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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Augenhöhen: Ein Gespräch mit Selma Doborac zu De Facto

Ein im Frühsommer 2023 geführtes und schriftlich fortgesetztes Gespräch mit Selma Doborac zu ihrem Film De Facto. Meine eigenen Gedanken zum Film erschienen in der ersten Ausgabe des FIDback (Heft)

Patrick Holzapfel: Ich würde gern über den Text des Films sprechen. Der Text ist von dir geschrieben. Oft hört man in Bezug auf deinen Film, dass hier mit bestimmten Quellen gearbeitet wird, die du nicht nennst. Kannst du ein bisschen erläutern, wie du die Texte geschrieben, wie du sie zusammengesetzt hast? Ich meine damit nicht, dass du mir jetzt hier die Quellen nennst, sondern wie deine Arbeit an sich aussah.

Selma Doborac: Ich würde meinen, dass die ausschlaggebende Herangehensweise war, sich vorerst mit dem Material zu tragen – es zu tragen sozusagen. Die faktischen Informationen, die beschrieben werden (ich sage absichtlich faktische Information und verwende da nicht das Verb wiedergeben, mitteilen etc., sondern: beschreiben), die gibt es ja als solche in ihrer wie auch immer formell erschlossenen Setzung in der Welt und das jahrelange Lesen dieser Fakten respektive das Lesen darin und darüber, das Suchen, das Finden und dann jenes in die Vertiefung gehende Tragen all dessen etc., das lässt mitunter einen solchen Text entstehen. Ich glaube, dass das wirklich da her kommt, dass man sich lange mit etwas befasst (wie mit den Sachverhalten an sich, so auch mit dem Sachverhalt des Filmemachens über jene Sachverhalte) und dass man sich jahrelang Gedanken gemacht hat darüber (oder da her vielleicht auch, dass man Filme gesehen und gemacht hat), dass man sich Unmengen von Notizen über genau diese Sachverhalte (und diejenigen um die diese Fakten herum kreisen), die man in Filmen oder im eigenen Film verhandelt sehen will, gemacht hat, auf die man dann zurückgreifen kann … es ist etwas schwierig zu beschreiben. Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich einen sachlichen faktischen Vorgang, etwa die Verrichtung einer Handlung oder die Tat einer Person, also etwas, das der/die gemacht hat und vielleicht darüber Zeugnis abgelegt hat oder einen intimen Bericht verfasst hat, der in die Öffentlichkeit geraten ist oder ein Gespräch, das geführt wurde und aufgezeichnet etc., eins zu eins hernehme und es dann wiedergebe im Film, aber andererseits ist eigentlich dann doch zu Teilen schon auch so – bloß kommt es davor zu einer Art der Betrachtung, Ordnung und Komposition dessen, was angesammelt wurde, was daraus erschlossen respektive weitergedacht oder erdacht wurde (bitte den Unterschied zu bedenken: nicht ausgedacht) und was dann auch dramatisch stimmig werden soll und insbesondere auch lebensweltlich, im Sinne der (auch damaligen) Lebensrealität des Faktischen, welches ja in einer Person oder einem Kollektiv seine Vollführung gefunden hat, im Leben anwendbar geworden ist oder zur Anwendung gebracht wurde sozusagen, das aber auch für ein Jetzt und im Hier Gültigkeit und Anwendbarkeit finden soll. Es geht darum, nicht etwas bloß faktisch, theoretisch etc. aneinanderzureihen, um es als Faktum auszustellen (dazu gibt es Gerichte, Archive etc.), sondern diese faktisch-theoretische Begebenheit für einen Quasi-Gebrauch zu kontextualisieren – Gebrauch im Sinne des Verstehens und Erkennens für die eigene Lebensrealität und oder quasi im Sinne einer möglicherweise sich in der Zukunft ergebenden (bedrohlichen, moralisch anspruchsvollen, couragierten, wachen, mündigen etc.) Anwendung (ist dann gleich: Realität). Wenn ich zum Beispiel einen Soldatenbericht aus dem Zweiten Weltkrieg lese und darin lese ich etwas darüber, wie die Einzelperson Soldat sich verhält oder wie die Soldatengruppe sich verhält, wenn sie etwa in einer Schlangenlinie stehende Gefangene zur Exekution abführt etc., wenn ich darüber lese welche (zum Beispiel ordinär-organisatorischen) Sachverhalte oder Konversationen sich da zutragen, dann sickert das einerseits als Bild, als Gedanke, als System, als Erzählung in mich ein, gleichzeitig kann ich jedoch auf andere, sprich also damit im Zusammenhang stehende faktische Sachverhalte zurückgreifen (Maß und Umfang der Grube, Ausmaß der Schlange, Anzahl der zu Exekutierenden, Gerichtsbeweis, Geschichtsschreibung). So kommen Elemente des faktischen und Elemente des, ich kürze es salopp auf: des Inneren des Faktischen zusammen; diese beiden Elemente (und unzählige andere Bewegungen) tragen sich dann in Form des dramatisch erschlossenen Inhaltes zu, beispielsweise jenem der Figur, und in dieser Form (also per gebauter Figur im Text des Filmes) werden sie auch vorgetragen und ausgetragen; sprich also fließen sie in eine Art eines das Faktum aufnehmenden Körpers, ist gleich: der dramatische Charakter, in meinem Film Akteur 1 oder Akteur 2; trotzdem (oder besser noch: weil) also diese Figur geschrieben ist, gibt es sie und sie gilt sozusagen, und zwar durch ihre Praxis und gerade ob ihrer Praktikabilität als Figur, da sie alle diese (in meinem Fall durch diverse geschichtliche Zeiten passierenden und vonstattengegangenen) Fakten jetzt und hier in der Unmittelbarkeit (sowohl des Filmes als auch der Gegenwart und somit auch der Zukunft des Filmes) präsentiert. Diese Figur hat dann auch eine eigene Sprache (gefunden durch ihren Autor oder dadurch, dass der Film ihr passiert, ist gleich: geschrieben, geprobt und gemacht wird), sozusagen ein plausibles dramatisches Gerüst; dieses Alltagssprachgerüst der Figur (im Gegensatz etwa zu einem erdichteten, naturalistisch sein wollenden Fiktions-Sprachgerüst) erschließt sich aus der Beschäftigung mit den Fakten zum einen, ergibt sich aber auch aus dem Autorenwunsch, das Faktum als anwendbare Qualität für das Tatsächliche (das heutige und das damalige Wahre) zu generieren. Und das alles, also die durchaus extreme, ausufernde Beschäftigung mit diesem Faktum respektive einer Unzahl an solchen Fakten, und insbesondere auch deren mögliche Bedeutungen und ihre möglichen wirklichen Anwendungen auf ein Hier und ein Jetzt (und auch aufs Dann, im Sinne eines Zukünftigen), sickert mit der Zeit ins Autor-Ich und ins Figur-Ich und in den Film. Mit der ausführlichen (sprich fundierenden und deshalb auch Sicherheit stiftenden) Recherche entsteht die Möglichkeit, irgendwann frei oder freier über das Faktische schreiben zu können, es vor allem aber auch anwendbar für etwas zu machen, das auf die eigene Moralität bezogen sein könnte (Harun Farocki würde jetzt sagen und hat es auch einmal zu mir gesagt: warum sagst Du nicht einfach Moral). Diese Freiheit heißt aber nicht, dass irgendwas, was da war und geschichtlich, weltlich, gerichtlich etc. nachvollzogen, bewiesen, bestraft worden ist, also dass etwa das bestehende wahre Faktum, überschrieben wird, sondern es heißt vielleicht lediglich, dass es dann in eine eigene, in eine andere Sprache überführt wird (siehe auch: es ist ein Film), in eine Sprache der Gegenwart vielleicht, wobei das Ereignis, das Faktum und die Tat etc. darin wieder(vor-)kommen, dadurch wieder(ge-)holt werden, dann aber in der Sprache der Figur (in der Konvention des Films, aber das ist noch nicht die Frage). Das Faktum ist dann vielleicht inspiriert, wobei inspiriert vielleicht ein zu schönes Wort ist (das sicherlich auch bei manchen Lesenden Reaktionsbildungen hervorrufen könnte, vielleicht ist auch das Absicht), aber getragen von der Sprache desjenigen, der sie wiedergibt und ins Jetzt holt, also so vielleicht zur Betrachtung oder Begutachtung wieder herholt. Wenn ich etwas über einen Tathergang lese, das zum Beispiel ein/e Historiker/in hergeleitet und anschließend publiziert hat, verwende ich zwar die Information des Historikers, jedoch aber nicht seine/ihre Sprache, vielleicht ziehe ich es vor, dasselbe Faktum, das ich in der Sprache eines Soldaten gelesen habe, eher in der Sprache des Soldaten zu verwenden oder in Anlehnung an seine Sprache, die nicht die Historikersprache ist – verwenden im Sinne seiner Präsentation als solches bestehendes Faktum in der Welt, jedoch in gewählter (sprich einer dramatisch erschlossenen und anwendbar gemachten) Sprache der Figur und in der Bildsprache des Films, in dem diese Figur spricht.

PH: Das heißt, du hast das geschrieben, damit es gesprochen wird? Oder hast du auch mal daran gedacht, dass in einer anderen Form, beispielsweise literarisch zu schreiben?

SD: Es ist aufs Sprechen (ist gleich es anwenden und denken zu können) hin geschrieben, weil es ja auch darum geht, jemandem (mir, Dir, uns, dem Publikum) etwas mitzuteilen und es auch für die Möglichkeit der Mitteilung umsetzbar zu machen im Sinne der Perzeption und der Erkenntnis und der Verwendung dessen für die eigene Lebensrealität. Zum Beispiel ist ein gesprochener Kommentar eines Angeklagten vor Gericht naturgemäß anders als sein schriftlich verfasstes Manifest; oder eine schriftliche Wiedergabe einer Gerichtsschreiberin fällt (aufgrund bestimmter Restriktionen und Konventionen) anders aus als das auditive Tondokument derselben Gerichtsverhandlung (etwa einer Terrorzelle vor Gericht; bitte hier nun nicht Inhalte in den Film hineininterpretieren, die darin womöglich nicht verhandelt werden). Also die Gerichtsverhandlung an sich unterscheidet sich stark vom schriftlichen Bericht über die Gerichtsverhandlung oder von einem Film über die Gerichtsverhandlung oder einem Versuch diese visuell zu dokumentieren etc.; was einem als Gefängnisaufseher in Abu Ghuraib passiert oder wozu man da aufgefordert oder ermutigt wird und wie einem dabei zumute ist und was die Mitkumpanen/innen da so treiben etc., teilt man seiner Ehefrau per abendlicher Video-Message vielleicht anders mit als dem Militärgericht, als dem Militärpsychologen etc. – und wenn die Ehefrau die vom Ehemann mitgeteilten Eindrücke, Zweifel, Zwänge, Pflichten etc. im Zusammenhang mit seiner Arbeit in Abu Ghuraib einem Journalisten weitergibt, wird dieser eine andere Art der Organisation der Information und des Sachverhaltes vollziehen als die Ehefrau des Aufsehers; wozu man als Soldat angehalten wird, bespricht man mit einem Kameraden wiederum anders als mit einem Journalisten oder formuliert es zumindest anders etc. Ich denke doch, dass es hier und dass es mir eher darum geht, an die Essenzzone der Tat und der Tathandlung zu kommen, in die Grauzone, die unsägliche oder die kaum je gehörte oder die kaum je voll bündelbare Realität des Faktums oder zumindest in dessen Nähe und dann immer näher – wie denn besser als per Sprache? Per Sprache wird auch die Tat gedacht, geäußert sozusagen, vorbereitet, legitimiert, eingeführt, vorexerziert – das Machen (Akteur 1 in seiner Sprache: „Dann macht man halt die Tat“) ist dann nur noch sozusagen abschließend; möchte damit darauf hinweisen: das jedoch, was diese Tat vorbereitet, passiert auch vorm Passieren sozusagen, deshalb steht der Film, in seiner Formalität zumindest, auf einer Hauptsäule: der Sprache, dem gesprochenen Wort – im Film will der Sprachgebrauch (seine Bedeutung, seine Essenz als Mittel) ja gezeigt werden sozusagen und er zeigt sich als Sprachbild, nicht als bloßes Bild per se; so sind Dinge wohl eher nicht so formuliert als seien sie für das Dramatikerseminar aus dem 19. Jahrhundert aufbereitet oder für den einen oder anderen Theaterabend des 21. Jahrhunderts, sondern anders. Wenn ich nun zum Beispiel Tagebucheinträge von Albert Speer lese, ist da wieder eine andere Sprache, eine literarische Form (diese Tagebücher sind enorm interessant, weil sie sozusagen zwischen vorgemachter Intimität, anti-politisierender, polemischer Künstlerlegitimation, dem Bestreben nach Rehabilitation (und dem späteren Gelingen dessen), einem rigorosen Taktikerlektorat hin-her changieren), die es natürlich, sofern man damit arbeiten möchte, auch als solche formal zu nutzen gilt; abgesehen von ihrem „faktischen“ Wert, ist diese Sprache dann auch als psychologisches Zeugnis interessant, für den vielleicht psychoanalytisch gesprochen: realen Anteil der Information, etwa über die Persona von Speer, die wiederum etwas für die Bildung eines Anteiles des Charter- sprich Figurengerüstes bedeuten kann etc., auch darin steckt ein Wahrheitspotenzial und ist als solches lesbar. Oder wenn ein Priester versucht Adolf Eichmann in der Todeszelle zu konvertieren und das, was er eine Woche lang mit Eichmann getrieben hat, was dieser ihm daraufhin entgegen gehalten hat in der Zelle und so weiter, das gesamte abstruse Happening da sozusagen, wenn der Priester das dann in seiner Sprache Abend um Abend aus seinem Gedächtnis protokollieret und später als „Information“ publiziert, ist auch das eine literarische Form, aber gleichsam eine Art von Zeugenbericht; es ist eine Art Mischform, die man betrachten und extrahieren, zerlegen, kombinieren kann etc., die durchaus ertragreich ist und mir teils auch sinnig scheint, weil sie unmittelbar am Hergang (der Tat, beim Täter, am Rechtfertigungsversuch) entlang passiert. Oder wenn ein Journalist den Pulitzer-Preis für die Aufdeckung eines Konzentrationslagers im Jahr 1994 gewinnt, dann ist das eine faktische Information, ein journalistisches Zeugnis, das jedoch stilistisch vom Pulitzer-Preisträger in eine Form (ist dann gleich: journalistische Veröffentlichung im Autorton samt Bildauswahl) gefasst worden war; diese Formen des Schreibens und Sprechens zu erkennen, zu deuten und in einer weiteren, eigenen Form umzusetzen, ist ertragreich für die Annäherung und nochmalige engere Annäherung und nochmalige noch nähere Annäherung an den Gegenstand – Täterschaft, Zeugenschaft: das ist ja das Thema des Filmes. Es gibt die fast-direkte Form, die protokollierte, aufgezeichnete, wiedergegebene Form des klassischen Zeugnisses sozusagen oder die nacherzählte, nachbereitete, erschriebene Form (die, neben vorhin genannten Beispielen, auch etwa die Fallstudie eines Psychoanalytikers sein kann oder eine philosophische These und so weiter). So betrachtet sind es Zeugnisse divergierender Formen und es geht dabei mitunter auch darum, die Dialektik und die ständige Ambivalenz (ist gleich: Ungreifbarkeit oder bloße momentane Greifbarkeit, Fassbarkeit des Gegenstandes in all seiner überwältigenden Beschaffenheit) zu zeigen, im Sinne des Ausstellens dessen, was wiederum einen Erkenntnisprozess evozieren könnte (hin zur Transzendenz, wofür ja dann wiederum die andere Schicht des Filmischen zuständig wäre) und sie als solche zu etablieren – das heißt vielleicht eine Art des Sprechens zu suchen und auch zu finden; und zwar eine Art des Sprechens derjenigen Persona, die es nicht war, die also nicht der Täter ist, sondern der klar verabredete Repräsentant der Tat – diese Sprache zu finden, heißt auch sie zu bauen, sie aber so zu bauen als sei sie es wirklich; mit dem Zweck in diesem gebauten Rahmen dieses bestimmte faktische Zeugnis wieder herzuholen und es damit wieder benutzbar, greifbar, anwendbar, lernbar etc. zu machen. Das Heute sagt etwas anderes über das Damals, weil es das heute per se anders sagt als damals. Und was der Täter sagt, sagt eventuell genauer etwas über die Tat an sich aus als es vielleicht das traumatisierte Opfer zu sagen vermag (aufgrund einer womöglich hemmenden Konvention, etwa: Setting oder einzuhaltendes Protokoll am Internationalen Strafgerichtshof; oder ist das Opfer bereits verstorben und wird nun durch einen stellvertretenden Überlebenden repräsentiert etc.); sprich also sogar die damalige Rechtfertigung, Verteidigung, Uneinsichtigkeit, Verblendung, Dreistigkeit etc. des Täters birgt immer gleichzeitig ein (damaliges, aber umso potenteres heutiges, weil neu zu verortendes) Zeugnis über die echte und wirkliche Tat; auch wenn das Faktum also auf der Tat der vollführenden Person baut, ist es zuallererst die Sprache dieser Person, die den Tathergang vorträgt; in diesem Fall jedoch wird die tätereigene Sprache vom Täter entfernt, er wird quasi von „seiner“ Sprache entkoppelt – nicht in der historischen Wirklichkeit, aber in der inneren sprachfilmischen Wirklichkeit. Hier ist dem echten Täter die Handlungsmöglichkeit der Re-Organisation seiner Tat, seiner Schuld, seiner Verantwortung per Sprache einfach nicht geboten und sogar entzogen (im Gegensatz zu Möglichkeiten der passiven Wiederaufführung, Herleitung etc. der Taten, die durch gesellschaftlich erschlossene Konventionen ermöglicht werden und Rehabilitierungen provozieren, siehe etwa: Gericht als Bühne für die eigene Ideologie oder siehe etwa: das Reenactment als Möglichkeit der spielerischen, selbstgestalteten Verschiebung des tatsächlich vonstattengegangenen); in De Facto wird sozusagen durch einen Repräsentant und in einem bestimmten sprachlichen Ausdruck (ist gleich dramatische Form und Figurensprache) der echte Täter suspendiert, weil der echte Täter hier von einem Schauspieler verkörpert wird (dazu vielleicht ja später mehr); sprachlich wird etwas wieder-holt und das möglichst echt und wirklich, aber dafür gilt es eine Form zu suchen und sich sozusagen per Sprache von jeglicher Ablenkung der Sprache zu distanzieren; es gibt viele Belange, die es zu meiden gilt (etwa später auch im Figurenspiel, welches ja die nächste elementare Ebene der Figurensprache ist), aber die erste Ablenkung scheint mir eine unnatürliche, betuliche Sprache zu sein, also eine als-ob-nicht-wie-geschriebene Sprache.

PH: Für mich kommt da aber noch was dazu. Es ist ja eine extreme Verdichtung, die du da vornimmst. Es ist ja nicht so, dass diese Menschen in deinem Film so von ihren Taten erzählen, wie sie das wahrscheinlich im wirklichen Leben tun würden, zumindest gehe ich davon aus. In deinem Film ist das ja ein Runtersprechen oder ein Gegen-Etwas-Ansprechen…

SD: Ich nenne das Präsentieren, sie präsentieren etwas.

PH: Wie bist du zu dieser Form gekommen? Du hättest ja auch sagen können, dass du es realistischer oder naturalistischer machst. Warum musste es diese Art des Sprechens sein?

SD: Das ist zum einen immer abhängig von demjenigen, der es spielt (neben vielen anderen Faktoren, die sich zu dieser und keiner anderen Zeit, im Hier und Jetzt des Machens, des Aufzeichnens des Films etc. zutragen), wobei ich jedoch kein klassisches Casting gemacht habe und mir Spieler nach bestimmten technischen Merkmalen anguckt habe etc., sondern habe ich (zuerst innere Selbstgespräche) dann längere Gespräche mit immer je nur einem Spieler geführt, also nicht mit vielen gleichzeitig; da geht es nicht ums Herumfischen auf gut Glück, sondern darum ein bestimmtes oder mehrere bestimmte Merkmale, die dem Spieler eigen sind, zu sehen, anzurufen, schlicht gemeinsam darum und damit zu arbeiten; vor allem versuche ich vorab etwas im Spieler zu sehen oder es stellt sich mir quasi in der (durchaus lange dauernden) Beschäftigung mit Spielern, ihren Spielformen etc. irgendwann von selbst der eine oder andere Spieler ein; ich schaue bewusst und sicherlich auch zu Anteilen unbewusst danach, was an Voraussetzung und Möglichkeit des Spielers da ist für die Art und Weise wie ich hier arbeiten möchte; und sicherlich habe ich durchs Schreiben etc. auch einen bestimmten Grundrahmen erarbeitet und wohl auch festgelegt wie etwas herzustellen und aufzubauen sein wird (stilistisch, dramatisch und so weiter) und habe auch eine durchaus direkte Vorstellung darüber, wie das mögliche Spiel, die Art zu spielen besser gesagt, in diesem formalen Kontext zu etablieren sein könnte – also welche Haltung einzunehmen sein könnte, um all das, was zu verhandeln ist, antidramatisch zu präsentieren; und dann kommen Spielpersönlichkeitsanteile desjenigen, der das spielt mit hinein (also das, was da ist und gar nicht gespielt werden muss); und dann kommt die schönste Arbeit, nämlich die Praxis des (in diesem Fall sehr ausgedehnten) Probens und der Überprüfung des Geschriebenen aufs Spielbare hin; ich begleite das, ich höre und sehe und wir gucken und machen, aber ich führe es auch irgendwohin (da hin, wo wir es als ergiebig befinden und darüber müssen wir uns auch nicht gleichzeitig und nicht deckungsgleich, also nicht offenkundig einig sein, aber innerlich irgendwann schon), es ist eine Art Reisebegleitung, aber es ist auch die Verantwortung für die Reise des Films itself. Wesentlich ist mir in allem (vielleicht auch außerhalb des Filmes), möglichst jegliches Eintreffen, Einsickern und Verfolgen der Möglichkeit einer falschen, unpräzisen, dramatisierenden oder inflationären Emotion zu suspendieren (das beginnt naturgemäß im Schreiben, also der Text soll das nicht evozieren, dann im Machen, Proben, Spielen); diese falsche Art der Ablenkung auf beiden Seiten: Spielerseite und Publikumsseite soll so wenig wie möglich aufkommen können (möglichst gar nicht, was schwer ist), also muss der Rahmen da sehr stringent werden; das muss einerseits der Text bieten, die Kombination Spieler-Aufgabe und Spieler-Regie, aber vor allem sollten die Proben für diesen Vorgang des Freimachens, Heruntermeißelns von eingeübten Mustern, von Stilen, vom falschen Wollen etc. verwendet werden, um sich in gänzlich unmittelbare Stadien der Aufführung von etwas zu begeben, immer und immer wieder, immer näher dem Nicht-Spiel zu; was wie ein Paradoxon klingt: Etwas immer wieder machen, um es abzulegen, ist aber der schöne Ertrag des Durcharbeitens dessen und ich denke, dass es funktioniert; das ist Prozess und die Dialektik des Durcharbeitens, weil es nicht darum geht, etwas zu begreifen und das eben (vermeidlich) Begriffene erst recht wieder aufzuführen und somit erstrecht wieder in einen vorgefassten Stil (ist dann wieder gleich: Ablenkung) zu kommen oder geht es freilich auch nicht darum, etwas möglichst toll, virtuos, sprich möglichst standardisiert zu machen auf kurzem Weg, der meistens nur auf sensueller, oberflächlicher Ablenkung gebaut ist, weil genau das sowohl Spieler als auch Betrachter davon wegbringt oder schlimmer noch gar nicht da hin bringt, etwas zu erfahren, nämlich das worum es eigentlich geht: worüber eigentlich berichtet und was da präsentiert wird. Der Inhalt entwickelt auch die Form mit, denn sie passiert im Vorhinein durch Vorgeschriebenes, Vorgearbeitetes (bewusst und unbewusst), dann durch Grundmerkmale oder Mitgebrachtes, dann im Unmittelbaren, im Moment des Machens und, das ist so quasi der Gesamtertrag, im Ein- und Nachwirken der filmzeitlichen und realzeitlichen Gegenwart. Es geht, denke ich, darum, immer einen (immer anderen als den bekannten) Rahmen zu finden (schon im Text, in der Figurenbildung, um es etwas konventionell auszudrücken, in der Machart etc., darin, das also allem vorangestellt ist), sodass man nicht der inflationären Schönheit des So-wie-als-Realismus oder des Möchtegern-Naturalismus des Inhaltes des Spielers versinkt oder sich dahingehend ablenkt oder der Spieler sich selbst dahin flüchtet, sondern dorthin geht, wo er (vielleicht jetzt als Bild) zu einem offenen (ist gleich bedeutend mit echt) Gefäß wird, in dem der Inhalt getragen, vorgetragen, weitergetragen, gegriffen und erkannt wird; das heißt zu glauben, zu wissen, zu merken, betroffen davon zu sein, was man spielt und spricht, echt und jetzt und hier (es gibt auch das Bild der Ruine, zu der der Körper der Spielers wird; oder Platz zu nehmen dort, wo etwas verschüttet ist, es auszugraben und es für die anderen aufzubereiten); es soll eben nicht auf eine antiquierte Weise etwas exerziert werden, sodass man wieder über zehn Minuten lang in einer anderen Wahrnehmung verharrt (etwa die Sprache, die technische Bewegung, die Tonlage des Spielers, das Aussehen) ehe man sich wieder dem Eigentlichen, dem Gegenstand, der transzendierenden Bewegung (also einfach anderswohin als bisher gekannt) zuwendet, und zwar gemeinsam: Spieler und Publikum in ähnlicher oder gleicher Bewegung, zumindest in ungefährerer gemeinsamer Richtung. Es geht darum, eine Waage zu finden, um einerseits die Figur lebendig zu halten (dramatische Setzung), nicht etwas zu wiederholen, das man ja kennt (etwa eine bestimmte Form von Theater oder die Gerichtsrealität etc.), anderseits darum, etwas zu schaffen, das etwas, dass das worum man herumspricht, das man zu präsentieren sucht, wieder herzuholen versucht, sichtbar macht: nämlich das, was an Wahrheit oder Wahrhaftigkeit da ist – und das kann ja nicht nur gespielt sein, sondern muss gelebt werden und von mir aus: ertragen werden. Ich wollte die Spielgeste möglichst eng, gleichzeitig möglichst unmittelbar (gleichbedeutend mit wirklich und echt) fassen. Es ist eine Herausforderung, sich sozusagen soweit anzufüllen, um sich komplett leer zu machen (nicht zu spielen quasi als Spieler, dabei dennoch die Spielform einzuhalten und sie zu beherrschen); es geht darum, den Moment der Wahrhaftigkeit hervorzurufen und stetig (per Text, per Machart, per Spiel, Nicht-Spiel) zu provozieren, denjenigen Zustand zu erlangen über die Dauer der Spielmomente, in dem es nicht möglich ist und nicht mehr nötig ist, etwas durch Spieltechnik zu überwinden, weil es zu dem wird, was zu tun ist und was da ist, weil es unvorhergesehen hereinbricht und einen ständig überkommt, und zwar nicht an der immer selben Stelle etwa (das wäre ja dann die falsche Virtuosität), sondern undefinierbar wo und wann (also schlicht: Lebendigkeit) und wenn man da noch nicht frei geworden ist und auf Techniken zurückgreift und doof überlegt, welche physische Aufgabe man da noch am besten ausführen könnte etc., um das, was man sagt vermeintlich naturalistisch zu unterstreichen, dann geht mir dieser Wahrhaftigkeitsmoment dessen, was mich durchströmt im So-als-ob und im Wie-mach-ich-das-jetzt-am-besten-gut doch ja ganz verloren oder kommt erst gar nicht auf, der aber muss möglich sein, um echt zu sein. Diese technische (und somit unwahre) Verlockung, die auch eine ständige Verschleierung des Gegenstands in sich birgt, muss möglichst weg, damit das Ereignis möglichst klar wird (und somit als wahr und wirklich wahrnehmbar wird).

PH: Was du sagst, verstehe ich sehr gut über den Nürnberg-Film von Marcel Ophüls. Die Überzeugung, mit der Göring da sitzt, das ist etwas, was einen mehr beschäftigt, als das, was er eigentlich sagt.

SD: Genau. Oder wenn man ein Speer-Interview anschaut, das in einem bühenbildartigen Arbeitszimmer mit bedächtig drapierten Objekten bestückt ist (siehe dazu übrigens auch die Ablenkung durch das Set, die Bühne und die falsche Annahme, nicht nur seitens Gestalter, teils auch seitens Spieler übrigens zu oft, man könnte sich etwas nicht imaginieren etwa: ein Sofa; dann gehen die meisten dazu über doch ein Sofa hinzustellen, wo es auch ein Sessel sein könnte oder nur die Wand, die die metaphorische Aufgabe des Sofa hervorragend lösen könnte, wenn auch nicht immer, aber was man dabei gewinnt ist vor allem nicht abgelenkt zu sein, im Sinne von Zeit, Epoche, Stil, Formalismus), also bei Speer ist allein schon der Raum an sich Ablenkung genug (und siehe etwa im Vergleich dazu auch die Relevanz der realzeitlichen, echten Bewegung des Lichtes, des Wetters hier im Film beziehungsweise draußen am Filmset, die ja nicht vorhersehbar ist, auch wenn sie eine ausgesuchte Setzung ist, öffnet sie einen völlig anderen Raum, nämlich jenen zu sich selbst als Raum und insbesondere jenen der echt hereinbrechenden und nicht vorhersehbaren Zeit im Hier und Jetzt der Filmwirklichkeit – durch eine, wenn auch ausgesuchte, dennoch unumstößliche Raumzeitwirklichkeit); also das Set, in dem der Raum wirkt als der, der er ist und die Zeit verwirkt als die, die sie ist und somit in der Wirklichkeit selbst, was ja sozusagen vergleichsweise viel „naturalistischer“ ist als jeder Versuch, etwas naturalistisch zu stagen; wenn der dann aber – und jetzt wirklich zum Beispielfilmchen von Speer – zwar auch noch fast keine Geste tut oder absichtlich möglichst wenig naturalistisch herumhantiert (was sehr interessant ist, nämlich im Sinne dessen wie er es spielt und gleichzeitig nicht konstant durchspielen kann, weil er kein Spieler ist) und nur manchmal der Adamsapfel als ausreißende Geste beim Herunterschlucken wahrnehmbar wird, starrt man immer da hin und denkt ständig darüber nach (ich zumindest bin davon vereinnahmt); eine Rührung, jedoch eine, die per se noch nicht klassifizierbar ist, da sie immer gleich verläuft, ob nun aus Angst oder aus Zufriedenheit etc., sie ist also als solche nicht echt deutbar, auch wenn sie zwar echt ist, wie sie aber von Speer kontrolliert oder zumindest gestisch, sinnlich kommentiert und eingesetzt, also gespielt wird, ist enorm ablenkend, zumindest überträgt sich dieses gespielte Nicht-Spiel als solches auf mich beim Betrachten (ungleich Mitdenken) des Interviews; die Geste ist zum einen so unauffällig, aber gerade deshalb wiederum so augenscheinlich und auch so unheimlich, weil dieses schreckliche Bewahren der Fasson gleichzeitig gespielt ist und gleichzeitig ungespielt; dann also geht es plötzlich um den (ablenkenden, also falschen) Versuch einer Deutung des Herunterschluckens von Speers Speichel statt zu hören und zu begreifen, was polemisiert wird; man weiß nicht, ob es eine natürliche Bewegung ist, etwa: zu viel Speichel im Mund oder etwa: gut, dass ich hier die Kurve genommen habe und geradezu parlamentarisch geantwortet habe etc. und man bleibt dann Minuten lang damit befasst wie die Geste nun gemeint ist und gedeutet werden kann und so weiter. Aus den Erfahrungen meiner Recherche heraus frage ich mich dann natürlich auch für meinen Film, wie ich diese Art der Ablenkung, der Abschweifung, der Nichtanwendbarkeit auf meine Lage (meint jene des Spielers gleichbedeutend in der Folge jene des Publikums) am besten gar nicht erst aufkommen lassen kann, sondern wie ich eher andere Bewegungen des Denkens oder eines Eindenkens oder des Nachwirkens etc. herstellen kann im Film (– wohl indem ich möglichst nicht ablenke). Und ich erinnere mich beim Sichten verschiedener Täterpersonen immer daran gedacht zu haben, wie verheerend und moralisch verwerflich und auch widerlich es ist, je fast immer eine Art Bühne (sei es vor Gericht, sei es als Literatur, sei es im Reenacment mit denjenigen, die es echt getan haben und es dann wieder spielend vortragen) für diese Art der Täterpräsentation angeboten gesehen zu haben, denn immer und ausschließlich wurde sie gestisch, inhaltlich, ideologisch, sprachlich etc. für die je eigenen Zwecke, die immer gleichen Ablenkungen vom Eigentlichen zu nutzen gewusst, weil eine unachtsam verwendete und zu kurz gedachte Bühne ja nichts anderes evoziert, deshalb sollte sie möglichst verlagert, umgeschlichtet und umgebaut werden auf den Zweck hin, den Zweck dahinter zu sehen, hinter die Bühne, hinter die Tat, hinter die Konvention, näher an den Gegenstand (der nicht der Gegenstand auf der Bühne ist, sondern der echte Gegenstand); wie die Bühne, so auch alle anderen formalen Setzungen, also ja, so auch das Spiel.

PH: Dann frage ich mich aber, nach was für Gesichtern oder Körpern du gesucht hast. Ich frage mich, weil die Besetzung von Schauspielern für mich erstmal widersprüchlich klingt. Die wissen doch ganz genau, wie sie sich bewegen, sodass ich dann doch hinschaue. Ich finde, dass der Film das größtenteils trotzdem ganz gut vermeidet, auch wenn es ein oder zwei Momente gibt, in denen ich dann schon den Körper sehe, beispielsweise in bestimmten Sprechpausen oder wenn sich anders hingesetzt wird. Natürlich höre ich auch die Stimmen sehr stark. Wie hast du damit gearbeitet? Warum hast du überhaupt Schauspieler besetzt?

SD: Schauspieler, weil es darum ging, keinesfalls, diejenigen, die etwas getan haben, wirklich und wieder etwas auf spielerische Weise wiederholen zu lassen in einem laienhaften, enervierenden, nichts (für die Gemeinschaft, sondern wenn, dann für sich selbst) hervorbringenden Stil, der höchstens über die Dauer von ein paar Sekunden wahrhaft sein kann, ehe sich alles wieder verflüchtigt durchs Überspielen, Rehabilitieren, Gefallenwollen, Lügen, Ablenken etc. und so erst recht aus der Welt gestoßen wird und womöglich dadurch noch mehr aus der Welt gerät, das dann die viel schlimmere Überschreibung wäre, finde ich – die gilt es ja zu meiden zugunsten des Hervorholen des Wirklichen; damit meine ich sowohl, und das insbesondere, das möglichst komplette Verhindern des echten Täters auf irgendeiner Bühne (wie sie etwa gerne auf den Gerichtsbühnen oder in den Reenactment-Recherche-Projekten und mit ähnlichen formalen und konventionellen Formaten, also in allen Facetten der Möglichkeitsformen, ausgestellt werden – zuweilen ist das sehr anmaßend in dieser ausstellenden, fehlgeleiteten Hinsicht), aber auch das romantisierende und zu kurz gedachte Bemühen von echten Laien; denn Laien können, schlicht weil Technik und Erfahrung und so weiter fehlen, keinen für ein solches Vorhaben adäquaten Rahmen bieten, nämlich einen der über die Dauer nur einer echten Filmminute hinausgeht; der Laie kann den wahren und echten Moment vielleicht wie keiner je zuvor (und das nur einmal) zwar zeigen, aber nicht halten, so echt er auch sei, denn auch der Laie spielt sich ab einem bestimmten Zeitpunkt im Film und für den Film, es sei denn man schafft es, etwas drastisch zu entkernen oder zu verfremden, dann kommt man auf Filmeinstellungen die vielleicht über zwei Minuten dauern ohne dass per Schnitt die echte Wahrheit desLaien unterbrochen werden müsste, weil sie sich ja dann verflüchtigt hat – diese Wahrheit immer wieder in sich anzurufen und in sich einziehen zu lassen quasi, scheint mir dialektischer Weise durch Technik und Haltung (ist gleich eine bestimmte Art von Spiel) wahrscheinlicher herzustellen und den Pfeiler dafür wiederum liefert der Text, die Probe, die Arbeit mit dem Spieler; ich habe in einem Interview im Zuge der Internationalen Filmpremiere des Filmes bei FID Marseille über meine Entscheidung mit Spielern zu arbeiten auch etwas erzählt und empfehle, es dort nachzulesen (https://fidmarseille.org/en/film/de-facto/). Und zu den anderen Fragen, etwa die des Aussehens und so weiter: Das Aussehen ist nicht so wichtig und es findet auch keine Akquisition (Casting) dieses oder jenes Gesichts, Typs etc. statt (vielleicht gibt es eine Art Anlehnung an etwas, was ich zu sehen oder zu suchen meine, das vielleicht unbewusst, ein Anlehnungstyp sozusagen); um markante äußere Merkmale also ging es eigentlich nicht, denn ich sehe keine Veranlassung oder keinen inneren Zug und keinen Sinn einen realistischen „Täter“ zu stagen (etwas anderes ist es für Spieler vielleicht, wenn sie im Spiel ihr Aussehen in der Rolle unterstreichen, oder ihr Kostüm, das ihnen hilft, die Situation oder die Figur zu erfassen, allerdings kann man das in der wirklichen Arbeit (siehe Sofa, wo vielleicht keines nötig ist und imaginiert werden kann) lösen, sprich herausarbeiten, also wegarbeiten eigentlich); abgesehen davon gibt es immer den Zwang, per se eine Entscheidung treffen zu müssen, etwas/jemand aussuchen zu müssen, also immer eine Art Kompromiss (eine blonde Frau – Punkt); es ging eher darum, die Art und Weise, wie etwas gespielt werden kann zu suchen und zu finden, sie im Spieler möglichst schon vorab gesehen zu haben, zu wissen, der oder die kann das für die Art von Arbeit einbringen; irgendwo in der Recherche oder beim Zuschauen habe ich etwas gesehen (egal, wo der/die spielt, ist die Fähigkeit, der Anteil dessen, was er/sie spielbar machen kann, immer sichtbar, egal in welcher Rolle sozusagen, da sieht man durch und darüber hinweg, ist dann egal, ob der jetzt einen Bauern oder einen Nazi spielt, er spielt es so und so und das ist wichtig), ich meine damit nicht, ich habe gesehen wie der/die etwas ausführt oder spielt, sondern meine eher gesehen zu haben, was im Spieler an Möglichkeit da ist (diese Figur zu verstehen und auszulegen). Wenn man fünf verschiedene Schauspieler für eine Figur in Betracht nimmt, wird die Figur in der Aufführung stilistisch immer anders ausfallen und es wird bei jedem der fünf infrage kommenden Spieler immer divergierende innere Bewegungen geben, die nur er/sie je für die Figur einzusetzen imstande ist auf eine nur ihm/ihr mögliche Art. Also je nach Spieler kommen Figurenschwerpunkte und Textschwerpunkte zum Tragen sozusagen, wobei die Figur an sich das Grundgerüst bietet, das dann je nach Möglichkeit, Verständnis, Fähigkeit, Lust, Zugriff, Körpergedächtnis etc. vom Spieler ausgelegt wird – nachdem man sie zusammen erarbeitet hat und in je relevante Richtungen und für den Spieler, für diese Situation, diesen Film, hier und jetzt, erschlossen hat, sie echt gemacht hat sozusagen. Ich habe eher danach gesucht in Spielern. Es ist natürlich auch immer eine Fantasie, aber es ist auch ein sehr genaues Schauen in einen Schauspieler, auch das muss man aushalten beiderseits, ich denke jedoch, man wird mit Klarheit und Nähe belohnt. Es ist eine Art Naheverhältnis aus der Distanz und wirklich interessant, denn man sieht etwas, ermöglicht womöglich dadurch anderen, etwas, sich etc. zu sehen (Übertragung aufs Publikum); wenn ich etwas relevantes, also etwas unverdecktes im Spieler sehe, sehe und greife ich die Möglichkeit des Moments, der sozusagen hinter dem Spiel ja als wirklicher Moment besteht (trotzdem es ein Spielmoment ist, ist etwas einfach wirklich da) und dann beginnt die Reise (der voran geht das innere Selbstgespräch darüber, was ich als Regie glaube davon im Spieler anrufen zu können). Klar gibt es ein bestimmtes Aussehen (weil man an diese Unausweichlichkeit gebunden ist und weil sie übrigens auch einen nicht unbeträchtlichen Anteil für/gegen eine sogenannte Objektwahl ausmacht), ich würde aber eher meinen, dass es ein Zug ist oder eine Neigung, eine metaphorische Farbe oder eine Stimmung (Stimmen sind entweder vorher eingeübt oder werden geübt); es geht eher um den Spirit (für die Figur), dann um das Interagieren und das Agieren, ums Zusammenspiel zwischen Regie und Spieler. Es ist nicht so, dass ich einen So-oder-So-Typen suche, das ergibt sich in der Beschäftigung automatisch (oder amortisiert, nämlich durch die Vorarbeit am Film, die ja schon vorm Suchen, also im Finden des Spielers gemacht werden musste), glaube ich, und dass man da in eine bestimmte Richtung sucht oder bestimmte Haltungen und bestimmte Charakteranteile eines Schauspielers sieht, ist dann selbstverständlich; Eigenschaften oder Anteile sind also eher da und es ist sozusagen die Summe dessen was er/sie als Mensch, dann natürlich als Schauspieler einbringt und dann als Figur, um es konventionell zu sagen. Was ist sein Potenzial für die Figur? – das ist bestimmt nicht dasselbe Potenzial wie das Potenzial eines anderen Spielers für die gleiche, ja dieselbe Figur (siehe somit die einmalige, kaum wiederholbare, nicht variable Wahrhaftigkeit für die Figur).

PH: Und wie groß ist da dein Respekt davor, dass sich diese Schauspieler dann diese Täter gewissermaßen einverleiben? Der Text, dazu kommen wir noch, kombiniert ja verschiedene Täterperspektiven, aber die laufen dann in einem Körper zusammen. Ist das nicht eine Gefahr, dass dann doch eine Person all das in sich trägt?

SD: Der Respekt ist durchaus groß, denn bereits vor dem Schauspieler habe ich mir diese Figuren auch als Autorperson einverleibt (oder mich ihrer quasi schon wieder entleibt), indem ich sie ja gebaut habe und in die Welt getragen habe und indem ich mich, ehe ich das machte, ja jahrelang damit getragen habe und indem ich sie an Spieler weitergebe für die nächste Etappe. Ich kann also schon verstehen, was da alles zu manövrieren und zu fassen ist und auch danach, um auf die Suche der Schauspieler zurückzukommen, habe ich bei Schauspielern gesucht, diese Fähigkeit, den Stoff und seine Konsequenzen, Erfordernisse etc. zu verstehen und Spieler zu finden, die den Moment der Präsentation dessen tragen werden können oder tragen werden wollen, weil ihre Spielveranlagung sozusagen mir das offengelegt hat; und ich denke, dass Schauspieler, die so etwas spielen können, wissen, dass man als Spieler zwar gewisse Ruinen betreten muss und sie aber auch wieder verlassen können muss und ablegen irgendwann; der Autor weiß das auch, der legt es vielleicht anders ab im Vergleich. Ich glaube dadurch, dass der Text sehr fordernd ist, ist man trotz hervorragender Vorbereitung immer zu einem guten Teil damit beschäftigt, den Text (später erst den Inhalt, der sickert) zu tragen, das ist also textimmanent, das ist dann auch etwas technisches, schützendes vielleicht vorerst, um sich im Projekt einzufinden. Ich habe konzeptionell festgelegt, offen und ehrlich, wie wir dieses Tragen (ist dann später das Spielen) anlegen können und wie wir uns dabei trotzdem offen (ist dann gleich echt) halten wollen und Vorschläge erarbeitet, wie wir das auch schaffen können. Wie lassen wir den Moment, der auf uns kommt oder fällt, uns überfällt, echt gewähren und wirken und wie bauen wir uns dabei aber auch einen festen Rahmen, der diesem Moment standhält, und zwar über eine verhältnismäßig sehr lange Dauer (über halbstündiger Monolog ohne Schnittunterbrechung) und wie schaffen wir es dazu auch noch, vieles was an Spiel gelernt ist, was so an allen Ecken und Rändern haftet, abzulegen – das alles, weil wir ja den einen oder anderen Wahrhaftigkeitsmoment in uns hervorrufen wollen und ihn auch halten sollen und ihn ans Publikum weitergeben wollen. Das ist wirklich eine herausfordernde Gleichzeitigkeit von (unbewussten) Fähigkeiten, die da sind oder bei manchen da sind in manchen Aspekten und es ist aber auch etwas, was man zusammen trainiert und erarbeitet oder herbeiführt. Wenn einer siebzigmal sagt: Wenn mir das Blut in den Mund gespritzt ist… und dabei siebzigmal die Hand zum Mund hebt, um das metaphorisch gewordene Blut, das ja nicht an ihm ist, das aber echtes Blut an einem anderen, nämlich jenem echten, aber zu repräsentierenden Soldaten war, welches wiederhergeholt werden soll, und zwar nicht als Bild über Blut, sondern als Fakt in der Welt, das jemandes Blut vergossen wurde und wie, wenn er also versucht, dieses Blut an seinem Mund zu zeigen, dann macht es letztlich keinen (lebensweltlichen) Sinn, weil es ablenkt davon, sich vorzuhalten, was es denn heißt und bedeutet und sagt und ist, dass einem Typen, der jemanden demütigt, das Blut des Opfers in den Mund spritzt; das ist viel wichtiger als die schauspielerische Geste des Heranführens der Hand zum Mund, um es zu symbolisieren, da geht man eher weg vom Fakt der Demütigung, der sich im Blut des Opfers zeigt/e, sich hier aber nicht wieder zeigen muss, als Dublette, sondern etwas anderes muss sich weiterführend daraus zeigen können – und daran muss man arbeiten, das zu transportieren, es zu tragen, es auch zu ertragen (auch zu ertragen, dass man als Schauspieler jetzt nicht auf eine physische Aufgabe zurückgreifen darf), es sich also einzuverleiben, es dabei aber nicht nur leiblich zu zeigen, sondern es dabei eher zu sein; möchte ich nun erfahren, was das wirklich bedeuten könnte, weiterführend, moralisch etwa von mir aus oder universalistisch noch besser, oder möchte ich jetzt lieber sehen, ob der Schauspieler die banalste Alltagsgeste besonders schön setzt, weil er das so gut gelernt hat – eher nein; das macht man dann in der Probe weg (oder schon im Schreiben, das ist die Idee, aber der Autor ist ja nicht der Spieler, also muss es durchgearbeitet werden, es muss tausendmal gemacht werden, damit es unnötig wird, weil etwas anderes nötiger und dringender ist und echter); also macht man das siebzigmal und beim einundsiebzigsten Mal darf man es oder besser noch: will man es halt nicht mehr machen, weil man etwas anderes erzählen will – nämlich einen anderen Inhalt als nur das Bild des in den Mund spritzenden Blutes (da will der Text mehr, der Film mehr, der Spieler dann wohl auch mehr); und dann macht der Spieler es auch nicht mehr, sondern (macht mehr indem er) sagt: Wenn mir das Blut in den Mund gespritzt ist… ohne es zu deuten (hier passt jetzt deuten gut). Angesichts eines solchen Stoffes (nach Vorgesprächen, vielleicht beim ersten alleinigen Lesen des Spielers seiner Figur, nach dem mehrmaligen gemeinsamen Lesen, spätestens dann) ist sicherlich auch demjenigen, der sich bereit sieht, hier mitzuarbeiten deutlich geworden, dass Illustration und ähnliches abträglich ist (schlicht weil diese Herangehensweise an den Inhalt nicht heranreicht, der Inhalt bietet das gar nicht an), weil einfach etwas anderes viel dringender zu erzählen ist, in dem Satz, den ich sage, in der Façon, die nun anzunehmen ich mich zuerst anschicken muss und dann überwinden und die ich dann tragen und auch erdulden muss, ehe ich sie angenommen habe als Figur; wenn man Schauspieler darin, das zu sehen, das zu machen, das machen zu wollen und zu können, ermutigt, ihnen dabei hilft und ihnen Vertrauen und Sicherheit entgegenbringt, in die Figur vorzudringen in Begleitung (in diesem Fall in meiner), können sie (können wir, ist gleich später kann das Publikum) in die Figur, ist gleich: in den Inhalt dringen; wenn sich der Schauspieler frei in der Figur bewegen kann, kann er die Figur (der Inhalt) sein – und weil der Schauspieler (und mit ihm das Publikum) zur Figur dringt, die Figur wird, die Figur ist, kann er sie auch ablegen; dieser Rahmen bietet ihm sowohl in der Vorbereitung der Arbeit als auch in der Ausführung, die Grundlage nicht nur im Moment des Spiels (also eines dann möglichst hergestellten Nicht-Spiels) die Figur zu sein, sondern sie danach (Spielende) auch wegzulegen, sie also abzulegen, sich ihrer zu entledigen; in seiner und durch unsere Arbeit daran wurde er zu etwas (Figur, mehr als Figur, also Inhalt), das einen Gegenstand verhandelt, trägt, herholt, zeigt und sich aber davon auch zu distanzieren vermag; im Alltag befragt man sich ja auch nicht ständig, ob man das, was man kann, heute anwenden wird können oder eher nicht, sondern tut man das mögliche, das nötige, man macht es einfach (auch wenn man sich vielleicht später darin überprüft etc., aber nicht ständig und nicht während jeder Geste); man muss also in die Konstitution dieser Figur kommen, sie werden und sein – um sie ablegen zu können, sodass man sich im Spiel frei bewegen kann, aber auch nach dem Spiel frei wird von davon. Für Spieler ist das vielleicht schwieriger als für jemand, der nicht ständig Spielweisen erarbeiten muss, weil Spieler sich wohl per definitionem zunächst immer etwas über/für/wegen der Figur fragen, aber hier sollen sie sich zumindest nicht vordergründig fragen müssen wie sie etwas zeigen werden, sondern vielleicht mehr Raum haben, ihre unbewussten Charakteranteile in den Spielcharakter einzubringen; sich befragen und rumbauen tut man ohnehin, nur man muss es nicht zugunsten des virtuosen Moments des Spiels ständig tun müssen (wie etwa: naturalistisches Andeuten von plakativen Ereignissen); das ist für mein Dafürhalten realitätsfremd und völlig übertrieben, aber auf der Bühne (natürlich auch im Film) ist vieles zuweilen so übertrieben, deshalb heruntermeißeln, metaphorisch werden, um klar zu sein. Man muss irgendwie in diese Freiheit oder in diese Disziplin oder von mir aus auch: in die dialektische Kondition kommen im Spiel, dass man frei wird und mutig und dann muss man das auch aushalten und dann kann man es sowohl im Spielmoment selbst als auch nach Spielende eher weglegen.

PH: Meine zweite Frage, die an deinen Textaufbau anschließt, hat mit Distanz zu tun. Wenn ich mit Menschen über deinen Film gesprochen habe, fiel sehr oft der Begriff der Nähe. Das halte ich nicht aus, das geht mir zu nah und so weiter. Ich empfinde das aber gegenteilig. Der Film hat eine gewisse Distanz, die auch notwendig ist. Ist das für dich auch so und wenn ja, wie arbeitest du damit?

SD: Ich habe es vorgezogen, kühle Charaktere zu schaffen (nicht etwa eine Fläche, an der alles abprallt, das finde ich ermüdend und gespreizt und so bemüht und so postmodern etc.), schlicht damit andere als primär sensuelle und emotionale Bewegungen in Gang gesetzt werden, auch gerne nachträglich, später, übermorgen und in zwei Monaten – ich finde dieses Nachdenken, also: der Figur (so auch dem Inhalt) nach zu denken, weil man sie nicht gefasst hat, sehr ertragreich und sehr schön. Kühl oder distanziert im Sinne dieses Nicht-Identifizierens oder zugunsten von Klarheit und Übersicht besser gesagt; es scheint mir erstrebenswert eine Figur zu schaffen, die präsent und echt ist und dabei dennoch nicht ganz greifbar – das ist ja dann wie im echten Leben. Oder so wie die Figuren bei Haneke manchmal: Die sind ganz da, aber nicht wirklich fassbar, obwohl nah (weil es bei Haneke eben nicht darum geht, nur die Figur zu erzählen, sondern mit der Figur etwas über beispielsweise Gewalttätigkeit, aber mit einer hervorragend gemachten Figur); die Figuren gehen dabei weder in den Zusehenden noch in sich selbst je voll hinein; durch diese Distanz kann die Figur aber andere Nahverhältnisse schaffen, unerwartete Verhältnisse, Gleichnisse, Vergleiche, Bezüge, Zusammenhänge, Metaphern, Realität. Die distanzierte Figur schafft die Nähe vielleicht in der Nachbetrachtung und in der Nachwirkung, im Versuch die Figur zu ergründen, weil sie mir nicht nah war, sondern blieb sie in der Distanz, also möchte ich sie verstehen, begreifen etc., dann kann es sein, dass mir durch dieses Suchen, Nachdenken, Nahekommenwollen an die Figur (ist gleich an den Inhalt, den Gegenstand, der verhandelt wird), dass mich ein Teil dessen nach fünf Tagen oder nach drei Jahren einholt und mir etwas klar wird, indem ich der Figur (dem Inhalt) also anders nachgehe, näher zu gehen suche, schlicht weil ich mich (vielleicht auch unbewusst) damit befasse, weil es einen Eindruck auf mich hinterlassen hat, aber einen, den ich nicht gleich eingesogen und abgehackt habe sozusagen, jedenfalls einen anderen als den oft gängigen, alles im Augenblick des unmittelbaren Sehens gegriffen zu haben (durch immersiven Genuss, emotionale Nähe, wohliges Nichtzunahegegangensein des Filmes). Es war mir wichtig, sowohl fürs Spiel als auch schon im Schreiben der Figuren, einen gewissen Wachzustand zu schaffen und zu halten für die Dauer der Verabredung: Film. Ich habe den Zug, Zug aufzubauen sozusagen, um in der Wachheit, ist gleich: Mündigkeit zu bleiben oder da hin überzuqueren, wohingegen sensueller, temporärer Genuss (eines Filmes, der einem nicht zu nahe geht oder je nach dem: nahe, aber fälschlich nahe, sensationalistisch nahe sozusagen) nur wenige bis gar keine, außer die für die Dauer des Filmes gebotene Chancen birgt, meistens nur die des affektierten Moments, der das Denken hemmt – aus dem Affekt aber sollte ein Effekt werden. Warum mir das alles einfällt ist sicherlich auch, dass Du in der Frage eingebracht hast, dass der Film manchen zu nah geht – also eigentlich unterbricht dieser „manche jemand“ oder verweigert, wenn man es spitzer formulieren mochte, der dem Film gegenüber eine solche Haltung aufbaut, genauer: abbaut, die Möglichkeit, die der Film bietet, nämlich etwas auf distanziert aufbereitete Weise von hinten (vielleicht ja aus der eigenen unverarbeiteten Vergangenheit, dem eigenen ungreifbaren Körpergedächtnis etc.) nahekommen zu lassen in der Zeit seiner Betrachtung und seiner Nachwirkung, weiterführend: Die Tatrealität in all ihrer Kahlheit und Gewalt etc. Gerade die Distanz, mit der es hier zugeht (die diesem „manchen jemand“ zu nah geht), jedoch schafft und verschafft Raum, Raum zu denken, Raum sich zu konfrontieren, Raum die echte Tat zu betrachten und nicht (wieder) so zu tun als hätte man sie begriffen. Also ich finde es sehr interessant und selbstsprechend, dass man/mancher jemand die Figuren Akteur 1 und Akteur 2 aus De Facto als zu nah gehend deutet (ich finde, sie sind eher das Gegenteil davon) – nah meint dann wohl nach innen, ins Ungreifbare, ins Unbewusste, ins Bedrohliche etc., in das, das mir Angst, Unbehagen macht, das mir was tut, was ich (noch) nicht will; das finde ich gut so, dabei wäre es schön, wenn es nicht nur in der sogenannten Reaktionsbildung erschöpfte, nämlich dem Impuls das Gegenteil zu tun als das, wozu man im Film eingeladen ist, nämlich sich so wie die anderen (diejenigen Echten, denen das wirklich passiert ist und vielleicht die anderen Zusehenden etc.) damit zu tragen, schlicht weil es diejenigen, die es ertragen haben, sich damit ja auch getragen haben, es weiterhin zu tragen haben und so weiter. Für jene, denen es in der Konvention Kino zu nah geht: Wie nahe geht denjenigen, die es tatsächlich erlebt haben, es nicht überlebt haben in der Konvention Realität? Ich glaube das ist eine gute Standardfrage, auch eine einfache Frage, die man das nächste Mal in sich heraufbeschwören könnte, wenn man sich dazu entschließt oder sich in der ehrlichen Dunkelheit des in alle Richtungen offenen (und doch so exakt eintarierten) Kinoraums dabei ertappt, ausschließlich die eigene Befindlichkeit als Maß fürs gemeinsame Wirkliche aufzustellen.

PH: Spielt das Bild in solchen Fragen zum Abstand für dich auch eine Rolle? Dadurch, dass dein Film nur sieben Schnitte hat, wird alles so sichtbar. Jede Einstellung bleibt. Dadurch wird auch klar, welchen Spielraum du hast in einer Einstellung und gegen was du dich alles entschieden hast. Also gegen mehr Schnitte, gegen Nahaufnahmen, gegen Gegenschüsse und so weiter. Kannst du ein bisschen was dazu sagen, wie du zu dieser Form, auch mit dem Tagesablauf, gekommen bist?

SD: Und auch gegen den Schnitt der Spielszene… Aber das Offensichtliche zuerst: Ich habe mit dem Kameramann eine Situation geschaffen, in der es zwischen Leinwand und Publikum nicht nur die Andeutung eines Gegenübers gibt, sondern gibt es das Gegenüber durch die Wahl der Setzung des Kaders und das in den meisten Szenen und das als Grundhaltung; wir sitzen zusammen einander gegenüber, der Spieler spricht zum Publikum auf Augenhöhe sozusagen (spricht in der Proben- und Drehsituation zu mir, denn ich habe immer den Anspiel- und Spielpartner gegeben, in jeder einzelnen Probe, so auch beim Dreh; ich bin neben der Kameralinse auf einem kleinen Stuhl gesessen und wir haben jede Szene zusammen gemacht und gespielt; wir sind in diesem Fall der Schauspieler, der Kameramann, der Tonmeister und ich – alle anderen haben derweil außerhalb des Set etwas anderes gemacht); jetzt fällt mir hier ein, dass es am Set einen interessanten Moment gab als ein Spieler mich vor Ort beim Dreh nun als ausschließlich für ihn über Monate hindurch zur Verfügung stehende Spielpartnerin entbehren musste, weil ich in meiner anderen Aufgabe, jener der Regie, am Set auch anderweitig beschäftigt war (wenn auch niemals innerhalb der Aufzeichnung einer Szene); das fand ich eine interessante Dynamik und eine schöne Möglichkeit nochmals im Umstand bestätigen (und auch ermutigen) zu können: Du bist die Figur (die Du per Probe abgelegt hast) und jetzt und hier bist Du bereit zu agieren (als Figur und als Inhalt sozusagen), denn wir bewegen uns hier im Ereignis (wie in jenem damaligen geschichtlichen, so auch im gegenwärtigen) des Drehs und so auch in der Tatsache, dass ich nicht nur die Spielpartnerin bin (und es ist zwar auch das Ereignis, das wir wie geprobt wiederholen wollen, aber es ist jetzt auch noch ein Aufnahmeereignis und das wollen/wollten wir nicht immer vorhersehen, weil es ja mitunter darum geht, ein echtes Ereignis auf den Plan zu rufen, es wirklich passieren zu lassen); das ist wichtig als eine Art reales Korrektiv in Bezug auf das Herstellen einer echten Situation am Set (auch wenn alles sehr gut vorbereitet war, denn anders ging es gar nicht: Wir haben ohne künstliches Licht, ohne Strom im Waldpark gedreht etc.), also jenes echten Momentes nach dem wir immer getrachtet haben und den wir immer möglichst unvorhersehbar evoziert haben wollten: So wie hier und jetzt möglich, somit also so nahe als möglich am Wirklichen, so nahe es geht und alles das dieses Wirkliche provoziert und hervorruft, ist zuträglich, weil man sich ja paradoxerweise genau darauf (nicht) vorbereitet hat; so auch die erst am Set realisierte Tatsache, dass ich nicht nur Spielpartnerin bin, sondern auch (Film-)Regie mache. Weiter zum Formalen, das durchwegs vorab vorbereitet war (natürlich bis auf die beabsichtigte Tatsache des Ausgesetztseins im Wald und im Wetter): Die Sitzachse der Figur entspricht meistens der Sitzachse des Zuschauers im Kinoraum, die Spiellinie ist die Betrachterlinie, um es bildlich oder technisch auszudrücken; das ist zum Beispiel eine Möglichkeit des Filmes, die in anderen Medien fast gar nicht ohne weiteres herstellbar ist; anders als im Theaterraum, wo es keine festgelegte Sehrichtung gibt, keine so strenge jedenfalls wie jene einer Leinwand, sondern wo Blicke nur so schweifen (da ist die Sehrichtung schwerlich lenkbar zugunsten der Konzentration) und Bewegungen über Spielzeiten hindurch variiert werden oder (in Abwesenheit der Regie) zugunsten der Virtuosität des Moments, der Abend für Abend wiederkehrt, vermeintlich perfektioniert, also eigentlich inflationär verschenkt werden; also interessanter und vor allem in einem Aspekt unersetzbar finde da jene Möglichkeiten, die Film als Mittel solchen ablenkenden „Perfektionierungen“ entgegen halten kann: etwa jenem, schon früher angesprochenen falschen Spiel, falsch, da variierbar und somit variabel einsetzbar, also ersetzbar; dem entgegen steht das per Film durch das Aufnahmemedium aufgezeichnete Spiel: „mich überkommt der Moment jetzt so und nur so und dann nie mehr je wieder so“, denn die Kamera zeichnet alles auf und gibt es einfach wieder und genauso und nicht anders wird es auch (jetzt und für immer) gezeigt; diese doch singuläre Fähigkeit des Films ist sehr zuträglich und erleichtert elementar das, was ich zeigen, herholen, aus dem geschichtlichen, geschichteten echten, verschütteten Ereignis herausholen wollte, nämlich seine Echtheit; diese Möglichkeit in Realzeit durch Filmzeit etwas genauso zu zeigen wie es ist, ist unfehlbar treffend; was sich also in anderen ähnlichen Medien, die aber nicht mit so schön rigorosen Werkzeugen arbeiten müssen, etwa an Spielbewegungen und vermeintlichen Möglichkeiten einstellt, verliert sich, verläuft sich, verflüchtigt sich eher in Wirklichkeit, oft allein aufgrund der nicht vorhandenen Raumkonvention, Sehkonvention, Aufzeichnungskonvention etc. – hier, im Film, und das ist ein großer Unterschied, wird diese Abschweifung weniger von Belang, denn hier ist die strenge Konvention das Hauptpotenzial sozusagen (der Kader ist so und nicht anders – Punkt). Die Sitzreihen sind seit immer schon so und die Leinwand genau dort. Der Take, die Szene also, ist so und so und nicht anders. Und so wird sie sein und gewesen sein. Wenn ich nun aber den Kader ändere, etwa im verhältnismäßig kurzen Akt 2, um mehr vom Körper der Figur zu zeigen oder mehr vom Raum, der Umgebung, mehr vom Set, möchte ich damit nicht bloß den Raum als solchen zeigen oder ihn mit Inhalten besetzen, sondern möchte ich eigentlich damit fragen: Bringt es etwas im Sinne des Erkenntnisgewinns sozusagen, nun auch die Schuhe und die Tischbeine und also mehr vom Raum gesehen zu haben; ja, schon, im Sinne der Situierung und des Filmstils, aber auch nicht wirklich, im Sinne einer möglicherweise dahinterliegenden Erzählung; die Komposition ist auch so gemacht, dass sie auf etwas anderes hinzielt: ich zeige, dass obwohl ich mehr (Raum, Kostüm, Requisite) zeige, das jetzt hier nicht der dringendste Punkt ist – das will ich zeigen, nicht den tollen Raum, weil der Punkt darin liegt, nicht in die Ästhetik meiner treffenden Auswahl der Objekte hineinzufallen, sondern sind sie Einzelelemente des Ganzen und sie stützen das präsentierte Thema (Täterschaft, Zeugenschaft, Archiv, Gerichtsbarkeit, Dokument, Wirklichkeit, Geschichte); das hilft mir zu zeigen, dass es darum geht, etwas anderes zu verfolgen, also reicht mir eine quasi informative Einstellung sozusagen (etwa so wie: die Handlung vorab per Filmtitel erzählt: Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen – was danach kommt ist die Geschichte, die Auslegung des echten, formal hervorragend gemachten und gerade deshalb zugänglichen Filminhalts sozusagen). Also bringt das eigentlich etwas, wenn ich jetzt den Raum, die Requisite sehe oder bringt das nichts? Ich denke: Etwas wird sichtbar, nämlich, dass etwas anderes hier wichtiger ist (als etwa die Pore oder der Schweißfleck bei diesem Spieler/dieser Figur oder der Adamsapfel bei Speer). Es geht ja genau nicht um diese Ablenkung, sondern darum, in Stringenz zu etwas anderem, dahinterliegendem zu bleiben. Ich habe sehr genau überlegt, wie ich Nebenprodukte (Bewegungsstudien oder die Haut ist ein Körper, das Gesicht ist ein Statement oder so etwas) eher möglichst wegkriegen kann und da kommt mir die Strenge des Mediums in seiner elementaren und durchdringenden Weise, den wirklichen Zeitmoment und somit den wirklichen Verhandlungsgegenstand zu zeigen, zu sehen, abzubilden ja ohnedies sehr entgegen; ich wollte diese pure und elementare, wie einfache so komplexe Fähigkeit der Filmzeit in ihrer Auswirkung und Nachwirkung auf die Realzeit ja nutzen und sie auch dafür feiern sozusagen. Ich habe danach gesucht, wie ich wirklich etwas echtes (den echten damaligen Tathergang) in der blanken tatsächlich vonstattengehenden aktuellen Zeitbewegung und somit Denkbewegung hervorrufen, finden und vor allem zeigen kann (im heute) – ist das auch ein Dokument? Der Raum wird in diesen sieben Einstellungen zwar gezeigt, aber er tut nicht so prätentiös (wie so mancher Bühnenraum), denn was darum, dahinter, darin liegt und wirkt, ist essentieller (und einen solchen Raum muss man erstmal finden und ihn dann auch schaffen, einfach beschaffen). Im Grunde ist es so wie im echten Leben, dass ein anderer, vielleicht metaphorischer Raum, der im realen Raum ausgetragen wird, wichtiger ist (das was früher „unbewusst“ hieß, wird später durch eine andere Schule zum „realen“ umgetauft), also findet eine andere Bewegung oder andere zusätzliche Bewegungen im Raum statt, abgesehen von der Bewegung real ablaufender Zeit und real wahrnehmbaren Tons und real vonstattengehender, physischer Präsenz oder Erschöpfung des Schauspielers, das alles gehört zur Präsentation des Inhalts, aber etwas anderes findet auch noch statt. Diese anderen inneren Bewegungen verweisen auf das, was wirklich passiert ist, holen es jetzt (im Film) her sozusagen, transportieren sich mit sozusagen, und dem kommt die Strenge oder die Konvention oder die Möglichkeitsform des Mediums Kino, in seinen einfachsten, elementaren und dabei doch so durchdringenden Mitteln sehr entgegen – das kann man zeigen.

PH: Und warum ist es dann doch ein konkreter Raum? Also du hättest die ja auch in ein Studio setzen können?

SD: Weil das Außen (draußen: vor der Tür, in der Welt) ein selbstsprechendes Abbild des Tatsächlichen ist (oder zumindest desjenigen tatsächlichen, dass da gerade unumstößlich abgebildet wird) – hier und jetzt seiend im Vergehen der Zeit, real (heißt dann: ohne Schnittunterbrechung), wirklich oder zumindest etwas wirklicher als wenn man das alles konstruiert, herleitet oder darauf rekurriert oder noch schlimmer: darauf verweist mit bemüht ambitionierten (postmodernen) Mitteln, die man per se immer schon herstellen muss (aussuchen wäre, denke ich hier nicht das Problem, denn alles gezeigte ist ausgesucht, aber das reine Herstellen, um etwas zu zeigen, ist schon fragwürdiger), was ja wiederum das Entfernen vom Wirklichen ist, das hier aber gesucht wird oder aufgesucht werden will; ich denke, zuallererst deshalb (und wieder um dem wahren ein wenig näher oder noch näher und immer näher zu kommen). Die wirklich vergehende (in diesem Fall dann auch als solche sichtbare) Zeit schafft es sozusagen vermögens ihrer selbst das zu sein oder: einfach zu sein, was sie ist und bald nicht mehr ist – schlicht: sie wirkt; die hergestellte vergehende Zeit (Schnitt, Bühne, Licht etc.), vermag zwar, die wirklich vergehende Zeit zu illusionieren, aber etwas wird dabei auch verdichtet (Vorsilbe hier nun im Sinne dessen, dass etwas beseitigt oder unzugänglich gemacht wird) – im Hinblick auf die Zeit, die es zu tragen, zu ertragen, zu durchlaufen etc. gilt, wollte ich nicht etwas ver-tun, sondern versuchen, etwas zumindest in ihren echten Anteilen zu öffnen, im Sinne des Zeigens und dessen Seins in der Welt (als faktische Tat, aber auch als Nachwirkung dieser Tat auf uns); gerade auch wegen der recht strengen Setzung des Textes, des Setting, des Spielstil etc., wollte ich bestimmte Öffnungen und bestimmte Freiheiten ermöglichen oder zumindest einbringen oder schaffen (aber schaffen ist vielleicht falsch, weil ich ja hier hernehme, was da ist: echtes Wetter, echtes Licht, echte Dunkelheit, echten Originalton – nichts am Filmton ist je verändert worden, er wurde lediglich sachte gemischt, also in Balancen gebracht). Ich habe sehr lange überlegt, sehr lange nach einem Ort gesucht, der diese Freiheiten, zumindest Facetten von Freiheiten, eröffnen könnte; auch wenn klar war, dass ein Raum (Set, Bühne) ausgesucht werden muss zwangsläufig, war dabei noch klarer sozusagen, dass es niemals ein Was-immer-ihr-wollt-legt-den-Sinn-rein-Andeutungsraum sein soll (oder ein undefiniert neutraler Raum (das gibt es eigentlich gar nicht) oder ein epochal halb-unkenntlich gemachter Raum oder ein Verhörraum oder eine Bibliothek und so weiter), sondern war die innere Vorgabe: echte Bewegung von Licht, Ton, Zeit; einen solchen Raum (Architektur) zu finden, der dann auch noch uneindeutig wie nur möglich ist (wobei: am Ende des Tages haben sich auch per Raum schöne Verweise darauf, was im Film zu Teilen verhandelt wird, erschlossen, seine architektonische Beschaffenheit und seine Zeichen wirken „zufällig“ mit), das hat mich mindestens zwei Jahre beschäftigt eigentlich; und weiterhin beschäftigt mich ein Gedanke: Wenn dieser kammerspielartige Film je auf eine Theaterbühne käme – was tun mit der Frage der Raumzeit? Das ist eine schwierige Frage ans Bühnenbild und es gibt auch bestimmt Wege da hin, diese reale Zeit gibt es ja auch auf der Bühne, nur reicht sie per definitionem nicht so an das heran, was Film (eine Filmzeit- und Realzeitkombination) fähig ist herzustellen oder zu bieten. Also ich habe ganz lange nach einer Möglichkeit gesucht, den Bezug, die Verwicklung, die Auswirkung und die Konsequenz des Vergangenen auf das Gegenwärtige (die Geschichte) in ganz simpler, purer, fast unmerklicher Weise immer und jetzt im Film präsent zu haben und dazu habe ich einen Raum gesucht. Mir schien der Verweis auf die Gegenwart bei Verhandlung der vergangenen, aber der echten Taten und bei der Suche und der Ergründung einer zwar filmisch organisierten, aber ebenso echten Zeugenschaft über Taten unumgänglich, genauer gesagt: unumgänglich schien mir, das zeigen zu müssen; die Bezüglichkeit und Wirkung auf heute, jetzt, hier, im Kino: es betrifft Dich, uns, ist gleich: die gemeinsam erlebte, real ablaufende Zeit in einem Raum, der das bietet, der Raum auf der Leinwand im Film, also das Set, und der Raum Kino. Vielleicht ermöglichen wir rein nur durch die Wahl der Mittel der explizit filmischen Form (Film, Kino) dann doch Momente, Einsichten, Erkenntnisse an die, etwa textliche Zeugnisse, konventionelle Archivierungsstrategien, die Geschichtsschreibung (das Theater? – in seiner Bühnenzeit wohl gemerkt, nicht in seiner Körpergedächtniszeit) und so weiter nicht hinreichen. So wie wenn man musikalisch etwas ausdrücken möchte, was man per mathematischer Formel, nicht auszudrücken vermag (auch wenn es das Notensystem als Richtwert und gemeinsame Zeichensprache gibt etc.), sondern eben nur per Musik und in der Musik, in der ihr eigentümlichsten Art; und dann muss man noch überlegen, ob das jetzt eher (Free-)Jazz sein will oder eher Country. Wenn ich einen abgeschlossenen Raum habe oder nutze (Studio, Bühne), kann ich zwar mit technischen Mitteln, traditionellem Handwerk, ausgeklügelter Formensprache Aussagen über das Vergehen von Zeit andeuten oder auch treffen (Country), aber ich komme so niemals an die elementare, pure und tatsächlichen Bewegung und eine ihr zugrunde liegende Dynamik und Wirkung von Zeit (Free-Jazz); wie hole ich die echte Zeit, das Wetter, den Wechsel von Tag auf Nacht, und zwar wie: in seiner unmöglich vorauszusehenden Unberechenbarkeit auf die Theaterbühne, ins Studio? – ich kann es ansatzweise tun, ich kann es vielleicht gut tun, aber ich kann es nicht tatsächlich tun, denn niemals wird die Draußen-vor der-Tür-Realzeit da auf der Bühne so vonstattengehen wie dort draußen, eher wird sie per Spiel oder durch Dramatik etc., aber schwerlich per Bühnenzeit ablaufen und sich zeigen – auch dann nicht, wenn ein echter Eisberg echt auf der Bühne zerschmilzt, denn trotzdem fehlt der wirkliche Wind, die wirkliche Sonne, die Wolken, die das nochmals spiegeln, aufdröseln, schlicht es fehlt die bezügliche und verbindliche Realzeit in dieser Bühnenzeit, die zwar als solche sichtbar ist, die zwar auch auf der Bühne zweckhaft für das Schmelzen des Eisberges genauso wie die Zeit da draußen verantwortlich ist, die aber hier drinnen auf der Bühne vorhersehbar ist, weil sie konstruiert und gestützt ist, die also nicht wie draußen unvorhersehbar ist und somit um ein Stück dem Wirklichen näher – das ist es was im Studio fehlt: die Häufigkeit und Nichtvorhersehbarkeit realer Ereignisse (um die es ja auch im Film geht), die nicht gelenkt werden können und (in diesem Aspekt filmisch) nicht gelenkt werden wollen, weil sie passieren wollen, um echt zu sein. Eine Herausforderung. Wie mache ich den wirklichen Raum der realen Tat und ihrer Zeitlichkeit (damit auch ihrer Historizität) sichtbar? Es muss, neben allen anderen Faktoren, die wir teils auch schon besprochen haben, wirklich echte Zeit her.

PH: Wie habt ihr das praktisch umgesetzt? Es entsteht im Zuschauer ja der Eindruck, du hättest das an einem Tag gedreht. Wieviele Tage habt ihr denn gedreht, wie streng seid ihr da mit dem Fortschreiten der Zeit umgegangen?

SD: Das habe ich auch, ich habe immer alle drei Akte des jeweiligen Akteurs an je einem Tag gedreht; Akt 1, dann Akt 2, dann Akt 3 und das jeweils über drei Tage hindurch, jeden Tag das gleiche: Akteur 1 Akt 1, 2, 3 (eine bis drei Wiederholungen bedingt etwa durch Abbrüche for whatever reason, Wetter, Originalton, Unvorhersehbares, Fehlleistungen, Aktdauer); und dann an drei darauffolgenden Tagen Akteur 2 Akt 1, 2, 3. Insgesamt sechs Tage, wobei immer und ausschließlich derselbe Drehtag jeden Akteurs im Film zu sehen ist; also nicht etwa habe ich Akt 1 von Montag, aber Akt 2 von Dienstag etc. in den Film aufgenommen, sondern alle drei Akte sind nur ausschließlich von Mittwoch zum Beispiel. Es war immer klar, dass es nur der eine Drehtag des jeweiligen Akteurs sein wird und sein kann (auch um diese erwünschte wahre Haltung möglichst einzuhalten, denn dienstags ist man anders drauf als mittwochs und so weiter), aber ich habe den Spielern die Möglichkeit eingestanden eventuell anzunehmen, dass der eine oder andere Take des einen oder anderen Tages infrage kommen kann, jedoch wusste ich immer, dass alles, was in den Film aufgenommen werden wird, nur aus einem Drehtag stammen kann. Es ist (nicht nur psychologisch) sehr heikel, zu wissen, dass man jeweils Sequenzen vor sich hat, die über 30 Minuten dauern und real erarbeitet werden müssen, und zwar so wie sie daher kommen, dass man da nicht ständig unterbrechen kann (schon gar nicht bei Minute 20 von Takedauer 32 Minuten) und dann nicht nur die eine Sequenz, sondern zwei, die über 30 Minuten gehen, dass aber die Zeit, die man darstellen will soeben gleichzeitig mitvergeht, doch aber aufgenommen werden muss und so weiter; für uns alle, die wir da gearbeitet haben (vor Ort, abgesehen von der Arbeit, die wir vorab geleistet haben, um halbwegs unvorbereitet vorbereitet zu sein), war das schon eine Herausforderung, die sozusagen ständig gegenwärtig real abgeprüft und eingefordert wurde, das geht nur, wenn man stringent ist und cool bleibt (oder halbwegs cool zumindest) und wenn man es wirklich will. Also, ja, wir haben es chronologisch gedreht und immer in Echtzeit sozusagen. Wenn Akteur 1 kommt und danach Akteur 2, dann war genau die Zeit vergangen, die im Film vergeht; morgens, mittags, nachmittags, abends: jeder Akt repräsentiert das Vergehen eines Tagesabschnittes, wobei es nicht um Tagesabschnitte geht, sondern um die Wirkung des Vergehens des Abschnitts, der Periode, der gemeinsam erlebten und ertragenen Zeit. Und wir waren gut vorbereitet, soweit es ging: wir (Kameramann, Tonmeister und ich) haben uns die Lichteinfälle und die Himmelsrichtungen und die Windrichtungen (eigentlich unmöglich ganz vorherzusehen), die Resonanzräume und die Umgebungsgeräusche vorab zugeführt sozusagen; ich wollte unbedingt, dass wir auditiv raumgreifend arbeiten, sofern möglich, also habe ich den Tonmeister gebeten, Mikrofone auch außerhalb des Set, unweit im Wald, aufzustellen – in einem Ausmaß wie die Umgebung dem Empfinden nach geschätzter Weise von uns gehört wurde sozusagen; und wir wollten immer ein sinnvolles und eingängiges Licht (um es anders zu bezeichnen schon auch ein schönes natürlich) und haben dazu je Uhrzeiten, die uns für den Verlauf der Aufzeichnungen zupass kamen, ausgesucht und immer eingehalten; manches, etwa einen Sonnenuntergang, kann man ja nur dann drehen, wenn es vonstattengeht, aber das andere, das davor kommt eben auch nur davor; schön fand ich, darin hat mich der Kameramann bestärkt, dass sich eine gewisse Unverbindlichkeit des Lichtes eingestellt hat – also wenn die Wolken kamen wurde es dunkel und verhangener und dann wieder hell, also ganz so wie im echten Leben und eben nicht wie manchmal im Film, wo alles gleich geleuchtet ist; und dann haben wir nur noch die Farben gestützt und den Ton ausbalanciert (das aber in sehr geduldiger, minutiöser, ausführlicher Arbeit); es musste immer darum gehen, am nächst möglichen dessen zu bleiben, was da auch wirklich war damals: ist gleich Geschichte, Tathergang, Dokument, Wiederholen dessen durch Spiel etc. plus was da auch wirklich ist: ist gleich das den Körper durchströmende geschichtliche Ereignis im Moment seiner Wiederaufführung und Präsentation durch den Spieler im Film, also jetzt, hier, so und nicht anders, und natürlich die Zeit die dabei, darum, dagegen, damit einher wirkt. 

PH: Du schilderst diese Bedeutung von Wirklichkeit, also der Jetzt-Wirklichkeit. Gleichzeitig gibt es in deinem Film Elemente wie diesen Tisch oder die Kleidung, die ja im Abspann genannt wird. Das bekommt dadurch ja etwas Künstlerisches wenn nicht sogar Künstliches, darüber könnte man diskutieren. Wie passen diese Elemente denn für dich in den Film? Warum musste das beispielsweise solch ein Tisch sein?

SD: Es geht darum, dass ich damit die formalen Setzungen benenne und konkretisiere, um sie vordergründig mal als Setzung zu thematisieren, sie also nicht zu verschleiern (im Dienst des Illusionismus), ich lege sie mal offen, damit man sich ein Bild davon machen kann, dass das also das ausgesuchte Bild ist, damit man dann im Denken weitergehen kann zu fragen: Was will das ausgesuchte Objekt, Bild, die Setzung denn sonst? Vielleicht etwas anderes erzählen als mich damit zu bezaubern, nur Setzung zu sein oder so zu tun als gäbe es keine Setzung (noch schlimmer, so wie die Ablenkung, die Du bei Nürnberg eingebracht hast oder die wir bei Speer besprochen haben). Dies ist eine formale Setzung und das lege ich hiermit offen und dass jedes Gewerk benannt wird, ist eine Selbstverständlichkeit und ist eben auch die Offenlegung der Mittel der Wahl (ich muss es sagen: Wie der Vorhang bei Brecht oder wie die Tafel mit der Handlung der nächsten Szene bei Brecht, aber nicht wie der postmoderne Verweis darauf, dass ich verweise, sondern die Überwindung des Verweises aufs Verweisen, also einfach etwas gemachtes – Punkt); der Künstler hat den Tisch, die Stühle, der Designer die Schuhe und so weiter ja entworfen, also werden sie als solche genannt, sie sind Kollaborateure und Sinnpartner dieses formalen und inhaltlichen Unternehmens Film, aber es geht schon auch darum am Filmende daran zu erinnern (per Abspann): Hier ist die Form und das sind deren Macher, also verlier dich nicht in Spekulationen über die Konstruktion oder die Form, ehe du darüber vergisst an das eigentliche zu denken: an den präsentierten Inhalt, der nun mal eine Form gefunden hat, diese Sinnform, weil sie ihm zum Zeitpunkt der Überlegungen und der gemachten Entscheidungen (denn nichts anderes passiert die ganze Zeit: es sind Entscheidungen über Einstellungen, Stil, Sprache, die aber etwas ausgesetzt wurden: Dem wahren, dem echten Ereignis, sei es das Faktum oder das Set in Form von echter Bewegung der Natur oder sei es der Tisch, der nur dieser Tisch sein kann und kein anderer in Kombination mit nur diesen Stühlen), weil sie ihm (also dem Inhalt) eben inhaltlich zuträglich ist oder scheint es mir, die ich für den Inhalt verantwortlich bin, so möglich, sinnig, stimmig etc. gewesen zu sein zum Zeitpunkt des Machens des Filmes; also das Benennen und Offenlegen der formalen wie auch künstlerischen Elemente des Filmes ist eigentlich eher als Anregung gedacht, das Wesentliche konzentrierter zu betrachten; ob Brecht-Vorhang, ob Bresson-Titel oder ob Straub-Huillet-Abspann, da wird je immer offenbart, was es ist, weil es darum per se nicht geht und insbesondere geht es darum nicht, sich in der falschen Ablenkung des Rätselns (abschweifende Interpretation) zu verlieren, das sagte ich aber schon oft. Natürlich ist nicht alles im Film strukturell so aufgebaut, denn: nicht etwa sind etliche verwendete Quellen benannt (echte, geschichtliche, aufgezeichnete, archivierte, wissenschaftliche etc. Inhalte, die ja hier verhandelt werden), das ist wiederum der andere Unterschied: weil es bei den inhaltlichen Fragen darum geht, eben genau darüber nachzudenken und sich nicht mit vermeintlichen Inhalten aufzuhalten (die ausgestellte Form oder die Ästhetik ist benannt, was nun? – eher woanders hindenken nun); genauso wie das Design oder die ausgesuchte künstlerische Setzung, ja genauso ist auch die vergehende Zeit im Film da, die Figur da, alles das ist da: die muss auch so stimmig sein, damit sie selbstverständlich wird (und als Stütze für den Inhalt agiert), aber sie soll nicht zum Rätsel werden, deshalb wird sie ja auch gezeigt, gelebt, von mir aus: benannt, um es technisch auszudrücken. Es geht mir darum, offenzulegen, dass es eine Setzung geben muss per se. Das ermutigt den Zuschauer dazu, etwas zu beurteilen, auch mich in meinen Mitteln der Wahl zu beurteilen (gleichbedeutend mit urteilend und mündig sein). In der präzisen Setzung geht es nicht darum, so zu tun als wäre alles einfach immer schon da gewesen und als könnte das der einzige Tisch (der einzige Spieler, der einzige Ort und so weiter) sein, aber es geht darum, spürbar werden zu lassen, dass die Setzung sucht, etwas zu vermitteln und als solche nicht versteckt werden muss, aber nicht im Sinne: ich kommentiere, dass ich kommentiere, sondern einfach nur: ich mache eine Ansage. Bitte prüfe sie. Bitte prüfe möglichst immer jede Ansage, wenn sie Dir vorgelegt wird. Wie kann ich formal möglichst etwas erreichen, das anwendbar wird für eine möglichst realistische Lebenswirklichkeit? Das ist auch im Text ganz wichtig, dass solche Nebenzusammenhänge entstehen; vielleicht mutet es vorerst in der Passage so an als gehe es um den Zweiten Weltkrieg, aber wenn ich dann unvermittelt das Wort Auto oder Vibe in diese Textpassage einbaue, dann geht es darum, dass da verschiedene Dinge einander potenzieren und aushebeln und womöglich für etwas universelles gelten, aber nicht darum das eine für das andere zu löschen, sondern um zu sagen: Achtung, es gilt für beide oder für mehrere oder für wiederkehrende Zeiten (oder Ereignisse oder Taten). Diese unbenannten, aber gemachten, also wirkenden Zusammenhänge, fand ich ertragreich und sinnstiftend; etwa auch schön, dass das Radiogerät sich über viele verschiedene Textpassagen und reale zeitgeschichtliche Ereignisse zieht und in fast jedem recherchierten Konflikt eine sensationelle Rolle spielt, wie in den Konflikten in vielseitiger Form, so auch in der Aufarbeitung und Beweisführung; dann geht es also darum, das zu nutzen und es zu zeigen, aber nicht darum zu benennen aus welchem Jahr die Radioübertragung, um die es jetzt geht, stammt (ob 90-er Ruanda oder 90-er Bosnien oder ob 2000-er Österreich oder ob 1933) – es ist vielleicht etwas anderes, etwas gleiches, ähnliches, sich wiederholendes wichtig oder wichtiger: das Radiogerät ist also ein Werkzeug, ein Player, ein Träger der Botschaft, aber die Quelle der Recherche ist vielleicht jetzt weniger wichtig, weil eben der reale Inhalt dessen, was übers Radio kam und über Epochen wiederhergeholt wurde, verhältnismäßig wichtiger ist; nicht die Archivaktennummer der Radioausstrahlung ist ausschlaggebend, die kann man in der Bibliothek nachlesen, sondern etwas anderes – und dass man das im Text genauso formal benennt (indem man es einfach erzählt), ist damit vergleichbar den Tisch und die Stühle zu benennen; der Text benennt es sozusagen durch sich selbst, indem er so und so präsentiert wird, also muss er nicht im Abspann hergeleitet werden als Quelle, denn er offenbart sich ja im Lauf des Filmes, die ausgesuchten anderen Mittel werden aber benannt, damit man ihnen nicht nachrätselt (und sich womöglich mit etwas ablenkt, was sie nicht sein wollen).

PH: Das finde ich auch sehr spannend an deinem Film, das nämlich schließt die Türen, durch die man sich normal rettet und dadurch nicht wirklich nachdenkt. Trotzdem würde ich behaupten, dass du gegen die Seherfahrungen der Zuschauer ankämpfst mit diesen Setzungen. Die naturalistischen Elemente sind ja nicht auslöschbar durch deine Setzungen. Ich denke da an den sich spiegelnden Tisch. Jetzt sagst du, dass es dir schon darum geht, das soweit wie möglich zurückzunehmen, in eine Art vermeintliche Neutralität zu kommen. Das ist ja etwas, was filmgeschichtlich immer mal wieder versucht wird. Siehst du dich da in einer Tradition des Windmühlenkampfs gegen den Naturalismus? Das ist eine große Frage, ich weiß.

SD: Ja, das stimmt, das ist eine große Frage. Aber Inhalt und Form müssen im Bild irgendwie zusammenkommen und das ist vielleicht ein überstrapazierter Satz aber er stimmt ja anderseits auch als Gedanke. Der (die Antlitze der Spieler, die vorbeiziehenden Wolken, das Vergehen der Zeit des Tages, die einsetzende Nacht, die sich bewegenden Bäume im Wind, den auf die glatte bronzene Fläche fallenden Staub) spiegelnde Tisch hat ja ganz viele Funktionen – neben seiner ersten und legitimierenden Nicht-Funktion: nämlich jener, ein Kunstwerk zu sein; aber eine praktische Funktion wäre, um das mal profan werden zu lassen, dass wenn ich im oberen Bildteil sehe, wie sich die Wolkenbewegung als Wetterereignis in seiner zwangsläufigen echten Form am Himmel vollziehet, ich ja diese Wirklichkeit in der Spiegelung der Tischfläche in einer anderen stilistischen Bewegung sehe (ob der materiellen Beschaffenheit des Tisches und seiner Position im Raum und so weiter); das Spiegelmaterial trägt dann auch eine Form der Zeit und dadurch kommentiere ich Zeit; diejenige Zeit die war als das Wirkliche, das jetzt und hier erzählt wird, vonstattenging, also die damalige historische Tat und ein sich zu ihr Verhalten im Jetzt, und zwar mache ich das mit Zuhilfenahme der jetzt real vergehenden Zeit in der Filmzeit und in der Filmform, also in der formalen Setzung eines Attributes des Filmes: in dem Fall des Tisches. Es sind ganz subtile Bewegungen, die sich im Film vollziehen und die mir (auch als ästhetische Möglichkeiten) sehr wichtig sind. Filmische subtile, fast unmerkliche Bewegungen, die dauern und wirken. Und hoffentlich ist das dann auch mehr als Naturalismus, mehr als Abbild, mehr als die Geißelung ans Abbild. Dann gibt es auch ganz andere Beweggründe für formale Entscheidungen: Die beiden Künstler haben früher manchmal zusammengearbeitet, haben jeweils bestimmte Errungenschaften gemacht, ästhetische und inhaltliche; die Stühle etwa sind entwickelt worden, um vom Jahrhundertgewicht des unbeweglichen Hausmöbels wegzukommen und einen unkomplizierten Gebrauchsgegenstand zu etablieren (heute ist ein Stuhl von West, sowie auch ein Tisch von Zobernig auf dem Kunstmarkt sehr viel wert, aber die Intention kommt anderswoher und kommentiert oder konterkariert auch den Markt als solchen etc., es ist subversiver als es scheint und ich glaube auch daran, dass das wirkt und sich da etwas von seiner Idee im Objekt und per Objekt mitvermittelt); da sind viele konkrete und aber auch unbewusste Bewegungen und Verbindungen, die nicht als solche ausgestellt werden, höchstens durch deren Eingang in den Film (und die Benennung im Anspann) angedeutet werden. Ich finde es auch schön, wenn Spieler auf das Requisit reagieren, besser unbewusst als ausgesucht oder als bestellt oder gewünscht; zum Beispiel hat ein Spieler oft mit nur einem Bein gespielt, also mit dem Requisit mit agiert oder aufs Requisit sozusagen und das andere Bein verschwand fast immer hinterm Stuhlbein oder hinterm Tischbein, des Tisches, der ja selbst wieder nur drei Beine hat; der Tisch ist für die Gesamtkomposition wie eigens gemacht und wirkt auch so tricky, wirkt, als würde etwas fehlen, und es fehlt da auch etwas, nämlich ein viertes Tischbein (aber die stabilste Standform eines Tisches ist die dreibeinige, nicht die vierbeinige). Die künstlerischen Objekte agieren jedenfalls auch mit, wirken durchgehend mit, das war auch die Absicht, das war der Wunsch. Aber das antwortet vielleicht nicht auf Deine Frage.

PH: Sie ist auch etwas verfänglich gestellt.

SD: Es ist ja sicherlich etwas anderes, wenn man wie bei Das Himmler-Projekt von Karmakar in einem Studio dreht und etwas (vorüber man schon per Titel quasi Bescheid weiß, siehe auch wie kurz bei Bresson angesprochen) von einem prominenten Schauspieler lesen lässt und all das auch als genau solches zeigt. Aber hier muss man sich auch wieder zuerst einiges fragen, etwa ob da jetzt das Aufnahmemedium kommentiert wird und wenn ja, warum, auch wenn ich es zwischendurch vergesse, komme ich, genau ob der formalen Setzung, die das Aufnahmemedium ausstellt, weil es dieses ja zeigt, immer wieder auf solche oder ähnliche Fragen zurück und die lenken mich ab. Warum soll ich alle Monitore sehen und alle Kabel und so weiter? Sobald ich ein Kabel sehe, muss ich darüber nachdenken, warum ich es sehe. Vielleicht ist aber auch hier die Intention – und das ist anzunehmen: ich zeig Dir hier mal alle Kabel und das Studio und den bekannten Schauspieler und ich sage Dir worum es geht, nämlich um die dreistündige Geheimrede von Himmler und nun: denk über etwas anderes in diesem Zusammenhang nach, weil das weißt du ja jetzt schon; das gelingt da auch natürlich. Dennoch, je mehr ich aufs Wesentliche verdichte, also je mehr ich weglasse eigentlich oder je präziser ich wähle, desto tiefer oder näher durchdringe ich etwas; für mich ausschlaggebend war es nicht im Studio zu drehen, sondern echte Zeit zu zeigen, in der wir uns nicht nur im Film bewegen, sondern: die echt miterlebte und mitgetragene Monologzeit mit dem Schauspieler, die mich als Betrachter ja genauso mit betrifft, schlicht weil sie auch mir mit passiert, genauso echt nämlich, also echte Zeit in der wir uns nicht nur in der echt vergehenden Filmzeit bewegen, sondern auch in ihrer historischen Echtheit an sich; und die ist auf einer Bühne, in einem Studio ja zwar da, aber auch nicht unmittelbar so da, weil ich sie nicht gleich sehe, weil die Bühne, das Studio sie nicht offenbaren, sondern zugunsten von anderen Zeitereignissen, einer anderen Art der Verdichtung, verstecken, vielleicht vertun; also je präziser ich wähle, desto näher am Echten bilde ich ab, besser gesagt es bildet sich dann selbst ab. Ich finde, dass es gelingen kann und man durchaus etwas Geltendes, das etwas Echtem oder Tatsächlichem nah ist sozusagen, hervorbringen kann in gewählten Setzungen. (Und in Himmler-Projekt findet übrigens diese Verdichtung ja auch statt, sie gelingt.)  

PH: Jetzt hast du in deinem Film Täter zu Wort kommen lassen und es gibt Stimmen, die mit deren Repräsentation in deinem Film Schwierigkeiten haben. Da würde mich interessieren, wie du dazu stehst. Du kennst die Debatten dazu. Was interessiert dich an diesen Tätern?

SD: Dazu hatte ich ja auch schon früher in unserem Gespräch manches gesagt, auch im Zusammenhang  mit der Notwenigkeit des Bezugs auf Geschichte oder Zeitgeschichte, die ja hier der Verhandlungsgegenstand ist und aber auch in Bezug auf die Machart, der ja da hin dringen will, also dort hin in diese Geschichte zurückkehren will und sie ins Heute wieder-holen will und so weiter, aber in diesem Fall ist es auch simpel zu beantworten: Es ging mir um die Frage des möglichen Zeugens, eines anderen möglichen Zeugens als jenes, das wir aus den konventionell erschlossenen gesellschaftlichen Regeln, Korrektiven, Konventionen, aus dem Dokument kennen. An der Täterperspektive interessiert die Möglichkeit der Nähe an der Tat an sich und diese ist im Täter zu finden (natürlich auch im Opfer, dort aber ganz anders, dazu habe ich früher kurz etwas gesagt und kann natürlich mehr dazu sagen, aber wir wollen hier zum Täter sprechen kurz). Ich fand es im Zuge der Recherche auffällig, eigentlich unausweichlich, um ehrlich zu sein, also geradezu aufdringlich und am präzisesten, wenn ein Täter etwa über die konkrete Tat befragt wurde und darüber sprechen muss oder spricht, und zwar auf egal welche Weise; meistens ist es ja eine Weise und eine Attitüde, mit der er sich oder die sich rehabilitieren möchte, aber was da an echtem Subtext und an unmittelbarer Information und Nähe zur vollbrachten Tat da ist, kann nirgendwo direkter und klarer hervorkommen als durch denjenigen, der sie vollzogen hat, auch wenn sie verschleiert, verschüttet, kaschiert, reorganisiert etc. daher kommt durch die (sei sie auch spielerische, zynische, gelogene, projektive wie auch immer) Erzählung des echten Täters, sie ist nichtsdestotrotz da und sie transportiert sich verlässlich, bricht sich sozusagen Bahn und kommt zutage. Und in diesem Fall hier bricht sie sich dann noch weiter Bahn, geht noch näher an den Kern der Tat, weil nun derjenige Körper (und Geist), der sie zwar vollführt hat und der bester Kenner und somit gleichsam ein guter Zeuge dieser Tat ist, der Täter selbst, hier einfach mal als Geist und Körper, der ja von der Tat, dem Gegenstand ablenkt, weil er echt ist und herumlaviert etc., also alles, was wir schon vorher besprochen haben tut, einfach suspendiert wird – und im Stellvertreter des Täters, dem Schauspieler, der ja nicht der echte Täter ist und damit auch nicht dessen Überreizungs- und Verschleierungsstrategien unterliegt, ausgetragen wird, wieder-holt wird, kenntlich gemacht wird, anders wahrnehmbar wird. Ich fand diese Unmittelbarkeit die vom Täter ausgeht sehr schlüssig und unschlagbar informativ, man muss sie aber auch zu deuten und zu nutzen wissen. Man muss aber auch dieses Dilemma lösen mit dem echten Typen zu tun haben und sich gleichzeitig sozusagen aus der Verfänglichkeit des echten Täters befreien. Also wenn ich nun keinen echten Täter hernehmen kann oder will und aber auch keinen Laien nehmen kann, der einen Täter präsentiert, weil ein Laie, durch die Fakten, die präsentiert werden müssen, völlig anders überwältigt würde als ein Schauspieler, der ja weiß, dass das keine reinen Setzungen, sondern durch sein Spiel wiederholte Tatsächlichkeiten sind (Stichwort: Dokumentartheater; es basiert zwar auf dem Dokument, wird aber nicht oder in besten Fällen zumindest nicht per Präsentation faktischer Dokumente auf der Bühne gelöst, sondern durch dramatische Komposition oder durch Spiel und alles, was zu so einer Stückentwicklung dazu gehört), der die aber so behandeln kann wie Setzungen. Und, um das auch kurz aufzugreifen: was bei Opfern als Zeugen „das Problem“ ist sozusagen, abgesehen von bestimmten Konventionen, die man etwa vor Gericht einhalten muss (um bestimmte Informationen zu erhalten, um etwas zuordnen zu können, es belegen, es anklagen zu können: also etwa eine Information über die Farbe der Uniform: grau, braun oder grün-braun? – schwierige Frage an ein Vergewaltigungsopfer zum Beispiel), also abgesehen von „der Ablenkung“ beim Einholen wichtiger Informationen, um jemand zu überführen, werden auch hier, aber wiederum anders als bei der Tätererzählung durch den echten Täter, Informationen ganz anderer Art, nähere Informationen über die Tat als jene der Farbe der Uniform, sozusagen verdeckt, im Sinne dessen, dass sie zugunsten von Konventionen und zwecks Überführung, Beweisführung, Bestrafung etc. hintangestellt werden müssen und so drohen wieder ins Ungreifbare zu verschwinden. Die Tat, die seitens Opfer bezeugt wird, wird dann ja wieder quasi zuerst mal bürokratisiert, was auch gut ist oder zuträglich, weil sie dadurch in die Welt gebracht wird und in der Welt verankert, verfolgt und verurteilt wird, aber die Auswirkung dessen, das ein Mensch diese Entmenschlichung dem anderen Menschen gegenüber begeht, wird dadurch auf eine andere Ebene gehoben oder geschoben, eine sichtbare und nachvollziehbare zwar, aber ob auch auf eine der Wirklichkeit der Erkenntnis nähere, das ist dann die nächste große Frage. Die wirkliche oder die noch wirklichere Ebene, die aber dieser bürokratischen Ebene unterliegt sozusagen und die aber viel gewichtiger ist und schwerwiegender und unsäglicher und unzumutbarer, wird sozusagen im/beim Opfer geshiftet (schlicht aufgrund der Konvention, wegen des Traumas, der Demütigung oder durch dessen Tod und so weiter); aber diesen verlegten und verlagerten, geschichteten Shift wieder her zu holen, aus der Verschichtung sozusagen, in die Gerade der Vergangenheit, die ja auch die Gegenwart ist (Geschichte), diese Ebene zu finden, muss man andere Werkzeuge wählen, mitunter deshalb der Stellvertretertäter.     

PH: Aber bedient dein Täterbild nicht auch ein bestimmtes Täterklischee, das womöglich etwas veraltet ist? Ich kenne mich da selbst nicht gut genug aus, wurde aber mit diesem Vorwurf an deine Arbeit konfrontiert und würde da gern deine Meinung zu hören. Ich wurde zum Beispiel auf Klaus Theweleits Das Lachen der Täter hingewiesen.

SD: Herr Theweleit macht da ja so eine Kompilation, einen stream of consciousness, und er baut da Brücken zu echten Täteräußerungen wie jenen von Breivik (Norwegen), aber auch wie zu jenen von Bemeriki (Ruanda) etc. – vielleicht verstehe ich nicht, aber ich wüsste nicht, was an diesen Tätern oder Täterbildern „veraltet“ sein könnte; als gäbe es sozusagen einen Tätertrend und ich sei da (oder Herr Theweleit) nicht ganz mitgekommen, das ist irgendwie albern und eher banal. Was Herr Theweleit macht (er ist ja zum Beispiel nicht Milo Rau) hat mitunter etwas Pädagogisches, Didaktisches, was aber ermöglicht, das worüber er berichtet, was er zusammensucht (bei ihm ist es in manchen Fällen, wenn es keine Aufsätze sind eher ein kompilieren und ich habe seine Dissertation, das große Werk Männerphantasien nicht gelesen, aber ich weiß, dass es auch dort so ist) zu verstehen; also er macht etwas für mich, den Leser, auf, er sucht etwas zusammen, er bringt sein (übrigens auch weitgefächertes psychoanalytisches) Wissen ein und ermöglicht mir (auch heute noch) damit weiter zu denken und dazu muss es nicht der Täter von vorgestern aus dem Görlitzer Park sein oder der IS-Typ aus dem Video von vor einer Woche; das frappante ist ja geradezu das, dass dies etwas, nun in diesem Fall: das Lächeln oder er sagt ja das Lachen (wieder im Titel die ganze Story entblößt, haha), ein jedem dieser Täter, die er da zusammensucht, zugehöriges Attribut ist und jedem anhaftet (also im Fall dieses Buches, das ich tatsächlich gelesen habe) und also kann das nicht die einzige Fragestellung sein und da gibt es eigentlich nichts, das zu überholen wäre; es geht also nicht um einen new style of perpetration, die Herr Theweleit nicht gecheckt hat sozusagen (und ich dann auch nicht, obwohl ich jünger bin und eine Frau), sondern es geht ihm um etwas anderes, das Ergründen dessen, warum die lachen (egal ob im Zweiten Weltkrieg oder vorgestern, die Tatsache, dass sie lachen beim Ausleben tiefster Brutalität und Bestialität ist hier das Merkmal und er hat keine Angst es zu so benennen und dem nachzugehen); wie vielleicht auch darum: was, wenn wieder so was passieret und wenn nun Du entscheiden musst, vielleicht solltest Du etwas darüber wissen oder vielleicht versuche ich (Theweleit) selbst etwas darüber zu erfahren und es mit Dir zu teilen, indem ich mich an Dich wende (nach dem Motto von Sontag: ich konstituiere mein Denken erst im Zwiegespräch am schärfsten), also ich versuche etwas mit Dir zu verhandeln, in meiner im Leben erworbenen Fähigkeit, nämlich jener zu schreiben (und ich habe keine Sorge darum, ob ich einen Trend getroffen habe, weil der Trend ist immer schon da – ich würde ja eher meinen: Der Mensch tendiert dazu im Trend zu sein). Und nicht nur er macht es: Milo Rau does so too und so weiter – jeder und jede je anders, und es gilt immer noch oder weiterhin und bleibt sozusagen im Trend; und auch wenn Agamben oder Arendt es machten, suchten auch sie nach etwas, vielleicht ja danach, mich in einen Mündigkeitszustand zu hieven, mich zu transferieren, aber wieder anders als Theweleit und ich finde es schön, wie treffend zeitig das alles immer noch ist, was die machten – immerzeitig sozusagen; aber abgesehen von alldem: beim Lesen habe ich ja andere Voreinstellungen und eine andere innere Reise am Start als jene, die sich beim Sehen einstellt (das nur formal, wenn Das Lachen der Täter, ist gleich ein Buch, mit De Facto, ist gleich ein Film, in Trendvergleiche gesetzt wird, das ist der profanste Grund es nicht eins zu eins zu tun). Es ist erstaunlich und irgendwie witzig (auf eine traurige, aber entkräftende Art): Der überholte Täter, das überholte Täterbild, ganz so als sei es eine Jean, nicht mal eine Schallplatte, ganz so, als sei die Welt, der Kiez, in dem ich lebe oder die Lese- oder Kritikergruppe oder die Fakultät, der ich angehöre, das Maß des Trends einer doch etwas universelleren, originelleren Geschichte und ihrer Erzählung.  

PH: Aber bedienst du ein Täterbild, das die Leute erwarten? Was sagst du zu diesem Vorwurf?

SD: Wenn jemand wie Breivik sein Manifest veröffentlicht, um nun beim Beispiel von vorhin zu bleiben, dann veröffentlicht der ja seine Ideologie in seiner ihm eigenen Verfasstheit und in seiner pervertierten Zwangsintention sozusagen, ich hier wiederum versuche ja eine Art von Linie oder Brücke zu so manchen wiederkehrenden Merkmalen solcher Einzelverfasstheiten zu suchen, da ist ein Unterschied; es geht ja nicht um die individuelle, auf dem Höhepunkt der Gegenwart performte, ideologische Einzeltat desjenigen, der sie in seinem eigentümlichen Täterstyle gemacht hat, deshalb ist ja das genannte Argument vom „veralteten Tätertypus“ irgendwie bizarr oder unhaltbar hier; gut, wenn es darum ginge im wissenschaftlichen Proseminar in Form einer Fallstudie zu untersuchen wie sich Täterverhalten verändert durch die Möglichkeiten des Internets und die Möglichkeit Live-Streams vom Schulmassaker zu senden, dann vielleicht, nur vielleicht, ja, aber darum geht es doch nicht – mit dieser Information schlage ich nun jenen vor, die ein überholtes Täterbild ausfindig zu machen glauben oder sich ein zeitgemäßes Täterbild wünschen oder denken, dass es ein konformes Täterbild geben soll, ich schlage also vor, den Film nochmals zu schauen und dabei hinter diese Tätererwartung zu schauen, hinter den Stil der Repräsentation des nicht (durch mich) zu erfüllenden Wunsches nach einem gegenwärtigen oder klassischen Tätertypus, es vielleicht anders auf sich wirken zu lassen (oder sich daran zu erinnern, dass es nichts singuläres zu bedienen oder kategorisch zu bestimmen gibt im banalen und bösen). Aber um das auch zu transferieren in eine weitere Denkmöglichkeit: Wenn in einem Konzentrationslager (sagen wir in Sobibor) ein Gefangenenaufstand passiert und im Zuge dieses Aufstandes (den ich vorerst als Akt des Widerstandes und der Auflehnung gegen Dehumanisierung betrachte sozusagen), wenn also Gefangene im Zuge dieses Aufstandes einen Aufseher töten, indem sie ihm den Schädel mit einer Axt spalten, dann ist das auch eine Tat, einfach in der blanken Betrachtung ihres Vollzugs: der Akt des Tötens (wenn auch eines Nazis) und in Zusammenhängen, die nun tiefer an das tatsächliche Wesen der Tat herangehen wollen, kommt zwangsläufig an irgendeinem Punkt die Frage auf: Wie spreche ich nun auch darüber? Wiege ich dann die eine moralische Gültigkeit (des gerechtfertigten Tötens eines Nazis) gegen eine andere moralische Gültigkeit (des nicht rechtfertigbaren Tötens der Opfer) auf, hebele ich sozusagen dann angesichts der Rechtfertigung der Tat das moralische Korrektiv aus und gibt es also nun Facetten des ethischen Wertes dieser Tat oder gibt es nur eine Ethik oder gibt es die eine und die anderemoralische Gültigkeit und so weiter – in diesem Fall will ich ja nicht die individuelle Tat, nicht den Tatgrund, sondern die Tat an sich betrachten und wie es dazu kommt und was daraus zu lernen wäre und so weiter und da gibt es dann vielleicht keine veraltete Täterart oder keine zu treffende Erwartung an einen Täter oder das Herausarbeiten eines Tätertypus, einer Epoche, einer Region und so weiter, sondern geht es um menschliche Taten an sich (und stark darum wie ich diese filmisch darstelle: es gibt einen Film über das Lager Sobibor, darin erzählt der (Opfer-)Täter genau wie dem (Nazi-)Täter der Schädel gespalten wurde und zeigt es mit Handbewegungen im Film). Es geht nicht darum, wie ich quasi Werbung oder Rechtfertigungen oder Begründungen mache oder herstelle für eine Tat oder gegen eine Ideologie, sondern es geht doch viel mehr darum zu zeigen und danach zu suchen, welches Werkzeug ich entwickeln kann, das nächste Mal, wenn ich mich in einer Situation befinde, meine Mündigkeit möglichst präzise einzusetzen und darum zu verstehen, dass es eine Ethik gibt und keine Ethiken. Und je offener ich mich als Zuschauer eines Filmes den angebotenen Sinnzusammenhängen dieses Filmes hingebe, desto weniger versinke ich im Illusionismus, die Materie erfasst zu haben und sie nur dann und nur so (wenn entsprechend wunschgemäß aufbereitet) auffassen zu können. Ich glaube, dass hier wie bewusste so auch unbewusste Bewegungen ausgelöst werden (und dass in der Arbeit am Themenkomplex naturgemäß Übertragungen stattfinden), manches also ist nicht derart offenkundig als dass man es so leicht klassifizieren könnte, auch wenn man sich das wünschte – aber das Publikum wünscht sich womöglich etwas anderes als derjenige, der etwas fachlich deuten muss oder der eine Schule vertreten muss oder einer Gilde angehören will und das ist ja die Rettung (und die Resonanz, um die es geht); ich denke nicht, dass man gerne in so einen Film geht, weil man wünscht, sich (wieder mal) in etwas zu flüchten, was man vermeintlich kennen könnte, deshalb hat das Publikum etwa vergleichsweise auch weniger Schwierigkeiten damit keine Quellenangabe als Appendix heruntergescrollt zu kriegen als der Fachkundige, der Zusammenhänge herzustellen sucht, um sie nach seiner/ihrer Manier einzusortieren. Natürlich möchte man vielleicht nicht ganz so nah teilhaben müssen an der Schwere oder am Mittragen dessen wirken (was die Akteure da von sich geben und weitergeben und übrigens auch für alle vortragen, also im Sinne dessen, dass sie es einem erleichtern sozusagen) und vielleicht denkt man dann, das zu kennen, vielleicht fühlt man vorerst, es nicht hören zu wollen oder sagt als Reaktion einfach: Täterbild veraltet etc., aber ich denke, dass in der Ernsthaftigkeit des Gegenstandes und in der Enthemmung, die ihm ja eigen ist, doch deutlich spürbar wird, dass man bald woandershin transzendieren wird müssen zwangsläufig – und ob man das (wagen) will, muss man entscheiden. Die Figuren sind so gemacht, die Form ist so gesetzt und so weiter, dass andere Bögen und andere Schlüsse darüber erwünscht sind, wenn nicht sogar provoziert und also hervorgerufen werden, weil einem der Film sozusagen so passiert, wenn man da hin hört und zuhört und die Form, die der Film ja ist, mitliest, in seiner Gesamtdauer und Gesamtkörperlichkeit etc., dann glaube ich schon, dass man zu ertragreicheren und lehrreicheren, weniger langweiligen Erkenntnissen gelangen kann als zu reinen Repräsentationsfragen des Typus des Täters, seiner Aktualität oder der Erfüllung von Erwartungen. Es wird zwar etwas wiederholt, aber im Sinne dessen, dass es wiedergeholt wird, es wird wiederhergeholt, um nun anders sein zu können, anders als wir es bisher vielleicht verstanden haben, weil noch eine und noch eine und noch eine Facette hinzukommen soll, zum bisher gekannten, bisher gedachten. Es spricht da nicht der Täter, die Art von Täter, da spricht es über Täterschaft und versucht da auch was zu erzeugen.

PH: Ich denke da an einen Text von Alain Badiou, in dem er sagt, dass wir gesellschaftlich dazu neigen, es als Wert zu sehen, wenn wir die Dinge trennen. Also zum Beispiel geht es darum, dass man immer auf die spezifischen kulturellen Hintergründe eingehen muss und so weiter. Aber was uns laut Badiou fehlt, ist die Fähigkeit, die Dinge zu einen. Das ist ein schöner Gedanke, finde ich, aber komplex. Aber das hat mit deinem Film zu tun, weil der eben diesen fast schon verpönten Ansatz wagt und nach dem Gemeinsamen fragt verschiedener Täterkontexte.        

SD: Ja genau. Die Gemeinsamkeiten divergierender Ereignisse als eigenstes ihrer Unterschiedlichkeiten (die es also nun auszuhalten gilt).