Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Eldorado XXI von Salomé Lamas

Text: Patrick Holzapfel

In eth­no­gra­fisch moti­vier­ten Fil­men hat sich eine Idee von Dau­er gehal­ten, die dem Kino anders­wo abhan­den­ge­kom­men oder die viel­leicht schlicht aus­er­zählt ist. Die ein­zel­ne Ein­stel­lung, die einen andau­ern­den Ablauf ohne Schnitt fest­hält, wur­de in ver­schie­de­nen Momen­ten der Film­ge­schich­te wie­der­holt als Heils­brin­ger des von Mon­ta­ge und Illu­si­on durch­tränk­ten Kinos her­vor­ge­holt. Im Blick auf eine „frem­de“ Welt in Salo­mé Lamas’ Eldo­ra­do XXI wird sie weni­ger zum Aus­druck einer künst­le­ri­schen Ges­te wie etwa im Kino Albert Ser­ras oder zu einer Anru­fung der ver­ge­hen­den Zeit wie bei Béla Tarr, sie wird weder Zeit-Bild noch macht sie etwas sicht­bar, was nicht auch in einer kür­ze­ren Ein­stel­lung sicht­bar wür­de. Nein, ihre Dau­er ist eine Ges­te der Zurück­hal­tung, des Bei­woh­nens mit mög­lichst gerin­gem Ein­griff; die in der Ecke ver­ges­se­ne Kame­ra, das zufäl­lig mit­lau­fen­de Bild oder der ein­ge­schla­fe­ne Kame­ra­mann, wie bei dem im Rah­men des Sen­so­ry Eth­no­gra­phy Lab ent­stan­de­nen Film Sweet­grass. Am bes­ten, am glaub­haf­tes­ten schei­nen eth­no­gra­fi­sche Fil­me heu­te, wenn es den Anschein macht, nie­mand wäre da. Ist das nicht selt­sam? Ver­trau­en in die Gleich­gül­tig­keit der Kame­ra? Behaup­te­te Objek­ti­vi­tät? Imi­ta­ti­on von Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien? Viel­leicht. Die fast sie­ben­und­fünf­zig­mi­nü­ti­ge Ein­stel­lung in Eldo­ra­do XXI zeigt ein zwi­schen wach­sen­den Müll­hal­den wan­dern­des Volk im feuch­ten Däm­mer­licht. Sie gehen auf einem klei­nen Pfad nach oben oder unten, ein wenig erin­nert ihr Strom an Amei­sen auf einem Baum­stamm. Man­che tra­gen Hel­me. Rin­nen­des Was­ser ist zu hören, Baby­schreie, fer­nes Stim­men­ge­wirr. Das Licht schwin­det, gele­gent­lich streift der Strahl einer Taschen­lam­pe die Lin­se der Kame­ra. Dann set­zen Erzäh­lun­gen aus dem Off ein, sie berich­ten von den Bedin­gun­gen in La Rin­co­na­da, der höchst­ge­le­ge­nen Stadt der Welt, Hort eines aus der Zeit gefal­le­nen, unmensch­li­chen Gold­rau­sches. Man ist ein­fach da mit dem Film, ver­bringt Zeit an die­sem Ort gleich einer Kat­ze, die stumm das Trei­ben der Men­schen ver­folgt. Die Augen sind mal wach und mal nicht, eine Gleich­för­mig­keit stellt sich ein und man denkt an Jean-Luc Godards Idee eines Kinos, des­sen Bil­der dann ent­ste­hen, wenn nie­mand schaut. In die­sen Minu­ten offen­bart sich ein etwas in Ver­ges­sen­heit gera­te­nes Ele­ment der ver­ge­hen­den Zeit im Kino, näm­lich die Rol­le der Schau­en­den oder die des Rau­mes, der sich zwi­schen Film und Zuschau­er öff­net. Die Wirk­lich­keit des Bil­des und die der Welt, in der das Bild gezeigt wird. Man könn­te die ver­ge­hen­de Zeit als etwas ver­ste­hen, das die Zuschau­en­den auf sie selbst zurück­wirft und dadurch den eige­nen Blick sicht­bar macht. Es ist so, als ob die Zeit der Kame­ra einen Spie­gel vor­hält, sie erweckt das Gewis­sen, weil der Sprung fehlt, der uns für gewöhn­lich aus dem eige­nen Schau­en befreit. Die­ses Gewis­sen ist heu­te ent­schei­dend für das eth­no­gra­fi­sche Kino, des­sen oft­mals kolo­nia­lis­ti­scher Ges­tus ande­re Zugän­ge braucht. In sei­nen Cahiers beschreibt Paul Valé­ry eine Opern­auf­füh­rung: Er setz­te sich mit dem Rücken zur Büh­ne, betrach­te­te das Publi­kum und amü­sier­te sich gegen­über sei­ner Beglei­tung ob der Nai­vi­tät der Leu­te. Was aber dach­te Valé­ry nach einer Stun­de in die­ser Posi­ti­on? Hin­ter­fragt er sich dann nicht selbst?