Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Il Cinema Ritrovato 2017: Hana Chirinu von Tamizo Ishida

Hana Chi­rinu von Tami­zo Ishi­da ist ein äußerst unty­pi­sches Jidai­ge­ki. Das Gen­re ist oft bekannt für sei­ne action­rei­chen, in Blut getränk­ten Fil­me über ehren­vol­le Samu­rai. All dies sind The­men, die im Film zwar ange­spro­chen, aller­dings nie gezeigt wer­den. Statt­des­sen wer­den in Hana Chi­rinu die Geschich­ten derer gezeigt, die in der Geschich­te oft­mals ver­ges­sen wur­den: Frau­en. Die gesam­te Hand­lung des Films spielt im Lau­fe einer Nacht und eines Tages und ver­lässt nie die Räum­lich­kei­ten eines Oki­yas (ein Gei­sha Wohnhaus).

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Dies ver­rät uns schon der Vor­spann: Ein Aqua­ri­um vol­ler Fische, über die die Titel ein­ge­blen­det wer­den. Die Fische sind wun­der­schön anzu­se­hen, aller­dings sit­zen sie alle fest in die­sem Aqua­ri­um, wie in einem durch­sich­ti­gen Gefäng­nis. Der Film erin­nert in selt­sa­mer Wei­se an ll deser­to dei tata­ri von Vale­rio Zur­li­ni. Drau­ßen tobt eine Revo­lu­ti­on, die spä­ter zur Mei­ji Restau­ra­ti­on füh­ren soll: eine Epo­che in der Sho­gun abge­schafft wur­den und unter ande­rem auch die Rol­le der Gei­sha umfunk­tio­niert wur­de. Doch wir sehen kei­nen die­ser Kämp­fe, kei­nen Samu­rai, nicht einen ein­zi­gen Mann. Statt­des­sen beob­ach­ten wir das täg­li­che Leben der Gei­shas. Es gibt Riva­li­tä­ten, Roman­zen, Freu­de und Eifer­sucht. Abends wer­den Kun­den unter­hal­ten (auch wenn die Gei­shas sich lie­ber einen Spaß erlau­ben und zum Groß­teil des Fil­mes ihre Kun­den igno­rie­ren), und unter­tags wird gestrit­ten, gewa­schen, gekocht. Nur manch­mal drin­gen die Geschich­ten der Außen­welt nach innen. Was gezeich­net wird ist ein Sit­ten­bild Japans, in dem nur Frau­en auf­tau­chen. Tra­di­tio­nel­le Vor­stel­lun­gen sto­ßen auf neue Ansichts­wei­sen: Aki­ra (die Toch­ter der Inha­be­rin des Oki­ya) hat zwar einen Lieb­ha­ber, will ihn aber nicht hei­ra­ten. Aller­dings hat sie Angst, dass eine Riva­lin (die unter den Gei­shas als Hure gilt) ihr die­sen aus­spannt. Die­se jedoch hat ganz ande­re Pro­ble­me, ver­sucht ver­zwei­felt ihrem Mann zu entfliehen.

Das Gan­ze wird ein­ge­fan­gen von einem fast all­se­hen­den Auge, andau­ernd eilen Men­schen durch das Bild, wir bewe­gen uns dabei mit gewis­sen Figu­ren von einem Gespräch in das nächs­te. Ishi­da webt ein kom­ple­xes Geflecht, schafft es aber dabei einen Über­blick zu bewah­ren. Wir wis­sen, wer wen liebt, wer wen hasst und war­um. Die Kame­ra­ar­beit dringt sich dabei nicht auf. Den­noch fällt etwas unge­wöhn­li­ches auf: In den Gesprä­chen (und davon gibt es vie­le) ver­zich­tet Ishi­da auf Schuss – Gegen­schuss. Statt­des­sen wech­selt er mit fast jedem Schnitt die Kom­po­si­ti­on, den Win­kel. Wir sehen nicht nur zwei „tal­king heads“, son­dern auch Nacken aber vor allem Kör­per im Raum. Aus ver­schie­dens­ten Win­keln sehen wir Frau­en, die sich gegen­über ste­hen, von­ein­an­der abwen­den, anein­an­der vor­bei­re­den. Manch­mal sagen uns die­se Ein­stel­lun­gen mehr, als die Figuren.

Doch der All­tag kann im Krieg letzt­end­lich nie all­täg­lich blei­ben. Als Aki­ra auf ihren Lieb­ha­ber war­tet, klopft es nach einer lan­gen Nacht end­lich an der Tür. Aber sie wird zurück­ge­hal­ten sie zu öff­nen. Drau­ßen ist ein Tumult, ein Samu­rai wird getö­tet. Die Sor­ge wird immer grö­ßer, und als Aki­ras Mut­ter auch noch von zwei Män­nern weg­ge­bracht wird, ent­schei­den sich alle zu flie­hen. All die­se Frau­en, die aus den ver­schie­dens­ten Grün­den fest­hän­gen an die­sem Ort: sei­en sie ver­kauft wor­den, von zuhau­se weg­ge­lau­fen, oder ande­rer­wei­se gezwun­gen, sind nur imstan­de zu flie­hen, als sie der Krieg dazu zwingt. Doch Aki­ra bleibt. Auf ihre Mut­ter war­tend, blei­ben nur sie und ihre Riva­lin zurück. Die­se berich­tet von drau­ßen; Kyo­to ist zer­stört. Es ist ganz gleich­gül­tig wer den Krieg gewinnt, das Haus wür­de fal­len und sei­ne Bewoh­ner mit ihm. Und doch blei­ben die bei­den. Das Kano­nen­feu­er wird immer lau­ter und regel­mä­ßi­ger und der Film lässt uns zurück mit einer war­ten­den Akira.

„Women like us were born to suf­fer“ sagt eine Gei­sha in die­sem Film. Ein Satz, wie bei Naru­se. „You never know what might come tomor­row“ erwi­dert eine ande­re dar­auf. Ein Film, der das Ende einer Epo­che por­trai­tiert und in den 30ern das Ende einer ande­ren in Japan vorwegnimmt.