Das Konzept von Johann Lurfs erstem Langfilm ★ ist schnell erklärt. Neunzig Minuten lang sind Sternenhimmel aus über hundert Jahren Filmgeschichte zu sehen. Lurf hat sich dazu einige Beschränkungen auferlegt – außer dem Himmel, den Himmelskörpern und gegebenenfalls Wolken und Satelliten darf nichts anderes im Frame zu sehen sein, auf der Tonspur ist immer der Ton des Originalfilms zu hören. Angeordnet hat Lurf die Ausschnitte streng chronologisch, das freilich lässt sich beim erstmaligen Sehen des Films nicht mit Sicherheit bestimmen. Zwar beginnt der Film mit Passagen aus Stummfilmen, die folglich ohne Ton präsentiert werden und man kann mit Fortdauer des Films erkennen, wie die Aufnahmen technologischer ausgereifter erscheinen, doch mit Ausnahme einiger Filmschnipsel, die man je nach filmgeschichtlicher Kenntnis verorten kann, löst sich das Rätsel der Logik der Montage erst mit den Ausführungen des Regisseurs. Man kann diese Form der filmischen Anordnung kritisieren, besteht die Arbeit des Filmemachers in diesem Fall eher in der Recherche der einzelnen Filmausschnitte, als in deren künstlerischer Zusammensetzung, doch das Resultat wirkt erstaunlich rhythmisch. Der Zufall als Cutter, ordnet die Sternenhimmel mal rasant wechselnd, mal langsam fließend an, Farben, Töne und Bewegungen folgen willkürlich aufeinander an, wirken aber weniger beliebig, als man meinen sollte. In seinen stärksten Momenten wirkt der Film wie ein sorgsam konstruierter Remix, ihn zu sehen ist ein manisches und zugleich sinnliches Erlebnis.
Neben der visuellen Sensation, gibt ★ aber auch Auskunft über filmgeschichtliche Konventionen. Der Zusammenschnitt der Filme aus über einhundert Jahren lässt Rückschlüsse über die filmische Gestaltungsweise von Sternenhimmeln im Laufe der Jahrzehnte zu. Verschiedene Bewegungen kommen regelmäßig vor: das Eintauchen in den Sternenhimmel beziehungsweise dessen Gegenbewegung – das langsame Zurückziehen; später das langsame Abkippen vom Sternenhimmel in Richtung Horizontlinie (das im Film immer zu Ende geht, bevor die Oberfläche erreicht ist); der Blick in den Nachthimmel, wo Sternschnuppen (oder in einer parodistischen Variation, Satelliten) vorüberziehen; rasante Fahrten durch den Weltraum in Überlichtgeschwindigkeit, in der die Sterne ihre Erscheinung verändern. Auffällig ist auch die zunehmende, wissenschaftliche Präzision der Sternendarstellung. Während anfangs noch oft willkürliche Lichtpunkte vor dunklem Hintergrund zu sehen sind, werden in späteren Filmen öfter korrekte Darstellungen des Sternenhimmels ausgewählt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass erst die technischen Rahmenbedingungen geschaffen werden mussten, um überhaupt in den Nachthimmel oder in Planetarien filmen zu können (das war in größerem Rahmen erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich), später erleichterte die Möglichkeit der Simulation des Himmels mittels Computertechnik die korrekte Darstellung von Himmelskörpern. Größer gedacht legt der Film auch inszenatorische Konventionen offen, die nicht direkt mit der Darstellung des Sternenhimmels zu tun haben: Der rhetorische Stil der Erzählerstimmen, die sehr oft zu hören sind, verändert sich, ebenso die Musikuntermalung und die Dialogregie – auch die Weiterentwicklung der Tricktechnik kann am Beispiel der Sternenhimmel nachvollzogen werden.
Im Gesamtwerks Lurf, der bisher in erster Linie mit streng komponierten und rhythmischen ausgefeilten Bild-/Tonkompositionen auf sich aufmerksam machte, ist dieses 90-minütige filmhistorische Hasardstück zugleich Ausreißer, als auch logische Weiterentwicklung. Ausreißer wegen der Länge des Films, dem Produktionszeitraum von mehreren Jahren und der Form der Montage, Weiterentwicklung, weil es sich bei ★, wie bei seinen meisten anderen Filmen, um eine experimentelle Untersuchung handelt, in der die Erfahrungsweise bestimmter Bild-/Tonfolgen getestet wird. Wenn in Twelve Tales Told noch in kleinerem Rahmen die Regeln der Selbstinszenierung von Filmstudios in Frage gestellt wurden, so setzt ★ dieses Interesse Lurfs mit seiner Betrachtung filmischer Sternenhimmel fort. Lurf hat angekündigt sein Sternenprojekt noch weiter fortzusetzen, um irgendwann alle Sternenhimmel der Filmgeschichte in einem Mammutfilm zu vereinen. Ein kaum zu erreichendes Ziel (abgesehen davon, dass sicherlich bereits etliche filmische Sternenhimmel für immer verloren sind), aber eine sympathische Utopie.
Jacques Rivette stellte einmal die Behauptung auf, dass viele gute Filme mit einer Abwesenheit beginnen. Kohei Igarashi und Damien Manivels La Nuit où j’ai nagé ist ein solcher Film. Der Abwesende ist ein Vater. Er kommt spät in der Nacht nach Hause, nachdenklich rauchend im Halbdunkel, in einer der vielen an Ozu erinnernden Einstellungen des Films, und früh am nächsten Morgen bricht er wieder auf zu seiner Arbeit an einem Fischmarkt. Es ist eine stille Abwesenheit, weil sie wie alles im Film ohne die Kraft von Worten auskommt. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn (weniger gespielt als gewesen von Takara Kogawa) sehen ihn (zumindest scheint es so) kaum. Das und die damit verbundenen Gefühle wie die Einsamkeit und Freiheit des Kindseins ist der erste Ausgangspunkt des Films. Der zweite ist die Landschaft der Aomori Präfektur im Norden der südlichen Insel Japans. Eine Region, die für ihre lang anhaltenden Schneefallperioden bekannt ist. Aus diesen beiden Voraussetzungen schaffen die beiden Filmemacher, die sich über die Liebe zum Kino und den Respekt ihrer jeweiligen Arbeit fanden, das Bild einer Reise, die traumwandlerisch und ernüchternd zugleich wirkt.
Igarashi und Manivel folgen dem Jungen nach einer schlaflosen Nacht in einen Tag, an dem er auf dem schneebedeckten Weg zur Schule einen anderen Weg einschlägt und sich auf die Suche nach dem Fischmarkt seines Vaters macht, um ihm eine Zeichnung zu bringen, die er in der Nacht angefertigt hat. Dabei folgt La Nuit où j’ai nagé dem Kindsein in Gefühlen und Bewegungen. Wenn Takara eine Orange isst, ist das ein kleines Ereignis und wenn er über die Straße laufen will, dann ist das eine große Sache. Er scheint alles machen zu können, aber für nichts wirklich bereit zu sein. Die Kamera ist nah an der unbedarften und doch etwas verlorenen Verspieltheit des jungen Darstellers, begleitet ihn in seiner körperlichen Überforderung genauso wie in den Momenten staunender Begeisterung. Wie Abbas Kiarostamis Where Is the Friend’s Home? oder Hou Hsiao-hsiens ASummer at Grandpa’s gibt es im Film ein interessantes Wechselverhältnis zwischen dem Blick des Kindes und dem, der Erwachsenen, die einen Film über ihn machen. Man achte beispielsweise auf die Art und Weise, in der Igarashi und Manivel den Vater filmen. Zwar sieht ihn der Sohn nicht, aber dennoch könnten die etwas unwirklichen Silhouettenbilder auch den Augen oder der Fantasie des Jungen entsprechen. Der Film lässt ein Sehen zu, das durchgehend von dem eines Kindes inspiriert ist. Entfernungen wirken weiter, die Welt wirkt größer, aber auch näher, Begegnungen wirken relevanter und alltägliche Handlungen spektakulärer. Die Stille des dialoglosen Films ist nie erdrückend, sondern immer wie das leere Blatt Papier einer entstehenden Neugier oder aufgelösten Sehnsucht auf der Suche nach dem Vater. Es ist eine gleichzeitig zielgerichtete und verlorene Liebe des Jungen, dessen Ausdruck von Zärtlichkeit, wie ein zu leiser Schrei in den Bergen, vom Schnee verschluckt werden könnte. Dabei läuft der Film bei aller Simplizität hier und da Gefahr etwas zu sehr in seine Strategie der kleinen Wunder verliebt zu sein. Einen wirklichen Kleinkunstcharakter bekommt das ganze jedoch niemals, weil es dazu um zu viel geht, zu viel, was unter der Oberfläche schlummert, zu viel, was abwesend ist.
Für Manivel ist der Film ein konsequenter Schritt. Nach seinen großartigen Un jeune poète und Le parc scheinen seine Protagonisten rückwärts zu altern. Immer geht es um das Begehren eines jeweiligen Alters. Der junge Möchtegern-Poet, die verliebte Teenagerin und nun der Junge, der seinem Vater eine Zeichnung bringen will. Es wäre leicht, darauf herabzublicken, aber Manivel evoziert stattdessen den Geist vergessener Gefühle. In allen Fällen lässt er seinen jungen Protagonisten Freiheiten, die diesen Blick auf Jugendliche oder Kinder nie konstruiert wirken lässt. Stattdessen scheint viele im Augenblick zu geschehen und manche Idee aus der Fantasie von Takara zu stammen. Dadurch ergibt sich in den stärksten Augenblicken ein Bild absurder Unschuld, etwa als der Junge beim Orangenessen einen Handschuh verliert oder in der Art und Weise, in der er seinen Schulranzen schließt und trägt. Letztere Handlung ist so gelungen, dass man getrost behaupten kann, dass Michael Ceras bis dato unerreichte Technik des Schulranzentragens in Superbad schauspielerische Konkurrenz bekommen hat. Inwiefern sich der Film in Igarashis Filmografie eingliedern lässt, kann ich nicht beurteilen, da ich seinen Hold Your Breath Like a Lover nicht sehen konnte. Es ist jedenfalls eine gleichberechtigte Zusammenarbeit, wenn man den Aussagen der Filmemacher folgt.
Vieles im Film dreht sich auch um die schneebedeckte Landschaft. Sie drückt sich beständig in die Bilder, ist eine eigenständige Präsenz, die immer auf die Handlungen Einfluss nimmt. Die Landschaft erzählt auch von einer anderen Abwesenheit, nämlich jener des Frühlings, der nur im wiederkehrenden Vivaldi-Motiv im Film steckt. Aomori heißt übersetzt der blaue oder grüne Wald. Diese Farben finden wir nur auf der bunten Jacke des durch den Schnee stapfenden Jungen. Der Film beginnt mit einem stillen Bild durch das Schwarz gleitender Schneeflocken, es wirkt friedlich, aber bei genauerer Betrachtung bringt der Schnee nicht viele Vorteile mit sich. Es geht den beiden Filmemachern aber niemals um irgendeine Form von Bewertung. Vielmehr sind sie an einem Ist-Zustand interessiert. Dafür spricht, dass sie auch mit den tatsächlichen Eltern des Jungen arbeiteten. Nicht, was es bedeutet so oder so zu leben ist interessant, sondern wie es aussieht, wenn man so lebt und im Fall von Takara eben träumt. In diesem Ist-Zustand dringt das Kino dann in die Abwesenheiten und macht sie in einer berührenden Stille greifbar.
Die Geschichte des Kinos hängt eng mit der Geschichte des Lichts zusammen. Licht wird durch einen optischen Linsenapparat eingefangen und von einem photochemischen oder digitalen Aufzeichnungsapparat empfangen. Bei der Vorführung wird das Aufgezeichnete durch den Einsatz von künstlichem Licht wieder zum Leben erweckt. Die Kamera kann als eine idealisierte Version eines automatisierten Auges beschrieben werden, eines Auges, das in der Lage ist Seheindrücke auf einer künstlichen Netzhaut festzuhalten, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederzugeben. Die Filmtheorie, Filmgeschichtsschreibung, Filmkritik sind voll von Metaphern zum Sehen und zum Auge.
Die Geschichte der Neuzeit, also jener Zeit, in der die Naturwissenschaften die geistige und moralische Führung des Menschengeschlechts übernommen haben, ist eine Geschichte der Ratio, eine Chronik der Verdrängung des Unerklärlichen durch die wissenschaftliche Evidenz. Diese Stigmatisierung des Unerklärlichen macht es zur verbotenen Frucht, daher auch die Anziehungskraft des Magischen, Mythischen. Was sich der Erklärung widersetzt, was als Überschuss von der Wissenschaft ausgestoßen wird, wird gerade deshalb für die Kunst interessant. Wenn die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht fruchtet, kann die künstlerische Auseinandersetzung neue Erkenntnisse bringen, die jenseits der Ratio liegen.
Gibt es eines, das ich an Barbara Alberts Licht kritisieren müsste, dann wären es die Momente, in denen die Kamera die Perspektive der Protagonistin Maria Theresia Paradis einnimmt. „Resi“, wie sie von Freunden und Familie genannt wird, ist im Alter von drei Jahren schlagartig erblindet. Trotz jahrelanger Behandlung hat nie ein Arzt eine Erklärung für die Blindheit gefunden. Dafür hat Resi in Kindheitsjahren ein ausgesprochenes musikalisches Geschick am Klavier entwickelt für das sie in höfischen Kreisen bekannt ist. Resis Eltern sind dennoch unzufrieden mit der Entwicklung ihrer Tochter, die kaum den Idealen des österreichischen Adels gerecht wird. In einem letzten Versuch ihre Tochter zu heilen, schicken sie Resi zur Kur bei Franz Anton Mesmer. Mesmer verfolgt eine experimentelle Methode bei der er versucht mithilfe des natürlichen Magnetfelds Heilung herbeizuführen. Mesmer nennt die mysteriöse Energie mit der er arbeitet „Fluidum“, seine Behandlung wirkt wie eine Mischung aus Handauflegen und Chigong. In anderen Kontexten, würde Mesmer wohl als Scharlatan dargestellt werden, Resi springt jedoch auf seine Therapie an und beginnt langsam ihre Sehkraft zurückzugewinnen. Wo vorher nur Dunkelheit herrschte, beginnt Resi nun Farben, Formen und Silhouetten zu erkennen. Statt diese Eindrücke, wie auch die davor gewesene Dunkelheit indirekt – über das Verhalten Resis – zu beschreiben, wählt Albert an einigen Stellen POV-Einstellungen, in denen verwaschene, undeutliche, geisterhafte Eindrücke von Natur und Menschen zu sehen sind; der Versuch einer unmöglichen Aufzeichnung eines Sehens auf die Welt, das erst Sehen lernen muss.
Der Wahnsinn übt eine anhaltende Faszination auf Kunstschaffende aus. Es ist gerade sein Ausbrechen aus dem naturwissenschaftlichen Erklärungsmuster, das ihn zum Gegenstand ihres Interesses macht. Es wird versucht den Wahnsinn auszuschließen – Michel Foucault beschreibt das in Wahnsinn und Gesellschaft –, ihn zu brandmarken, als etwas Unnatürliches. Der Wahnsinn wird zusammengeführt an Orten, wie dem Schloss von Franz Anton Mesmer, wird „Spezialisten“ wie Mesmer übergeben, die jenseits der gebräuchlichen wissenschaftlichen Methoden arbeiten. Scharlatane, Quacksalber, Hochstapler werden sie genannt, doch was tun, wenn sie Erfolg haben? Die Kredibilität der gesamten Wissenschaft steht auf dem Spiel, wenn der Ausschuss des wissenschaftlichen Systems durch eine alternative Methode in die Gesellschaft rückgeführt werden kann. Das Asylum, der Ort der Zuflucht vor der Welt, hat kein Ort der Heilung zu sein.
Abgesehen von den Aufnahmen aus der Ich-Perspektive, die völlig unnötig Resis Blindheit entzaubern, ist Licht ein äußerst präziser und dichter Film. Das beginnt bei den Kostümen und Sets, deren Exaltiertheit auf historischen Begebenheiten beruht, die aus der Sicht des heutigen Publikums aber absurd und surrealistisch wirkt. Ähnliches gilt für die Sprache: der Adel spricht kodifiziert und wertet seinen Wortschatz durch französische Modewörter auf, das Gesinde spricht derber aber dafür effizient (man könnte über den Film auch als einen Film des Klassenkonflikts schreiben). Hinzu kommt das Spiel, getragen von Maria Dragus als Resi, deren vorsichtige, tastende Bewegungen nach und nach einer bestimmteren Form der Fortbewegung und Interaktion mit der Welt weichen. Rund um sie die höfische Gesellschaft mit ihrem hierarchisierenden Spiel von Ehre und Stellung. Aus diesen Bausteinen setzt Albert ein dichtes Mosaik an Eindrücken zusammen, das die doppelt eingeschränkte Lebenswelt von Resi meisterhaft abbildet: eingeschränkt durch das Fehlen des Gesichtssinns, aber auch durch die strenge Etikette der Gesellschaft. Als Resi die Gesellschaft verlässt und sich an einen Ort – Mesmers Schloss – begibt, der sich jenseits der Logik der Gesellschaft befindet, beginnt sich auch die andere Einschränkung zu lösen.
Licht ist ein Film über das Sehen (und somit über das Kino) und ein Film über die Ausschlussmechanismen der Gesellschaft. Es ist dabei unerheblich, dass der Film im 18. Jahrhundert spielt, abgesehen davon, dass die Eigenheiten sozialen Umgangs dieser Zeit uns aus heutiger Sicht auffälliger erscheinen. Das Grundverhältnis von Gesellschaft und dem gesellschaftlich Geächteten hat sich nicht gewandelt, ebenso wenig, wie das Verhältnis des Sehens zum Licht.
Eigentlich geplättet gewesen von der schieren emotionalen Wucht, mit der dieser Film in einem verschwindet. Begehren nach einem Nicht-Schreiben, einfach nur in sich auf den Film warten, auf das, was er einem weiter sagt. Ihn wieder sehen wollend. Dann doch etwas schreiben, weil die Angst kommt, das man sonst vergisst: Western von Valeska Grisebach, ein Monument des Filmjahres gebaut aus zwei Bewegungen des Kinos: Der Liebe zur Welt, wie sie sich vor einem präsentiert und dem Genre, das aus dieser Welt die Emotionen und Konflikte schält.
Vielleicht sollte man beginnen, mit einem Schnitt, der einen gestört hat. Sonst gerät man in den Verdacht und auch in die Verführung des Schwärmens. Meinhard, der Westernheld des Films, bringt ein Pferd mit in das Lager der deutschen Arbeiter irgendwo im bulgarisch-griechischen Grenzgebiet. Es ist nicht sein Pferd. Er nähert sich dem Tier bestimmt und nimmt sich die Freiheit. Er nimmt es sich einfach. Gleichzeitig ist er vorsichtig damit, neugierig und legt einen großen Respekt vor dem Tier und auch vor dessen bulgarischen Besitzern an den Tag. Seine Beziehung zu dem Pferd trägt schon vieles in sich, was der Film in aller Ambivalenz über Beziehungen zum Fremden erkennt. Jedenfalls bringt Meinhard das Pferd zum ersten Mal ins Lager. Es ist ein Triumph, eine Eroberung der Welt. Sein Gegenspieler, der maskulin, immer nahe am chronischen Sonnenbrand wandelnde Chef des Bauarbeitertrupps Vincent, der seine Gefühle beständig zu verbergen trachtet und darunter tragisch leidet, gönnt dem stillen Meinhard seinen Triumph nicht. Als er das Pferd erblickt, sagt er, dass man daraus gutes Essen machen könne. Dann kommt der Schnitt, der missfällt. Das nächste Bild beginnt mit einer Nahaufnahme von Fleisch auf einem Grill. Dann schwenkt die Kamera nach rechts und offenbart das noch lebende Pferd. Es ist der einzige manipulative Moment in einem Film, der einem sonst in jeder Sekunde ehrlich ins Gesicht blickt. Es ist die einzige Spielerei in einem Film, in dem sonst nur die Figuren spielen.
Was spielen die Figuren? Sie spielen Cowboys, sie sind Cowboys. Sie spielen nicht, weil sie Freude am Spielen haben. Sie spielen, weil sie in diesen Rollen leben. Western ist womöglich der erste Film seit Holy Motors von Leos Carax, in dem eine Welt erdacht und betrachtet wird, die beständig versucht ist, zum Kino zu werden. Eigentlich erzählt Grisebach, die sich nach ihrem fulminanten Sehnsucht mehr als ein Jahrzehnt Zeit ließ für diesen Film, von einer europäischen Realität. Deutsche Firmen übernehmen von der EU finanzierte Projekte in Osteuropa. Der Film begleitet die Begegnung solcher in den Osten geschickten Arbeiter mit der Bevölkerung eines bulgarischen Dorfs. Er dokumentiert die Dynamiken innerhalb der Arbeitergruppe und ihr Verhältnis zur Landschaft. Vieles ist geprägt von Xenophobie und einem beständigen Rollenspiel, in dem man Männer und ihre Körper kennenlernt. Manches im Film erinnert an Beau travail von Claire Denis, passend auch, dass Meinhard als „Legionär“ angesprochen wird von den bulgarischen „Freunden“, die er sich nach und nach macht. Es ist eine Studie der unterdrückten Gefühle, die sich zu einer inneren und äußeren Gewalt hochschaukeln. Das Fremde und das Männliche spielen auch im Film von Denis die Hauptrolle. Die Körperlichkeit bei Grisebach jedoch ist keine der Leibesübungen in der Hitze, keine der Grégoire Colins am Rand des Wassers. Stattdessen: Deutsche Bierbauchmentalität in Liegesesseln, ein wenig Blässe, ein wenig Angst und viele Mechanismen, die am Verstecken einer Innerlichkeit arbeiten.
Auch eine andere, oft nicht gleich augenfällige Eleganz: Vor allem in der Figur von Meinhard, der immer nach außen und innen zugleich zu strahlen scheint. Ein wahrer Westernheld, der auf der Veranda sitzt wie Henry Fonda oder Gary Cooper. Nichts an ihm sieht so aus wie diese Schauspielgötter, alles an ihm ist, was sie verkörperten. Grisebach hatte ihn gefunden mit Cowboyhut lange bevor der Film gedreht wurde. Sie hat einen Cowboy von der Straße besetzt und ihn in einen Film gebracht. Das ist umgekehrt wie die meisten anderen Cowboys ins Kino kamen. Meinhard, der beobachtet, immer noch etwas in sich verbirgt, der nicht nur betrachtet wird vom Zuseher, sondern diesen immer zurück betrachtet. Der trinkt, der verführt und in seiner Einsamkeit vegetiert. Der immer zugleich dazugehört und außen vor bleibt. Der wunderschön ist und beinahe unsichtbar. Zerbrechlich in sich ruhend. Gefährlich und zärtlich.
Das Arbeiten hat oft Pause, wenn der Film sich nähert. Es ist ein Modus des Wartens, der an einem Film wie Der Stand der Dinge von Wim Wenders erinnert. Man wartet auf Materialien, man wartet auf Wasser. Es ist in der Zeit des Nichts-Tuns, des Wartens, das die Konflikte des Kinos entstehen. Oft ist Grisebach am nächsten an ihren Männern, wenn sie nicht arbeiten. Außer einmal, wenn Meinhard einen Bagger ins Wasser fährt. Das Kino ist ein Ort, an dem man seine Freizeit verbringt. Man denkt oft an das Kino, wenn man Western sieht. Das liegt daran, dass er immer wieder von einer Welt erzählt, die Kino spielt. Diese Männer haben sich nicht viel verändert seit sie als Kinder Cowboy und Indianer gespielt haben. Sie duellieren sich um Frauen, sie misstrauen sich und verheimlichen ihre Schwächen. Sie wollen beeindrucken.
Immerzu ist beides zugleich möglich: Die menschliche Geste und die unmenschliche Tat. Vincent und Meinhard sind die beiden Gegenpole dieser Tendenzen, auch wenn ihre Figuren bei weitem nicht so einfach gestrickt sind. Vielmehr flackert in ihnen das ständige Austarieren innerer Konflikte, die auf etwas Fremdes übertragen werden. Wie so oft steckt in dem Einen auch das Potenzial des Anderen. Dasselbe gilt für das Fremde und die Angst davor. Eindrücklich bleibt eine frühe Szene am Fluss. Die deutschen Arbeiter genießen den Feierabend mit Bier in der Sonne. Einige lokale Frauen kommen ans andere Ufer. Einer Frau fällt ihr Hut ins Wasser. Vincent schwimmt und erreicht den Hut. Dann beginnt er zu spielen. Er spielt etwas, was er für einen Mann hält. Er rückt den Hut nicht raus. Stattdessen bittet er die Frau, zu sich zu schwimmen. Nach einer Zeit tut sie das. Er gibt ihr den Hut weiterhin nicht. Er spielt mit ihr, berührt sie. Es ist unangenehm. Selbst die anderen Arbeiter blicken besorgt. Vincent übertreibt es, er kommt nicht aus seiner Rolle. Später wird er sich bei der Frau entschuldigen. Aber nur, um sie zu einem Essen einzuladen. Widerwärtiges Selbstverständnis. Nur bei Grisebach spürt man, dass das Widerwärtige nicht die Empörung darüber sein kann, sondern die Normalität mit der Bulgarien, die Frauen des Dorfes und die Organisation des Lebens dort nicht als etwas Autonomes betrachtet werden können. Alles existiert immer nur in Relation zum eigenen, in diesem Fall deutschen Rollenbild.
Wer sind diese Bulgaren? Der Film zeigt ihr Leben, aber tut nie so, als könne er verstehen. Dabei ordnet Grisebach ihren Blick auf dieses Fremde nicht den Mechanismen ihrer Erzählung unter wie das bei Maren Ade und ihrem Toni Erdmann der Fall war. Stattdessen öffnet sie ihn gemeinsam mit ihrer Figur, aber mit deutlich weniger Gefühlen als dieser. Es ist selten, dass man einen Film sieht, der eine emotionale Geschichte erzählt und es dabei trotzdem schafft, auf etwas außerhalb von sich selbst zu blicken. Es geht nicht nur um die Welt dieses Films, es gibt tatsächlich ein Bewusstsein für die Welt, die er betritt. Ganz gleich den Vorreitern dieser Filmsprache wie Jean Epstein oder Roberto Rossellini hindert das nicht an den Tränen, die man in sich wachsen spürt. Tränen, die ein wenig sind wie Meinhard. Einsam, nicht wirklich zielgerichtet, selbstgerecht, glänzend. Man muss sich nicht selbst erkennen, um bei einem Film zu sein. Aus einem eigentlich dokumentarischen Blick gewinnt Grisebach wie schon in Sehnsucht die größtmögliche Reinheit eines Genres.
Die Reinheit des Western-Genres ist die Sehnsucht. Sie ist romantisch und kontemplativ. Man verschwindet in ihr mit jedem Schritt, den man sich weiter in den Film wagt. Sie ist nicht gerichtet. Es gibt vielleicht den abstrakten Traum einer zwischenkulturellen Gerechtigkeit, einer Offenheit oder eben jenen einer uneingeschränkten Dominanz. Der Stolz weißer Machos und das womöglich fehlgeleitete Bemühen, alles anders zu machen. Es gibt das Begehren dazuzugehören oder zu regieren. Meinhard ist ein Mann ohne Heimat. Das erste Bild zeigt ihn aus dem Nichts kommend (noch ohne Pferd) in einem Park. Er hat eine Vergangenheit, die im Film immer wieder angedeutet wird, aber er hat gleichzeitig keine Vergangenheit. Er hat keine Zukunft. Handelt er richtig, ist sein Verhalten würdevoll? Verwechselt er Gastfreundschaft mit einer möglichen Heimat?
Die deutsche Flagge weht im Sonnenlicht Bulgariens. Wir pflücken von den Bäumen, die uns nicht gehören. Alles wird zum Paradies erklärt, zum Urlaubsort, zur Schönheit, die nicht die Menschen und ihre Kultur kennenlernen will, sondern nur die Oberfläche. Es ist eine Fantasie, in der man sich zur Ruhe begeben will. Genau wie das Western-Genre der Fantasieplatz eines stillen Heldentums sein kann. Fehlgeleitete Fantasien. Dann tanzt man zu den fremden Klängen und verschwindet in ihnen, obwohl man nie wirklich da war.
What does it say about the state of cinema when the cinephile excitement and quality of a festival such as the 70th edition of the Locarno Film Festival derives more from a retrospective than the latest batch of contemporary films? There is more than one possible answer to such a question, so we might as well pose another one: Why is it important to see Jacques Tourneur? Isn’t it just self-affirmation, a sort of homecoming, or even a celebration of sorts? When I told people that I would be in Locarno this year, many replied rather enviously: “Ah, I would love to be there with Mr. Tourneur.” Is such a desire connected to the idea of discovering something new with or in Mr. Tourneur or is it just about the pleasure of returning to a place one likes? Both might be true and valuable, and after Olaf Möller’s discovery tour into the neglected history of German cinema during the 69th edition Mr. Tourneur is a reasonable step for the festival. Yet, I couldn’t help thinking – though I must admit I didn’t see as much of Mr. Möller’s choices as I could have – that the element of surprise and discovery was much bigger in Mr. Tourneur, who always switches between chameleon and auteur. One is never quite sure what to expect, always astonished at where one lands but still feeling that all these different paths were followed by the same filmmaker.
Before seeing and re-seeing many of his works in Locarno, my impression of Jacques Tourneur was a certain movement connected with a certain half-light. It is a travelling that follows characters through various states of light and shadow, like the famous invisible chase sequence in Cat People, or a sleepless night and dreamy gaze into the dark horizon in Anne of the Indies. These certainties are in fact describing uncertainties of intermediate worlds, desires, absences, or the supernatural which, as the director states in the accompanying catalogue of the festival, he believes in. Through those moments and states, a feeling that I can best describe as a sort of fever arises. It is connected to something I discovered while revisiting films like I Walked with a Zombie (which was shown at midnight at the Piazza Grande while a thunderstorm approached and eventually made me leave in the pouring rain) or Night of the Demon: There is an idea of the past tense in the films of Mr. Tourneur. His cinematographic language speaks in the present but his narratives seem to have already happened. This becomes very clear in the short films he did for MGM such as the mesmerising The Ship That Died or The Face Behind the Mask. Most of those shorts are narrated by Carey Wilson or John Nesbitt in an exaggerated, dramatic, but still sober tone, recounting mysterious incidents in the way an enthusiastic explorer might tell a story to a group of old, cigar-smoking men. The manner in which these stories are told makes it clear that they have already happened. There is a time before the film, sometimes even a time before time. Fittingly, some of the shorts deal with historical topics such as the French Revolution or the history of radium in Romance of Radium. Those films are less about what is happening than they are about our position towards it. Most of all, they ask the question: Do we believe or not? The same is true for many feature films. In fact, the camera deliberately tends to arrive at the scene a bit too early or a bit too late. Actions have already taken place or will take place no matter what we see. Maybe some secrets can’t be shown at all. One could talk about an economy of means that was perhaps also formed during the short film years. Mr. Tourneur doesn’t show too much, he just shows what is necessary. There is an air of something unavoidable, as if many characters in his films were not presented as real beings but ghosts from a story that has already been told.
Mr. Tourneur has always been the Hollywood director I found most difficult to write about. There are many elements that escape us while being with his films and a high level of ambiguity to them. It seems fitting that Chris Fujiwara used introductory quotes by writers such as Maurice Blanchot or Hélène Cixous in his great book on Mr. Tourneur called Nightfall – writers who are capable of expressing things that escape the notion of expression. The retrospective didn’t make the task any easier since it was the first time I saw very strong films like Les filles de la concierge or Easy Living, which add new colours to the palette of the filmmaker. His very precise, comedic talent which shows in Les filles de la concierge is came as a particular surprise. In constant movement between different love stories, the film tells not only about class relations but more about the way gazes and perspectives are organised between desire and duty, expressing and hiding. It was also a pleasant surprise that the screening of the film (even if it was shown without subtitles) was packed. So there might be a hunger for discovery in Locarno. I wasn’t able to see Pour être aimé, another French comedy by Mr. Tourneur before he moved back to the USA. Despite those “new” facets, there was something that struck me in almost all the films and which shed a new light, or maybe a shadow on all of his films: The mode of resignation. Fujiwara mentions resignation in his book. He writes:
“For Tourneur, resignation isn’t a moral ideal in itself but comes as the inevitable result of the displacement of the hero in history (the prolonged aporia of Way of a Gaucho) or as a convulsion or exhaustion, like the confessions of characters in I Walked with a Zombie, The Leopard Man, and Great Day in the Morning and like the surrender of Vanning in front of the church in Nightfall. Tourneur’s sense of passivity and inevitability colors even his most straightforward and positive protagonist, Wyatt Earp in Wichita, who has to be goaded into action by events and who apologizes to his enemy in advance for the bullet with which he kills the latter in a duel.“
It is an observation I find to be very true. The displacement of the protagonists as well as the feeling of exhaustion are on the one hand connected to what I described as the past tense in Mr. Tourneur, but, on the other hand, they are related to a form of resistance his cinema keeps hidden like a treasure. In this aspect of his cinema we can find an antipode to filmmakers like Steven Spielberg for whom wonder and overpowering mean everything. Mr. Tourneur tells about greater and truer miracles, but he never counts on the reaction of the protagonists to those miracles and supernatural happenings. Of course, in some of his films closer to the horror genre, most notably in Night of the Demon, there are close-up shots of people being afraid and staring at something unknown. However, there is a resistance to seeing supernatural and natural miracles as something extraordinary. This is most notably true for one of his best films, Stars in my Crown. In the film, a typhoid fever breaks out in a small village. It is one of the many sicknesses in the films of Mr. Tourneur. One finds many fragile and tender shots of people lying in bed, unable to move, pale and in a state between life and death or just between being able to perform or not as in Easy Living. It seems very fitting that the well-deserved winner of the Golden Leopard, Mrs. Fang by Wang Bing is also a meditation on sickness and death. Where Wang Bing finds a tender insecurity in the close-up of a dying woman, Mr. Tourneur tends to avoid lingering on a dying face because it might move and reawaken any second. Both filmmakers find each other in open eyes that are not awake.
Those sicknesses add to the feeling of exhaustion but they also help establish the recurring conflicts between resignation and hope. In Stars in my Crown a moral conflict between a priest and the new doctor develops as both struggle with helping the desperate people. After the disillusioned priest goes through a period of resignation, he performs a miracle on the doctor’s dying wife. Despite the musical crescendo accompanying this miracle, which almost recalls Carl Theodor Dreyer (the miracle, not the music), Mr. Tourneur does not call attention to this scene as one of an overpowering salvation. Instead, it seems very natural that saving lives is not only about bodies but also about souls. The true miracle follows and it is an act of humanity in the face of racism. The priest addresses the heart of Ku Klux Clan riders who want to slaughter a black man to gain his property. He reads them (from an empty piece of paper) how the man about to be murdered bequeaths them his belongings. After listening to the priest, consumed with a feeling of shame and guilt, the men leave the place. One can find a lot of belief in these shadows of resignation, since they are not about telling us something extraordinary has happened but just that it has happened. This means a great deal if we are talking about miracles.
Mr. Tourneur constructs his strategies of resignation concisely. Often, establishing shots are a drama of their own. The films jump right into some actions leaving the viewer clueless as to how they got there; it is like the displacement of the protagonists becomes clear in the very first shot. For example, in Circle of Danger (Mr. Tourneur’s first independent production), one of the many films that begin on a ship, there is a scale to the opening which almost feels like a red herring. We are on a ship and the protagonist played by Ray Milland is in the middle of some masculine action. Those seconds on a ship that merely serves as a character background and has nothing to do with the narrative of the film, shows how much Mr. Tourneur is interested in the mood surrounding his character and how he constructs a feeling of being out of place not only for the protagonists but also for the viewer. Fujiwara writes about this scene: “As in I Walked with a Zombie, Out of the Past, and Appointment in Honduras, we have the feeling of having arrived late to witness a process already about to be concluded.” The stuffy atmospheres, the sweat, the shadows, the male shoulders and soft female voices add to a mixture of temptation, sickness and giving in. Many writers on Mr. Tourneur (apparently mostly male as the catalogue and the round table in Locarno unwittingly showed) mention that he loved to make his actors talk very silently and move slowly. The latter is, for example, also true for Manoel De Oliveira with whom Mr. Tourneur shares the sense of predestination as well as the poetic soberness of looking at it. A title of a never-realised film of Mr. Tourneur, Whispering in Distant Chambers, seems to best describe the way people talk in his films. Especially in Nightfall, where the voice of Aldo Ray is surprisingly soft and silent in the face of the brutalities he has to go through. Detachment on the brink of alienation creates a distance in accordance with a knowledge about life which will sooner or later come to an end. For better or worse. Mr. Tourneur also talks about this process in an interview on Appointment in Honduras: “But I noticed that actors in most films tend to shout. The same dialogue said half as loud is more memorable and intense. To be worthwhile, dialogue should be said naturally, the way we talk everyday. You need to make actors not declaim and when they talk loudly, they have a tendency to declaim.” In his casting choices, especially concerning male actors, Mr. Tourneur seems to look for the type of actor that is sure not to declaim: Dana Andrews, Robert Mitchum or Aldo Ray are perfect examples of this. One could rightly ask what all of this has to do with resignation. It is the understatement and somnambulistic way of movement that is true for the protagonists as well as the camera and the way those movements face miracles and dramas. Moreover, the films focus on an absence of hysteria when confronted with tragedy. It is not that any of those elements, be it the past tense, the half-light, the camera movements, the way of talking, or the establishing shots are special per se. However, the combination of those elements forms a broken unity aiming at moods and memories in distant chambers.
Resignation is also a way of concealing an immense capacity for romanticism. In many films “strange forces” are at work. They bring perdition or redemption. The protagonists protect themselves against those forces by treating them normally. Even Dana Andrew’s role of the scientist in Night of the Demon or Frances Dee’s nurse in I Walked with a Zombie are never truly naive when confronted with things they normally wouldn’t believe in. They just struggle for rationalism which is, for Mr. Tourneur, closely related to resignation. In Easy Living, a film which Mr. Tourneur did not particularly like although it contains some of his finest directing, the whole idea of rationalism versus supernaturalism is turned upside down. A sportsman and star is told he should stop playing football because of a heart murmur. Afraid of his demanding wife and insecure about his post-career life, he keeps his condition a secret and goes on playing. Here, the seemingly supernatural force is the most natural of all: The fading of the body. The supernatural lies in not accepting nature. So, the film narrates the same battle as many other films by Mr. Tourneur, yet the protagonist has to learn to believe in the natural instead of the other way around. In place of fear, a sort of sadness informs the picture. In a brilliant move, the film establishes a character who could be called a figure of resignation, the one who knows about all this days before the protagonists or the viewer, the one who has seen it all before: A cynical journalist-photographer happens to be in the right place at the right time and helps dedramatize every possible flicker of romanticism until the very last shot. He appears to comment on the reunion kiss: “Yeah, yeah.” There is a sad undertone in this. These characters appear in all of Mr. Tourneur’s films and are best condensed in the stage worker in the short The Rainbow Pass, which should have been part of the program but was left out. The film presents a Chinese stage play and focuses on a stage worker dressed in black whom everyone in the audience pretends not to see when he goes about his business in creating imagination in the most bored way imaginable. To speak in John Ford’s terms: These are the men that print the legend. Yet, they don’t believe in it. The question is rather, as another title of a Tourneur short proposes: What Do You Think?
Erster Zwischentitel in Steamboat Bill, Jr.: „Muddy Waters“
Erster Zwischentitel in Neighbors: „The Flower of Love could find no more romantic spot in which to blossom than in this poet’s Dream Garden.“
Traumgärten in Bologna: In einem Gespräch mit Frieda Grafe, Hartmut Bitomsky und Thomas Tode hat Harun Farocki einmal die Frage gestellt, ob man noch Filme machen könne, wenn es schon von allem Filme gäbe. Bologna lehrt mich vor allem, dass es noch viel mehr Filme gibt. Auf einer Ebene ist das befreiend, auf einer anderen einschüchternd. Es entsteht hier nicht nur eine starre Überwältigung und Handlungsunfähigkeit als Filmschaffender, sondern auch als Cinephiler. Das Schauen von Filmen rückt in einen Modus der Akzeptanz dessen, was man nicht sieht. Erstaunlich in welcher Form der Bericht vom Kinogang immer noch von einer Rhetorik des allgemeinen Verständnis geprägt wird und wie wenig von der tatsächlichen Verirrung, in der das Selbstbewusstsein weniger dem Sehenden, als dem überlegenen Kino selbst angehört. Es gibt natürlich Besucher, die einen Überblick über ein solches Programm haben, aber letztlich habe ich dieses Jahr von sehr vielen gehört, dass sie das Festival „entspannter“ angehen, sich mehr treiben lassen und sich weniger dieser wilden Jagd nach den von Serge Daney beschworenen verborgenen Schätzen hingeben wollten. Es gibt also ganz ähnlich den Essayfilmen von Farocki eine Rückbesinnung auf den Autor, in diesem Fall den Autor des Sehens. Es geht weniger um das Programm des Festivals als das persönliche Überleben darin, die Erkenntnis, dass im Traumgarten nicht jede Frucht erreichbar ist. So reif bin ich noch lange nicht und so habe ich die Woche nach dem Festival damit verbracht, Filme zu sehen, die ich auf dem Festival verpasst habe.
Meine persönlichen Momente des Festivals:
Zum einen eine legendäre Tanzsequenz mit Sehnsuchtsträumen, Überblendungsorgien, betrunkenen Hunden und dem magnetischen Gesicht von Ivan Mosjoukine in Kean ou Désordre et génie von Alexandre Volkoff. Eine Szene, die wie vieles in Bologna derart gut musikalisch begleitet wurde, dass mir die Kubelka-Strenge bezüglich der Projektion ohne Musikbegleitung gehörig um die Ohren flog. In meiner Wahrnehmung sollte es immer beide Möglichkeiten geben. Einmal mit und einmal ohne Musik. Eine Szene, in der ein Film spazieren geht. Eine Szene, in der dem Kino erlaubt wird, zu erzittern. Eine Szene, die meiner dieses Jahr auffälligen, überdurchschnittlichen Liebe zu Hunden (auf der Straße und im Kino) in die Karten spielte genau wie eine grenzwertig brutale Szene in Marie Epsteins und Jean Benoit-Lévys Itto, in der einem Hund die Welpen weggenommen werden, was zu Irritation und schließlich ungebremster Wut im Tier führt. Zum Schmerz des entrissenes Kindes hatte auch Frank Borzage in seinem zärtlichen Until They Get Me einiges zu sagen. Dann waren da die Farben im Schwarz von Blood on the Moon von Robert Wise. Und dann Place de la Concorde von Etienne-Jules Marey, ein Film, der eigentlich nicht als solcher gedacht war und einen wie die Lumière-Projektionen auf dem Festival an das Kino erinnert, was das Kino ist und sein könnte, nicht was es war. Im weniger als eine Minute langen Film sieht man das Treiben in der französischen Hauptstadt an einem belebten Tag. Es passiert so viel im Bild, dass es gut getan hat, dass der Film mehrfach gezeigt wurde. Wie Abbas Kiarostami einmal sagte: Man fühlt, dass Dinge interessanter anzusehen sind, wenn ein Rahmen um sie herum ist.
Das stimmt aber nicht ganz. Schließlich habe ich auch die tosenden Grillen in den Bäumen von Bologna gehört, die im heftigen Gewitter wankenden Blätter eines Bananenbaums im Hof vor unserem Fenster, das Licht, das über die Terrakotta-Gemäuer wandert und dieses Jahr auch endlich das unsichtbare Wasser, das zwischen den Häusern, kaum sichtbar durch die Stadt fließt. Kein Rahmen, trotzdem Kino und zwar in einer Art und Weise, das scheint mir nicht wirklich präsent zu sein, die sich eben abhebt von diesem Streben nach dem neuem Film, dem viele Zuseher und die schreibende Zunft so auf den Leim gehen. Das heißt nicht, dass sich in Bologna nicht auch viele Probleme einer Kulturbranche zeigen, die relativ willkürlich entscheidet, was von der Filmgeschichte erhalten und beleuchtet wird. Das Problem ist, dass eine Kritik dieses Vorgehens jenen vorbehalten wird, die mehr Früchte aus dem Traumgarten kennen, als vom Festival zur Verfügung gestellt werden. Weit entfernt von solchem Wissen möchte ich abschließend noch betonen, dass mir das Prinzip der „Gatekeeper“ in der historischen Auseinandersetzung mit Filmen fatal scheint. Verschiedene Figuren schwingen sich auf zu Experten von diesem oder jenen Kino, sie werden zu Entscheidungsträgern, die letztlich sagen, was relevant ist und was nicht und zu bestimmten Themen scheint es nur sie zu geben, die dazu etwas äußern sollen und können. Was dabei an Tradition gewonnen wird, geht an Lebendigkeit, Offenheit und tatsächlicher Auseinandersetzung mit dem Kino verloren. Nach Bologna fahren sollte man trotzdem und zwar nicht, um wie viele das grandiose Essen und die schöne Stadt zu genießen, sondern um die seltene Chance wahrzunehmen, zu erfahren, dass Kino mehr ist, als man sehen kann und dass nicht nur deshalb das Vergangene im Kino immer von der Gegenwart und Zukunft des Mediums erzählt.
Rainer Kienböck
Mittlerweile habe ich für mich einen dienstbaren Weg gefunden durch das Programm zu navigieren. Recht willkürlich schließe ich vor Beginn des Festivals ein paar der Programmreihen aus, die mir weniger interessant erscheinen, dann lasse ich mich zu Beginn des Festivals treiben und peile dabei eine gesunde Mischung aus halbverschollenen Raritäten und Klassikern, die ich noch nicht gesehen habe, oder wiedersehen möchte, an. Im dritten Jahr habe ich mich auch endlich damit abfinden können, dass das Il Cinema Ritrovato ein Festival des Verpassens ist: jede Entscheidung für eine bestimmte Vorführung ist zugleich eine Entscheidung gegen andere ebenso interessante Programmpunkte. Es hängt sicherlich mit dem Reiz dieses Festivals zusammen, dass manche dieser Entscheidungen Filme betreffen, die vielleicht für Jahrzehnte nicht mehr gezeigt werden.
Ich war in jedem Fall gut beraten, in der Programmgestaltung vieles dem Zufall zu überlassen. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich wohl nie zuvor in einem so kurzen Zeitraum so viele Stummfilme gesehen habe. Vor allem die Reihe mit Filmen von vor 100 Jahren hatte es in sich, war 1917 ein annus mirabilis des Kinos oder führt ein sorgfältig kuratierte Auswahl von 50 Filmen aus einem beliebigen Jahr automatisch zu so einem fantastischen Programm? Robert Wienes Furcht mit Conrad Veidt, Tösen från Stormyrtorpet von Victor Sjöström und vor allem Frank Borzages Until They Get Me zählen ohne Zweifel zu den besten Filmen, die ich in Bologna sehen durfte. Und das obwohl kaum einer der 1917er-Filme untertitelt war und die Simultanübersetzungen noch immer so schlecht sind, dass ich im Endeffekt lieber versuche dänische, schwedische oder italienische Zwischentitel zu lesen (es spricht für die Filme, dass sie trotzdem wirken). Until They Get Me muss auch aus einem anderen Grund in diesem Text Erwähnung finden – er spielt in Kanada.
Wie die Zufälligkeiten eines solchen Festivalbesuchs es so wollen, begann mein Bologna-Aufenthalt mit einem Screening von Bill Morrisons Found-Footage-Kompilationsfilm Dawson City. Frozen Time, der sich der Geschichte der namensgebenden Stadt in Nordkanada – einem Zentrum des Gold Rush des späten 19. Jahrhunderts – annimmt. Dawson City war nur der Auftakt für eine überproportionale Menge an Kanada-Western in meinem persönlichen Programm. Neben Borzages Film muss ich an dieser Stelle auch Otto Premingers River of No Return erwähnen: Marilyn Monroe in Cinema Scope und Technicolor und dennoch lebt der Film stärker von der unvergleichlichen Präsenz Robert Mitchums (dem diesjährigen Festival-Posterboy). Nach River of No Return und Blood on the Moon am Folgetag hatte ich mir vorgenommen, zumindest einen Mitchum-Film pro Tag zu schauen. Die Zufälligkeiten wollten es anders, und ich sah zu meinem Bedauern keinen einzigen weiteren.
Aber noch einmal zurück zu den Stummfilmen. In einem längeren Text habe ich bereits über die grandiosen Lumière-Programme geschrieben, die es in Bologna zu entdecken gibt, samt großartigen Einführungen (ich verweise noch einmal auf Aboubakar Sanogo) und wunderbarer Musikbegleitung – einer der Pianisten hat das Musikrepertoire sogar um seine Stimme ergänzt. Diese Aktion war für mich sicher der skurrilste musikalische Moment des Festivals, bei dem Musik eine große Rolle gespielt hat. Bei den Freiluftvorführungen am Piazza Maggiore gab es gleich zwei solche musikalische Höhepunkte: zum einen die Live-Performance von Maud Nelissen & The Sprockets zu The Patsy von King Vidor und zum anderen Monterey Pop von D.A. Pennebaker, der Konzertfeeling aufkommen ließ. Umgeben von hunderten Leuten, die Soundanlage bis zum Anschlag aufgedreht, der Applaus des Publikums am Piazza mischt sich mit dem Applaus des Publikums im Film. Eine überwältigende Erfahrung, die mich zumindest ein wenig mit der Praxis digitaler Projektion von analog entstandenen Filmen versöhnt – auf konventionellem Weg hätte man den 16mm-Film wohl kaum auf der 20 Meter hohen Leinwand am Piazza zeigen können.
Zum Abschluss noch ein paar weitere Eindrücke vom Piazza, die ich einfach erwähnen muss: L’Atalante auf Riesenleinwand wiederzusehen, über Michel Simons Brillanz zu staunen und natürlich über die vernebelten Traumbilder von Jean Vigo, in denen dennoch das „echte Leben“ pulsiert; der Festival-Trailer, in dem Jimi Hendrix zu Because the Night lipsynched und Brigitte Bardot zum gleichen Lied ein Tänzchen wagt. Leider, leider hat er es (noch) nicht auf die gängigen Video-Plattformen geschafft, um ihn hier zu teilen – es wäre ein würdiger Abschluss für einen Text über die Höhepunkte des Festivals.
Ivana Miloš
Every Love Has Its Landscape
Where architecture and summer join, bringing about a hazy, misty awareness of movement and fiction caught in a tête-à-tête lasting several days, there cinema can soak the streets and inhabit a sanctuary upon a hill, overlooking the landscape with the decisive stance of a searcher akin to Sterling Hayden in the opening shots of Johnny Guitar. Here, only a celebratory blink of the eye separates the fear of being caught in a storm and buried by the rubble of an explosion bringing in the future from the feeling of mercifully basking in the past. Have the images invaded and pervaded your consciousness or has the sun gone to your head? Blissfully, there is no way of telling. Bologna’s Il Cinema ritrovato resembles what Hélène Cixous calls an “exploded” reading, with splitters and fragments building up the experience of a festival, a history, and a cinema.
The cinema revealed in Bologna may well be one of many, but its fruits are more alluring than most and whet the appetite with a delicious twist. If a screening such as the 1917 Pathé Frères’ treasure box Les danses enfantines can serve as a foundation of a festival visit, there is much to be discovered lying in wait in the intertwined shadows of arcades. The study of the movement of young ballerinas thus easily metamorphoses into a glimpse of a mysterious forest glade inhabited by nimble, fawnlike dancers with inimitable expressions, secrets, and promises. Chief among them is the promise of motion, made manifest by the rise and fall of feet cushioned upon grass, divulging the magic of dancing bodies with a touch of the camera shutter responsible for the wondrous slow motion of the dancers. Mechanical marvels commingle with revelations of (almost) unknown realities, as the program section of hundred-year-old films featured every year eloquently goes to show. Étienne-Jules Marey’s Place de la Concorde, a 88mm wide and 19m long filmstrip also breathes mystery when projected as it was never intended to be. These early sprouts of an art, their intentions partly uncertain, partly ignored and reassembled for the present, meet and traverse the humanity of Frank Borzage’s Until They Get Me (1917), Tay Garnett’s hyperbolized Destination Unknown (1933) and Tamizo Ishida’s lacework masterpiece Hana Chirinu (1938).
Then there is Arne Sucksdorff’s My Home is Copacabana (1965), riveting in its image-capturing skillfulness, whose spirit exactly matches its sapling protagonists. Somewhere between the sea and the sky, real-life yet fictional favela orphans Lici, Jorginho, Paulinho and Rico reimagine themselves based on the stories they have experienced and related to the director. Their feverish, incredibly fragile existence is led on the Atlantic shore of the beach in Copacabana and the ramshackle shelter they built for themselves on top of Morro da Babilônia. Both of these are at all times open to invasion, unwelcome intervention and the heedlessness of others. The children may and do try to defend them, but failure is pre-inscribed in their actions. My Home is Copacabana portrays the lack of home by gently, but unsparingly sculpting the spaces of its non-existence. But the issue of homelessness does not bring on an edifying, moralizing or pitying perspective; the film remains as clear and respectful as can be towards the children’s struggle to survive. A wild, dancing kite criss-crossing the skies during the opening credits personifies the quicksilver nature of a ruthlessly shaky life as well as the succulence of short-lived delights characteristic for and belonging to a child. When the children get chased away from their hill shack by bandits, they take to sleeping in fishermen’s boats on the beach. Dream meets devastation in the contours that envelop their lithe forms. The framing is flawless. One evening, a ritual is performed for Yemanja, the goddess of the sea, and a fire started on the beach outshines the darkness. A dance carries sand, sea, and laughter back into the skies.
Dance works towards resistance and the construction of two more universes: that of Med Hondo’s West Indies (1979), presented as a part of the Film Foundation’s World Cinema Project and Jean Rouch’s La Goumbé des jeunes noceurs (1964-65), well-concealed in the depths of the Documents and Documentaries section. The most elementally precious element of Hondo’s work (alongside his incomparable introduction) is the opening shot of the lurid setting of his story of relentless migrations between Africa, Europe and the Caribbean, a story of colonization and repression, on a giant slave ship located inside an industrial warehouse. This in itself is a dance; one of choice and skill, of camerawork chosen as the means of storytelling embarked on a ship just as so many of its participants had been throughout history.
Another migration, that of the inhabitants of French Upper Volta to the city of Abidjan in the Côte d’Ivoire, acts as a starting point for Rouch’s incredible engulfment in an association of migrants shaped around the goumbé, a traditional dance they rely on in the desire to maintain a community and ensure mutual solidarity and assistance in a foreign land. While the secretary-general reads out the statute and the names and occupations of the chief members of the association, each is presented in a series of perfectly rounded portraits, miniatures of every worker at their workplace and their home. The film flows and feels like a simple, devotedly woven cloth – it wraps itself around its participants purposefully, letting them breathe as freely as they wish. If humanity could take on the unostentatious garb of these images, of their fabric and tone, the promises of movement made a hundred years ago could come to life with true vigour. Hence, Rouch shows the goumbé in motion, in splendour, as a halo of brightness on fire. And if the dance of cinema is going to catch fire again, it better develop the radiant rupture of triumphant life and spread its wings in the night. Nobody will strike at a firefly in the darkness.
Valerie Dirk
Zeitreisen auf der Piazza Maggiore: Obwohl ich bereits das dritte Jahr zum Cinema Ritrovato fahre, habe ich heuer zum ersten Mal die Kinomagie der Piazza Maggiore für mich entdeckt, auf der ich das Kino, noch intensiver als sonst, als Zeit- und Raummaschine erfahren habe.
Mit A Propos de Nice von Jean Vigo (nach Place de la Concorde von Etienne-Jules Marey) im Vogelflug über das Nizza von 1930 und mitten hinein in die Stadt während des Karnevals. L’Atalante fährt auf Hochzeitsreise durch nordfranzösische Kanäle und sucht das Bild der Geliebten (Dita Parlo !) im Wasser. Während Johnny Guitar von Nicolas Ray mit der großartigen Joan Crawford (die Farbe ihrer Hemden, ihre Haltung) und ihrer Gegenspielerin Mercedes McCambridge, spaziere ich von der ersten in die letzte Reihe. Kino kann man (zumindest kurzzeitig) auch im Gehen genießen. Monterey Pop von D. A. Pennebaker entführt die ZuschauerInnen in das Kalifornien von 1968, also in eine Zeit, in der die Geschichte der Popmusik und des direct cinema geschrieben wird. Sweet nostalgia schwemmt über die Piazza, denn das ist die Musik, mit der ich und viele andere aufwuchsen (die Schallplatten des Vaters). Totale Bewunderung für die Performances von Otis Redding, The Who, Janis Joplin und Grace Slick von Jefferson Airplane. Jimmy Hendrix enttäuscht dagegen, er ist zu vollgedröhnt. Die missbrauchte Gitarre hat gut daran getan, nicht flammend zu lodern. The Patsy von King Vidor erwärmt durch die wunderbare Komik der Marion Davies und dem live Jazz-Orchester. Es ist meine letzte Reise auf der Piazza.
Med Hondo: Der afrikanische Regisseur ist meine persönliche Neuentdeckung. Ab Afrique sur Seine und Soleil Ô hänge ich am Köder. Verhandlungen afrikanischer Identität in Frankreich, dabei ohne schwarz-weiß-Malerei, mit Humor und zugleich tiefster Depression. Realistisches schwarz-weiß, sehr direkt, Straßenszenen und ein bißchen früher Fassbinder. Ich glaube zu wissen, was ich bei den anderen beiden Filmen zu erwarten habe. Und werde getäuscht: West Indies, ein knallbuntes Musical im Bauch eines Schiffs, rhythmische Choreografien, Zeitsprünge vom 16. Jahrhundert in die Jetzt-Zeit (1979), Migration und Sklaverei werden auf spannende Weise zusammen gedacht. Sarraounia wiederum ganz anders. Ein Kriegsfilm über den Widerstand einer nigerianischen Stammesführerin, die gegen die Eroberungszüge der Franzosen und die Intrigen der afrikanisch-muslimischen Stammesführer Stand hält. Cinemascope, Farbe, Musik, Wüste. Ein Epos. Med Hondo ist auch zu Gast. Oft den Tränen nah, so determiniert in seinem Glauben an eine Gemeinschaft, an die Anderen, an das Kollektiv, an den Sozialismus/ Kommunismus und so ablehnend gegenüber einem Kino des l’art pour l’art.
En plus: Helmut Käutners Ludwig II und die Sprache O. W. Fischers. Douglas Sirk und das humanistisch-sakrale Melodrama (The Magnificent Obsession). Die Schönheit, Tragik und Aufrichtigkeit Rock Hudsons. Caffè, Apperitivo und holpriges Italienisch. Frühmorgens Universal Filme mit „bad-sad-gal“ Mary Nolan: Outside The Law und Young Desire. Letzterer rührt zu Tränen, so hoch schwebt sie empor, so schnell fällt sie.
Sebastian Bobik
Da dies mein allererstes mal beim Il Cinema Ritrovato war, muss ich natürlich als erstes Highlight das Festival an sich hervorheben. Ein schöner Ort, gutes Wetter, ein tolles Programm… Ich kann eigentlich nur gut von diesem Festival sprechen. Natürlich sind die Konditionen in manchen Kinos etwas kompliziert (wenn die Klimaanlage mal ausfällt kann der Kinobesuch schon recht hart werden) und die Sprachbarriere ist noch ein Problem, an deren Lösung gearbeitet werden muss, doch das alles wird locker wieder wett gemacht durch die wunderbare Atmosphäre vor Ort.
Bevor ich nun meine Filmhighlights aufliste sollte ich noch kurz ein bisschen Platz für den Festivaltrailer finden. Der hat dieses Jahr besonders begeistert und man kann nur hoffen, dass sich das Festival entschließt ihn im Internet zu veröffentlichen.
Nun zu meinen persönlichen Höhepunkten, die ich hier in der Chronologie auflisten werde, in denen ich die Filme gesehen habe:
Gleich am Abend meiner Ankunft begab ich mich noch zum Piazza Maggiore um Jean Vigos wunderbaren Film L’Atalante zu sehen. Ist Michel Simon hier sogar besser, als in Boudu sauvé des eaux von Jean Renoir? Doch nicht nur Michel Simon ist wunderbar bei Vigo: der ganze Film ist voller traumhafter Momente. Sei es die berühmte Sequenz unter Wasser, oder die erste Kamerafahrt über das Schiff (ein Moment der mir Gänsehaut bescherte). Dennoch war L’Atalante nicht mein größtes Highlight an dem Abend. Davor wurde nämlich A Propos De Nice, der ebenfalls von Vigo ist, vorgeführt. Ich war ohne jegliche Information über diesen Film hingegangen und was mich überwältigte war eine Freiheit, die man nicht mehr oft in Filmen sieht. Besonders beeindruckt hatte mich eine simple Bewegung: Ein Gebäude neigt sich um 90 Grad. Es ist eine Bewegung, die man sonst nur in verspielten Amateuraufnahmen sieht, die auf Camcordern gedreht wurden. Eine Bewegung, die einem in einer Filmschule sofort ausgeredet wird, und eine Verspieltheit ausdrückt, die man oft vermisst. Was darauf folgte, war ein mit herrlichen Aufnahmen gespicktes Portrait von Nizza. Wenn ich daran zurückdenke, sehe ich einen Fluss von Bildern: Eine Frau auf einem Sessel, verschiedene Outfits an ihr werden überblendet bis sie plötzlich nackt ist, eine bizarre Parade und die schwingenden Beine von Frauen, die in Zeitlupe tanzen. Gleich am folgenden Abend sah ich ebenfalls auf dem Piazza Maggiore Johnny Guitar von Nicholas Ray. Auf einer riesigen Leinwand mich unglaublichen Farben und großem Publikum war der Film einfach ein wunderbares Erlebnis.
Am Tag darauf entdeckte ich Hana Chirinu von Tamizo Ishida. Dessen Entdeckung ist für mich wohl der absolute Höhepunkt meiner Zeit in Bologna. Tage später sah ich den ebenso wunderbaren Mukashi No Uta ebenfalls von Ishida. Beide Filme wurden in schlechten Kopien gezeigt. Das Bild war zum Teil unerkennbar dunkel. Trotzdem konnte dies den Filmen kein bisschen schaden. Ishida ist ein Regisseur, der zumindest in diesen beiden Filmen mit wunderbaren Einsichten, Szenen, Figuren und Beziehungen dieser überrascht, und jemand, der hoffentlich bald auch jenseits von Bologna wiederentdeckt wird. Die Welt verdient es, diese wunderschönen Filme sehen zu können.
Ein weiteres Highlight, das auf der Piazza Maggiore extrem an Erfahrungswerten gewann, war Monterey Pop von D.A. Pennebaker. Dieser war selber anwesend um seinen Film einzuführen und sichtlich gerührt, ihn vor so großem Publikum zeigen zu dürfen. Im Film gibt es großartige Auftritte (vor allem Janis Joplin, Otis Redding & Jimi Hendrix). Es herrschte eine mitreißende Stimmung auf der Piazza und Applaus, bei dem man nicht wusste, ob er eigentlich im Film, oder auf der Piazza stattfand.
Der letzte Film auf dem Festival, den ich gesehen habe war Decasia von Bill Morrison. Es war schon am späteren Abend und ich war ziemlich müde. Als diese Bilderflut begann auf mich herabzuregnen, wurde ich sehr schnell wieder wach. Es ist schwer die Erfahrung des Filmes in Worte zu fassen, er ist einfach ein Erlebnis. Ein Film, den man über sich kommen lassen muss, wie eine Welle. Er kann einem das Gleichgewicht nehmen, doch wenn man sich mit ihm gehen lässt ist es eine unvergessliche Erfahrung. Für mich war es der einzige Horrorfilm, den ich auf dem Festival sah.
Andrey Arnold
Mädchen in Uniform: Die sensible Manuela wurde vom preußischen Mädchenstift kaputtdiszipliniert. Jetzt schleppt sie sich langsam das Stiegenhaus hinauf, will sich von oben in die Tiefe stürzen. Doch als sie kurz davor ist, schleudern ihr ihre Mitschülerinnen, die sich ein paar Stockwerke tiefer scharen, ihre geballte Empathie entgegen: In einer koordinierten Bewegung recken sie die Arme in die Luft und rufen „Nein!“ (oder dergleichen). Das Zielobjekt wird von dieser kraftvollen Gemeinschaftsgeste erfasst und zur Besinnung gebracht, wie von Zauberhand. Es ist ein starker Moment, eine hochgradig künstliche Pathos-Pfeilspitze, die die Kollektivromantik und den Widerstandsgeist des Films perfekt auf den Punkt bringt – aber auch dessen unheimliche, präfaschistische Vision kathartischer Gruppenekstasen.
Johnny Guitar: Ich habe diesen Über-Film in Bologna zum zweiten Mal gesehen, aber eigentlich zum ersten Mal. Seine unfassbare Kraft ist mir erst hier richtig bewusst geworden. Andere können besser ausdrücken, was es mit ihr auf sich hat. Als Emma gegen Ende von Vienna erschossen wird, wurde in einigen Ecken gejubelt. Ich kenne diese Art von Jubel und will ihn im Kino niemandem vergällen. Dennoch hoffe ich, dass die Jubelnden den Film noch öfter sehen. Und irgendwann nicht mehr jubeln, möglicherweise.
West Indies: Schwarze Komplizen der französischen Kolonialmacht führen weiße Touristen durch die Karibik (ein buchstäbliches Sklavenschiff, weil in diesem Film alles beim Namen genannt wird) und preisen die örtlichen Attraktionen. Stolz verweisen sie auf die willfährige Arbeiterschaft, die emsig mit ihren Macheten hantiert. Ein Schwenk fokussiert ihre Choreografie (weil dieser Film auch ein Musical ist) und verweilt darauf – gerade lange genug, um sich vorzustellen, dass die tanzenden Klingen keine Werkzeuge sind, sondern Waffen.
Bildnis einer Unbekannten: Ein Film voller Freuden (und Ambivalenzen), nicht zuletzt dank des Schauspiels von Ruth Leuwerik und O.W. Fischer. Aber auch ein Film, der sehr stark über Sprache funktioniert und über den Dialog. Und bei mir (wieder einmal) die Frage aufwarf, inwieweit sich Filme „übersetzen“ lassen – und wie viele Fehlurteile gefällt wurden, weil jemand (ich zum Beispiel) nicht imstande war, die Eigenheiten eines spezifischen Idioms wahrzunehmen. Natürlich muss man nicht Deutsch können, um Käutners Film zu genießen. Und natürlich können einem trotz (oder wegen) sprachlicher Unkenntnis Dinge auffallen, die einem Native Speaker (oder Beinahe-Native-Speaker) verschlossen bleiben. Aber wird man das einzigartige Wechselspiel zwischen Gestik, Mimik, Rhythmus, Duktus, Timbre, Inhalt, Charakter, Wortwahl und Pointiertheit, mit der Fischer an einer Stelle sagt: „Ich bin gar nicht reizend, ich bin reiz-bar“, mit dieser fabulösen Pause zwischen den Silben des letzten Wortes, wirklich zu schätzen wissen? Bei der schönsten Überblendung des Films stellt sich diese Frage jedenfalls nicht: Ein Porträt der „Unbekannten“ verbrennt langsam im Kamin und verschmilzt mit einer Nahaufnahme ihres Gesichts, das eines der tollen Lieder des Films singt: „Ist denn mein Mund ein Vagabund, der ewig wandern muss, von Kuss zu Kuss…“
Arkasha zhenitsya: Die lustigste russische Stummfilmkomödie, die ich je gesehen habe (ich habe noch nicht viele russische Stummfilmkomödien gesehen). Ein Mann betrinkt sich am Vorabend seiner Hochzeit. Am nächsten Tag die Ausnüchterungskur. Er dreht den Wasserhahn auf, um sich frischzumachen – und schläft promt unter dem Becken ein. Das Wasser läuft über. Er glaubt, es regnet, schlägt den Kragen hoch. Später: Ein Spaziergang im Park – mit Frack, Zylinder und Gehstock (die Bourgeoise war schon vor der Oktoberrevolution Zielscheibe des Spotts). Schläft im Stehen ein, der Stock ist notdürftige Stütze. Lausebengel stoßen sie weg. Pardauz! Wer jemals einen über den Durst trank und am nächsten Tag zeitig aufstehen musste, weiß: It’s funny cause it’s true.
Die kleine Veronika: Ich habe mir die Projektion des Films auf der Piazetta Pasolini leider nicht angesehen. Aber ich habe die betörende Musikbegleitung von Florian Kmet gehört, während ich abends im Hof der Cineteca saß, umgeben von neuen und alten Bekannten, einen schönen Festivaltag im Herzen. Und das reicht.