Wie jeder Film von Hou Hsiao-hsien ist auch Daughter of the Nile ein Beweis dafür, dass Zärtlichkeit und affirmative Gefühle gegenüber Figuren und Menschen nichts mit dem Wissen zu tun hat, dass man über deren Leben hat. Stattdessen hängt Zuneigung, an der Art und Weise, in der man Menschen betrachtet, der Zeit, die man ihnen gibt, der Vorsicht, mit der man ihnen begegnet. Daughter of the Nile gilt als ein „kleinerer“ Film im Werk des Taiwanesen, was auch daran liegt, dass er ihn selbst nicht wirklich mag. Doch wie so oft sind die scheinbar verlorenen Filme der Filmgeschichte besonders reich an Entdeckungen. Das gilt auch für diese mit einer Portion Comic-Mystik aufgeladene Milieustudie einer Familie in Taipeh, in der ganz im Stil des Neuen Taiwanesischen Kinos der 1980er Jahre (man denkt an Edward Yang insbesondere) Jugendkultur und Kriminalität enggeführt werden. Im Niemandsland eines modernen Lebens, zwischen den im Neonlicht ertrinkenden Straßenzügen eines Kulturwandels, verfolgt von den Geistern der Vergangenheit wird jedes Streben nach Glück, jede Anpassung an die Gegebenheiten zu einem Schritt in das eigene Verschwinden.
Hou filmt die bisweilen tragischen Ereignisse in stoischer Distanz, in jeder Aktion spürt man, dass sie von der Welt ignoriert wird. Die Natur bleibt als Bewahrer einer Gleichgültigkeit am Horizont, ein Gewitter braut sich zusammen, Wellen sammeln sich um einen Felsen, Bäume wachsen rund um die Häuser als gäbe es diese nicht. Es gibt wenige Filmemacher, die so stark von der Natur erzählten, wenn diese nichts mit der Narration zu tun hat. Richard Suchenski schrieb zu den Bäumen von Hou Hsiao-hsien von einer “reflexive distance“; es ist als würde die Narration hinter diesen Einstellungen verschwinden, als würden diese Einstellungen die Narration einordnen, ihr einen Platz in der Welt geben, der nicht so dominant ist wie einen das Kino gerne glauben lässt. Ist es nicht so, dass der Tag, an dem jemand stirbt, auch der Tag sein kann, an dem die ersten Narzissen blühen?
Daughter of the Nile zeigt ein Versprechen von Freiheit, wobei der Film und seine Figuren die ganze Zeit wissen, dass sich dieses nicht erfüllen wird. Der Verlust der Jugend wird bereits in deren Blüte bedauert. Eine Gruppe rund um Lin (gespielt von Popstar Lin Yang) sitzt am Strand mit amerikanischer Musik, Coca-Cola und Bier. Sie stieren nachdenklich ins Lagerfeuer und erzählen sich von der Welt, die sie erwartet. Die Eltern im Film sind verstorben, krank, verletzt oder machtlos frustriert. Wie oft gibt es bei Hou ein näheres Verhältnis zu den Großeltern, aber auch dieses ist bei allem Bemühen des Großvaters (wie oft bei Hou furzend, Li Tien-lu) geprägt von einer Entwurzelung. Das führt zurück zu den Bäumen, die da immer noch stehen und von denen, so scheint Hou zu sagen, wir nur lernen können.