Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Diagonale 2017: Eine Geschichte Pop. This is not America – Austrian Drifters

In einem ers­ten Text zur Dia­go­na­le 2017 ging es um den Ver­gleich als Auf­ga­be der Fes­ti­val­pro­gram­mie­rung. Fil­me wer­den auf Fes­ti­vals aktiv in Bezie­hun­gen zu ande­ren gesetzt. Prak­tisch fängt die­se Ver­gleichs­ar­beit noch vor der Aus­wahl der Fil­me an, bei der Ein­tei­lung in unter­schied­li­che Sek­tio­nen – auf der Dia­go­na­le bei­spiels­wei­se: «Spiel­film», «Doku­men­tar­film» oder «Inno­va­ti­ves Kino». Eine sol­che prag­ma­ti­sche Fest­le­gung mag tat­säch­lich der Über­sicht­lich­keit eines Pro­gramms die­nen. Die Grup­pie­rung von Fil­men nach ver­meint­li­chen Gat­tungs­gren­zen ist zudem an den Kate­go­rien der Film­in­dus­trie und Pro­duk­ti­on ori­en­tiert; die Dia­go­na­le erweist sich hier auch als Bran­chen­tref­fen. Andrey Arnold kri­ti­sier­te in sei­nem Text für Die Pres­se zur dies­jäh­ri­gen Dia­go­na­le, dass sich die gezeig­ten Fil­me oft zu ein­fach ihren eige­nen Gat­tungs­gren­zen ergä­ben und zu sel­ten den Über­tritt wag­ten. Zu der von Andrey beschrie­be­nen Abhän­gig­keit von einer Pro­duk­ti­ons- und För­der­pra­xis, die die­se Grenz­ver­let­zun­gen zu ver­hin­dern sucht, tritt eine Pro­gram­mie­rung, die in den Wett­be­werbs­pro­gram­men kei­nen Wert dar­auf legt, Gren­zen abzu­tra­gen und mög­li­che Über­schrei­tun­gen durch eine freie­re Ver­gleichs­ar­beit herauszustreichen.

In die­ser Arbeit des Fes­ti­vals erscheint der ein­zel­ne Ver­gleich häu­fig als eine Fest­le­gung, die von außen an den Film her­an­tritt. Doch der gelun­ge­ne, auf­schluss­rei­che Ver­gleich ist dem Film nie äußer­lich, son­dern viel­mehr eine For­de­rung, wel­che vom Film selbst aus­geht, dem­nach ein Ange­bot der refe­ren­zi­el­len Struk­tur des Films. Weil die­ses Ange­bot immer ein Über­an­ge­bot ist, steht ein Pro­gramm­ku­ra­tor vor der Auf­ga­be, im uner­schöpf­li­chen Über­schuss des Gese­he­nen abzu­wä­gen zwi­schen den brei­ten Wegen und den schma­len Pfa­den, zwi­schen Ver­bin­dungs­stra­ßen und Sack­gas­sen, zwi­schen intui­ti­vem Ori­en­tie­rungs­sinn und dem Vor­ge­hen mit Kar­te, Kom­pass und Begriff. Wel­che Rou­te ein­zu­schla­gen loh­nens­wert ist, kann sich nur am kon­kre­ten Bei­spiel erwei­sen. All­ge­mein lässt sich wohl ein­zig sagen, dass der Ver­gleich und das Pro­gramm (und auch die Film­kri­tik), statt sich durchs Dickicht zu einem vor­her fest­ge­leg­ten Ziel zu kämp­fen, sich zunächst trei­bend den Spu­ren der Fil­me über­las­sen soll­ten. It´s a mat­ter of drifting.

A matter of drifting

«This is not Ame­ri­ca: Aus­tri­an Drift­ers» heißt der Bei­trag des Öster­rei­chi­schen Film­mu­se­ums zum his­to­ri­schen Schwer­punkt der Dia­go­na­le 2017: «Pop-Spe­cial: 1000 Tak­te Film», wel­ches die Bezie­hung des öster­rei­chi­schen Film­schaf­fens zur Pop­kul­tur unter­su­chen möch­te. Abseits der bran­chen­not­wen­di­gen Kate­go­ri­sie­run­gen hat Ale­jan­dro Bach­mann mit Unter­stüt­zung der bei­den Inten­dan­ten Sebas­ti­an Hög­lin­ger und Peter Schern­hu­ber ein 6‑teiliges Pro­gramm gestal­tet, das eine his­to­ri­sche Annä­he­rung an einen Pop-Begriff ver­sucht, ohne die aus­grei­fen­de Ener­gie (das Leben?) der Fil­me dabei im Begriff zu ersti­cken. Der Begriff stellt sich als Fra­ge, nicht als Ant­wort, und initi­iert so eine trei­ben­de Bewe­gung, die führt, ohne genau zu wis­sen wohin.

Pro­gram­me machen wie Road Movies. Der Blick öff­net sich nach rechts und links, im Schritt­tem­po vor­bei an Münch­ner Vor­städ­ten, Bau­stel­len, Indus­trie­land­schaf­ten zur Musik von Cree­dence Cle­ar­wa­ter Revi­val. Wim Wen­ders› 3 ame­ri­ka­ni­sche LP´s (1969) beginnt kurz zuvor auf einem Bal­kon in einer Neu­bau­sied­lung, eine rau­chen­de jun­ge Frau ver­stellt den Blick auf eine Tota­le, tritt aus dem Bild, das da als Ant­wort auf die vor­her im Off-Kom­men­tar (geschrie­ben von Peter Hand­ke, des­halb läuft der Film hier) geäu­ßer­te For­de­rung steht: «Man müss­te Fil­me machen über Ame­ri­ka, die nur aus Tota­len bestehen. In der Musik gibt es das ja schon. Also in der ame­ri­ka­ni­schen Musik.» Die stren­ge, erhöh­te Kom­po­si­ti­on weist hin­aus auf die archi­va­risch-distan­zier­ten Bil­der der New Topo­gra­phics, mit denen ame­ri­ka­ni­sche Foto­gra­fen in den 1970er Jah­ren den öffent­li­chen Raum und sei­ne Zei­chen ver­mes­sen soll­ten. Van Mor­ri­sons Slim Slow Slider lie­fert den Sound­track: «And I know you won´t be back.» Sehn­sucht über­wäl­tigt die neu­tra­le Distanz des Bil­des, der Ort ver­weist auf ein abwe­sen­des Leben und Erle­ben, ähn­lich den übrig geblie­be­nen Zei­chen des Ame­ri­ca­na und den ent­leer­ten öffent­li­chen Räu­men, die Ste­phen Shore auf sei­nen Rei­sen durch die USA foto­gra­fiert hat. Aber was bei Ste­phen Shore durch leuch­ten­de Far­ben in melan­cho­li­scher Schön­heit erstrahlt, ist bei Wen­ders in braun-grau aus­ge­wa­schen. This is not Ame­ri­ca. Spä­ter wird Wen­ders auf sei­ne Fahr­ten durch Mün­chen fün­dig: ‹ame­ri­ka­ni­sche Orte›, ein Auto­ki­no mit gro­ßem Coca-Cola Pla­kat, eine Tank­stel­le. Wich­ti­ger aber noch, dass Wen­ders die Kame­ra ins Auto ver­setzt, in den ame­ri­ka­ni­schen Fort­be­we­gungs­mo­dus schlecht­hin. Das Vor­bei­zie­hen der Stadt­land­schaf­ten erweist sich als ent­tar­nen­de Ver­klei­dung, die auf­deckt, was fehlt. This is not Ame­ri­ca. In der Reinsze­nie­rung ent­steht eine dop­pel­te Sehn­suchts­struk­tur: eine ande­re Zeit, ein ande­rer Ort. Dann, dort: ein ande­res Leben.

Sugar Bowl Restaurant von Stephen Shore
Sugar Bowl Restau­rant von Ste­phen Shore

Rai­nald Goetz hat ein­mal in Abwand­lung von Ril­kes Archaï­scher Tor­so Apol­los geschrie­ben, die sich immer wie­der­ho­len­de, augen­blick­li­che For­de­rung des Pop, sei die­se: «Du musst dein Leben ändern.» Die Sehn­sucht und Suche nach einem ande­ren Leben bestimmt auch Lang­sa­mer Som­mer (1976) von John Cook, der im ers­ten Teil­pro­gramm der Rei­he auf den Eröff­nungs­film von Wen­ders folgt. Bei Wen­ders war die­se Suche noch kon­zen­triert auf eine ande­re Bild­pro­duk­ti­on, ein ande­res Leben der Bil­der. In Cooks Film greift sie nun aus die­ser öffent­li­chen Dimen­si­on über ins Private.

In der Unun­ter­scheid­bar­keit von doku­men­ta­ri­schen und fik­ti­ven For­men, ver­mi­schen sich Leben und Fil­me­ma­chen. Zu Anfang des Films besucht John Cook selbst sei­nen Freund Hel­mut in des­sen ver­dun­kel­ter Woh­nung, sie trin­ken Bier, John stellt einen 16mm-Pro­jek­tor und ein Ton­band­ge­rät auf. Sie spie­len einen Film ab, eben jenen den auch wir die nächs­ten 70 Minu­ten sehen wer­den; dazu spre­chen sie einen spon­ta­nen Ton­kom­men­tar ein: ein Som­mer vor eini­gen Jah­ren. John und Hel­mut zie­hen durch Wien. Zwie­licht kün­digt den Mor­gen an, noch sind nur weni­ge Autos unter­wegs und man kann mit den Füßen Schlän­gel­li­ni­en in den regen­nas­sen Asphalt malen. Wie sie da in der Mit­te der Stra­ße gehen – Hel­mut mit Son­nen­bril­le; John ame­ri­ka­ni­scher, in gro­ber Wes­te und wei­tem Hemd –, sind sie ganz allei­ne in ihrer Cool­ness. Aus dem Off hören wir Hel­mut und John die Bil­der ihres Lebens kom­men­tie­ren. Sie stel­len sich gegen­sei­tig vor. Hel­mut fragt John, wann das gewe­sen sei; Cook ant­wor­tet, das sei im Som­mer 72‹ gewe­sen, schau wie fröh­lich wir da waren.

Langsamer Sommer von John Cook
Lang­sa­mer Som­mer von John Cook

In der Fol­ge sehen wir John und Hel­mut in einer nicht enden wol­len­den Bewe­gung durch den Som­mer 72‹ schlen­dern, immer auf der Suche nach Orten und Men­schen, mit denen ein ande­res Leben mög­lich wäre: sie sit­zen in Cafés, befah­ren mit dem Cabrio die Stadt, trin­ken viel, reden über ver­gan­ge­ne Lie­ben, ler­nen ein Foto­mo­dell ken­nen, orga­ni­sie­ren ein Shoo­ting, ver­su­chen Johns Film fer­tig­zu­brin­gen und tref­fen ein befreun­de­tes Ehe­paar, mit dem sie einen ver­schla­fe­nen Nach­mit­tag auf einem Land­haus außer­halb Wiens ver­brin­gen. Die Uto­pie eines ande­ren Lebens ist hier am nächs­ten, dösend unter Apfel­bäu­men, abseits der unemp­fäng­li­chen Stadt, die den bei­den kein Gefähr­te sein will. Aus dem Off erzählt John von einer Hoff­nung die er damals hat­te, aber nicht aus­sprach: dass man zusam­men einen Film machen kön­ne, sie vier und die Kin­der. Die Gegen­warts-Obses­si­on des Pop öff­net sich: die Mög­lich­keit des zukünf­tig ande­ren Lebens tut sich auf im Blick zurück. Sehn­sucht ist eine Bewe­gung, die durch erin­ner­te Ver­gan­gen­hei­ten und ima­gi­nier­te Zukünf­te wan­dert, und nur ab und an dabei die Gegen­wart streift.

Irgend­wann ist die Heim­pro­jek­ti­on vor­bei. John und Hel­mut sit­zen auf dem Sofa, der Film ist kom­men­tiert und fer­tig. Er fasst all die Bewe­gun­gen der Sehn­sucht des Som­mers ‹72, ist in sei­ner Bewegt­heit viel­leicht die Sehn­sucht selbst, sowie der Keim einer neu­en Sehn­sucht, die sich lang­sam im dunk­len Kino­saal aus­brei­tet. Zugleich ist der Film aber eben auch die Erfül­lung die­ser Sehn­sucht, viel­leicht die ein­zig mögliche.

Der drit­te Film des ers­ten Teil­pro­gramms ist nur weni­ge Minu­ten lang und doch fügt er den Wir­kungs­di­men­sio­nen von Pop – Bild­pro­duk­ti­on bei Wen­ders, pri­va­tes Leben bei Cook – noch eine drit­te hin­zu: das poli­ti­sche Leben. Gezeigt wird das Frag­ment eines Mit­schnitts vom Live-Auf­tritt Leo­nard Cohens in der 1976 besetz­ten Wie­ner Are­na. Die pri­va­te Sehn­sucht nach dem unbe­stimm­ten Ande­ren über­tragt sich, durch die Musik kana­li­siert, auf das Publi­kum und schafft eine Gemein­schaft, die einem gemein­sa­men Bewe­gungs­im­puls folgt. In den Gesich­tern der Men­schen, die um Leo­nard Cohen im Kreis auf dem Boden sit­zen, sehen wir, wie die­ser Impuls jeweils indi­vi­du­ell aus­agiert wird. Das uto­pi­sche poli­ti­sche Poten­zi­al des Pop liegt dar­in, durch eine gemein­sa­me Bewe­gung, für einen Augen­blick, eine Gemein­schaft aus maxi­mal indi­vi­dua­li­sier­ten Ein­zel­nen zu formen.

Andreas Vitasek

Das coole Wissen

Das zwei­te Teil­pro­gramm geht der Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Indi­vi­dua­li­sie­rung und Gemein­schafts­bil­dung nach. Niki Lists Mala­ria (1982) spielt zehn Jah­re nach Lang­sa­mer Som­mer  und ver­folgt in einem fik­ti­ven Wie­ner Sze­ne­treff über einen Abend die Indi­vi­dua­ti­ons­ri­tua­le und Annä­he­rungs­ver­su­che der Jugend­li­chen. Die Aus­geh­vor­be­rei­tun­gen der Bar­kee­pe­rin eröff­nen den Rei­gen der hoch­spe­zia­li­sier­ten Styl­es, Spra­chen und Ges­ten. In klas­si­scher Expo­si­ti­ons­dra­ma­tur­gie tref­fen nach und nach die ver­schie­de­nen Typen einer mitt­ler­wei­le aus­dif­fe­ren­zier­ten Pop­land­schaft in ihrem Laden ein. Es tre­ten auf: zwei lin­ke Spät­hip­pies, die sich sofort nach dem Hin­set­zen in lasche aber demons­tra­tiv an mar­xis­ti­schem Voka­bu­lar geschul­te Dis­kus­sio­nen ver­tie­fen, ein Bran­do-Ver­schnitt, der den Abend mit Bie­ren und ame­ri­ka­ni­schen Phra­sen am Tre­sen ver­bringt, ein paar hoch­nä­si­ger Dan­dys, die sich in eng­li­scher Iro­nie von den ver­meint­li­chen Abson­der­lich­kei­ten der rest­li­chen Beleg­schaft distan­zie­ren, zwei coo­le Freun­din­nen, die die Anma­che eines ein­sa­men Pop­pers in rosa­ro­tem Jackett und gel­ber Bie­nen­kra­wat­te gekonnt igno­rie­ren, uvm.

Einer codier­ten Cho­reo­gra­phie fol­gend betre­ten die Paa­re und Ein­zel­gän­ger den Ort ihrer gestill­ten Sehn­sucht. Hier soll es also sein, das ande­re Leben. Das Lokal selbst fällt ein in den star­ren Syn­chront­anz. Im Rhyth­mus der Musik aus dem Tape­deck blin­ken die Lich­ter der Kaf­fee­ma­schi­ne, die mit fast lächer­li­cher Akku­ra­tes­se ange­rich­te­ten Cock­tails stim­men sich farb­lich mit den Neon­lich­tern der Ein­rich­tung ab, aus der The­ke wächst auf Zuruf ein Bier und im Kame­ra­blick wird das Pla­kat an der Wand zum Spie­gel für den unbe­weg­ten Mann davor. Die­ses bis in letz­te Detail codier­te Uni­ver­sum aus Zei­chen und Zita­ten ver­sagt jede spon­ta­ne Bewe­gung. Rhyth­mi­sche Abwei­chung wird mit Nicht­be­ach­tung gestraft. Die Kame­ra teilt den Raum streng in spe­zia­li­sier­te Par­zel­len auf, hier ihr, hier wir, alles an sei­nem Platz. Die Besu­cher der Bar wer­den im Netz der Codes zu Gefan­ge­nen. Gemein­schaft ist unmög­lich, die Typen ste­hen wie Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de neben­ein­an­der, der am ande­ren Tisch ist zu anders, der am glei­chen Tisch zu gleich für ein Gespräch, das über selbst­be­stä­ti­gen­de Mono­lo­gi­sie­rung hin­aus­ge­hen wür­de. Das Pop­uni­ver­sum ist ein­ge­fro­ren im Moment sei­ner Ver­wirk­li­chung. Die ste­tig wan­dern­de Bewe­gung des Lang­sa­men Som­mers und die damit ver­bun­de­ne Uto­pie sind am Ende ange­kom­men: In einer Bar namens «Mala­ria». Selbst das noch Code für die gro­ße Dekadenz.

«Mala­ria», so ist es in geschwun­ge­ner Neon-Schrift von drau­ßen, von der Stra­ße zu lesen und doch als Teil des «coo­len Wis­sens» nur von weni­gen zu deu­ten. In der mar­kier­ten Abgren­zung nach Außen wird Pop sich wie­der als gemein­sa­me Distink­ti­on vom ‹nor­ma­len´ Leben bewusst. Als zu spä­ter Stun­de ein Poli­zist den Laden betritt und vol­ler Unver­ständ­nis für die selt­sa­men Vor­gän­ge in die­ser unbe­kann­ten Welt eine Fra­ge nach der ande­ren stellt, kommt plötz­lich Bewe­gung auf. Der fal­sche Ame­ri­ka­ner am Tre­sen legt ein neu­es Tape ein, der Bewusst­lo­se am Boden steht zum Saxo­phon-Solo wie­der auf und der Tanz geht los: «Komm tanz mit mir, mir ist so heiß!» Wie auf Kom­man­do löst sich die stren­ge Ord­nung auf, jeder tanzt mit jedem, eine aus­schwei­fen­de gemein­sa­me Bewe­gung durch­fährt den Raum. Das ist der gro­ße Pop-Moment, im Exzess fei­ert der Film doch noch sei­ne irra­tio­na­le, für den Moment abso­lu­te Affir­ma­ti­on die­ser Welt. Er wird so selbst zum Pop-Ding ohne sei­ne kla­re Ana­ly­se der Erstar­rung einer ver­wirk­lich­ten Pop-Welt dabei zu ent­wer­ten. Mög­li­cher­wei­se bie­tet er sogar eine Lösung an: Cha­os. Im Cha­os der Zei­chen wird jede Les­bar­keit in Wider­sprü­che auf­ge­löst ohne dabei auf die indi­vi­dua­li­sie­ren­den Codes selbst zu ver­zich­ten. Die Distink­ti­on nach außen bleibt bestehen, ohne dabei im Inne­ren zum Still­stand durch ein­deu­tig les­ba­re Zuschrei­bun­gen zu führen.

Kiss Daddy Good Night von Peter Ily Huemer
Kiss Dad­dy Good Night von Peter Ily Huemer

Mit dem Lang­film des drit­ten Pro­gramms Kiss Dad­dy Good Night (1988) von Peter Ily Hue­mer, sind wir in Ame­ri­ka ange­kom­men, am end­gül­ti­gen Sehn­suchts­ort. Zu spät, das Cha­os ist hier schon zum Prin­zip einer düs­te­ren Man­hat­tan-Noir Welt gewor­den. Uma Thur­man spielt in einer ihrer ers­ten Film­rol­len eine Jung­frau mit unschul­di­gem Gesicht, die sich im Lau­fe des Films als Ver­füh­re­rin in unzäh­li­gen Ver­klei­dun­gen erweist. Wie Hue­mers Film aus der New Yor­ker Sze­ne kom­mend, über­schrei­tet sie immer wie­der die Gren­ze zur High-Art Welt der Upper East­side um wohl­ha­ben­de Män­ner abzu­schlep­pen, die sie anschlie­ßend in ihren Woh­nun­gen mit KO-Trop­fen betäubt und beraubt. Dem Zweck des Lebens­un­ter­halts dient das nicht, viel­mehr der Auf­re­gung des Spiels und der Mas­ke­ra­de. Was sie von ihren Beu­te­zü­gen mit­nimmt folgt kei­nem erkenn­ba­ren Sys­tem, wert­voll muss es sein und dem Moment gefal­len. Am Ende lan­det alles als gro­ßer Hau­fen auf ihrem Schmink­tisch. Arte­fak­te der unter­schied­lichs­ten Zei­ten und Sti­le lie­gen da übereinander.

Hue­mer insze­niert die­se Kunst­welt ‹Man­hat­tan› zwi­schen teu­ren Auk­tio­nen, schi­cken Restau­rants, dre­cki­gen High­way-Unter­füh­run­gen und her­un­ter­ge­kom­me­nen Kleinst­woh­nun­gen als dis­so­nan­te Über­la­ge­rung der Lebens­wel­ten und Zei­ten. Der gent­le old man, der die Woh­nung neben­an bewohnt, hat sich ein­ge­rich­tet in einer schwarz roman­ti­schen Zeit­kap­sel mit düs­te­rem Mobi­li­ar, schwe­ren Vor­hän­gen, dunk­lem Rot­wein, deka­den­ten Ver­sen und wei­ßem Kanin­chen im Käfig. Als Dop­pel­gän­ge­rin sei­ner ver­schwun­de­nen Toch­ter ver­ehrt er die jun­ge Schö­ne von neben­an, bei der den gan­zen Tag der auf­ge­reg­te Schein der ewi­gen Car­toon­schlei­fen aus der Röh­re strahlt.

Man lebt in einer Welt der Zita­te, Zei­chen und Ver­wei­se, die aber kein sta­bi­les Gesamt­bild mehr erge­ben. Der Kon­trast ist Struk­tur­prin­zip ohne jemals einer dia­lek­ti­schen Auf­lö­sung zuge­führt zu wer­den. Die Bil­der sau­fen ab oder über­strah­len ein­an­der, auf der Ton­spur dröhnt ein New Wave Song über dem ande­ren. Die rei­nen Ober­flä­chen aus Mala­ria sind in maxi­mal unru­hi­ges Cha­os über­führt. Hin­ter allem lau­ert sein Gegen­teil, von allen Sei­ten droht der Ein­bruch. Der net­te älte­re Herr beginnt Uma Thur­man zu ver­fol­gen, in sei­ner neo-goti­schen schwar­zen Limou­si­ne jagt er sie durch die kah­len Stra­ßen­schluch­ten New Yorks. In der Mon­ta­ge ihrer Flucht scheint das iko­ni­sche Bild rasend vor­bei­zie­hen­der Baum­wip­fel aus Das Tes­ta­ment des Dr. Mabu­se auf, hier wie dort ist es Bild der Para­noia und des Wahn­sinns. Am Ende wird der alte Mann von ihr in Not­wehr ersto­chen und stirbt in ihren Armen. Von nun an geht sie mit dem jun­gen Mann, der sich irgend­wann mit­samt sei­nes lee­ren Gitar­ren­kof­fers bei ihr ein­ge­nis­tet hat. Die Pop-Welt ist noch ein­mal geret­tet, die bei­den lie­gen gemein­sam im Bett vor dem ewig flim­mern­den Fern­se­her. Aber das Spiel ist vor­bei, der Tod hat Ein­gang gefun­den in die geschütz­te Pop-Welt und die Abgren­zung von einer All­tags­welt, die sich den chao­ti­schen Zei­chen­struk­tu­ren des Pop ste­tig annä­hert, wird zuneh­mend schwe­rer fal­len. Mit dem Ver­lust der kla­ren Zei­chen und eines ein­heit­li­chen Rhyth­mus ist die not­wen­di­ge Distink­ti­on in Gefahr.

Eiszeit von Wolfgang Strobl
Eis­zeit von Wolf­gang Strobl

Das vier­te Teil­pro­gramm, wel­ches sich den doku­men­ta­ri­schen For­men des Auf­ein­an­der­tref­fens von Film und Pop in Öster­reich wid­met, war­tet mit einer ech­ten film­his­to­ri­schen Aus­gra­bung auf. Eis­zeit (1983), der 30-minü­ti­ge Zweit­se­mes­ter­film des ehe­ma­li­gen Wie­ner Film­stu­den­ten Wolf­gang Strobl, ver­kom­pli­ziert das Pro­blem der Abgren­zung wei­ter. In einer eklek­ti­zis­ti­schen Mon­ta­ge von Auf­nah­men aus der Wie­ner Punk­sze­ne, wil­den Weit­win­kel­bil­dern der abend­li­chen Tanz­ex­zes­se im U4, Über­wa­chungs­bil­dern der Wie­ner Lini­en, Stra­ßen­auf­nah­men eines futu­ris­ti­schen Neon-und-Glas Wiens, sowie Inter­views mit jugend­li­chen Punks und Wie­ner Hono­ra­tio­ren ver­mi­schen sich Sze­ne und bür­ger­li­che Gesell­schaft zu einem Gesamt­bild, das über die Doku­men­ta­ti­on einer Pop-Welt hinausgeht.

Wir sehen ein paar sehr jun­ge Pun­ker vor einer Abriss­bu­de sit­zen, sie trin­ken, rau­chen, ver­su­chen einen gera­den Satz in die Kame­ra zu sagen, wer­den abge­lenkt von Leu­ten aus dem Hin­ter­grund, ein latent gewalt­sa­mer Tumult ent­steht und wie­der abebbt. Spä­ter noch ein­mal vier Jungs die ver­su­chen ihre Über­zeu­gun­gen zu for­mu­lie­ren, die Grün­de für ihre mili­tan­te Ableh­nung der bestehen­den Gesell­schaft. Direkt dar­auf: Ein Wie­ner Poli­ti­ker sitzt auf einem thron­ar­ti­gen Stuhl und redet über die Jugend, die er ja ver­ste­he und deren poli­ti­sches Bewusst­sein er bewun­de­re. Was der Schnitt sug­ge­riert: Sitzt der im sel­ben Raum? Die vor­geb­lich ver­ständ­nis­vol­len Aus­sa­gen des Poli­ti­kers tra­gen eine selt­sam zer­set­zen­de Gewalt­sam­keit in sich. Eine Abgren­zung ist nicht mehr mög­lich, bei Strobl beginnt die gro­ße Inklu­si­on. Die aus dem Off ein­ge­spiel­ten Inter­views mit Jugend­li­chen zei­gen deren Fort­schritt an. Da wird die feh­len­de Gemein­schaft­lich­keit der Sze­ne und ihre Ober­fläch­lich­keit bedau­ert. Die Rhe­to­ri­ken der ver­meint­li­chen Geg­ner wer­den zuneh­mend ununterscheidbar.

Strobl lässt die Orte der Sze­ne im Schnitt mit denen der bür­ger­li­chen Gesell­schaft zusam­men­fal­len. Mit Mit­teln, die dem Expe­ri­men­tal­film nahe­ste­hen, schafft er über­ra­schen­de Ver­knüp­fun­gen, basie­rend auf fast abs­trakt ver­stan­de­nen Bild­mo­ti­ven. Die auf­blit­zen­den far­bi­gen Neon­lich­ter eines Sze­ne­clubs gehen über in die blin­ken­den Signal­lich­ter eines Schalt­pul­tes, die gedräng­ten Men­schen in der U‑Bahn fol­gen auf die tan­zen­de Men­ge im U4. Er speist die Bil­der ein in den mecha­ni­schen Kreis­lauf einer Gesell­schaft, in dem die Zei­chen nicht mehr der Kon­trol­le derer unter­lie­gen, die sie her­vor­brin­gen. Es wird eng in Wien, mit den frei­en Räu­men ver­schwin­den auch die frei­en Bilder.

Die scho­ckie­rends­te Sze­ne in Stro­bls bra­chia­lem Film mon­tiert die Fahrt durch einen Wie­ner U‑Bahnschacht mit den äußerst expli­zi­ten Auf­nah­men einer blu­ti­gen Geburt. Es sind die Bil­der einer Gewalt­tat, hin­ter den kal­ten Beton­wän­den steckt ein­ge­zwängt der mensch­li­che Kör­per, er wird in eine eben­so kal­te Welt entlassen.

Kalkito Clips Vol. 1 von Dietmar Brehm
Kal­ki­to Clips Vol. 1 von Diet­mar Brehm

Der Körper hinter den Codes

Das fünf­te Teil­pro­gramm mit dem Namen «Avant-Pop Spe­cial Report» scheint die Geburts­sze­ne aus Stro­bls Film auf­zu­grei­fen. Nach­dem Mala­ria und Kiss Dad­dy Good­night den Kör­per als Zei­chen­ma­te­ri­al ver­wen­det haben, als eine mög­lichst rein­zu­hal­ten­de reflek­tie­ren­de Ober­flä­che, die von sich selbst fort­weist, zeig­te Strobl den ver­letz­li­chen und orga­ni­schen Kör­per als den ver­ges­se­nen Grund und Abgrund hin­ter den Ober­flä­chen. Mit der Sus­pen­die­rung des Kör­pers ver­bannt Pop auch alles was an Tod und Ver­gäng­lich­keit erin­nern könn­te. Das Ide­al des ewi­gen Augen­blicks ist eines, das dem Kör­per als Fleisch entbehrt.

Zwei zen­tra­le Arbei­ten des Expe­ri­men­tal­film-Pro­gramms – die Kal­ki­to-Clips Vol. 1 (2014) von Diet­mar Brehm und Satel­li­tes (2011−2012) von Karin Fissl­tha­ler – decken auf, inwie­fern die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kör­per als leben­der und des­halb sterb­li­cher Orga­nis­mus Motiv der Pop­kul­tur war und ist.

Im ers­ten von Brehms Musik­clips sehen wir zu Lou Reeds Tem­po­ra­ry Thing die fest­ste­hen­de Ein­stel­lung eines Toten­kopfs. Die in regel­mä­ßi­gen Abstän­den wech­seln­de mono­chro­me Ein­fär­bung des Bil­des erin­nert an die Arbeit mit schat­tier­ten Farb­flä­chen in der ame­ri­ka­ni­schen Pop-Art, auf­grund der moti­vi­schen Gemein­sam­keit beson­ders an die Serie Skulls von Andy War­hol. Was auf der Lein­wand zu einer Beru­hi­gung des Motivs, auch zu Zwei­di­men­sio­na­li­ät führt, hat im Medi­um des Vide­os einen gegen­tei­li­gen Effekt. Im Grund­fla­ckern der Video­bil­der schei­nen die Flä­chen zer­rei­ßen zu wol­len. Der Toten­kopf wird nicht wie bei War­hol in Far­be ein­bal­sa­miert, noch das eh schon Tote ist bei Brehm von Zer­set­zung bedroht.

Skull von Andy Warhol
Skull von Andy Warhol

In eini­gen wei­te­ren Clips von Brehm sehen wir por­no­gra­phi­sches Mate­ri­al, das in schwer zu ertra­gen­den Wie­der­ho­lungs­struk­tu­ren von jeg­li­cher Ero­tik und sexu­el­ler Iden­ti­fi­ka­ti­ons­kraft befreit wird. Durch die Bear­bei­tung des Mate­ri­als schwin­det auch jeg­li­che Iden­ti­tät aus den Bil­dern, es ist schwer zu sagen wer da zu sehen ist und wie das ver­wen­de­te Mate­ri­al zu datie­ren ist. Was bleibt ist der mecha­ni­sche und gewalt­sa­me Akt der por­no­gra­phi­schen Auf­nah­me selbst. In einem der Clips wird das so ver­wen­de­te por­no­gra­phi­sche Mate­ri­al zudem mit­tels einer ein­fa­chen Mon­ta­ge in eine voy­eu­ris­ti­sche Situa­ti­on ein­ge­spannt. Zwei Män­ner kon­trol­lie­ren die por­no­gra­phi­sche Sze­ne. In der tau­to­lo­gi­schen Ver­viel­fäl­ti­gung des männ­li­chen Blicks zeigt Brehm die­sen als Struk­tur­merk­mal des ver­wen­de­ten Mate­ri­als auf und schafft gleich­zei­tig im Rhyth­mus der Wie­der­ho­lun­gen eine selt­sa­me Art von iro­ni­scher Distanz.

Brehms Arbei­ten sind sehr schmerz­haf­te, har­te, kal­te Stü­cke, die den Zuschau­er­kör­per eben­so atta­ckie­ren, wie sie die tat­säch­lich gewalt­sa­men und mor­bi­den Impli­ka­tio­nen auf­zu­de­cken schei­nen, die in der gespiel­ten Musik – The Vel­vet Under­ground, Lou Reed, Iggy Popp – und unter der Pop-Ober­flä­che über­haupt stecken.

Satellites von Karin Fisslthaler
Satel­li­tes von Karin Fisslthaler

Karin Fissl­tha­ler geht in ihrer Arbeit Satel­li­tes wesent­lich behut­sa­mer mit Bild und Kör­per um. Zuerst sind da nur Kör­per, die auf­ein­an­der zustre­ben, Hän­de, die Schul­tern strei­fen, Häl­se umgrei­fen, zuein­an­der fin­den in ziel­stre­bi­gen doch zärt­li­chen Bewe­gun­gen. Augen­schein­lich sehen wir eine Mon­ta­ge von Aus­schnitts­ver­grö­ße­run­gen aus You­tube-Clips. Umko­piert auf ana­lo­ges Film­ma­te­ri­al haben sie die Schroff­heit des digi­ta­len Mate­ri­als weit­ge­hend abge­legt und die orga­ni­sche­re Qua­li­tät des 35mm-Mate­ri­als ange­nom­men. Doch was ver­bin­det die­se Ges­ten, Hand­grif­fe und Posen?

Die rhyth­mi­schen Bil­der­fol­gen wir­ken wie die Auf­zeich­nung einer frem­den Kul­tur­tech­nik in einem eth­no­gra­phi­schen Film, wie ein Tran­ce­ri­tu­al, das uns selbst in Trance ver­set­zen soll. An den Details und zeit­wei­se auf­tau­chen­den Gesich­tern wird aller­dings klar, dass die­se Jugend­li­chen aus unse­rer Welt kom­men. Fissl­tha­ler zeigt uns da etwas Ver­bor­ge­nes, etwas, das unse­re Welt bewohnt aber nicht für unse­re Augen bestimmt ist. Auf­grund der Quel­le der Bil­der, scheint die­se Über­le­gung absurd zu sein. Theo­re­tisch hät­te jeder im Inter­net die Mög­lich­keit, die­se Bil­der anzu­se­hen. Fissl­tha­ler zeigt in die­sem Wider­spruch zwei Mecha­nis­men auf, die für die digi­ta­li­sier­te Pop-Kul­tur im 21. Jahr­hun­dert ent­schei­dend sind. Ers­tens gibt es natür­lich eine Zugriffs­be­schrän­kung, die in der Ver­tei­lung des Wis­sens über sol­che Vide­os liegt. Im Netz bil­den sich wie in der Stadt vor­ein­an­der abge­schlos­se­ne Sze­nen, die zu einem gewis­sen Grad Insi­der­wis­sen ver­mit­teln. Zwei­tens wird die­ses Insi­der­wis­sen häu­fig benö­tigt um das Gese­he­ne, Gehör­te und Erleb­te über­haupt ein­ord­nen und inter­pre­tie­ren zu können.

Erst nach ein paar Minu­ten stellt sich her­aus, was alle die­se Vide­os gemein haben: Sie zei­gen Ohn­machts­ri­tua­le, mit denen sich Jugend­li­che gegen­sei­tig wil­lent­lich in einen kurz anhal­ten­den Zustand der Bewusst­lo­sig­keit ver­set­zen. Wenn der ers­te umkippt und etwas unsanft auf dem Boden auf­schlägt ist das den­noch über­ra­schend. Doch Fissl­tha­lers Blick auf den Rei­gen der jugend­li­chen Kör­per ver­fügt über Insi­der­wis­sen auch wenn er nicht mehr Teil der Sze­ne ist. Er betont hier eben nicht die Gewalt­sam­keit des Auf­schlags, son­dern ver­lang­samt die Geschwin­dig­keit der Auf­nah­men und des Schnitt­rhyth­mus und gewinnt der kör­per­li­chen Grenz­erfah­rung eine zutiefst zärt­li­che Dimen­si­on ab. Was ich anfangs für Ver­grö­ße­run­gen aus Sex­vi­de­os oder mit­ge­film­ten Schlä­ge­rei­en hielt, erweist sich hier als bei­des, als lie­be­voll und gewalt­tä­tig, als Eng­füh­rung von Eros und Tha­na­tos, die zu einer fla­ckern­den Unun­ter­scheid­bar­keit führt.

Sauve qui peut (la vie) - Jean Luc Godard (1980)

Satel­li­tes führt im Ver­gleich zu Brehm in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung; Brehm för­dert den Tod im noch leben­di­gen Kör­per zu Tag, vor allem in der Sexua­li­tät, wäh­rend Fissl­tha­ler in Gewalt und kör­per­li­cher End­erfah­rung die Ero­tik und Zärt­lich­keit der Berüh­rung fin­det. Sei ist bei einer Form von Pop­kul­tur ange­kom­men, deren Zei­chen nicht mehr vom Kör­per fort­wei­sen, son­dern selbst kör­per­lich gewor­den sind. Das «coo­le Wis­sen» ist eine Liai­son mit dem Fleisch eingegangen.

Und was für eine. Im sechs­ten und letz­ten Pro­gramm wer­den die gro­ßen Lini­en des Pro­gramms noch ein­mal auf­ge­grif­fen und in der Pop­de­pres­si­on der 90er Jah­re zusam­men­ge­lei­tet. Der Omni­bus­film Slidin› – Alles bunt und wun­der­bar (1998) bezieht sich in sei­nem iro­ni­schen Titel bereits auf die Bewe­gung des Drift­ers, die in Lang­sa­mer Som­mer noch als der Weg der Sehn­sucht zum gro­ßen Pop­ver­spre­chen, zur Uto­pie erscheint. In der ers­ten der drei Epi­so­den des Films wird bei­spiel­haft deut­lich, wo der Unter­schied zwi­schen dem ist der treibt, auf einer Wel­le, in einer Strö­mung, und dem der glei­tet, weil er kei­nen Halt fin­det. Bar­ba­ra Albert insze­niert die Wan­de­run­gen zwei­er 14-jäh­ri­ger Mäd­chen durch Wien, als ver­zwei­fel­te Zwangs­be­we­gung zwi­schen Shop­ping Mall und Groß­raum­dis­ko. Spaß macht das alles nicht, aber was soll man sonst tun? «Komm, ich kauf dir was.» sagt Petra zu Manu und sie gehen in den nächs­ten Laden. Was ist schon längst egal, es ist nur noch die lee­re Imi­ta­ti­on eines Bewe­gungs­mus­ters übrig. Selbst die klei­nen Momen­te auf die sich der Pop immer ver­las­sen konn­te, das Rau­chen, das Trin­ken, der Spiel­au­to­mat, die Fahrt durch die Nacht, der Kuss, der Tanz brin­gen kei­nen Genuss mehr.

Slidin' – Alles Bunt und Wunderbar von Barbara Albert, Reinhard Jud und Michael Grimm
Slidin› – Alles Bunt und Wun­der­bar von Bar­ba­ra Albert, Rein­hard Jud und Micha­el Grimm

Eine Gemein­schaft ent­steht hier nie, die Bezie­hun­gen der Bei­den zu ande­ren Jugend­li­chen bestehen nur auf der Basis von Tausch- und Nutz­ver­hält­nis­sen. Das coo­le älte­re Mäd­chen, die die in der Shop­ping Mall bei den Spiel­au­to­ma­ten arbei­tet, braucht nur eine die sie nach Hau­se bringt, wenn sie betrun­ken ist und alle Ande­ren sie ver­las­sen haben. Schau­der­haft unauf­ge­regt zeigt der Film, wie Georg Fried­rich, der einen Laden­be­sit­zer spielt, die bei­den nach Laden­schluss bei sich behält und Petra nach einem Sekt zum Sex nötigt. Anschlie­ßend schenkt er ihr die Jacke, die sie vor­hin so toll fand. Von Anfang weiß man wor­auf die­se Sze­ne hin­aus­lau­fen wird, wir wis­sen es, die Mäd­chen wis­sen es, aber nie gibt es einen Moment der Ver­wei­ge­rung. Man hat sich einem pop­kul­tu­rel­len Code unter­wor­fen, der über die Kör­per ver­fügt. Wer cool sein will, darf sich nicht so haben. Petra lässt es also regungs­los auf dem Bauch lie­gend über sich erge­hen. Nur die Jacke nimmt sie nicht an. Spä­ter bringt Fried­rich die Mäd­chen nach Hau­se. Nichts passiert.

Die Abgren­zung der Pop­kul­tur von einer bür­ger­li­chen Gesell­schaft, besteht hier nicht mehr im Selbst­ent­wurf einer ande­ren Iden­ti­tät oder eines ande­ren Lebens, son­dern ledig­lich in der Stei­ge­rung und im offe­nen Aus­le­ben von schon ange­leg­ten Struk­tu­ren. Was in den 60er Jah­ren unter dem Begriff «freie Lie­be» auf die repres­si­ve Sexu­al­mo­ral einer unter­schie­de­nen bür­ger­li­chen Gesell­schaft hin­ge­wie­sen hat, ist hier per­ver­tiert. Der hem­mungs­lo­se und feti­schi­sier­te Umgang mit Sexua­li­tät in Slidin› bil­det kei­ne Sehn­sucht mehr ab, er lebt nur offen sicht­bar aus, was, etwas ver­steck­ter, auch Teil der Leit­kul­tur ist.

Das Ende?

Wenn der Code kei­ne Sehn­sucht mehr ver­schlüs­selt, son­dern nur die Wie­der­ho­lung eines schon ein­mal gebrauch­ten ist, wenn die Inklu­si­on in eine kapi­ta­lis­ti­sche Leit­kul­tur abge­schlos­sen ist, dann ist Pop zu Ende. Was wird dann aber aus Aus­tro­pop 2.0 und allem ande­ren das wir heu­te wohl zurecht als Pop bezeichnen?

Ein Film­pro­gramm kann als aus­schnitt­haf­ter Ver­gleich kei­nen Anspruch dar­auf erhe­ben, eine end­gül­ti­ge Aus­sa­ge zu machen. Auch die­ses nicht. Die Fra­ge, was Pop eigent­lich ist und wie die Wech­sel­be­zie­hung von Film und Pop in Öster­reich letzt­end­lich zu bestim­men ist, bleibt offen. Und doch traut das Pro­gramm sich eine his­to­ri­sche Nar­ra­ti­on anzu­bie­ten, statt es bei einem Best-of zu belas­sen. In sechs mal zwei Stun­den kann man hier eine Ver­si­on der Ver­qui­ckung von Pop und Film in Öster­reich sehen und erle­ben. Der vage Begriff der dabei von Pop ent­steht, mag zum Ende des letz­ten Pro­gramms aus­ge­sorgt haben. Aber solan­ge ein Film wie Lang­sa­mer Som­mer noch Sehn­süch­te weckt, ist Pop nicht vor­bei. Man könn­te bei Slidin› mit einem nächs­ten Film anschlie­ßen und zei­gen wie es doch wei­ter­geht. Der Begriff wür­de folgen.