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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Filmfest Hamburg Diary: Tag 2: Schönheit

Was ich heute gesehen habe: Folien, an denen Wasser ablief, die als Filter vor die Kamera gehalten wurden/Seidentücher, die als Filter vor die Kamera gehalten wurden/eine Möglichkeit, den Tod zu sehen

Gestern stand nach dem großartigen Samuray-S von Raúl Perrone und dem argentinischen Landschaftsporno To the Center of the Earth endlich der heißersehnte The Assassin von Hou Hsiao-Hsien auf dem Programm. Ich werde dazu in den kommenden Tagen eine längere Besprechung erarbeiten.

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Ich habe Angst vor dieser Besprechung, denn was kann man sagen, wenn einen Bilder tatsächlich sprachlos machen? Man reist an, um einen Film zu sehen, vielleicht ist man mit einem Notizbuch bewaffnet (ich tendenziell eher nicht, weil ich an ein Verhältnis von Film und Erinnerung glaube), man weiß meist schon ein paar Dinge über die Filme, da es sich bei einem Festival wie Hamburg ja größtenteils nicht um Weltpremieren handelt (bei Samurays-S, der völlig unverständlich von Locarno abgelehnt wurde, jedoch schon). Im Fall von Hou Hsiao-hsien kennt man das Gesamtwerk und geht mit einer gewissen Erwartungshaltung, die in meinem Fall weniger mit Freude als mit einem Begehren zusammenhängt. Das Kino war rappelvoll, fast unerträglich warm. Es geht mit einigen Minuten Verzögerung los. Und dann kann ich mich nicht mehr daran erinnern, geatmet zu haben. Ich bin niemand, der völlig in einem Film versinkt, das war auch dieses Mal nicht der Fall. (Es war auch schwer, denn die Frau neben mir öffnete im 5-Minuten-Takt ihre bis zum Anschlag mit Kohlensäure gefüllte Flasche unter einem penetranten Zischen, das in der Lautstärke nur von ihren Schlucken und einer anderen Frau mit der tödlichen Kombination aus klackerndem Armreif und Fächer überboten wurde.) Aber ich konnte die Schönheit von jedem dieser Bilder nicht in meinen Kopf zu einer Ordnung bringen, ich war überfordert vor lauter Anmut. Nun ist es so, dass auch Samuray-S schon diese Augenblicke hatte, aber bei Perrone ging es weniger um Perfektion als Intimität und einer Angst vor Zerfall, was nicht bedeutet, dass der Film in seinem Aufeinandertreffen aus Stummfilmästhetik und digitalen Technologien von einem anderen Planeten einzig emotional wahrnehmbar wäre. Bei Hou war jedes Bild von einer solchen Kraft, dass ich nicht mehr wusste auf welcher Seite der Leinwand ich war. Wenn es gestern bei The Treasure ein wenig um Illusionen und Fiktionen ging, dann habe ich heute vergessen, wie man das Kino kritisiert, ich habe gelernt, wieder an die Magie zu glauben.

Nun habe ich aber in mir diesen Drang, das in Worte zu fassen. Ich finde das ehrlichgesagt ziemlich untragbar und oft bin ich mir bewusst, dass meine Worte weder den Filmen noch meiner Wahrnehmung wirklich genügen können. Ich erwische mich in Diskussionen nach Filmen in einer großen Unzufriedenheit. Manchmal würde ich lieber alleine durch die Nacht spazieren, sodass der Film wie ein Echo in der Dunkelheit meine Schritte überschwemmt. Aber etwas in mir sprudelt, wie das Getränk meiner Sitznachbarin, ein naiver, vielleicht idealistischer Gedanke von einem Kampf fürs Kino, den ich paradoxerweise nur auf zwei Arten führen kann: Mit Film und mit Worten. Vielleicht ist es auch nur die Hoffnung, etwas zu verstehen, zu berühren. Denn, wenn man mit dieser Schönheit konfrontiert wird, dann ja auch gleichzeitig mit der Tatsache, dass man sie nicht berühren kann, weil sie einen selbst berührt. Wenn man also etwas sieht wie The Assassin, dann muss man darüber schreiben und es ist gleichzeitig eine Katastrophe, dass man darüber schreiben muss. Ich werde es dennoch tun.