Text: Nika Sohani
Ein Tisch mit fünf Ecken und drei Beinen
2 der Täter gegenüber voneinander am Tisch
Nicht genau gegenüber, kein Spiegelbild
Es ist weitaus komplexer und verwinkelter, als es zunächst scheint
Es ist ja noch immer ein fünfeckiger Tisch
Und es ist ein klarer Tag
Es ist schwierig, sich gegenüber zu sitzen
Aber nicht unmöglich
Unmöglich, sich in die Augen zu schauen
Es ist ein windiger Tag
Täter 1 und Täter 2
Täter Rang x mit Täter y. Rangs
Erste Person (sg.) gegenüber zweite Person (sg.)
Wie entsteht eine /un/gewollte, /un/freiwillige /un/bedachte Täterschaft?
Täterschaft mehrerer Täter ist hier gemeint. Ein Täter berichtet /für alle/ über die Taten. Täter 1 wurde zufällig aus der gesamten Täterschaft gezogen und repräsentiert diese. Er weiß, er ist ein Täter der gesamten Täterschaft, einer von Ihnen. Die meiste Zeit zumindest. Manchmal zieht er eine Grenze zwischen sich und den anderen Tätern, dann ist er Mitläufer, Angeekelter, Guter, Depressiver, Gehorsamer, Gebildeter, Menschenverachter.
Als Gehorsamer besteht eine Abmachung zwischen ihm und seinen Kompagnons.
Dieser Gehorsam ist ein Versprechen der Täter den anderen Tätern gegenüber. Ein Versprechen zwischen Täter eins und Täter zwei. Oder zwischen Täter fünften mit Täter ersten Ranges. Es ist ein Versprechen, dem nicht so leicht zu entfliehen ist. Versprochenes ist scheinbar zu stark, um gebrochen zu werden. Oder die Täter zu schwach. Das einzig Erklärbare ist die absolute Loyalität der Täterschaft durch das nicht zu brechende Versprechen.
Ein Tisch mit fünf Ecken
Von jeder Ecke eine Perspektive
Eine Ecke ist ein Blickpunkt, von dem aus
Gedacht werden kann
Oder Bericht erstattet werden kann;
Jeder Bericht ist subjektiv
Im Scheinwerfer der Blickpunkte
Ich denke mit Sprache
Ich denke durch Dauer
Ich denke an Versprechen
Ich denke als Mensch
Und sehe Bestien
Die Vermenschlichung passiert wohl nur durch Sprache; genauso wie die Entmenschlichung von Individuen durch Sprache vollzogen wurde. Sprache, die Mensch zum Tier degradieren soll. Die Sprache der Täter, der Bestien. Ich bin mir darüber im Klaren, dass Sprache gewaltvoll sein kann. Wieviel Macht jedoch hat die gewaltvolle Sprache? Und was sind ihre Konsequenzen?
Ein Tisch mit drei Beinen
Ein Bein steht für Selma Doborac
Eines für Cornelius Obonya
Das weitere für Christoph Bach
Die Verbindungen betreffen stets zwei Beine
Nie treffen sie sich alle drei
Aber stehen in der Verabredung den Tisch zu halten miteinander
Selma Doborac spricht vom Setting der Dreharbeiten als eine Verabredung. Oder war es Abmachung? Nein, Verabredung! Sie verabredet sich mit den Schauspielern zu einer konkreten Sache. Im Film aber, geht es um die Details: um die unverblümten Einzelheiten der brutalen Szenerie der Lager. Gewalt wird anderswo meist visuell gezeigt. Die Filmemacherin setzt uns der Gewalt durch Sprache aus. Texte, die aus einer dokumentarischen Recherche entstanden sind, werden Träger realer Gewalt. So erzählt, wie es tatsächlich vorgefallen ist. So erzählt, als müssten sich die Schauspielenden einem Verhör stellen. Sprache braucht Zeit. Es muss zugehört werden. Dazu werden wir durch De Facto gezwungen/eingeladen.
Bloß die Ahnung eines dreibeinigen fünfeckigen Tischs
Sieht man jemals den Tisch in voller Pracht?
Schade, ist ja ein Kunstwerk von Heimo Zobernig
Wir sehen zumindest die fleckenlose Oberfläche
Auf schwarzem Glas die Gesichter der Täterschaft spiegelnd
Darunter befinden sich die Hände der Täter/innen/
Im Nachgang ohne Flecken
Waschzwang
Im Prozess blutgebadet
Die einzige Ruhe, die dir gegönnt wird im Film, hören, sehen, spüren, atmen wir in den letzten zehn Minuten. Die letzten zehn Minuten kündigen sich durch einen vom Schreck begleiteten Ton an, der sich fortwährend im Crescendo und Decrescendo entfaltet, während sich das Bild nicht bewegt. Es sind die schnellsten zehn Minuten, die vergangen sind. Ein Sog, der fast bedingungslos Zeit schenkt, das Gesprochene zu schlucken, dem Berichteten sowohl einen Punkt, als auch eine Leerstelle setzt, die keine Wahl lässt, als mit Gedanken gefüllt zu werden. Keineswegs direkt in diesen zehn Minuten, vielleicht danach, vielleicht erst in einer Woche. Wer weiß. Klar ist, dass die siebte und letzte Szene die Nachwirkung des gesamten Filmes weiter hinaufbeschwört.
Täter 1 oder Täter 2 sind zu sehen
Der Wind ist zu hören
Es ist windig, aber irgendwie auch egal
Es wird 12 Uhr, auch egal
Ein Flugzeug fliegt über Wien
Aber, was zählt, ist das, was berichtet wird
Oder das, was aus dem Berichteten geschlossen wird
Ein Versprechen hat auch mit Privatsphäre zu tun
Das, was im Film berichtet wird, wird durch den Film aus der Privatsphäre genommen und dir und mir zugänglich gemacht. Du und Ich erhalten Einblick in das in sich geschlossene System, aus dem nicht ein- und ausgegangen wird. Keine Informationen, keine Menschen, keine Täter. Lebend kommt man nicht heraus, und tot kommt man herein.
In sieben Akten schafft es die Umwelt nicht wirklich einzudringen, sondern gibt immer nur einen Hauch von Ahnung, dass hinter dem Text noch eine Umgebung herrscht, die eindringen würde, wäre der Text nicht so standhaft. Oder wenn das Versprechen durch Menschlichkeit gebrochen werden würde. Ein vom Menschen erfundenes System, in dem man Worte durch Sprache austauscht. Das gesprochene Wort für eine reale (meist spätere) Handlung wird gegeben und erhebt dann den Anspruch nicht gebrochen zu werden? Das ist viellicht ein in sich schlüssiges System, das aufzeigt wie existentiell das System für sich selbst ist. Dieses System stellt dadurch etwas dar, das fernab jeglicher Realität funktioniert. Realitätsnähe wird durch die Umgebung gegeben und Fiktion wird durch das Skript sichergestellt. Das Skript der Gewalt ist schon geschrieben, es hält keine Überraschungen bereit, weil die Gehorsamen zu nichts Neuem bereit sind. Die Zeugen aber, bringen Vergangenes in die Gegenwart, können Versprechen brechen, um das Skript neu zu schreiben.
(Der Text entstand im Rahmen des Schreibworkshops bei der Diagonale 2023.)