Vittorio De Sica stellt ans Ende seiner Filme gerne ein Wunder. Damit löst er nicht immer im Sinn eines Deus Ex Machina alle Konflikte, aber er bringt Elemente in den Film, die von Werten jenseits dieser Konflikte handeln. Unabhängig davon, ob man diesen religiösen Tendenzen seines Oeuvres folgen mag, wirken diese Wunder niemals aufgesetzt, da die Filme durchgehend von der Hoffnung auf diese Wunder ausgehen. Sie äußern sich manchmal in kleinen Gesten, oft in großen Inszenierungen und werden vor allem von den Augenblicken nach dem eigentlichen Geschehen interessant. Zudem hängt auch der Zweifel am Wunder mit in den Bildern.
La porta del cielo
Im Nebel ausdrucksloser Mienen geschieht ein Wunder, das man Glauben kann oder dessen Inszenierung man durschauen kann. Es passiert nicht direkt im Herz der Protagonisten, aber so, dass sie es sehen können, dass man weiter glauben kann oder weiter zweifeln kann. In einer katholischen funkelnden Symmetrie wird das Wunder so ans Ende von La porta del cielo gesetzt, dass wir all das Leid vergessen könnten. Oh ja, dieses Wunder, dieses Wunder. In La porta del cielo folgt De Sica einem Zug zum Wunder, einer organisierten Pilgerfahrt von Kranken und Armen nach Loreto. Verschiedene Teilnehmer dieser Reise werden genauer vorgestellt und mit Flashbacks erfahren wir von ihren Geschichten. Besonders bemerkenswert dabei ist, dass zwei der Rückblenden sich mit offensichtlich nicht besonders gläubigen Männern beschäftigen. Einer von ihnen ist ein Pianist, dessen Hand den Dienst verweigert, ein anderer ist ein Arbeiter, der sich in Liebeleien mit einer jungen Frau verstrickt, bevor er diese zusammen mit der ganzen Belegschaft in einem Aufzug mit seinem Freund erwischt. Daraufhin verbrennt er sich die Augen im Hitzedunst und erblindet. Bislang habe ich keinen besseren Film von De Sica gesehen. Er berührt seine Leidenden hier mit gefühlvoll überlegten Bildern und einem ruhigen Verständnis für den Mythos und die Notwendigkeit des Glaubens für seine Figuren. Licht und Schatten erzeugen kantige Gesichter, die nach einer Heilung lechzen, aber wissen, dass sie diese nicht verlangen können. In einer wiederkehrenden Einstellung verbindet ein Schienenarbeiter zwei Wagons. Er steht dabei auf den Gleisen und wird zwischen den beiden Wägen eingezwängt, man glaubt immer, dass er gleich erdrückt wird, aber die Wägen docken so aneinander, dass er genau zwischen ihnen genug Platz vorfindet. Dies ist keine metaphorische sondern eine dokumentarische Szene, aber sie gibt wunderbar das Gefühl des Gefangenseins und der Verbindung wieder, die im Film eine dominante Rolle spielt. Es ist ein bitterer Film, am Ende des Krieges mythenumrankt gedreht. Angeblich verhinderte der Film den Abtransport vieler Filmschaffender in das neue faschistische Filmzentrum Italiens in Venedig. Das Wunder am Ende besticht durch seinen schieren Bliss, seine Länge und dadurch, dass es eben keinem der vorgestellten Protagonisten widerfährt. In Totalen von der singend marschierenden Gemeinde evoziert De Sica jenen Rausch der Gemeinsamkeit, der auch einen seiner anderen christlichen Wunderfilme Miracolo a Milano befeuchtet. Jedoch schneidet De Sica oft genug und zeigt das Geschehen aus unterschiedlichsten Perspektiven, sodass sich in Verbindung mit den nicht befreiten sondern nach wie vor fügsamen Gesichtern, ein Zweifel zwischen den Zeilen offenbart, der unser Augenmerk mehr auf die katholische Inszenierung legt, als das Wunder selbst. Vielleicht ist dies aber auch nur ein moderner, kirchenkritischer Blick auf die Bilder von meiner Seite. Die Konflikte im Film sind jene des Glaubens und auch die Inszenierung haucht Größenwahn und Bescheidenheit aus den Prinzipien der Religion. (Wie tot ist der spirituelle Filmemacher? )
Un garibaldino al convento
Auch am Ende von Un garibaldino al convento steht ein Wunder. Allerdings ist dies ein völlig anderer Film. Eingebettet in eine Rahmenhandlung erzählt De Sica hier im beschwipst-schelmischen Ton vom Aufwachsen junger Damen und Rebellinnen in einem Kloster-Internat. Die Geschichte ist gegen den Hintergrund des Risorgimento gesetzt und eines Nachts rettet sich ein schwerverletzter, für Garibaldi kämpfender Soldat ins Kloster. Unsere zwei Hauptfiguren kennen ihn bereits, denn eine hat ein Auge auf ihn geworfen und eine andere ist bereits mit ihm verlobt. Zunächst verbleibt der Ton jener einer lieblichen Komödie, dann aber wechselt De Sica das Fach und hetzt mit (zugegeben aufgelockerten) Parallelmontagen in einen Kriegsfilm, indem Menschen erschossen werden. Am Ende verteidigen sich drei Eingesperrte in einer Hütte auf dem Kloster gegen die angreifenden Beamten, die mit Gewalt versuchen in die Hütte einzudringen. In einer bemerkenswerten Einstellung wechselt De Sica die Perspektive und wir folgen dem Gewehr eines Soldaten aus der ersten Person. Wir schießen auf die Protagonisten, die sich hinter einem aufgestellten Tisch verstecken. Als alle Hoffnung verloren scheint, kommt eine Statue der heiligen Jungfrau Maria ins Bild. Sie wird aus einer extremen Untersicht gefilmt während im Hintergrund die letzten Verzweiflungsschüsse in die Freiheit abgefeuert werden. Doch wie wir aufgrund der Parallelmontage bereits ahnen, kommt Rettung. Nino Bixio, italienischer Freiheitskämpfer verkörpert von einem betont lässigen, zwiebelschneidenden Vittorio De Sica eilt mit seiner Truppe vorbei und befreit die Eingeschlossenen. Die Vögel piepsen die italienische Nationalhymne, aber die Liebe wird für immer getrennt. Sie schreien: „Bis bald!“, aber werden sich nie wieder sehen. Es ist ein wilder Film, der mehrmals auf absurde Weise fast lächerlich wirkt, um im nächsten Moment auf noch absurdere Weise wieder zu funktionieren. Gerettet wird das Unterfangen wohl vom Geschick De Sicas in der Herstellung eines leichten Tons, der das Menschliche umarmt. Das ist per se kein Qualitätsmerkmal, aber in Verbindung mit den ernsten politischen und melodramatischen Untertönen durchaus interessant.
Umberto D.
Auch Umberto D. endet mit einem Wunder. Es geht vom kleinen Hund aus, der Umberto das Leben rettet als dieser sich vor einen Zug schmeißen will. (Immer wieder ist es der Zug, der das Leben der Figuren bei De Sica beenden oder neu-beginnen soll) Doch hier erarbeitet De Sica die volle Ambivalenz des Wunders, die in allen anderen Filmen nur eine Frage der Interpretation sein mag. Denn das Wunder führt wohin? Das Leben von Umberto hat und wird sich nicht verändern, er flaniert einsam mit seinem Hund davon. Er wird weder in den Himmel aufgenommen, noch darf er auf eine Befreiung Italiens hoffen, noch wird er von seinen Leiden befreit. Hier liegt das Wunder im Leben selbst und darin mag man keinen wirklichen Trost finden. Mit Umberto D. lassen sich auch die unbeeindruckten Gesichter in La porta del cielo oder der schmerzvolle Blick auf die Kette des verstorbenen Verlobten am Ende von Un garibaldino al convento verstehen. In gewisser Weise ist Umberto D. damit das Gegenstück zu Miracolo a Milano, denn in Letzterem ist kein Platz mehr auf der Erde und deshalb fliegen die Benachteiligten ins Himmelreich während der Benachteiligte in Umberto D. dazu verdammt ist, auf der Erde zu bleiben. Dennoch wird dieses Verbleiben auch wie ein Wunder, eine Rettung inszeniert. Damit ist Umberto D. wohl der katholischste Wunderfilm von De Sica. Er handelt von Genügsamkeit und von einer Liebe des Lebens. Aber – und das ist entscheidend – darin liegt keine Hoffnung sondern nur Existenz. Ein Wunder bei De Sica erzählt also immer mehr von Werten, die über das eigentliche Leben der Figuren hinausreichen. Es sind Wunder, die den emotionalen und existentiellen Sorgen der Figuren nicht wirklich helfen. Sie bleiben unglücklich verliebt oder im Rollstuhl, aber sie haben etwas verstanden, was größer und wichtiger scheint. Damit ist De Sica zur gleichen Zeit ein Idealist als auch völlig aus der Mode gekommen. Wertevermittlung, moralische und politische Botschaften in einer derartigen Direktheit ins Herz seiner Filme zu stellen, ist aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbar. Jedoch lohnt sich ein zweiter Blick, denn die Tatsache, dass De Sica diese Werte in Form von Wundern inszeniert, mag auch als gesellschaftskritische Verbitterung verstanden werden. Denn wenn wir die Wunder als solche entlarven, dann mögen wir auch verstehen, dass die Realität anders ist.