Contra ius interea solum nocte, gegen das Gesetz, aber nur bei Nacht: dieser von Anne Carson so niedergeschriebene und von sprachlicher wie seelischer Dunkelheit durchzogene Beispielsatz für das lateinische Adverb interea beschreibt auch das Kino, zumindest ein bestimmtes Kino, beispielsweise den Gangsterfilm, nach seiner Schwärze in bestimmten Ausprägungen auch Noir getauft, den, der sich den zerbrechlichen Verbrechern statt den mit ihrer eigenen Moral hadernden Polizisten (Cops) widmet, den, der wie Nicholas Ray einmal feststellte, von den sensibelsten Menschen handelt, jenen, die es nicht mehr aushalten und die sich deshalb am Rand, im Schatten (so der Titel des ersten Films von Thomas Arslan über den Verbrecher Trojan), außerhalb der Norm bewegen, von denjenigen also, die nicht anders zu leben wissen oder getrieben sind, von denjenigen, die in den guten Filmen (Melville, Mann, Ray) immer ein Rätsel bleiben, nicht weil sie etwas verbergen, sondern weil etwas in ihnen stumm bleibt, ein Schmerz vielleicht, eine Ahnung, eine Einsamkeit, Verlorenheit, man weiß es nicht, aber was auch immer es ist, es lässt sie handeln, wie sie eben handeln.
Verbrannte Erde ist ein solcher Film, ein Film der Nacht gewidmet und auch den einzigen Fragen, die sich in dieser Zwischenzeit des Seins, der Nicht-Zeit (Arslan findet seine Berliner Nicht-Orte nicht nur in der sich zunehmend von sich selbst entfernenden Geographie der deutschen Hauptstadt sondern auch in den Zeiten, an denen sich diese Orte in ein Nichts verwandeln und so ihren eigentlichen Sinn erst bekommen) stellen, nämlich: Kann ich dir trauen? Wohin gehst du? Was ist dein Preis? Alles andere ist unnötiges oder sehnsüchtiges Zwischenspiel wie ein kurzes Gespräch zwischen Trojan (schmallippig, mit der durch die Muskeln fließenden Anspannung eines vom Leben Geschundenen gespielt von Mišel Matičević) und Diana (Marie Leuenberger), in dem das „andere Leben“, das, was diese Nachtkreaturen umtreibt, wenn mal Tageslicht herrscht, seltsam verpufft, mit einem Augenfunkeln vielleicht, aber das bleibt Interpretationssache, denn wer hier zu viel von sich verrät, macht sich verletzbar.
Dieser Verbrecher, der hier mit einer undurchsichtigen Bande ein Gemälde Caspar David Friedrichs stehlen soll, so viel ist klar, ist ein klassischer Verbrecher (in dem Sinn, dass er einem Kino entspringt, das sich nicht erklären muss), einer, den es vermutlich nicht mehr gibt in der Wirklichkeit, vermutlich gar nie gab, eine Erfindung des Kinos ist er, aber im Kino gibt es ihn auch nicht mehr. Er ist der Verbrecher, der gerechter ist als die Ungerechten, die ihn umgeben, der moralischer ist als die Unmoral der Gesellschaft. Aber auch nur vielleicht, viel wissen wir auch nach zwei Filmen nicht über ihn. Er, der gleich in den ersten Bildern einer Autofahrt wie aus der Nacht geboren zu werden scheint, ist jedenfalls der, dem man Erfolg wünscht, sei es, weil man sich in seiner Einsamkeit wiederfindet oder weil er einmal ein gutes Herz zu zeigen scheint oder weil die, die ihn bedrohen, noch viel schrecklicher sind als er oder weil diese Stadt nicht mehr die gleiche ist, weil alles verendet, aber er an etwas festhält, was einmal intakt schien. In diesem Sinn ist Verbrannte Erde, obwohl er aufgrund seines simplen, stringenten Plots auch Adrenalin zuführt, ein von in die Nacht kippender Musik begleiteter Meta-Film, ein Film über etwas Geisterhaftes, eine kleine Erinnerung an das, was das Kino einmal getan hat. Wer hierin Nostalgie findet, muss sich bewusst machen, dass in der Nacht alles Vergangene näher rückt und alles Gegenwärtige einer Verformung anheimfällt, die es als das entlarvt, was es ist … anders formuliert: Die Schweigsamen herrschen dann, wenn die Redenden schlafen, die Toten leben länger (wie anders ist die scheinbare Unversehrtheit des niedergeschossenen Trojan gegen Ende des Films zu erklären?) und die Gesetze werden lächerlich im Angesicht der Gerechtigkeit. Das ist Kino, ruft einer an der Straßenecke, aber seine Worte werden von der ignoranten Nacht verschluckt.