Seinem Triumph über das römische Ungetüm Matteo Berrettini folgend, schrie Kosovogegner Novak Djokovic derart laut in den Pariser Nachthimmel, dass man fürchten musste, sein stolzes Herz würde durch die Luftröhre flutschen und wie ein zuckender Fisch in den roten Sand fallen, um dort zu verenden. Wie immer hatte der impulsive Mann sein Herz aber ohnedies in den anstrengenden und nach einem Sturz gar blutigen Stunden zuvor auf dem Platz gelassen. Wahrscheinlich galt der Schrei auch gar nicht dem, aufgrund der Sperrstunde, bereits vor Ende der Partie geräumtem Stadion oder seinem vorhandschleuderndem Gegenüber oder seinen maskenverweigernden Familienangehörigen auf der Tribüne, sondern dem Pariser Prinz Nadal, der einige Kilometer entfernt in seinem Hotelzimmer erschrocken auffuhr, weil er wusste, dass er nun zum tausendsten Mal gegen den serbischen Augenaufreißer spielen musste, nachdem er selbst zum tausendsten Mal das Halbfinale erreicht hatte.
Nun könnte man sich beinahe beschweren über die Eintönigkeit in Paris und des Tennissports allgemein (vielleicht muss man auch deshalb immer diese idiotischen Strohhutflaneure mit ihren teuren Uhren ertragen, die im Bildhintergrund lieber auf ihr Handy starren statt den unbezahlbaren Platz in der ersten Reihe wirklich zu nutzen), aber die Faszination überwiegt. Seit mehr als einem Jahrzehnt klammern sich die gleichen Athleten an den Olymp und eine mal mehr mal weniger vielversprechende Horde an Jünglingen versucht verzweifelt, sie von dort zu verdrängen. Dieses Jahr sind das der durchaus olympisch dreinschauende und klingende Stefanos Tsitsipas und der ärmellose Goldkettenbaumler Alexander Zverev, die im anderen Halbfinale aufeinandertreffen. Wozu also noch diese Schreie und Emotionen, diese Sucht nach den Rekorden?
Ganz einfach, es geht um nichts geringeres als darum, die Zeit zu besiegen. Jedes Jahr, in dem Nadal und Djokovic (und womöglich sogar wieder Federer, wir werden auf Rasen sehen) an der Spitze bleiben, ist ein Jahr wider der Logik körperlichen Zerfalls. Man spürt, dass sich in diesen bis in die letzte Sehne optimierten Körpern kein einziges Blutkörperchen mehr verstecken kann. Wenn anderswo derzeit über optimierte Lebensläufe gesprochen wird, kann das Handgelenk von Djokovic nur lachen. Das allein würde aber nicht reichen und das Gebrüll am Ende, das übrigens auf einen grenzwertigen Wutausbruch nach einem vergebenen Matchball folgte, ist Zeugnis einer vulkanischen Mentalität, die schon lang jenseits der physischen Schmerzgrenze arbeitet, um in glühender Besessenheit weiter Richtung Titel zu streben.
Jenseits der Dreisatzturniere ist der Generationswechsel längst eingeläutet, aber je länger die Spiele dauern desto stärker wiegt das, was den Körpern entgleitet. Und dann sieht man jedes Mal wieder, was man wirklich nicht glauben kann, nämlich, dass die alten Herren auch mehr Stehvermögen haben als ihre Nachfolger. Sie scheinen den Sieg mehr zu wollen als ihre Gegner. Im vergangenen Jahr erteilte Nadal Djokovic im Pariser Finale eine Lehrstunde. Das Echo des Urschreis verspricht ein anderes Spiel und selbst wenn wir es schon tausendmal gesehen haben, ist es immer noch das beste Spiel, das es in diesem Sport geben kann.