Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Nico in Le Berceau de Cristal

Ein Film und die rückhaltlose Liebe: Le Berceau de Cristal von Philippe Garrel

In der Mit­te den­ke ich, der Film nervt. Das ist nicht zwin­gend, die Ein­stel­lungs­fol­gen stim­men nicht. Das ist red­un­dant. Unkon­zen­triert dazu. Nico nervt mit ihren bedeu­tungs­schwan­ger aus dem Off gespro­che­nen Gedich­ten, den nach­denk­li­chen Posen, dem Blick ins Lee­re über dem Notiz­buch. Nichts zu sehen, außer Künst­ler im über­he­ben­den Seitenlicht.

Die letz­ten 20 Minu­ten wer­fen alles um. Der Film kon­zen­triert sich hier. Nur noch Nico­im Spot­light. Sie fängt an Dro­gen zu neh­men. Raucht ein klei­ne Pfei­fe, dann eine Was­ser­pfei­fe. Wie­der­ho­lung als Metho­de. Das ist kein affir­ma­ti­ver Blick, son­dern ein lie­ben­der. Das Auto­bio­gra­phi­sche gewinnt an Wich­tig­keit. Es ist klar, das ist Gar­rels Blick auf Nico, kei­ner den ich zu mei­nem machen kann. Ich darf erst als Zwei­ter sehen. Ich bin kein Voy­eur son­dern Beschenk­ter. Ich bin ein­ge­la­den zu sehen, was es heißt zu lieben.

41487553

Zu lie­ben heißt den ande­ren ganz sehen. Bis sich die Gren­zen auf­he­ben. Eins werden.

Das Gesicht sehen, immer wie­der und aus­schließ­lich, das ist hier ganz sehen. Nico ist das ein­zi­ge im Dun­kel, Ein­stel­lung für Ein­stel­lung. Aber kei­ne Stu­die eines Gesichts. Kei­ne Distanz. Nur noch der Blick und Nico. Kein außen.

Der Feh­ler war es zu mei­nen, der Blick wür­de affir­mie­ren, die Gedich­te, die Posen, die Dro­gen. Tut er nicht. Er fei­ert den ande­ren an sich, was der tut, muss sein. Er sieht alles, weiß alles, er nimmt es auf, macht es zu sei­nem. Er ist zärt­lich und scho­nungs­los zugleich. Abso­lu­te Offenheit.

Die ande­ren Frau­en. Die Frau im wei­ßen Kleid unter dem Strauch, die Frau mit den wein­ro­ten Lip­pen, die Frau mit dem Koks und dem Kind. Sie bli­cken zurück, lächeln, reden, da ist noch Inter­ak­ti­on, sie sind noch beob­ach­tet. Beob­ach­tung die idea­li­siert, über­höht. Die Frau als Bild das erblickt wird. Der Blick des Malers.

Mit Nico ist der Blick eins gewor­den. Kei­ne Inter­ak­ti­on mehr nötig, sie sind immer schon kom­mu­ni­ziert. Rück­halt­los, weil nichts dahin­ter, kein Geheim­nis; kei­ne Idea­li­sie­rung. Nur noch die Ver­bin­dung von Zwei­en. Voll­kom­me­ne Imma­nenz. Der Blick des Films.

Uner­füll­ba­re Bedin­gun­gen. Der Blick darf nicht abbre­chen, er muss sehen. Nico zieht ihn an. Nico darf nicht im Dun­kel ver­schwin­den, sie muss gese­hen wer­den. Der Blick zieht sie ins Licht. Die For­de­run­gen der Liebe.

Stand­hal­ten geht nicht. Das Gesicht löst sich auf. Die gro­ßen, grü­nen Augen wei­ten sich im Kon­sum, wer­den rot. Trä­nen rol­len die Wan­gen her­ab. Der Blick wird hek­tisch. Schnel­ler die Schnit­te. Ein­stel­lung für Ein­stel­lung in den Tod.

Wenn Nico sich erschießt, stirbt auch Gar­rel, der Blick und der Film mit ihm. Aber sie ver­schwin­det nicht im Dun­kel. Selbst der Tod ist noch voll von Schön­heit. Unsterb­li­che, uner­träg­li­che Lie­be. Mög­lich­keit und Unmög­lich­keit des Films.