Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Diagonale-Giveaway: Mikrofasertuch

Diagonale 2017: Programmierung als Vergleichsarbeit

Was macht es mit einem Film, wenn er vor einem ande­ren, nach einem ande­ren oder in Bezie­hung zu einem ande­ren gezeigt wird? Die klas­si­sche Auf­füh­rungs­si­tua­ti­on des Kinos bemüht sich die Welt da drau­ßen aus­zu­sper­ren, lädt dafür aber eine ande­re ein. Die Welt der Bil­der: derer, die bereits gemacht sind und derer, die nur mach­bar sind. Ein Film zeigt sich uns nie iso­liert als abso­lut auto­no­mes Kunst­werk. Woher nimmt er sei­ne Bil­der? Und wohin zei­gen sie?

Film­fes­ti­vals mate­ria­li­sie­ren die­se not­wen­di­ge Bezo­gen­heit von Bil­dern auf ande­re Bil­der. All der Kram, der sich in der Fes­ti­val­ta­sche fin­det: Fly­er für die beglei­ten­de Aus­stel­lung im Kunst­haus, in den Räu­men von Came­ra Aus­tria zeigt Hans Han­sen sei­ne Fotos, das loka­le Bril­len­ge­schäft gibt Rabat­te und ver­sorgt uns mit einem schi­cken Mikro­fa­ser­tuch. Ich putz mir die Bril­le mit dem Bild zwei­er son­nen­be­brill­ter jun­ger Men­schen, die vor einem strah­lend blau­en Him­mel läs­sig auf einer tie­fen Mau­er sit­zen, dann geht das Licht aus und der Film fängt an. Die Gra­zer Son­ne ist drau­ßen vor dem Kino geblie­ben, nur vom Tuch in mei­ner Tasche strahlt noch eine (ande­re?) in den Saal.

Hin­ter all den Extra­bil­dern taucht das Pro­gramm­heft auf. Die Dia­go­na­le 2017, das sind 191 Fil­me auf 5 Falt­sei­ten über­sicht­lich nach Tagen in einem Ras­ter ange­ord­net: ver­schie­de­ne Far­ben für die ver­schie­de­nen Rei­hen, Pro­gram­me und Son­der­vor­füh­run­gen. Im Inter­net las­sen sich die Fil­me auf Wunsch in den jewei­li­gen Sek­tio­nen anzei­gen oder von A‑Z nach Titel oder Regisseur/​in auf­lis­ten. Gra­phisch bil­det sich hier ab, was neben der rei­nen Aus­wahl von Fil­men, die mög­li­cher­wei­se wich­ti­ge­re Auf­ga­be eines Fes­ti­vals ist: die Anord­nung von Fil­men in Bezie­hun­gen zuein­an­der. Viel­leicht kann man schon an der Gestal­tung des Pro­gramm­hefts erken­nen, wie ernst ein Fes­ti­val die­se Auf­ga­be nimmt.

Erst der Ver­gleich von Din­gen mit­ein­an­der ermög­licht eine dif­fe­ren­zier­te Betrach­tung. Din­ge erhel­len ein­an­der, wei­sen auf die­sen oder jenen Aspekt am jeweils ande­ren, ver­stär­ken Gemein­sam­kei­ten und bemer­ken Unter­schie­de; vor allem aber stel­len sie die Fra­ge: War­um bist du so? Sie öff­nen sich in der Kon­fron­ta­ti­on mit dem Ande­ren auf eine Dimen­si­on der Gemacht­heit, die das ein­zel­ne, auto­kra­ti­sche Ding zu ver­schlie­ßen ver­sucht. Die gro­ße Fra­ge ist: was womit ver­glei­chen? In unse­rem Fall: womit Fil­me ver­glei­chen? Wer Tanz­leh­rer ist und Gene Kel­ly in An Ame­ri­can in Paris mit den Kin­dern auf der Stra­ße sieht, der mag das viel­leicht mit sich selbst und sei­ner letz­ten Tanz­stun­de ver­glei­chen. Aber die Reprä­sen­ta­ti­on eini­ger Tanz­schrit­te macht nicht aus, was ein Musi­cal ist und ver­fehlt den Film als Weltverhältnis.

Aus dem Festivaltrailer  der Diagonale 2017 -
Aus dem Fes­ti­val­trai­ler der Dia­go­na­le 2017 – «Jean Luc Nan­cy» von Antoi­net­te Zwirchmayr

Die Aufgabe des Festivals

Kri­ti­scher Umgang mit Fil­men soll­te sein Inter­es­se dar­in fin­den, wie ein Film eine bestimm­te Welt­sicht formt, das meint, was für einen Blick er auf die Welt wirft. In ers­ter Linie muss ein Ver­gleich den Blick eines Films als gewor­fe­nen erkenn­bar wer­den las­sen, der Blick muss dena­tu­ra­li­siert wer­den: eine Welt­sicht ist nur kri­ti­sier­bar wenn sie nicht alter­na­tiv­los bleibt. Der Ver­gleich kann dem Film also eine alter­na­ti­ve Welt­sicht an die Sei­te stel­len, um ihn zu öff­nen, ergründ­bar und kri­ti­sier­bar zu machen.

Die Welt ist kei­ne Welt­sicht. Und der all­täg­li­che Blick auf die Welt ist zu will­kür­lich und unein­heit­lich, um dem Blick des Films als ent­hül­len­der Ver­gleich gegen­über­zu­tre­ten. Viel­leicht liegt hier das Pro­blem eines Authen­ti­zi­täts-Rea­lis­mus und einer Auf­fas­sung von Poli­tik, die eine völ­lig unge­schärf­te Idee von «Welt» zu ihrem Maß­stab macht.

Film­fes­ti­vals machen bewusst, dass die ers­te Refe­renz (aber sicher nicht die ein­zi­ge) eines Films der ande­re Film ist und dass die­se Refe­renz immer besteht, gar nicht zu ver­hin­dern ist. So her­me­tisch ein Film auch vor­ge­hen mag, das Schwarz des Saals ist immer schon ange­füllt mit ande­ren Bil­dern und Tönen, die in einen ver­glei­chen­den Dia­log ein­tre­ten. Ein Film wird immer vor einem und nach einem ande­ren gezeigt, tritt immer in Bezie­hung zu ande­ren Fil­men. Die Refe­ren­zia­li­tät zur äuße­ren Wirk­lich­keit geht in die­ser Refe­ren­zia­li­tät auf, weil der blaue Him­mel auf der Lein­wand zunächst auf alle blau­en Him­mel des Kinos ver­weist (auf man­che mehr, auf man­che weni­ger), dann auf das Bril­len­putz­tuch in mei­ner Tasche und auf den Him­mel über Graz erst, wenn der zum Bild gewor­den ist.

Alex­an­der Hor­wath sag­te in einem Gespräch wäh­rend der Dia­go­na­le, die Haupt­auf­ga­be jeder Kul­tur­in­sti­tu­ti­on und jedes Kul­tur­schaf­fen­den, viel­leicht jedes Bür­gers, müs­se sein, die Ent­wick­lung von Unter­schei­dungs­ver­mö­gen zu för­dern. Auch Film­fes­ti­vals soll­ten sich die­ser Auf­ga­be stel­len. Sie kön­nen mit den Mit­teln der Pro­gram­mie­rung die Ver­gleichs­be­zie­hun­gen in die Fil­me ein­tre­ten in einem hohen Maß kon­trol­lie­ren. Der gute Ver­gleich dient nicht der Gemein­sam­keit. Er ist das ers­te Mit­tel der Unterscheidung.