Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Čovek nije ptica von Dušan Makavejev 

Text: Anna Babos (aus dem Eng­li­schen von Patrick Holzapfel)

Die Anfüh­rungs­zei­chen, mit denen Dušan Maka­ve­jev sei­ne Fil­me rahmt, heben sich oft gegen­sei­tig auf. Das gilt bereits für sei­nen ers­ten Spiel­film. Der Unter­ti­tel „Lie­bes­film“ bringt einen ins Schmun­zeln, schließ­lich gibt es von Beginn an eine kla­re, an den Zuschau­er gerich­te­te Aus­sa­ge, die nur nichts mit der Lie­be gemein zu haben scheint: Der jugo­sla­wi­sche Sozia­lis­mus funk­tio­niert wie eine Mas­sen­hyp­no­se, das Bild des Arbei­ters im Sozia­lis­mus ist ein Zir­kus­spek­ta­kel, das die Ima­gi­na­ti­on der Mas­sen beflü­geln soll. Gleich zu Beginn zieht der Film eine Par­al­le­le zwi­schen einem Hyp­no­ti­seur, der sein Publi­kum ver­zau­bert und einem Jour­na­lis­ten, der nach den ideo­lo­gisch pas­sen­den Wör­tern sucht, um eine Preis­ver­lei­hung für Berg­leu­te zu beschrei­ben. Spä­ter dann besucht eine Kin­der­grup­pe auf Tages­aus­flug das Berg­werk und einer der Berg­män­ner wird ihnen als idea­les Modell eines Arbei­ters prä­sen­tiert, ein Spek­ta­kel. Aber was ist das? Die ande­ren Arbei­ter schau­keln geis­tes­ab­we­send auf den Lei­tern und wider­spre­chen so den von Zei­tun­gen pro­pa­gier­ten Arbeiterhelden.

Schwar­zen Humor zeich­net aus, dass er so lus­tig wie ernst ist. Ja, es ist wirk­lich eine Lie­bes­ge­schich­te. Eine jun­ge blon­de Bar­bie­rin, Raj­ka und ein älte­rer, gestan­de­ner Fabrik­ar­bei­ter, Jan Rudin­ski, ver­lie­ben sich. In einer Mon­ta­ge, die sich ihrer auf­blü­hen­den Lie­be wid­met, sehen wir sie ange­schmiegt in der Berg­werks­land­schaft, sie spa­zie­ren über Hal­den und Kra­ter, ent­lang eines Was­ser­re­ser­voirs, sie küs­sen sich zwi­schen Berg­schacht und Container. 

Dann eine Ein­stel­lung, in der die Kame­ra das weit­läu­fi­ge Berg­bau­are­al abschwenkt und die wei­ße Haut der Frau, ein­ge­hüllt in eine schwar­ze Pelz­de­cke. Das Gesicht und das Berg­werk, zwei Land­schaf­ten, unter denen es vibriert, das Begeh­ren wird greif­bar. In der Fabrik bewegt der Mann das schwe­re Mate­ri­al, ohne es zu berüh­ren. In ihm erkennt man die Lei­den­schaft des Lieb­ha­bers, die Prä­zi­si­on des Vor­ste­hers, die Kraft des Hyp­no­ti­seurs. Sei­ne ero­ti­sche Kon­trol­le über das gewon­ne­ne Eisen ist ein Vor­spiel für die Begeg­nung der zwei wei­ßen Kör­per unter der schwar­zen Pelz­de­cke. Ihre Hän­de hal­ten anein­an­der, als ob sie nichts ande­res tun könn­ten als das, was sie soll­ten: sich lie­ben, strei­cheln, umarmen. 

Die­se Ver­wandt­schaft zwi­schen den Ges­ten der Lie­be und der Arbeit ist unheim­lich, aber sie fin­den sich auch bei Raj­ka. Als Bar­bie­rin wäscht sie, hält und sorgt sich um die Gesich­ter der Män­ner, auch ihre Ges­ten erin­nern an die einer Liebhaberin.

Spä­ter, als die Fabrik Rudin­ski fei­ert, fin­det die ent­täusch­te und gelang­weil­te Raj­ka einen jun­gen Lieb­ha­ber. Ihr Vor­spiel erin­nert an ein Kin­der­spiel. Der Jun­ge spritzt Raj­ka mit Was­ser aus einem Schlauch voll, aber sie sitzt in einem Auto, wird also nicht nass. Maka­ve­jev friert das Bild ein und zeigt eine Sil­hou­et­te ihrer Hän­de auf dem Fens­ter­glas, sie wider­steht ver­spielt. Sie nimmt am Spiel teil, aber setzt sich nicht dem wirk­li­chen Kon­takt mit den Ele­men­ten aus. 

Hän­de spie­len auch in der Deko­ra­ti­on bei der Preis­ver­lei­hung für Rudin­ski eine Rol­le. Denn eigent­lich soll hin­ter dem Orches­ter, das Beet­ho­vens Ode an die Freu­de zum Bes­ten gibt, ein rie­si­ges Wand­ge­mäl­de zu sehen sein, das Arbei­ter­hän­de zeigt: Vier ver­dreck­te Hand­flä­chen, zum Him­mel gerich­tet, sie geben, opfern. Als der Genos­se, der die Ver­an­stal­tung orga­ni­siert, das Bild sieht, lässt er die­sen Fremd­kör­per inner­halb der ele­gan­ten Zere­mo­nie sofort ent­fer­nen. Was stört ihn an dem Bild? Viel­leicht sind ihm die Hän­de zu schmut­zig, das Leid ist zu spek­ta­ku­lär für die erha­be­ne Stim­mung. Oder aber stört ihn die Ges­te, die Öff­nung der Hän­de? Denn die­se Hän­de sind kein Aus­druck der Arbeit, des Erfolgs oder der Leis­tung, sie sind beschei­de­ner, demü­ti­ger Aus­druck einer vagen aber zutiefst mensch­li­chen Hingabe. 

Das bedeu­tet nun aber nicht, dass Maka­ve­jev die Lie­be für eine solch wun­der­vol­le Sache hält, sein schwar­zer Humor ist immer dop­pel­bö­dig. Genau wie zehn Jah­re spä­ter in den unge­zü­gel­ten Orgi­en sei­nes Sweet Movie die Dau­er­sti­mu­lie­rung des Kapi­ta­lis­mus bloß­ge­stellt wird, ist es hier der Real­so­zia­lis­mus oder Staats­ka­pi­ta­lis­mus, der die Gesell­schaft mit einem Ver­spre­chen der Erfül­lung hyp­no­ti­siert. Wir haben die Lie­be miss­braucht und korrumpiert. 

„ Die Moral der Geschich­te? Magie ist abso­lu­ter Schwachsinn.“