­fels­fall als Home­mo­vie durch­gin­ge, in dem Panahi mehr schau­spie­lert als Regie führt, ist Taxi ein­deu­tig ein Fea­ture Film aus der Hand von Panahi und das lässt sich auch nicht dadurch ver­schlei­ern, dass er selbst die Haupt­rol­le im einnimmt.

Es scheint, dass er mitt­ler­wei­le zur Über­zeu­gung gelangt ist, sich so ein Vor­ge­hen erlau­ben zu kön­nen, denn auch nach Clo­sed Curtain blieb eine stren­ge­re Bestra­fung aus. Die­ses lang­sa­me Vor­tas­ten macht von Pro­duk­ti­ons­sei­te durch­aus Sinn, und wie auch bei den zwei vor­an­ge­gan­ge­nen Fil­men ist die schie­re Exis­tenz von Taxi eine Sen­sa­ti­on, aber wo anfangs noch Not zur Tugend erklärt wur­de, und aus Panahis Mise­re eine immense krea­ti­ve Ener­gie ent­stan­den ist, bleibt mitt­ler­wei­le nur Rou­ti­ne. Der unge­schön­te Mut zur Häss­lich­keit und dem Aus­stel­len der eige­nen Ver­zweif­lung ist ein ver­spiel­ter und gespiel­ter Rea­lis­mus gewor­den, der bei­na­he zur Far­ce ver­kommt. Panahi gibt sich nicht mehr damit zufrie­den, sei­ne Freun­de und Bekann­ten zu Wort kom­men zu las­sen, son­dern wet­tert viel­stim­mig gegen sei­ne Unter­drü­cker. Die Fahr­gäs­te, die alle­samt von Lai­en­dar­stel­lern ver­kör­pert wer­den, sind bloß Mario­net­ten, durch die Panahi sei­ne Welt­sicht mit­teilt. Das ist vom ers­ten Schlag­ab­tausch an klar – hier spricht nicht die Nich­te, die Anwäl­tin oder der Video­ver­lei­her, son­dern immer­zu Panahi.

Taxi von Jafar Panahi

Womög­lich ist das sogar die Poin­te. Womög­lich weiß Panahi gar nicht mehr, wie die Rea­li­tät über­haupt dar­stell­bar ist, und das vor allem jeder Ver­such, die Rea­li­tät so dar­zu­stel­len, wie die Zen­sur­be­hör­den das ger­ne hät­ten, zum Schei­tern ver­ur­teilt ist. Das macht vor allem jene Sze­ne gegen Ende des Films deut­lich, in der die Nich­te im Auto war­tet, und eine Hoch­zeit filmt. Der Bräu­ti­gam ver­liert einen Geld­schein, den ein bet­tel­ar­mer Jun­ge auf­hebt und behal­ten will. Die Nich­te spricht ihn dar­auf an, denn so eine Sze­ne wür­de gegen die Vor­ga­ben der Leh­re­rin ver­sto­ßen und könn­te nicht für ihren Film ver­wen­det wer­den. Sie über­re­det den Jun­gen den Geld­schein zurück­zu­ge­ben, was die­sem jedoch nicht recht­zei­tig gelingt: Alle Mühe bleibt umsonst, die Rea­li­tät bleibt ein eph­eme­res Kon­strukt, das sich dem Griff der Zen­sur ent­zieht. Panahi ver­sucht gar nicht mehr vor­zu­ge­ben sich dem Berufs­ver­bot zu unter­wer­fen, er ver­sucht gar nicht mehr der Fra­ge des Ver­hält­nis­ses von Insze­nie­rung und Aktua­li­tät zu ver­han­deln, son­dern übt Kri­tik am Sys­tem. Das ist ange­sichts sei­ner Lage aller Ehren wert, aus fil­mi­scher Sicht wäre ein wei­te­rer Ver­such womög­lich die bes­se­re Ent­schei­dung gewesen.