Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu La cabale des oursins von Luc Moullet

Text: Ron­ny Günl

In einen Berg zu gra­ben, liegt nicht so fern davon, ein Berg zu bestei­gen, wie Luc Moul­let mit die­sem Film beweist. Berg­bau müss­te in die­sem Sinn wört­lich ver­stan­den wer­den, so näm­lich, dass sich die Men­schen auch ihre eige­nen Ber­ge bau­en, was aller­dings nur im Deut­schen gelingt, denn im Fran­zö­si­schen wür­de man mit der mine ledig­lich in lee­re oder koh­le­ge­schwärz­te Gesich­ter schau­en. Etwa das von Moul­lets Vater, sei­net­we­gen er angeb­lich eine beson­de­re Fas­zi­na­ti­on für die Abraum­auf­schüt­tun­gen im Nor­den Frank­reichs und in Bel­gi­en hegt. Es han­delt sich dabei vor allem um Orte des Bas­sin minier du Nord in Nord-Pas-de-Calais, im Umkreis der Städ­te Lens, Douai und Valen­ci­en­nes, deren Gru­ben zwi­schen 1980 und 1990 still­ge­legt wur­den. Moul­let ver­sucht die sogar von den Land­kar­ten miss­ach­te­ten Hügel, in der ansons­ten beson­ders fla­chen Land­schaft, mit sei­nem Film end­lich, ins rech­te Licht zu rücken. Immer­hin hät­ten sie schon René Magrit­te oder Vin­cent van Gogh inspi­riert. Moul­let, obwohl in Paris gebo­ren, behaup­tet in einem ande­ren Film, in den Alpen auf­ge­wach­sen zu sein.

Nicht allein mit die­sen Hal­den, for­men die Ber­ge in sei­nen Fil­men oft das Objekt einer Obses­si­on, die nur in Fil­men oder Träu­men erreicht wer­den kann. Das Über­schrei­ten spricht für das Sur­rea­le wie auch das Komi­sche sei­nes Werks. Was das Berg­stei­gen betrifft, so könn­te man den­ken, die­ses wird in den meis­ten Spra­chen, mit dem Wort alpi­nis­me statt bei­spiels­wei­se pyré­née­sis­me, natür­lich von den Rie­sen im Süd­os­ten bean­sprucht. Dabei bezeich­net der Name der Alpen, ledig­lich ein hoch­ge­le­ge­nes Gelän­de. Im Gegen­satz zu den Gip­feln der Alpen, die von ihren Bezwin­ger viel Mühe und Geduld ein­for­dern, wür­de man aber jene des Nor­dens, laut Moul­let, auf­grund ihrer gerin­gen Höhe, ganz plötz­lich erklim­men. Dabei ist die Qual nach oben und der Aus­blick fast der glei­che, nur muss nicht so viel Demut und schwe­re Aus­rüs­tung mit­ge­schleppt wer­den. Sicher­heits­hal­ber hat Moul­let trotz­dem einen Eis­pi­ckel in der Hand. Sein Film erin­nert hier­bei stets an die kind­li­che Vor­stel­lungs­kraft, trotz der Ver­bo­te der Erwach­se­nen auf einer grau­en Hal­de die Berg­aben­teu­er nach­zu­spie­len, die man im Kino oder Fern­se­hen gese­hen hat.

Wer Fil­me dreht oder zumin­dest gern genau hin­sieht, weiß, dass man manch­mal nur die Augen etwas zusam­men­knei­fen muss, um die Dimen­sio­nen zwi­schen den ver­meint­lich rich­ti­gen und den fil­mi­schen Ber­gen zu ver­schlei­ern. Bei Wei­tem ist das Als-ob im Ver­gleich zum Ech­ten güns­ti­ger. Aber auch wenn die Hügel von oben wie See­igeln (our­sins) aus­se­hen, will Moul­let mit sei­ner Kaba­le eher auf die Geiz­kra­gen (our­sins dans les poches) hin­wei­sen und damit nicht weni­ger, als etwas vom Berg­tou­ris­mus, in dem sich die Alpen pro­fi­ta­bel son­nen, end­lich für sei­ne Ber­ge des Nor­dens zu rekla­mie­ren. Es muss nicht direkt dar­über gespro­chen wer­den, dass die unlieb­sa­men, mitt­ler­wei­le deindus­tria­li­sier­ten Land­stri­che jen­seits von Paris, nicht nur etwas Auf­merk­sam­keit, son­dern auch finan­zi­el­le Auf­wer­tung ver­tra­gen könn­ten. Denn es ist nur ein Teil des Wit­zes, den ver­mut­lich nur ein Fil­me­ma­cher bestechend erzäh­len kann, bei dem sich Abfäl­le in pit­to­res­ke Berg­pan­ora­men ver­wan­deln: Wenn die Men­schen ihre Umwelt umgra­ben, begin­nen sie manch­mal auf selt­sa­me, unfrei­wil­lig komi­sche Wei­se, schein­bar natür­li­che For­men zu imitieren.