Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Dialog mit der Jugend – Betrachtungen zu Freizeit oder: das gegenteil von nichtstun

Nie hat man es ihr leicht gemacht. Einer­seits als lust­los und rea­li­täts­fern ver­ru­fen, ande­rer­seits als Hoff­nungs­trä­ger der ver­lo­re­nen Zukunft ange­him­melt, redet man von der Jugend. Auf­ge­regt wird über sie gleich­zei­tig mit sol­cher Eupho­rie wie Ver­ach­tung gespro­chen, als wäre die eige­ne längst ver­ges­sen. So dient sie dabei stets als Pro­jek­ti­ons­flä­che uner­füll­ba­rer Wün­sche. Ist es das ver­meint­lich unbe­schrie­be­ne Blatt, dem der Stem­pel auf­ge­drückt wer­den muss? Oder hofft man doch eher von ihrer Unbe­irr­bar­keit und dem Taten­drang zeh­ren zu kön­nen? Im Tausch mit einem beru­hig­ten Gewis­sen gegen­über einer Welt, die mit zuneh­men­der Kom­ple­xi­tät aus den Hän­den glei­tet, nimmt man ihre so ein­fa­chen wie radi­ka­len Ant­wor­ten ent­ge­gen. Für einen Moment rückt die Hoff­nung in greif­ba­re Nähe, die Welt nach den eige­nen Bedürf­nis­sen ein­rich­ten zu kön­nen. Was ver­meint­lich als Frei­heit erstrahlt, ver­schlei­ert jedoch die obsku­re Zer­ris­sen­heit – dif­fus befan­gen zwi­schen Kind­heit und Erwach­sen­sein. Dem soll Ein­halt gebo­ten wer­den mit­tels dubio­ser Defi­ni­tio­nen von Gene­ra­ti­ons­gren­zen, was in den meis­ten Fäl­len mehr Instru­ment des Mar­ke­tings als tat­säch­lich Sozio­lo­gie ist. Eigent­lich ist klar, wie man die Jugend vor sich sehen will: frei von Zwei­fel. Aber kann so ein Bild im Kino bestehen? Von Unsi­cher­hei­ten weit gefehlt, insze­niert man das, was jugend­lich gel­ten soll, ent­we­der als ver­bis­sen poli­tisch oder im Gegen­teil als noto­risch selbst­ver­liebt. Nur sel­ten wird nach etwas gesucht; vom Schei­tern ganz zu schwei­gen. In der Hand­lung zahl­rei­cher Fil­me mischt sich das Ver­lan­gen nach Teil­ha­be am Zeit­geis­ti­gen und dem gleich­zei­ti­gen Traum, der Last einer über­sät­tig­ten Welt ent­rin­nen zu kön­nen. Alle Wider­sprüch­lich­keit der Jugend scheint mit einer eigen­wil­li­gen Form gebän­digt wer­den zu kön­nen, wodurch aller­dings die Ursa­chen die­ser Wider­sprü­che aus dem Blick geraten.

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In einer gera­de­zu obses­si­ven wie unüber­schau­ba­ren Wei­se beschäf­tigt sich das Kino mit der Jugend, wor­in es eine exzes­si­ve Vor­lie­be für Bil­der von hedo­nis­ti­scher Selbst­er­fah­rung und selbst­lo­sem Stre­ben auf­weist. Nichts davon ist neu, aller­dings erhält man immer öfter Ein­druck bei­des hät­te nichts mehr mit­ein­an­der zu tun. Ein auf­fäl­lig vor­sich­ti­ger Film, der die­ses Jahr in Paris sei­ne Pre­miè­re fei­er­te, Frei­zeit oder: das gegen­teil von nichts­tun von Caro­li­ne Pit­zen, sucht einen ande­ren Weg. Er bewahrt Bil­der, wel­che denen der auf­rüh­re­ri­schen, lau­ten Fil­me nach­denk­lich gegen­über­ste­hen. Pit­zens Film zeigt jun­ge Erwach­se­ne, die eben­so poli­tisch bewegt sind von den Ver­hält­nis­sen ihrer Zeit. Sie schlie­ßen sich zusam­men, dis­ku­tie­ren, demons­trie­ren. Gleich­zei­tig las­tet auf ihnen nie der Druck eines erwar­tungs­vol­len Blicks, der dar­auf aus­ge­rich­tet ist, die rich­ti­ge Lösung ihrer Pro­ble­me abzu­bil­den. Statt­des­sen zeigt Caro­li­ne Pit­zen vor allem die Momen­te, in denen laut gedacht, debat­tiert und immer wie­der auch geschwie­gen wird. Sie ist dabei nie zu nah oder zu fern von den Men­schen ent­fernt. Das heißt, dass ihre Bil­der und Töne eine kon­kre­te Distanz wah­ren, die weder von den Jugend­li­chen Posen abver­langt noch jene in Beton-Land­schaf­ten ver­ir­ren lässt. Dar­ge­stellt wird dabei nicht etwa das Innen­le­ben, son­dern die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Per­so­nen und ihren umge­ben­den Pro­ble­men. Auf den ers­ten Blick ist dies kaum hin­ter ihrer spe­zi­el­len Arbeits­wei­se, einer insze­nie­ren­den, doku­men­ta­ri­schen Form, zu erken­nen. So fragt man sich, aus wel­chem Grund die Jugend­li­chen bereit sind, so einen ver­letz­ba­ren Ein­blick in ihre Welt zu gewäh­ren. Sze­nen, in denen bei­spiels­wei­se über sexu­el­le Beläs­ti­gung auf dem nächt­li­chen Heim­weg oder den Dro­gen­kon­sum im Freun­des­kreis gespro­chen wird, zeu­gen neben ihrem Gehalt von der ver­trau­li­chen Bezie­hung zwi­schen den gezeig­ten Per­so­nen und der Regis­seu­rin. Eine Ver­bin­dung, die in die­sem Fall auch als gemein­sa­me Erar­bei­tung der Sze­nen zu ver­ste­hen ist. Hier soll kein ver­stellt-objek­ti­ver Blick auf die Ent­wick­lung der Jugend ein­ge­nom­men wer­den, unter dem eine pater­na­lis­ti­schen Stim­me: „Die wer­den auch noch erwach­sen“, knurrt. Viel­mehr rea­li­siert sich in Momen­ten des wort­kar­gen Zögerns der jun­gen Erwach­se­nen, dass es sich um Moment­auf­nah­men ihres Lebens han­delt. Was äußer­lich nach kraft­vol­ler Ent­schlos­sen­heit aus­sieht, lässt immer wie­der auch die inne­re Unsi­cher­heit durch­schei­nen. Die­sen Zwie­spalt zu zei­gen, macht in Caro­li­ne Pit­zens Film eine fra­gen­de Ges­te deut­lich, die sich mit jener, der Prot­ago­nis­ten par­al­le­li­siert, ohne sie zu erset­zen. Man hat nicht den Ein­druck von den Erfah­run­gen der Regis­seu­rin gelei­tet zu wer­den, son­dern vor allem von sei­nen eige­nen. Ein­fa­che Bil­der von Freun­den, die für sich allein, getaucht in rotes Licht, zu Mar­tin Duponts Love on my Side tan­zen; oder gemein­sam auf dem Lap­top die Schluss­sze­ne des Films Kuh­le Wam­pe von Sla­tan Dudow und Ber­tolt Brecht sehen, erwe­cken eige­ne Erin­ne­run­gen und unver­meid­li­ches Schmun­zeln. Momen­te, die auf der Kip­pe zwi­schen Gesell­schafts­kri­tik und Kitsch ste­hen, fra­gen unauf­hör­lich danach, was das alles mit einem selbst zu tun haben könn­te. Was sonst zum Gene­ra­ti­ons­kon­flikt ver­all­ge­mei­nert wird, erscheint so in all sei­nen inne­ren Wider­sprü­chen. Wäh­rend ande­re Fil­me ähn­li­cher Sujets die­se mit aller Scho­nungs­lo­sig­keit zur kon­for­mis­ti­schen Skan­da­li­sie­rung visu­ell aus­beu­ten, hat man bei Pit­zens Film das Gefühl, es gäbe kein pas­sen­des Bild für die Jugend, denn sie flieht davor. Nur ein flüch­ti­ger Aus­schnitt, ein zag­haf­ter Ver­such kann gelin­gen. Gera­de gegen­über der Jugend nei­gen Fil­me sonst dazu, sich ihre cha­rak­te­ris­ti­sche Unein­deu­tig­keit ein­zu­ver­lei­ben, um sie dann doch an ihrem Maß­stab zu mes­sen. Caro­li­ne Pit­zens Film zeigt am ehes­ten, wie weit man sich ent­fer­nen kann, um trotz­dem nah zu sein, ohne sich dem Vor­wurf des melan­cho­li­schen Flucht­ver­suchs aus­zu­set­zen. Wenn in Bezug zur Jugend von einer roman­ti­schen Ver­gan­gen­heit die Rede ist, liegt die­ser Ver­dacht nie fern.

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Von gro­ßen Namen, wie etwa Mar­tin Kip­pen­ber­ger, ein Ber­li­ner Maler, der für sei­ne jugend­lich-pro­vo­ka­ti­ven Arbei­ten und sei­ne all­ge­mei­ne Ver­wei­ge­rungs­hal­tung bekannt war, ist nicht mehr übrig­ge­blie­ben als ange­staub­tes, staat­li­ches Andenken und stei­gen­de Preis­lis­ten. Bei sei­nem euphe­mis­tisch-soge­nann­ten Dia­log mit der Jugend, wohl eine Schlä­ge­rei wegen ange­ho­be­ner Bier­prei­se im Gol­ga­tha des Deutsch­punks – SO36, trug Kip­pen­ber­ger damals ein blau­es Auge sowie ein spä­ter gemal­tes Bild davon, das dar­an erin­nert. Ist die Pro­vo­ka­ti­on die Jugend selbst oder ein Bild von ihr? Wäre er heu­te glimpf­li­cher davon­ge­kom­men? Fra­gen, die sich so nur heu­te stel­len las­sen, denn sie sind bedeu­tungs­los gewor­den. Längst ist sei­ne ‚jugend­li­che‘ Pro­vo­ka­ti­on vom ‚erwach­se­nen‘ Kunst­be­trieb getilgt und nor­ma­li­siert wor­den. Aber statt mit der Ernst­haf­tig­keit des Jugend­li­chen, koket­tiert man nun mit ihrer zwei­fel­haft, schi­cken Nai­vi­tät. Im Vor­der­grund steht dabei nicht, sich mit sei­ner indi­vi­du­el­len Lage aus­ein­an­der­zu­set­zen, son­dern sich anzu­pas­sen. Kip­pen­ber­ger starb in dem Jahr als ich gebo­ren wur­de. Was heißt das für mein Bild der Jugend, deren Teil ich viel­leicht zu einem gewis­sen Maß noch bin? Gleich­zei­tig sieht man sich unum­wun­den mit der zit­tern­den Gegen­wart kon­fron­tiert und begibt sich auf eine sedie­ren­den Spu­ren­su­che in die Ver­gan­gen­heit, deren Teil man nicht war. Wider­wil­le und Teil­ha­be rei­chen sich die Hand. Ins Kino ein­fach um sei­ner selbst wil­len zu gehen, lässt für einen Moment die­se über­for­dern­de Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit ver­ges­sen. Womög­lich liegt dort aber auch das ver­bor­gen, was in Pit­zens Film bewusst unein­ge­löst bleibt und der Titel impli­zit benennt. Das wür­de bedeu­ten, dass es im Kino um mehr als nur eine kon­su­mie­ren­de Selbst­be­schäf­ti­gung abseits von Schu­le oder Lohn­ar­beit gehen kann.